Clemens Götze
(Berlin)
Titania und
ihr Meister
Epigonale Inszenierung und Habsburgischer Mythos
in Elisabeth von Österreichs Lyrik
[Titania and
her Master. Epigonous Self-Presentation and Habsburg Myth
in the Poetry of Elisabeth of Austria]
abstract. This article offers an inventory of the rarely analyzed poetry of the mythical Austrian Empress and thereby shows the masterful self-presentation of a historically ambivalent personality. Using selected poems, this article brings out Elizabeth’s appraisal of the contemporary court society, for which she often had only biting scorn. Her poetry reveals an almost religious veneration for Heinrich Heine and an almost subversive attitude towards the k.u.k. monarchy. It also illustrates Elizabeth’s literary strategy of dismantling a hated society, though its effect could also be interpreted to the contrary, i.e. as an unintended contribution of the opposition to the transfiguration of the Habsburg myth.
1. Die Monarchin als Mythos und Dichterin
Was wir heute über die Persönlichkeit Kaiserin Elisabeths von Österreich wissen, entblößt den Mythos einer Monarchin, die keineswegs die allseits geliebte und verehrte Landesmutter war, sondern vielmehr eine höchst ambivalente Persönlichkeit (vgl. Hamann 1984: 10). Ihre lange Zeit besonders märchenhaft verklärte Biographie, die gewiss nicht erst seit den Filmen des deutsch-österreichischen Nachkriegskinos Eingang in das kulturhistorische Gedenken gefunden hat[1] sowie der tragische Tod überlagern ihr weitgehend unbekannt gebliebenes literarisches Vermächtnis, das sich neben wenigen Briefen vornehmlich in einer epigonalen[2] Lyrik ausdrückt. Tatsächlich ist es jedoch das rastlose Leben dieser Monarchin, das bis heute den Elisabeth-Kult stetig am Laufen hält[3]. Wen mag da erstaunen, welche Vielzahl an Neupublikationen zum Leben der Kaiserin immer wieder den Buchmarkt überschwemmt, wobei Autoren und Herausgeber stets noch einen besonderen Aspekt im Wesen der exzentrischen Monarchin zu finden glauben, um uns diese Frauengestalt in scheint es immer neuem Blickwinkel erzählen zu können[4]. Vielfach handelt es sich bei den angepriesenen Entdeckungen jedoch schlichtweg um Wiederaufbereitungen von bereits Bekanntem. Die historische Person Kaiserin Elisabeth ist mittlerweile hinlänglich biographisiert und jedermann leicht zugänglich[5].
Seit kurzem liegt überdies eine umfassende Studie zur Entstehung des literarischen Mythos Elisabeths vor, der zweifellos Grundlage war für die zahlreichen filmischen Bearbeitungen dieses Stoffes[6]. Lange Zeit hingegen unbekannt waren die literarischen Werke der Monarchin, die in reifem Lebensalter die Dichtkunst als Ausdrucksmittel entdeckte. Es ist das Verdienst von Elisabeths Biographin Brigitte Hamann, dass jenes Poetische Tagebuch in einer kommentierten Ausgabe vorliegt[7], deren Hauptaugenmerk auf den Quellenwert dieser Texte verweist und den literarischen Wert als «Kuriosität des Wiener Fin de siècle» tituliert (Hamann 1984: 9). Gleichwohl blieb das literaturwissenschaftliche Interesse an diesen Dichtungen bis heute marginal; es existieren kaum Studien, die das lyrische Werk der Kaiserin unter literaturwissenschaftlichen Fragestellungen untersuchen (Mészöly 1998, Kill 1995), und jene, die existieren, sind nicht selten «nachlässig erstellt[] […] und bleiben im Ganzen unergiebig» (Maikler 2011: 36). Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass die Edition verspätet und im Kontext ihrer Bewertung als historischer Quelle ausschließlich als «Selbstportrait der etwa fünfzigjährigen Elisabeth» gewertet wurde (Hamann 1984: 10). Diesen Umstand bemängelt Josef Hermann Stiegler in seinen knappen Ausführungen zum lyrischen Werk der Kaiserin Elisabeth und betont, dass dieses Werk trotz «viel Mittelmäßige[m] und manch Missglückte[m] […] dennoch genügend auch vom dichterischen Gesichtspunkt aus Bemerkens- und Schätzenswertes enthält, das eine Betrachtung in literarischer Hinsicht rechtfertigt, ja empfiehlt» (Stiegler 1987: 170).
Inwiefern, so stellt sich die Frage, sind diese Verse dann doch mehr als bloße Spielereien einer gelangweilten Fürstin? So ist der symbolische Wert des Künstlerhabitus auch beim Adel nicht zu unterschätzen[8]. In jedem Falle fungieren Elisabeths Dichtungen als Ausdruck eines Paradoxons, will man sie als Herrschaftsausdruck[9] fassen, denn im Sinne einer tradierten Dilettantismusdefinition[10] erscheinen Elisabeths Gedichte durchaus problematisch, wenn man bedenkt, «daß sich dilettierende Kunstausübung stets in Abgrenzung zu professionellem “banausischem” Künstlertum gleichsam als Privileg versteht» (Rosenbaum 2007: 236). Anders gesagt: «Die Kunst des Dilettanten besteht darin, diese nachlässig zu verbergen und das eigene Tun stets als Gegenstand eines unangestrengten Zeitvertreibs kenntlich zu machen» (Rosenbaum 2007: 236). Eben dies tut die Kaiserin jedoch nicht, denn ihre Verse bleiben lange Zeit geheim, obschon ihre Vertrauten von ihrem Dichten Kenntnis haben. Man stößt ferner auf ein Problem, das rezeptionsästhetisch zu verorten ist und im Augenschein der Publikationsgeschichte von Elisabeths Dichtungen weit ins 20. Jahrhundert hinein reicht. Wie Albrecht Koschorke und Konstantin Kaminskij in ihrer Studie über Sprachkunst und Gewalt konstatieren, gilt «die Sprachgewalt des Führers als wesentliches Bindeglied zwischen ihm und dem Volk», ihm kommt Einheit stiftende Funktion zu (Koschorke/Kaminskij 2011: 14). Wo Monarchien über Jahrhunderte hinweg teils abstruse Genealogien schaffen konnten, müssen moderne Despoten mit schöpferisch-fiktionaler Kreativität «eine Vergangenheit […] erfinden, als deren Erbe sie sich ausgeben» können (Koschorke/ Kaminskij 2011: 14). Indem Kaiserin Elisabeth gerade dies nicht unternimmt, kehrt sie mit ihren Bestrebungen einerseits ihren politisch-gesellschaftlichen Status ins Gegenteil, indem sie sich dem in Wien als subversiv diskreditierten Heinrich Heine verpflichtet fühlt; und andererseits durch das exzessive Ausleben eines luxuriösen Lebenswandels infolge von Egozentrik und royalem Selbstbewusstsein plakativ zur Schau stellt. Eine Funktionalisierung in Form der Visualisierung literarischen Geschmacks und Kunstverstandes wie es Herrscher und Fürstinnen im 18. Jahrhundert im Spiegel ihrer selbstaufgebauten Kunstsammlungen vornahmen, findet bei Elisabeth dergestalt nicht mehr statt. Durch ihr literarisches Vermächtnis an die Nachwelt wird vielmehr ein nachträglicher Mythos konstruiert, der eine dauerhafte Anerkennung als Persönlichkeit und Dichterin begünstigen soll[11]. So trägt das Poetische Tagebuch nicht nur dazu bei, die Befindlichkeiten zu artikulieren, sondern ähnlich wie das körperliche Reglement der Schönheitspflege einen Mythos abzubilden und zu festigen.
