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Studia theodisca XXV

 

Samuel Beckett • Thomas Bernhard • Dante Alighieri

Hans J. Ch. von Grimmelshausen • Karl Kraus

Marianne Fritz • Helmut Krausser

 

 

 

 

 

Editor-in-chief: Fausto Cercignani

Co-Editor: Marco Castellari

Editorial Board

Ursula Amrein (Universität Zürich)
Rüdiger Campe (Yale University)
Alberto Destro (Università degli Studi di Bologna)
Isabel Hernández (Universidad Complutense de Madrid)
Primus-Heinz Kucher (Universität Klagenfurt)
Paul Michael Lützeler (Washington University in St. Louis)
Marie-Thérèse Mourey (Université Paris-Sorbonne)
Sandra Richter (Universität Stuttgart)
Ronald Speirs (University of Birmingham)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Studia theodisca
An international journal devoted to the study
of German culture and literature
Published annually in the autumn
ISSN 2385-2917

Vol. XXV

Year 2018

Editor-in-chief: Fausto Cercignani

Co-Editor: Marco Castellari

Editorial Board:

Ursula Amrein (Universität Zürich)
Rüdiger Campe (Yale University)
Alberto Destro (Università degli Studi di Bologna)
Isabel Hernández (Universidad Complutense de Madrid)
Primus-Heinz Kucher (Universität Klagenfurt)
Paul Michael Lützeler (Washington University in St. Louis)
Marie-Thérèse Mourey (Université Paris-Sorbonne)
Sandra Richter (Universität Stuttgart)
Ronald Speirs (University of Birmingham)

 

Founded in 1994

Published in print between 1994 and 2010 (vols. I-XVII)

On line since 2011 under http://riviste.unimi.it

Online volumes are licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Unported License.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Studia theodisca
Vol. XXV – Year 2018

Table of Contents

 

Simone Ketterl – Beckett, Bernhard, Dante: Intertextuelle Referenzen in Lilian Faschingers «Magdalena Sünderin»

[Beckett, Bernhard, Dante: Intertextual References in Lilian Faschinger’s «Magdalena the Sinner»]

Berit Jany – Searching for Harmonia. «Der abenteuerliche Simplicissimus» and Hungarian Anabaptists

Rosemarie Brucher – Haunted Identity. Melancholie und Dissoziation als Strategien der Dekonstruktion des Ich in Helmut Kraussers «Schmerznovelle»

[Haunted Identity. Melancholy and Dissociation as Strategies for Deconstructing the Self in Helmut Krausser’s «Schmerznovelle»]

Lukas Schmutzer – “Trotzdem! Ein gutes Land” (?). Marianne Fritz’ «Dessen Sprache du nicht verstehst» als radikalste Liquidation des habsburgischen Mythos am Leitfaden seiner Sprechakte

[“Nevertheless! A Good Land” (?). Marianne Fritz’s «Whose Language You Do Not Understand» as a Radical Liquidation of the Habsburg Myth on the Basis of Its Speech Acts]

Maria Giovanna Campobasso – «Pfleget den Fremdenverkehr!» Karl Kraus e la propaganda d’incentivo al turismo

[«Foster Tourism!» Karl Kraus and the Propaganda to Promote Tourism]

Call for Papers

 

 

 

 


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Simone Ketterl

(Bamberg)

Beckett, Bernhard, Dante: Intertextuelle Referenzen
in Lilian Faschingers «Magdalena Sünderin»

             [Beckett, Bernhard, Dante: Intertextual References
in Lilian Faschinger’s «Magdalena the Sinner»
]

abstract. The prose of the Carinthian writer Lilian Faschinger features complex intertex­tual networks. By integrating as well as interweaving quotations and motives from Samuel Beckett’s Malone Dies, Thomas Bernhard’s Frost and Dante Alighieri’s Divina Commedia, her picaresque novel Magdalena Sünderin does more than merely engage in postmodern playful­ness. This article investigates how Faschinger’s text makes use of its intertextual elements to ridicule the literary canon. It also poses the question whether this can be interpreted as a tongue-in-cheek feminist act against male domination in the literary scene as such.

I.

«Ich reihe die Wörter zu Schnüren und knüpfe Netze»[1], umschreibt Scheherazade Hedwig Moser, die Haupterzählinstanz in Lilian Faschingers Debütroman (1986), ihren narrativen Modus Operandi. «[D]ass man [beim Erzählen] Fäden […] aufnimmt, dass Dinge abgebrochen und wieder auf­genommen werden, wie ein Gewebe»[2], konstatiert ihre Kärntner Schöpferin in einem Interview im Dezember 1998. Beide Zitate bedienen sich des ebenso traditionsreichen wie polyvalenten Symbols des “Gewebes” bzw. des “Fadens”, heben also auf die textile Qualität literarischer Artefakte ab und haben somit auch eine poetologische Dimension[3]. Die zweite Äuße­rung lässt sich zudem als Periphrase intertextueller Bezugnahme per se le­sen: Einen Erzählfaden weiterzuspinnen meint schließlich nicht zwangsläu­fig, den eigenen weiterzuspinnen. Denkbar ist darüber hinaus, an Werke anderer Autoren anzuknüpfen, deren Muster und Motive ein- respektive umzuweben. Dies geschieht in Faschingers Romanen – so der Konsens der bisherigen Forschung – äußerst extensiv.