Allen Krisen der Monarchie des 19. Jahrhunderts trotzte das Selbstverständnis Elisabeths, sie «setzte ihren eigenen Körper als ein unkorrumpierbares, unverderbliches Zeichen ein» (Vogel 2002: 233). Kaum eine öffentliche Frau ihrer Zeit war so extrem auf ihr Äußeres bedacht wie Elisabeth, was ein höchst interessanter Aspekt bezüglich ihrer Stellung ist: «Haut, Haar und Figur der Kaiserin bildeten eine imperiale Ikone der Habsburger Monarchie, die durch die Transfiguration des natürlichen Körpers das Ansehen zurückeroberte, das durch das Aussehen ihrer königlichen Zeitgenossen eingebüßt worden war» (Vogel 2002: 235). Ähnlich wie die Kaiserin an ihrem äußerlichen Mythos laborierte, kann auch ihre Dichtung nur dem Zweck der Selbstverherrlichung huldigen. Die Konservierung der Schönheit erfolgte auf der Ebene des Literarischen Vermächtnis infolge seiner Geheimhaltung als Spiegelbild[12]. Inhaltlich korrespondieren sie dagegen wenig mit der Realität Elisabeths, denn während die Autorin in ihren Texten das zwischenmenschliche Miteinander durch Karikatur implizit einforderte, trug sie in ihrer eigenen Biographie selbst nicht viel zur innerfamiliären Stärkung bei; ihre Dichtungen «erwiesen sich bei genauerer Betrachtung als oberflächliche, nur der Wortwahl nach wohlklingende Zeilen, jedoch ohne wirkliche Tiefe» (Schilke 1993: 140). Oberfläche und dahinter Verborgenes sind kaum in Einklang zu bringen, Scheinbares wird zum Realitätspartikel instrumentalisiert[13].
Ziel dieses Beitrages soll es daher sein, (I) die Lyrik der Kaiserin in eine knappe literaturhistorische Verortung einzubetten, kurz deren charakteristischen Merkmale herauszuarbeiten, um zu klären, inwieweit diese Gedichte höfisch-repräsentativen oder rein dilettantischen Charakter haben und (II) die Beleuchtung des Inszenierungsaspektes als Rollenspiel und die Verbindung zum Habsburgischen Mythos.
2. Literaturhistorische Verortung der Dichtungen Kaiserin Elisabeths
Das lyrische Werk der Kaiserin ist literaturhistorisch mithin schwer einzuordnen, da es sich an der Grenze zwischen epigonaler Gelegenheitsdichtung[14] und chiffriertem Gesellschaftskommentar bewegt. Nun ist das Merkmal künstlerischer Epigonalität für die deutsche Kultur des 19. Jahrhunderts durchaus charakteristisch (vgl. Sorg 2004: 375), weswegen kaum verwundern kann, dass Elisabeths lyrisches Werk zumeist vor dem Hintergrund einer Epigonendichtung[15] abgewertet wurde[16]. Stiegler bemängelt diese Gefahr der Rezeption und zählt gerade jene «Gedichte im Stil politischer Kabarett-Texte […] zu den besten der Sammlung» (Stiegler 1987: 173). Einer literarischen Bewertung unerachtet steht die Kaiserin mit ihren lyrischen Versuchen durchaus in einer höfischen Tradition, nicht zuletzt im eigenen Hause Wittelsbach[17].
Brigitte Hamann schließt eine genauere Betrachtung hinsichtlich literaturwissenschaftlicher Gesichtspunkte wie der Heine-Epigonalität aus, weil dies «wohl die künstlerische Bedeutung der Elisabeth-Gedichte zu hoch veranschlagen [würde]» (Hamann 1984: 13). Da es sich aber nicht um historische Quellen etwa in Briefform oder offiziellen Schriften handelt, sondern um eine Literarizität anstrebende Ausdrucksform erscheint es durchaus legitim, Elisabeths Verse als Dichtung zu betrachten. Im Folgenden soll indes weniger die Bewertung nach literaturwissenschaftlichen Maßstäben im Vordergrund stehen, sondern die Relevanz der Inhalte zur Diskussion gestellt werden.
Der Überraschungen gibt es in diesen gedichteten Selbstbekenntnissen viele: war die Monarchin doch eine glühende Verfechterin der republikanischen Staatsform, war sie als Kaiserin eines derart mit der Kirche verbundenen Reiches wie Österreich-Ungarn antiklerikal, war sie als erste Repräsentantin auch des österreichisch-ungarischen Adels eine Feindin der Aristokratie und schließlich – als Gattin eines stark von militärischem Denken bestimmten Kaisers – ausgerechnet Pazifistin und scharfe Kritikerin des Militärs. (Hamann 1984: 10)
Elisabeths dichterische Existenz muss schließlich als Ergebnis ihrer gesellschaftlichen Stellung[18] und ihres Lebenswandels[19] verstanden werden: So nutzte die Kaiserin die Zeit während ihrer täglich mehrstündigen Haarpflege zur geistigen Arbeit, indem sie las, übersetzte und dichtete; dies jedoch erst mit fast fünfzig Jahren, als ihre gerühmte Schönheit merklich schwindet. Ihre Lyrik liest sich als Kontrastprogramm zur panegyrischen Kasualdichtung[20] und steht dennoch hinsichtlich ihrer Produktionsbedingungen erstaunlich in der Tradition des Musenhof-Typus, mit dem das fürstliche Selbstverständnis mangelnden politischen Einfluss auf europäischem Parkett auszugleichen suchte[21]. Natürlich verbietet es die politische Bedeutung Wiens in über sechshundertjähriger Habsburgerherrschaft von einem klassischen Musenhof zu sprechen[22]. Trotzdem lässt sich Elisabeths Selbstverständnis eher mit dem einer Fürstin im 18. Jahrhundert vergleichen, da sie ihre repräsentativen Aufgaben wie etwa karitatives Engagement weitgehend ablehnte und sich zu allererst als Privatperson verstand.
Die adeligen Damen, gebildet genug, um schreiben zu können, und unbegabt genug, um das weite Feld der Mittelmäßigkeit nicht zu verlassen […], diese Damen vertrieben sich mit der modischen Schreiberei die Zeit, da ihnen gesellschaftliche Normen untersagten, einen bürgerlichen Beruf auszuüben; sie kompensierten ihre soziale Restriktion durch literarische Ausflüge in niederes Milieu oder fernere Gestade, sublimierten mit ihren «Dichtungen» die erotischen Gefühle, die ihnen eine strenge Gesellschaftsmoral verbot oder verdrängte. (Schenda 1988: 153)
Kaum eine amtierende Monarchin zu Elisabeths Zeit war so ernsthaft mit Dichten beschäftigt: weder die Kaiserin von Preußen, Victoria Luise, noch Königin Victoria von England oder die französische Kaiserin Eugènie. Die große Ausnahme war Rumäniens Königin Elisabeth, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva[23] ein sowohl gattungsspezifisch wie quantitativ ausgesprochen umfassendes Werk publizierte und die Initiatorin für Elisabeths lyrisches Geschick war[24]. Im Gegensatz zum Werk Sylvas sind die Ausprägungen von Elisabeths Lyrik eher homogen zu nennen, das Interesse an einer breiten, gattungsübergreifenden literarischen Tätigkeit lässt sich bei ihr nicht erkennen[25]. «Elisabeth war nicht an poetologischen Fragestellungen interessiert, sie reflektirete auch nicht das problematische Verhältnis von Dichtung und Erfahrungswelt» (Exner 2004: 100)[26]. Dies passt freilich in das Außenseiterbild dieser Dichtungen, die sich zu ihrer Entstehung keineswegs einer breiten Zustimmung erfreute, kritisierte sie doch nicht zuletzt jene eigenen Kreise am Wiener Hof und wurde daher geheim gehalten.