Die dadurch entstehenden «complex networks»[4] werden zumeist als Ele­mente postmodernen Spiels[5] und demnach primär als «Ornament[ [6] gedeu­tet. Diese Interpretation scheint für Teile des Faschinger’schen Œuvres zu greifen, für einige indes unzulänglich zu sein – zumal sich die Schriftstellerin selbst vom sogenannten “Postmodernen” distanziert: «In Magdalena Sünde­rin hab’ ich stärker auf eine eher konventionelle Erzählweise vertraut, auch auf eine lineare. Das Postmoderne, das ist ja mittlerweile auch schon wieder ein bissl [sic!] ein alter Hut»[7]. Wenngleich Selbsteinschätzungen von Auto­ren tendenziell zu misstrauen ist, erscheint es im Fall des besagten Romans durchaus sinnvoll, ihn dem Diktum Faschingers entsprechend nicht in ers­ter Linie auf seine potenzielle Postmodernität hin zu untersuchen. Lohnen­der ist es meines Erachtens, zu überprüfen, in welcher Relation “discours” und “histoire” in Magdalena Sünderin[8] stehen. Auf Intertextualität gemünzt heißt das, zu betrachten, wie sich Komposition und Funktion prominenter intertextueller Bezüge zu den Ereignissen der Diegese verhalten. Den fol­genden Ausführungen dazu liegt ein strukturalistisch-hermeneutischer An­satz zugrunde und mit ihm ein Intertextualitätsbegriff, der sich klar von Ju­lia Kristevas «globale[m]»[9], universal-semiotischen abhebt. Ausgehend da­von soll nun eruiert werden, wie das literarische Webwerk mit Prätexten Becketts, Bernhards und Dantes umgeht, ihre Strukturen und Themen in­tegriert bzw. modifiziert. Zwar sind mit jener weltliterarisch schillernden Trias bei Weitem nicht alle intertextuellen Fäden in besagtem Prosawerk aufgedröselt – immerhin jedoch diejenigen, die an exponierter Stelle mar­kiert und gerade deswegen für die Rezeption von besonderer Relevanz sind.

So verweist das «allograph[e]»[10] Zitat-Motto «It’s vague, life and death» (MS, S. 9) explizit auf Malone Dies (1951), den zweiten Teil der “Trilogie”[11] Samuel Becketts. Auf Thomas Bernhards Frost (1963) kommt Faschingers Protgonistin zu sprechen (vgl. MS, S. 17), ehe sie zu einer Österreichschelte anhebt, deren Stil und Inhalt später noch zu beleuchten sein wird. Dante Alighieris Divina Commedia (1312-1321) nimmt sie wiederum mit auf ihre Reise durch Europa (vgl. MS, S. 60). «[I]ntensiv» (MS, S. 263) beschäftigt sie sich mit dem dantischen Opus magnum in Baden-Baden, deklamiert dort Verse aus dem achten Canto des Paradiso, die in einem Spannungsver­hältnis zu ihrer ambivalenten Lage stehen.

II.

Bevor ich im Einzelnen auf die genannten Bezüge eingehen werde, will ich kurz Erzählsituation und Plot des Romans umreißen. Prima facie wirkt das narrative Konzept von Magdalena Sünderin in der Tat konventioneller als das früherer Werke Lilian Faschingers, vor allem der bereits erwähnten, me­taleptischen Die neue Scheherazade: Der extradiegetisch-homodiegetische Er­zähler, ein katholischer Priester aus Osttirol, berichtet rückblickend davon, wie er von seiner Landsmännin, der schönen «Sünderin» (MS, S. 12) Magda­lena Leitner, entführt und in deren Puch 800-Beiwagenmaschine an eine “amoen”[12] anmutende Waldlichtung (vgl. MS, S. 12) gebracht wird. Ebenda hat ihn die «ledergekleidete[ ] Easyriderin»[13] an den Stamm einer Robinie gefesselt und mit einem «schwarzen Body» (MS, S. 22) geknebelt. «Hoch­würden» (MS, S. 11; Hervorhebung im Original), wie sie ihn ironisch an­spricht, soll ihr nach einer Tour de Force durch halb Europa die Beichte abnehmen und Absolution für nicht weniger als sieben Männermorde ertei­len. Zu einem «Ego te absolvo» (MS, S. 22) aus priesterlichem Mund kommt es allerdings nicht. Zwar setzt Magdalena dem Geistlichen, als intradiege­tisch-autodiegetisch Erzählerin, in analeptischen Episoden eloquent und pointiert auseinander, welche Umstände jeweils zu den Verbrechen geführt haben, zieht jedoch folgendes Fazit: «Je länger ich erzähle, desto unnötiger scheint mir eine Lossprechung Ihrerseits zu werden, wenn ich dieses Emp­finden auch nicht genau erklären kann» (MS, S. 187). Der eigentliche Zweck ihrer Konfession ist nicht die Vergebung ihrer Sünden. Vielmehr geht es der Entführerin darum, sich Gehör zu verschaffen, Macht über das Wort, über ihr Wort, zu erlangen. Als Ursache dafür macht sie ihre von Repression und Entmündigung geprägte Kindheit in der österreichischen Provinz aus:

Denn dadurch, dass mir so oft ins Wort gefallen, dass mir das Wort so oft abgeschnitten worden ist, bin ich überempfindlich geworden, extrem anfällig gegenüber Störungen meines Gedanken- beziehungs­weise Redeflusses (MS, S. 22).