Kaiserin Elisabeths Gedichte demontieren die Repräsentationspraxis des Wiener Hofes und stellen damit ein Gegenprogramm zur tradierten Huldigungslyrik dar. Dort wo ihre Gedichte vom bissigen Gesellschaftskommentar abweichen, sind sie Ausdruck einer privat-romantischen Weltflucht in Naturbeschreibungen und Nachahmungsdichtung[27], sie entsprechen damit einem Dilettantismus, der im späten 19. Jahrhundert das bürgerliche Milieu eroberte[28]. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – lässt sich das Werk der Monarchin keineswegs in eine spezifisch weibliche, literarische Tradition einreihen, denn ihr Dichterinnenhabitus zeigt keinerlei Bezugnahme auf zeitgenössisches weibliches Schreiben[29] (wie bei Annette von Droste-Hülshoff, Bettine von Arnim, Ada Christen[30], Marie von Ebner-Eschenbach[31], Franziska zu Reventlow oder Nataly von Eschstruth[32]), obschon doch gerade eine geistige Verbindung mit der durch die zeitgenössische Literaturszene so verkannte und nicht minder tragisch endende Karoline von Günderrode sinnfällig erscheint. Da die Gedichte zu Lebzeiten der Kaiserin jedoch nicht veröffentlicht wurden, stellte sich ein wesentliches Problem der weiblichen Autorschaft für die Autorin nicht: das der Positionierung als Dichterin[33]. Die Tradition weiblicher Autorschaft negierend richtet sich Elisabeths Interesse auf den am Wiener Hof verpönten Dichter Heinrich Heine und ist geprägt durch intertextuelle Referenzen und epigonale Bezüge zu dessen Werk und zu Figuren aus Shakespeares Sommernachtstraum sowie der griechischen Antike. Damit demonstrierte die Kaiserin ihre selbstbewusste Emanzipation gegenüber einer höfischen Gesellschaft, der sie sich nur nach ihren eigenen Regeln zugehörig fühlte[34].
Ihre in nur vier Jahren (zwischen 1885 und 1889) entstandenen Gedichte zeigen eine prozentual interessante Unterteilung der thematischen Gesichtspunkte, wie Heike-Susanne Kill herausgearbeitet hat, wonach sich die Texte in 45 % Natur- und Reisegedichte[35], 24 % Gedichte über sich selbst und ihre Familie, gut 3 % Gedichte über Heinrich Heine, 1% Gedichte über Politik aufgliedern; fast 8 % der Gedichte werden von einem ironischen Ton getragen, der in Richtung Zynismus tendiert (Kill 1995: 19f.). Bezüglich der Liebesgedichte lässt sich indes unschwer ein verbitterter, ja depressiver Grundton ausmachen (vgl. Stiegler 1987: 172).
3. Das Universum der Gedichte
Mészöly betont wiederholt, dass Elisabeth eigene Erlebnisse verarbeitet habe[36], was sicherlich der Fall ist. Dies führt er jedoch als Argument für den Wert der Werke an, die seiner Ansicht nach deswegen eben gerade nicht als epigonal zu bezeichnen seien (Mészöly 1998: 18 u. 24). Gerade dieser Aspekt der stilistischen Nachahmung ist es jedoch, der diese Lyrik zu einer epigonalen Dichtung werden lässt (vgl. Meyer-Sickendiek 2001: 24), die von einem ausgesprochen persönlichen Ton getragen werden und ein deutlich autobiographisch fundiertes lyrisches Ich erkennen lassen. Dieser Selbstpositionierung als nicht involvierte Beobachterin des Hofes entspricht schließlich der volksliedhafte Duktus vieler Gedichte und die zum Teil starke Anlehnung an das Vorbild Heine bis hin zu ganzen kopierten Verszeilen (Kill 1995: 108f.), was bewusst eine deutliche epigonale Inspiration offenbart[37], und das Werk in den Kontext einer verspielten Gelegenheitsdichtung rückt. Elisabeths Hinwendung zum mythologischen Diskurs und das Interesse für Griechenland entspricht dabei durchaus nicht nur dem aktuellen Zeitgeschmack, sondern fungiert darüber hinaus als dynastischer Legitimationsmechanismus[38]. «Mythos und Poesie, der Mythos in der Poesie werden als Möglichkeit sinnlicher Erkenntnis verstanden» (Andres 2005: 93).
Stilistisch betrachtet sind Elisabeths Gedichte einem bewusst immer wiederkehrenden Konstruktionsschema des Volksliedes zuzuordnen, das sie kaum variiert (Kill 1995: 128). Jamben bestimmen die Metrik, seltener Trochäen oder Anapäste, Enjambements brechen vereinzelt den Rhythmus; nicht selten wirkt das Versmaß wie erzwungen, was sicherlich auch in Elisabeths Perfektionsstreben begründet liegt (vgl. Kill 1995: 127). Ähnliches gilt für die Verwendung von Bild- und Namenschiffren, die Elisabeth bei Heine «entlehnt». Stets bemüht die Kaiserin dieselben Bilder («Möwe» für Freiheit, «Esel» für Dummheit usw.) und kreiert keine besonders originellen Neuschöpfungen. Ihre eigenen Bilder (wie «dicke, gelbe Kröte» oder «Trampeltier» für ihre Schwiegertochter Stephanie von Belgien) sind nicht annähernd so poetisch wie die dem klassischen Lyrikrepertoire entnommenen Bilder. Per Definitionem daher von Oden, Hymnen oder panegyrischen Werken, die dem Habsburgerreich huldigen, kann man allenfalls in Bezug auf deren Karikatur respektive einer ironischen Umdeutung sprechen[39]. Ein Beispiel anlässlich der Geburt einer Erzherzogstochter[40]:
Heil! Zur
sechsten Tochter, Heil!
Heil dem Hause Habsburg! Weil
Seine Sprossen ungezählt,
Sternengleich am Himmelszelt;
Täglich mehrt sich ihre Zahl,
Die bereits schon unnormal.
Ängstlich nach dem Herrscherhaus
Blickt das Volk: «Was wird wohl draus?»
Himmelssterne glänzen mehr,
Doch das kommt von oben her;
Aber unsrer Sterne Schein,
Muss durch uns geliefert sein
(Hamann 1984: 293)
Elisabeths intensive Rezeption Heines, dessen Werkkenntnis sie für die Auseinandersetzung mit ihren Versen voraussetzte[41], stellte nicht nur eine bewusste Provokation des Wiener Hofes dar, sondern ist Ausdruck einer in die Groteske mündenden Weltflucht, behauptete die Kaiserin doch spiritistischen Umgang mit Heine zu haben (vgl. Hamann 1998: 438)[42]. Dies kennzeichnet sowohl Epigonalität, Phantastik als auch Inszenierung ihrer Lyrik, die Elisabeths Gemahl Kaiser Franz Joseph ohne genaue Kenntnis über Inhalte zu haben dennoch trefflich «Wolkenkraxeleien» nannte (Unterreiner 2005: 91f.)[43]. Dem als Meister verehrten Heine zugeeignete Gedichte[44] verdeutlichen vor allem Eines: unsäglicher, romantisch-schwülstiger Pathos auf der einen, realistische Selbsteinschätzung des dichterischen Könnens auf der anderen Seite kennzeichnen vielfach die Verse der Kaiserin Elisabeth, wie diese zwei Beispiele illustrieren:
An meinen Meister |
An den Meister |
Ich eil ins Reich der Träume |
Nur einmal, einmal komme wieder, |
Mein Meister, da bist Du |
Dass ich Dich schau von Angesicht, |
Es jubelt meine Seele |
O, schwebe einmal noch hernieder, |
Begeistert schon Dir zu. |
Du meiner Seele Trost und Licht. |
Dein Geist hat mich geleitet |
Führ’ sie zurück in Deine Bahnen, |
Beherrscht den ganzen Tag |
Eh’ ihr die Welt ein Böses tut. |
Ich fühlt wie er gebreitet |
Mein Herz durchzieht ein schlimmes Ahnen |
Auf meiner Seele lag. […] |
Mir fällend fast den stolzen Mut. |
(Hamann 1984: 152) |
(Hamann 1984: 359) |
Schwärmend und schwermütig zugleich bekennt sich Elisabeth zu Heines Vorbildfunktion, der politische Anspruch seiner Werke erwächst aus ihrem eigenen literarischen Nachlass keineswegs. Thematische Aspekte von Elisabeths Dichtung sind: Bitterkeit, Einsamkeitsbeschreibung, Todessehnsucht, Flucht in Traumwelten und unberührte Landschaften, abwertende Kommentare der Hofgesellschaft, chiffrierte Darstellung etwa von Eheproblemen und persönliche Abneigungen, kurz eine durchweg negative Bilanz des eigenen Lebens wie in dem 1886 verfassten Gedicht Verlassen: «In meiner großen Einsamkeit / mach’ ich die kleinen Lieder; / Das Herz voll Gram und Traurigkeit / drückt mir den Geist darnieder» (Hamann 1984: 137). Hier spiegelt das Gegensatzpaar «große Einsamkeit / kleine Lieder» Elisabeths Gefühl des Unverstandenseins wider. Durch diese Ambivalenzkonstruktion wird auf die ungleich geringere Bedeutung der verfertigten Texte angespielt, die in keinem, dem Leid entsprechenden Verhältnis zu stehen scheinen und ebenso wenig an die Größe des Vorbildes Heine heranreichen; und es bliebe zu fragen, inwieweit es sich dabei um Koketterie der Monarchin handelt.
Das Gedicht An die Gaffer illustriert die in späteren Jahren zur Manie werdende Menschenscheu der Kaiserin, die im krassen Widerspruch zu ihren repräsentativen Pflichten steht. Mészöly konstatiert eine gezwungene Erhabenheit bei Elisabeths zeitgenössischen Dichterkolleginnen, die allerdings bei der Kaiserin gänzlich fehle (vgl. Mészöly 1998: 96). Doch genau dies trifft nicht zu. Zwar mag die oberflächliche Betrachtung des Textes zu diesem Schluss verleiten, doch bringt die Kaiserin jenen majestätisch-erhabenen Impetus schon per se mit, muss diesen jedoch nicht zwingend in ihrem Text dichterisch umsetzen, indem sie einen entsprechend getragenen Duktus zur Anwendung bringt; dieser ist hingegen immer schon da und erfährt eher gegenteilig durch inhaltliche Aspekte der Lyrik eine ironische Brechung, die von Elisabeths ambivalentem Charakter Zeugnis ablegt:
Ich wollt’,
die Leute liessen mich
In Ruh’ und ungeschoren,
Ich bin ja doch nur sicherlich
Ein Mensch, wie sie geboren.
Es tritt die Galle mir fast aus,
Wenn sie mich so fixieren;
Ich kröch’ gern in ein Schneckenhaus
Und könnt’ vor Wut krepieren.
Gewahr ich gar ein Opernglas
Tückisch auf mich gerichtet,
Am liebsten säh’ ich gleich das,
Sammt der Person vernichtet.
Zu toll wird endlich mir der Spass;
Und nichts mehr soll mich hindern;
Ich dreh’ eine lange Nas’
Und zeig ihnen den H……n.
(Mészöly 1998: 157f.)
Hier entblößt Elisabeth den ihr so verhassten höfischen Voyeurismus[45], indem ihr lyrisches Ich einen weit größeren Skandal provoziert, als sich seine Verfasserin im realen Leben zu erlauben getraute und offenbart damit das subversive Potenzial ihres lyrischen Geschicks. Kaiserin Elisabeth benutzte folglich die Lyrik zur deutlichen Meinungsäußerung, die einer Konversation nicht zuträglich war. Ihre Texte offenbaren eine psychologische Komponente, sind sie doch verschlüsselte Stellungnahmen zu persönlichen Begebenheiten und Lebensumständen, wie etwa der Beziehung der Schauspielerin Katharina Schratts zu Kaiser Franz Joseph durch die Bezugnahme auf Heines König Wiswamitra, der eine Kuh liebte.
Elisabeths Kunst ist thematisch dennoch zumeist strikt apolitisch, was dem persönlichen Lebensstil der Monarchin entspricht. Zwar lassen ihre Texte eine pazifistische Haltung und sogar republikanische Tendenzen erkennen[46], doch das stark Resignative ihres Tones, in Verbindung mit mangelndem Tatendrang und der konsequenten Geheimhaltung gerade dieser brisanten Dichtungen hebt die potenzielle Sprengkraft ihrer Texte auf. Politisch ist ihr Werk da, wo die elitäre Weltflucht der Monarchin durch die literarische Inszenierung gefeiert wird.
Selbst in der Karikatur des Panegyriktopos durch spöttische Beschreibungen von Hoffestivitäten[47] wird das Politische im Rollenspiel überdeckt, indem die Rollen des Oberon und der Titania vergeben und gegeneinander ausgespielt werden: «Was Ob’ron treibt, das kümmert nicht Titanien, / Ihr Grundsatz ist: Einander nicht genieren. / Frisst Einer Disteln[48] gerne und Kastanien, / Sie selber will sie ihm sogar off’rieren» (Hamann 1984: 360). Sehr deutlich wird hier das Verhältnis des Kaiserpaares charakterisiert, die Anspielung auf die Vorlieben bezieht sich auf des Kaisers Beziehung zur Burgschauspielerin Schratt, die durch Kaiserin Elisabeth selbst ihren Anfang genommen hatte (Hamann 1998: 500).
Die Figur der Titania wird zum Sprachrohr der Kaiserin[49] wie etwa in dem sehr ausführlich beschriebenen Bild des Hauses Habsburg im Gedicht Familienmahl aus dem Jahr 1887, in dem es beispielsweise heißt:
Auf Titania, schmücke Dich |
Erster zu erscheinen pflegt |
Heut’ mit Diamanten! |
Ob’rons jüngster Bruder[50]; |
Sonntag ist’s, es nahen sich |
(Und der große Erdball trägt |
Wieder die Verwandten. |
Kein solch zweites Luder). |
(Hamann 1984: 147) |
(Hamann 1984: 148) |
Elisabeths im Privatleben zelebrierte Außenseiterrolle findet in den Gedichten ihre Entsprechung. Solche zum Teil sehr verletzende Verse, sind indes dem von ihr so verabscheuten Hofklatsch in Form und Funktion sehr ähnlich. Elisabeth inszeniert sich als sensible und unverstandene, aber gebildete Dichterin und weise Feenkönigin, ihre Mitmenschen und Umgebung hingegen als verständnislose Kretins; ihre Kritik am Hofklatsch verblasst jedoch in dem Moment, da sie sich selbst in ihrer Dichtung dieser sprachlich wie inhaltlichen Form der Stellungnahme bedient. Man kann diese Diagnose gewiss mit der Feststellung Schilkes psychologisch deuten und untermauern, wenn dieser konstatiert:
Die Kaiserin hing zeit ihres Lebens gedanklich dem Trauma nach, durch zu frühe Heirat Mitglied einer höfischen Gesellschaft geworden zu sein, die ihr regelrecht zuwider war. Diese permanente Selbstbemitleidung, die verkannte Person am falschen Ort zu sein, führte dazu, dass sie sich ihren eigentlichen Aufgaben als Kaiserin mehr und mehr verweigerte. […] Allein für die Durchsetzung eigener Vorteile trat sie vehement ein, sah in einer Verbesserung des damals unterprivilegierten Status ihrer niedriger gestellten Geschlechtsgenossinnen keine lohnende sozial-politische Aufgabe. (Schilke 1993: 114)
Es erscheint in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen, weshalb die von Elisabeth gewählte Form der plakativen Bildungsbeflissenheit so bedeutend war für ihre Zeit, war sie doch das probate Mittel, um sich von einer ungebildeten wie bildungsfeindlichen (nicht nur höfischen) Wiener Gesellschaft abzusetzen (vgl. Hamann 1998: 448). Der Mythos dieser Frau ist Bestandteil eines Inszenierungskultes, der dem höfischen Zeremoniell diametral entgegensteht: «Elisabeths Abwesenheit destabilisiert jenes machtvolle Zeugnis monarchischer Kontinuität und Potenz, das der Öffentlichkeit geboten werden soll. Nur das Phantasieren überläßt die Kaiserin der Mitwelt und Nachwelt» (Vogel 1998: 162). Ihre Lyrik ist Ausdruck einer schwermütigen Seele und Abbild eines hohen, literarischen Geschmacks gleichermaßen. In ihrer künstlerisch-ästhetischen Zelebration verweist Elisabeth auf die eigene Mystifikation und vereint die denkbar massivsten Gegensätze in ihrer Figur der dichtenden Kaiserin.
4. Inszenierung und Mythos in Kaiserin Elisabeths Lyrik
Die in jungen Jahren über das Motiv der gerühmten Schönheit vorgenommene Inszenierung Elisabeths wird im Alter durch ihre lyrische Produktivität abgelöst. Dass Elisabeths Epigonendichtung vor allem Inszenierungscharakter und Mythenbildungsfunktion hat, zeigt ihr Verständnis des Auserwähltseins, fühlte sie sich doch als Medium Heinrich Heines, der ihr die Verse in die Hand diktiere. Dies entsprach ihrem hohen Status als Kaiserin, was sich auch in der Rolle der Titania widerspiegelt[51]. Eine derartige Machtdemonstration ist für die politische Herrschaft natürlich unerlässlich, denn sie konstituiert die herrschende Persönlichkeit mittels Zuschreibungen von außen[52]. Im Falle der Kaiserin Elisabeth aber funktionierte diese öffentliche Wahrnehmung durch das Trugbild eines sorgfältig komponierten Images der unnahbaren Schönheit, die aufgrund ihres exzentrischen Lebenswandels, geprägt durch permanente Abwesenheit der Residenz Wien[53], keineswegs positiv besetzt sein konnte – ganz im Gegensatz zu jenem ihres Gemahls Kaiser Franz Joseph. Privatheit und Herrscherideal finden vereint in der Figur der Kaiserin ihre deutlichste Ausprägung. In dem Gedicht Tita-nias Klage wird offenkundig, was die Monarchin Elisabeth nicht offen aus-sprechen kann. In der verzweifelten Suche nach Liebe und Anerkennung wird ihr deutlich, dass auch der schönste und mächtigste Thron nichts wert ist, wenn man persönlich unglücklich ist (vgl. Mészöly 1998: 153f.).
Elisabeths Perfektionsdrang stand dem oberflächlichen Hofleben diametral entgegen, da zum Einen die Konversation vom Klatsch geprägt war und zum Anderen der Kaiser jede geistige Beanspruchung von seiner Gemahlin fern hielt und ihr Dasein auf Repräsentationspflichten reduzierte. Die daraus resultierende Diskrepanz zwischen äußeren Umständen und inneren Bedürfnissen der Kaiserin mussten zwangsläufig zu einem enormen Konfliktpotenzial führen, welches in der Provokation Elisabeths sein Ventil fand[54]. Dass die Kaiserin ihre Gedichtsammlungen erst 60 Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht sehen wollte und sich außerdem mit zunehmendem Alter durch eine fast schon manische Reisetätigkeit immer stärker der Öffentlichkeit entzog, führt unweigerlich zu der Erkenntnis, in ihrer Verweigerungshaltung eine Strategie zur eigenen Mystifizierung zu erblicken. Insbesondere Elisabeths impliziten Bezugnahmen auf Heine und Shakespeare tragen zur Überhöhung ihrer Person bei; solch elitäre Rollenspiele (wie das Beispiel Titania zeigt) belegen statt eines durch volksliedhafte Dichtung evozierten bürgerlichen Bewusstseins eher ihren eigenen Standesdünkel, denn selbst in ihrer Traumwelt ist ihr Alter Ego von Adel und damit eine Standesperson. Auf die Ambivalenz von Elisabeths Persönlichkeit verweist Brigitte Hamann, wenn sie unterstreicht: «Trotz dieses Auserwähltseins und ihrer kaiserlichen Stellung verlor Elisabeth zeitlebens nicht ihre Sehnsucht, das Leben “gewöhnlicher” Menschen kennenzulernen» (Hamann 1998: 372). Vermutlich begründet diese Sehnsucht neben der allgemeinen Abneigung des Wiener Hofes auch die aktive Reiselust der Monarchin, die sie ähnlich wie die Dichtung in fremde Welten entführte.
Nach dem tragischen Suizid ihres Sohnes Rudolf 1889 gibt die Kaiserin das Dichten schließlich sehr abrupt auf und versteckt ihre Gedichte[55]. Zwar hat dies sicherlich mit der öffentlichen Wahrnehmung Rudolfs und seiner politischen Schriften nach dessen Ableben und dem gebrochenen Herzen einer sonst erstaunlich unbekümmerten Mutter zu tun[56]. So radikal wie Elisabeth ihre Dichtung aufgibt, stellt sich aber durchaus die Frage, welchen Stellenwert diese für Elisabeth gehabt haben mag. Die unverkennbar therapeutische Wirkung ihres Schreibens hat die Kaiserin nach 1889 jedenfalls nicht mehr in Erwägung gezogen; stattdessen zeugt die Rettung ihres dichterischen Nachlasses von einer bedachten Handlungsweise, die sehr wohl das Urteil der Nachwelt im Blick gehabt haben dürfte. Dennoch hat die Dichtung ihr auch nach ihrem Tod keinen nennenswerten Ruhm eingebracht. Dies mag auch an Elisabeths mangelndem Wagnis liegen, denn anstatt selbst eine unverwechselbare Formensprache zu entwickeln, kettet sie ihre Werke bewusst an literarische Gewährsmänner. Damit avanciert ihr Schreiben zur Fortführung alter Meister und trägt so auf den ersten Blick wesentlich mehr zu deren Mythenbildung bei als zu ihrer eigenen. Dennoch muss man in dieser Strategie einer starken Autorenbindung das wohl markanteste Merkmal von Elisabeths Dichtkunst erblicken, indem sie durch eine Überhöhung fremder Dichter die eigene Glorie gleich mit konstituiert.
Es gehört indes mit zum habsburgischen Mythos, dass das Kaiserhaus die offiziöse Huldigung besonders gern hatte, denn das Gegenteil ist der Fall: «Die Habsburger waren besonders gerne unter sich, alleine in den eigenen vier Wänden, und haben den Zustand des Privatseins in vollsten Zügen ausgelebt» (Praschl-Bichler 2007: 220). Zeremoniell und Etikette waren besonders für das Reglement des höfischen Lebens prägend und dienten schließlich zur Erhöhung des Monarchen und seiner Familie. «Wer – räumlich und ideell – schwer zu erreichen ist, ist schwer anzugreifen, ist geschützt. Hauptsächlich aus diesem Grund haben sich Fürsten dem Prinzip des Zeremoniells unterworfen. Wer das nicht tat, bezahlte es häufig mit dem Leben – Kaiserin Elisabeth ist ein gutes Beispiel dafür» (Praschl-Bichler 2007: 220). So ist Kaiserin Elisabeths Lyrik ein prägnantes Exempel für die bewusst vorgenommene, literarische Demontage höfischer Huldigungspraxis, da ihr lyrisches Ich von einer außen stehenden Position die Hofgesellschaft und eigene Familie dem Spott des Betrachters preisgibt.
De toute façon, Elisabeth déteste sa caste, lui reproche sa vie oisive de luxe auf frais du peuple. Dans le poème étonnant, Un rêve, son attitude républicaine se manifeste sans equivoque. Si elle était l’Empereur, elle renoncerait à exploiter le peuple pour produire des canons, et si le peuple décidait de se gouverner seul, elle l’en féliciterait. (Philippoff 2003: 416)
Gleichzeitig gelingt es der Autorin durch das Zelebrieren ihrer Rollenspiele mit literarischen Figuren ironischerweise dieselbe Überhöhung und Unantastbarkeit zu erlangen, die das von ihr kritisierte Spanische Hofzeremoniell am Wiener Kaiserhof bewirkte. Was die Zeitgenossen Elisabeths am Verhalten der Monarchin ablesen konnten, nämlich ihre Kritik an den Verhältnissen durch Rückzug ins Private, offenbart sich der Nachwelt – jenen so hoffnungsvollen Zukunftsseelen – in ihren Dichtungen als bedeutende historische Quelle. Sie zeigen eine Kaiserin, die zwar die Vorzüge ihrer hohen Stellung im vollen Ausmaß in Anspruch nahm, jedoch ohne die Bereitschaft, ihre Persönlichkeit zugunsten ihrer kaiserlichen Stellung hintanzustellen, wie es Kaiser Franz Joseph so selbstverständlich bis zur Selbstentäußerung tat (vgl. Hamann 1984: 10)[57].
Ohne es freilich zu wollen, stiften Elisabeths lyrische Ambitionen ein durchaus kritisches, wenn auch ambivalent-ausschnitthaftes Abbild jenes Habsburgerreiches, auf das wenig später in der österreichischen Literatur die Verklärung eines mythologischen Konstruktes folgen sollte. Hierbei von einem Mythos zu sprechen, erscheint durchaus legitim:
in ihm vermengen sich ja fortwährend die echte Verherrlichung realer Werte mit einer Entstellung und märchenartigen Idealisierung der Welt, so dass die Dichter des «habsburgischen Mythos» zugleich Zerrspiegel und Mikroskop der Prägung des alten Reiches sind. (Magris 1988: 9)
Claudio Magris hat in seiner wegweisenden Studie über den Topos des habsburgischen Mythos in der österreichischen Literatur jene Feststellung getroffen, die von Kaiserin Elisabeth freilich konterkariert wird: gemeint sind «die Atmosphäre und Kennzeichen des kulturellen Lebensstils der Donaumonarchie» (Magris ²1988: 8). In ihrer kontra-verherrlichenden Ausprägung wird der Ruhm Habsburgs durch Elisabeths Lyrik freilich demontiert, die Wiener Gesellschaft demaskiert. Dennoch ist Kaiserin Elisabeth sicher eine der ersten, die den k-u-k-Topos literarisch aufgreifen; ihre verspätete, spärliche und teilweise einseitige Rezeption hat diese Wahrnehmung indes verhindert. Da dieser habsburgische Mythos nicht erst nach dem Ende der Monarchie entstand, sondern schon zu deren Existenz erlebbar war, «knüpft [er] vielmehr unmittelbar an eine säkulare habsburgische Tradition der Wirklichkeitsverwandlung an» (Magris 1988: 21).
Als Ironie der Geschichte muss man es wohl bezeichnen, dass die Wittelsbacherin Elisabeth mit ihrer epigonalen Meisterinszenierung ausgerechnet jenem Mythos des ihr so ungeliebten Hauses Habsburg Vorschub geleistet und damit nicht nur sich, sondern einer ganzen Epoche ein Denkmal gesetzt hat, an dessen literarischer Verarbeitung noch die österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts sich vortrefflich abarbeiten konnten[58]. Allerdings reguliert das Moment des Außenstehens Elisabeths Betrachtungsweise, die binäre Konstellation aus Involviertheit und Abneigung tragen zu einer Spannung innerhalb der lyrischen Texte bei, die in der Selbstmythisierung der Kaiserin mündet[59].
En ce sens, Elisabeth peut nous apparaître comme une femme très moderne, révoltée, qui, tout en n’etant pa à sa place dans la fonction qu’elle exerçait, était la personnen qu’il fallait pour nous en livrer les secrets. (Philippoff 2003: 419)
Zwischen Mythos und Konstrukt eines Hauses Habsburg, das noch heute so glanzvoll zum Zwecke touristischen Umsatzertrages zelebriert wird, bewegen sich die Dichtungen jener Monarchin, die mit ihren literarischen Äußerungen Kritik an ihrer eigenen Lebenswirklichkeit üben wollte. Ob sich ihre Lyrik zukünftig als Stoff der literaturwissenschaftlichen Forschung etablieren wird, bleibt abzuwarten. Für die Etablierung ihres Mythos und selbst die Diskussion um den Komplex des habsburgischen Symbolerbes waren und sind sie hingegen stets präsent und produktiv gewesen. Was als Lebenskommentar gedacht war, zeigt bis heute eine Faszination für das Wesen einer ungewöhnlichen Frau, die ihrer Zeit in mancher Hinsicht voraus war. Dass die Literatur hierbei eine wesentliche Rolle spielt, kann trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, woran das lyrische Werk Kaiserin Elisabeths freilich zu messen ist: ihr lyrisches Geschick funktionierte als epigo-nale Meisterinszenierung und unbewusst, aber repräsentativer Beitrag zum habsburgischen Mythos.
Der österreichische Autor Felix Salten schrieb in seinem Nachruf auf die Kaiserin 1898: «Jetzt ist uns ihre Existenz fast schon wie etwas Unwirkliches, ihre Gestalt schwebend wie die Gestalten eines Traumes, und auf ihr Schicksal blicken wir kaum noch wie auf ein gelebtes Dasein, sondern wie auf eine Dichtung» (Salten 1909, 257). So ist denn doch der Nachwelt diese ungewöhnliche Frau zwar nicht unbedingt durch ihr literarisches Werk, so doch aber durch ihr poetisches Leben gleich einer Dichtung in Erinnerung geblieben (vgl. Maikler 2011: 443f.). Indem jedoch das Leben zur Poesie wird, verblasst die Dichtung vor dem Hintergrund glorifizierter Schönheit. Ein mitunter zweifelhafter Ruhm ist Kaiserin Elisabeth von Österreich damit – auch abseits ihrer rein biographischen Verklärung – allemal gewiss.
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[1] Vgl. hierzu die Ausführungen von Ursula Storch, die ausführlich die Elisabeth-Verklärung in Dramentexten der 20er und 30er Jahre thematisiert (Storch 1986: 111-116).
[2] Matthias Kamann definiert den Begriff des Epigonalen keineswegs negativ, sondern erkennt darin ein ästhetisches Verfahren (vgl. Kamann 1993: 9ff.).
[3] Bis heute lebt die Bundeshauptstadt Wien dank eines geschickten Tourismusmarketings vom Erbe der Donaumonarchie, die Galionsfiguren Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph I. sind allgegenwärtig und zieren selbst als Konterfei die Papiersackerl der Museumsshops.
[4] Es sind hierbei vor allem die Publikationen, die zu jedem nur denkbaren Jubiläum erscheinen und sich vorwiegend an eine populärwissenschaftlich interessierte Leserschaft richten (Unterreiner 2010 und 2012, Thiele 2011, Reiser 2009 sowie Sternthal 2011).
[5] Neben der zum Standardwerk avancierten Biographie von Brigitte Hamann, die seit 1982 in etlichen Neuauflagen und Übersetzungen Verbreitung gefunden hat (Hamann 1997), finden sich auch deutlich komprimiertere Monographien wie Exner 2004 oder Schad 2004.
[6] Als Thema und Filmstoff war die Figur der schwermütigen Kaiserin schon seit Beginn des filmischen Zeitalters präsent. Die Filmindustrie der 1950er Jahre formte schließlich das zuckersüße Image einer zum Kitsch verkommenen Monarchin, die mit der Realität nur wenig zu tun hatte. Gewiss lag der immense Erfolg der Sissi-Trilogie von Ernst Marischka auch an seiner Entstehungszeit, die einerseits mit dem Genre des Heimatfilmes das Leben im Nachkriegsdeutschland (sowie dem Österreich der Zweiten Republik) erträglicher machen wollte, zum anderen auch genau einhundert Jahre nach den historischen Geschehnissen das moderne Märchen vom Mädchen, das zur Prinzessin der Herzen wird am Beispiel der jungen Romy Schneider durchexerzieren konnte.
[7] Nach dieser Ausgabe werden die Primärtexte Elisabeths vorwiegend zitiert.
[8] «Der Anteil der Künste an der sichtbaren Erscheinung fürstlicher Aura, die privilegierte Nähe des Künstlers zum Herrscher hat den Eindruck von einer «höheren», aus besonderen Gnaden genährten, mit universaler Kompetenz begabten, außergewöhnlichen Tätigkeitsform hervorgerufen und festgelegt» (Warnke 1985: 11). Eine Potenzierung dieses Sachverhaltes ergibt sich folglich durch die Personalunion von Monarchin und Dichterin wie im Falle Elisabeths.
[9] Zum Verhältnis von Herrschaft, Macht und Literatur vgl. Kleber 2005.
[10] Zum Begriff Dilettantismus und dessen Wandel vgl. Leistner 2001: 63-87.
[11] «Sicherlich spielte auch Elisabeths Ehrgeiz eine Rolle, sich als Person – und eben nicht als monarchische Würdenträgerin – zu profilieren und einmal in den Kreis der fürstlichen Schriftsteller aufgenommen zu werden, der 1883 in einem Buch von Franz Xaver Seidl mit dem Titel Deutsche Fürsten als Dichter und Schriftsteller vorgestellt wurde» (Hamann 1984: 14).
[12] Stiegler sieht in der Notwendigkeit der Geheimhaltung dieser Verse einen nicht unbedeutenden Grund für deren teilweise eher geringe Qualität, da die Urheberin sich eben nicht einer kritischen, öffentlichen Meinung habe unterziehen können (vgl. Stiegler 1987: 171).
[13] «Die Werkpolitik des 19. Jahrhunderts steuert auf eine selektionslose Aufmerksamkeit zu, die auch das Mangelhafte interessant finden kann, weil es historisch «bedeutsam» ist» (Martus 2005: 68).
[14] Elisabeths Dichtungen fallen in die von Meyer-Sickendiek beschriebene Kategorie der Legitimation von Epigonalitätswerken, «wenn der Künstler sein wiederholendes Schreiben als Gattungstreue begreift, die dabei auftretenden Wertungsfragen – mangelnde Originalität bzw. Experimentierfreude, allzu starke Orientierung an literarischen Vorlagen – also kaum mehr berücksichtigt» (Meyer-Sickendiek 2001: 28).
[15] Epigonalität «ist eine von Verlauf und Vollzug des einzelnen Werks nicht ablösbare Formungsweise, die inhaltlich wie formal eine nur textuell fassbare individuelle Disposition thematisiert, welche vergangene Literatur nicht einfach als Objekt des Gebrauchs benutzt, sondern sich wiederholend in dieser konstituiert bzw. sich in solchen Formen des Umgangs mit dieser konturiert, die keinen Hinweis darauf geben, daß sich das Individuum der vergangenen Literatur in irgendeiner Weise überlegen oder von ihr unabhängig fühlt» (Kamann 1994: 11).
[16] Schilke konstatiert Selbstüberschätzung hinsichtlich der lyrischen Qualität, hält die Bildung der Kaiserin für wesentlich bedeutender als ihr lyrisches Geschick und bezeichnet die Gedichte Elisabeths als Lyrik, die «durchaus dilettantische Züge in sich birgt – mit teilweise infantilen Sequenzen, überspannt und von Selbstmitleid durchzogen» (Schilke 1993, 68ff.).
[17] Man denke an die Dichtungen König Ludwigs I., auch Elisabeths Vater Herzog Max in Bayern konnte es sich aufgrund seiner dynastischen Stellung als Oberhaupt einer unbedeutenden Nebenlinie der Wittelsbacher leisten, sich in Kunst und Poesie zu ergehen. Unter dem Pseudonym «Phantasus» betätigte sich der Herzog sowohl als Dramatiker, Lyriker und Essayist (vgl. Katalog 1986, 254).
[18] Zur Herkunft und sozialem Status schreibender Frauen im 19. Jahrhundert vgl. Hacker 2007: 45ff.
[19] Dieser besteht seit den 1860er Jahren zunehmend aus einer aktiven Reisetätigkeit der Kaiserin. Da insbesondere Fernreisen, wie Elisabeth sie unternahm, kostspielig waren, gehörte dieses Vergnügen zu denjenigen Hobbys, die sich nur wenige Frauen dieser Zeit leisten konnten. Einige prominente Beispiele wie die Österreicherinnen Ida Pfeiffer (1797-1858), Maria Schuber (1799-1881) oder Gräfin Pauline Nostitz (1801-1881), die auch entsprechende Reiseberichte verfassten. Gräfin Paula Kollonitz (1830-1890) reiste im Gefolge des Hofstaates von Erzherzog Ferdinand Maximilian, dem Schwager Kaiserin Elisabeths, nach Mexiko und publizierte 1867 den Bericht dieser Reise (vgl. Habinger 2006: 42ff.).
[20] Zur Kasualdichtung im 19. Jahrhundert vgl. Andres 2005.
[21] Zur Typologie des Fürstenhofes im 18. Jahrhundert vgl. Bauer 1993.
[22] Dies muss auch hinsichtlich der Definition des Musenhofes gelten, der sich ja in hohem Maße als Förderinstanz einer kulturellen Elite verstand. Dem stand Elisabeths Einstellung zum Geistesleben der Donaumonarchie entgegen, da sie «weder zur geistigen Elite des Reiches Verbindungen knüpfte noch an den neuen Entwicklungen in Kunst und Kultur teilnahm, sie demzufolge auch nicht förderte» (Schilke 1993: 68).
[23] Es sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die zeitgenössische Kritik sich zu Lebzeiten der Königin keine Bewertung ihrer Dichtungen vornahm, auch nach ihrem Tode war dies lange Zeit nicht der Fall (vgl. Badea-Păun 2011: 130).
[24] Eine umfassende Studie zum Werk der rumänischen Königin bietet Zimmermann 2010, die das Schreiben Carmen Sylvas als Selbstmythisierung und prodynastische Öffentlichkeitsarbeit durch Literatur charakterisiert.
[25] Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Sylva den Imageverlust aufgrund ihrer Kinderlosigkeit mittels literarischer Produktion und ihrer vorbildhaften Funktion als Landesmutter zu kompensieren suchte, ein Umstand, der auf Kaiserin Elisabeth keinesfalls zutreffend war, da diese zum Zeitpunkt des Beginns ihrer Dichterinnenlaufbahn bereits fast fünfzig Jahre alt ist und vier Kinder geboren hat, darunter 1858 den für die Monarchie und das Ansehen Elisabeths in ihrer Funktion als Kaiserin bedeutende Thronfolger Rudolf.
[26] Damit entspricht die Dichtung Elisabeths auch nicht der Tendenz poetologischer Reflexion im 19. Jahrhundert, wie Sandra Pott sie herausgestellt hat (vgl. Pott 2005: 50f.).
[27] Die «langen Schilderungen von Meer, Sternen, Bergen […] sind auch Ausdruck der Opposition, Ausdruck des Rückzuges in die Größe der Natur vor den Kleinheiten des politischen Lebens» (Hamann 1984: 11). Dem gegenüber steht die Betrachtung Stieglers, der in Elisabeths Texten einen «geradezu filmische[n] Bilderreigen von Pracht und hohem epischen Reichtum» erkennt (Stiegler 1987: 173).
[28] «Dichten war wie Musizieren, Komponieren oder Malen Ende des 19. Jahrhunderts noch Teil standesgemäßer adeliger wie bourgeoiser Lebensführung» (Exner 2004: 100). Ein besonders anschauliches Beispiel bietet für die bürgerliche Perspektive die Erzählung Der Bajazzo von Thomas Mann.
[29] Einen sehr fundierten Überblick zu österreichischen Dichterinnen zwischen 1800 und 2000 liefert Schmid-Borstenschlager 2009. Einführend auch Gürtler / Schmid-Bortenschlager 1998.
[30] Ada Christen (1839-1901) erregte 1868 mit ihrem Lyrikband Lieder einer Verlorenen Aufsehen, in dem sie erstmals das weibliche Bedürfnis nach einer erfüllten Sexualität artikulierte.
[31] Die bereits früh als Ausnahmeerscheinung im zeitgenössischen Literaturbetrieb anerkannte Ebner-Eschenbach lässt sich hinsichtlich ihres Autorinnenselbstverständnis am ehesten mit Elisabeth kontratstieren, war es doch bei ihr «das Bewusstsein von der eigenen, kreativ schaffenden Persönlichkeit, die das Gefühl der Befriedigung hervorbrachte» (Tebben 1998: 35), während die Kaiserin dieses zu deutlichen Teilen aus ihrer Epigonalität der Dichtung bezog.
[32] Trotz einiger Parallelen dieser zwei Autorinnen, hat beider Werk eine sehr unterschiedliche Wirkung entfaltet. Obschon ungleich produktiver als Reventlow, ist Eschstruth heute fast völlig vergessen. Ihr Werk fand über die wilhelminische Epoche hinaus, für die es eindrucksvolles Zeugnis einer adeligen Gesellschaft ist, kaum Verbreitung und hat sicher auch deswegen bisher keine nennenswerte Diskussion von Seiten der Forschung erfahren.
[33] Jenes Dilemma umreißt Karin Tebben in ihrer Bestandsaufnahme zu soziokulturellen Bedingungen weiblicher Autorschaft treffend: «Freiwillige oder unfreiwillige Akzeptanz des kulturellen Primats männlicher Autorschaft führten unweigerlich zu Identitätskonflikten: Veröffentlichte die Autorin nicht anonym, riskierte sie eine Attacke auf ihre Geschlechtsidentität, veröffentlichte sie anonym, leugnete sie wesentliche Bereiche ihres Selbstverständnisses» (Tebben 1998: 27).
[34] Ironischerweise stellen ihre Verse jedoch oftmals die einzigen Quellen für Hofbeschreibungen über manche Eskapaden der Habsburger dar, weil die Pressezensur ein skandalöses Habsburgerimage zu verhindern gewusst hatte (vgl. Hamann 1984: 11).
[35] Damit entspricht Elisabeth durchaus einem zeittypischen Frauenbild, wie Tamara Felden in Bezug auf die zeitgenössische Reiseliteratur von Frauen ausgemacht hat. Reisen als Form des Überlebens (vgl. Felden 1993: 28) spielt bei Elisabeth von Österreich eine bedeutende Rolle, die fast schon als Lebensgrundlage, ähnlich wie das Schreiben in jenen Jahren bezeichnet werden kann.
[36] Zum therapeutischen Moment in Elisabeths Lyrik vgl. Hamann 1984: 13f. Die Überwindung von Leid und Trauerarbeit waren auch bei Carmen Sylva wichtige Motoren ihres Schreibens (vgl. Zimmermann 2010: 24ff.).
[37] Zum Verhältnis Epigonalität und Gattung vgl. Zymner 2010: 63.
[38] Nicht nur dynastisch, auch literarisch wird mit dieser von Elisabeth praktizierten Epigonalität legitimiert, was auf die von Meyer-Sickendiek vorgenommene Typologisierung der epigonalen Disposition Anwendung finden kann (vgl. Meyer-Sickendiek 2001: 28).
[39] Inhaltlich-thematisch ist diese Form der Lobpreisung positiver Eigenschaften und Taten des Regenten ins genaue Gegenteil verkehrt. Weiters fehlt im Falle Elisabeths die direkte Wendung an eine Öffentlichkeit: «Durch die Verpflichtung der Panegyrik auf Außendarstellung, auf Publikumsbezug, ist sie oft zeremoniell eingebunden und weist in den Aspekten von Anlass, Repräsentation und Funktionalität große Nähe zur Gelegenheitsdichtung im engeren Sinn auf» (Andres 2005: 188).
[40] Erzherzog Friedrich von Österreich-Teschen (1856-1936) hatte mit seiner Gemahlin Isabella neun Kinder, von denen fast alle in den 1880er Jahren zur Welt kamen.
[41] Zwischen 1886 und 1888 arbeitete die Kaiserin die 22-bändige Heine-Gesamtausgabe aus ihrem Privatbesitz durch; die einzelnen Bände wurden mit Anmerkungen und Angaben zu Ort und Datum der Lektüre versehen und waren für das Reisegepäck unentbehrlich (vgl. Hamann 1984: 13 sowie Katalog 1986: 262).
[42] Gerade in diesem Umstand erkennt Stiegler einen wesentlichen Grund dafür, dass gerade die Liebeslyrik am wenigsten als geglückt zu bezeichnen sei (vgl. Stiegler 1987: 172).
[43] Elisabeth verfasst ein Gedicht mit dem Titel Mein Traum und karikiert das Modell des kaiserlichen Gottesgnadentums und damit den Gemahl in einem Rollenspiel ihres lyrischen Ichs mit den volksliedhaften Worten: «Nach langem Überlegen / Komm ich jetzt zum Entschluß / daß hier mit Gottes Segen / etwas geschehen muß» (Hamann 1984: 144).
[44] Gerade diese Dichtungen fallen in die Kategorie der Elevation, wie sie Nikolas Immer in seiner Untersuchung zum Dilettanten als Nachahmer diskutiert (vgl. Immer 2007: 63).
[45] Wie Kill anmerkt, zeigen manche ihrer Werke auch einen journalistischen Stil, da sie Begebenheiten mitteilt, die aus Gründen der Zensur nicht in die Öffentlichkeit gelangten (vgl. Kill 1995:137).
[46] Zur Abneigung Elisabeths gegenüber dem Militär und die republikanischen Neigungen vgl. Amtmann 1998: 60 und 71f. Auch Mészöly, der unter den Interpreten die Texte der Kaiserin literarisch am ehesten als hochwertig verstanden wissen will, sieht in der Sehnsucht nach Flucht Elisabeths bedeutendstes Merkmal für die dichterische Inspiration (vgl. Mészöly 1998: 97).
[47] Das Gedicht Klingel-Lied offenbart besonders Elisabeths Abneigung gegen die banale Vergnügungssucht des Wiener Hofes.
[48] Anspielung auf Heines Gedicht Pferd und Esel.
[49] Zur offenkundigsten Durchbringung von Realität und Fiktion als Abbildung eines figuralen Rollenspiels kommt es in Elisabeths Text Titanias Besuch bei Carmen Sylva und Rückkehr in ihr Feenschloß, genannt Villa Hermes (vgl. Hamann 1984: 196-207). Hier offenbart schon der Titel, dass es keine Unterscheidung mehr gibt zwischen Wirklichem und Fiktionalem.
[50] Gemeint ist Erzherzog Ludwig Viktor (1842-1919), dessen homosexuelle Neigungen und ausschweifender Lebensstil für jede Menge Hofklatsch sorgten. Zu Oberons Wiegenfeste charakterisiert sie ihn ebenfalls als geschwätzig und böse: «Ekelhaft ist mir der Affe / Boshaft, wie kein andres Vieh / Solcher Tag scheint wahre Strafe / Seh’ ich ihn, den ich sonst flieh’» (Hamann 1984: 263).
[51] Zum von Elisabeth zelebrierten Rollenbild der kaiserlichen Schönheit vgl. Christen 1998: 182.
[52] «Als derjenige, der den sozialen Körper personifiziert, ist der Herrscher den Untertanen nicht einfach gegenübergestellt, sondern Inbegriff dessen, was sie sind; er ist als Einzelner, gewissermaßen in der Gestalt eines Kollektivsingulars, was sie in der Menge umfassen» (Koschorke 2002: 79f.).
[53] Einen Überblick über die umfassende Reisefreude der Kaiserin in einer anschaulichen Zeitstrahlauflistung bietet Hamann / Hassmann 2000.
[54] Hier seien stellvertretend zwei Situationen genannt, mit denen die Kaiserin die Wiener brüskierte: die Einweihung der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn fand 1860 ohne die Namenspatronin Elisabeth statt und auch bei der feierlichen Eröffnung der Wiener Hofoper an der Ringstraße 1869 blieb sie fern, obschon man den Termin ihretwegen extra verschoben hatte.
[55] Ein solches Schockerlebnis hatte die Kaiserin bereits 1884 getroffen, als man den Bayerischen König Ludwig II. tot im Starnberger See fand. Elisabeths Seelenleben war schwer erschüttert, sie durchlebte eine längere Krise, die auch in ihrer Dichtung Ausdruck fand. Zu dieser Zeit funktionierte die therapeutische Wirkung ihres Tagebuches noch. Der Tod ihres Sohnes schließlich war nicht nur ausschlaggebend für das Einstellen jeglicher Versproduktion, sondern führte auch dazu, dass das von ihr initiierte Heine-Denkmal nicht wie geplant ausgeführt wurde, stattdessen – und ganz Abbild ihres Rückzugs – ließ die Kaiserin ein privates Huldigungsmonument vor ihrem Besitz auf Korfu errichten.
[56] Dieses Ereignis musste die Kaiserin so tief getroffen haben, dass ihr die Dichtung keinen Halt mehr geben konnte und auch die Initiatorin von ehedem, Carmen Sylva, nichts dagegen auszurichten vermochte (vgl. Schad 2004: 91f.).
[57] Zum Lebensstil Kaiser Franz Josephs vgl. Winkelhofer 2010.
[58] Ähnliches konstatiert auch Maikler: «Nach Untergang des Habsburgerreiches wird der Elisabeth-Stoff in der Literatur wie ein antiker Mythos rezipiert […]. Diese Texte fungieren nicht mehr als Herrscherlob, sondern widmen sich ausschließlich der Person Elisabeth, deren widersprüchlicher Charakter jetzt problematisiert wird» (Maikler 2011: 458).
[59] Dieses Moment sei mit Maikler folgendermaßen verstanden: «Bei einer Mythisierung wird nicht eine mythische Gottheit auf eine berühmte Geschichtsperson reduziert, sondern umgekehrt eine historische Gestalt zur mythischen Gottheit auratisiert» (Maikler 2011: 19).