Magdalena ins Wort zu fallen, liegt dem Pfarrer – abgesehen davon, dass er das aufgrund der Knebelung nicht kann – ohnehin fern. Je länger er der rotblonden Femme fatale lauscht, je «fester» (MS, S. 216) diese «die Fäden ihres Erzählgarns» (MS, S. 216) um ihn spinnt, umso mehr verändert sich seine Wahrnehmung. Während er sie zunächst für eine «unberechenbare Verrückte» (MS, S. 85) hält, beurteilt er ihre Taten zunehmend milder. So stellt er, nachdem Magdalena ihn über vier Morde in Kenntnis gesetzt hat, fest: «Meine Achtung für diese Frau, die offenbar völlig ohne eigene Schuld in die schwierigsten Situationen geraten war, stieg von Stunde zu Stunde» (MS, S. 209). Ein Grund für jenen Wandel mag darin liegen, dass der Got­tesmann seine Prinzipien über Bord wirft: die körperlichen Annäherungen der Straftäterin zunächst duldet, dann heimlich herbeisehnt, dann regelrecht forciert. Diese Entwicklung gipfelt schließlich in einer «felix culpa» (MS, S. 347; Hervorhebung im Original), die der ehemalige Zölibatär kurzerhand umdeutet: «diese glückliche Sünde [hat mich] […] in ein Paradiesgärtlein hineingeführt» (MS, S. 347). Bereits etwas später soll er aus diesem sinnes­froh-bukolischen Eden von zwei «Osttiroler Gendarmen» (MS, S. 351) ver­trieben werden. Vor deren «verdutzten» (MS, S. 351) Augen flüchtet Magda­lena auf ihrem Motorrad, der Priester hingegen wird von seiner Schwester Maria in Empfang genommen. In einem «weißen Golf» (MS, S. 352) bringt sie ihn zurück in seine Pfarre, zurück in sein altes Leben.

Allein dieser Kurzabriss führt vor Augen, dass Faschingers Text unter­schiedliche Genres kombiniert, Motive des Kriminal- und Liebesromans ineinanderflicht und dabei weder «Klischees [noch] […] triviale[ ] Muster[ [14] noch Plakativität scheut. So entspricht beispielsweise das Äußere der Haupt­figur, ihre «kühle[n] blauen[n] Augen» (MS, S. 19), ihre «makellose» (MS, S. 19) Stirn, ihre «rotblonden Locken» (MS, S. 20), ikonografisch den «kunst­historisch überlieferten Darstellungen der Sünderin […], wie sie [bei] Tizian, Caravaggio, Rembrandt, Rubens […] und d[en] Präraffaeliten»[15] zu finden sind. Indem der sündigen Magdalena die tugendhafte Schwester des Pries­ters, Maria, gegenübergestellt wird, ruft der Roman zudem die topische Di­chotomie zwischen “Hure und Heiliger” auf, um sie im Verlauf der Diegese zu unterminieren und Erstere zumindest teilweise zu rehabilitieren.

III.

Interpretationsbedürftiger, gleichwohl kompositorisch relevanter als jene Bezüge erscheinen die markierten Referenzen. Ihnen widmet sich der folgende Abschnitt – zunächst der peritextuellen, dem Zitat-Motto aus Ma­lone Dies. Um nachvollziehen zu können, dass Faschingers Roman nicht nur Fäden Becketts wieder aufnimmt, sondern dies in einer Weise Beckett’scher Texte tut, genügt ein Blick auf Dante and the Lobster, die Eröffnungserzäh­lung der Sammlung More Pricks Than Kicks (1934). In ihr schafft der Titel eine explizite peritextuelle Verknüpfung mit Dante. Die Geschichte trans­feriert mit ihrem Protagonisten Belacqua einen Sünder aus der Divina Com­media in eine Dubliner Küche. Dort vertieft sich die – in der Terminologie Jörg Helbigs ausgedrückt – «[r]e-used figure[ [16] vor der Zubereitung seines Mittagsmahls in das Mondcanto. Becketts Umgang mit Dante könnte man also als eine Art “doppelter Aneignung” bezeichnen.

Diese “doppelte Aneignung” lässt sich, wenngleich in abgeschwächter Form, in Magdalena Sünderin ebenfalls beobachten: In ihr stellt das Motto eine direkte peritextuelle Verbindung zu Malone Dies her. Faschingers Män­nermörderin Magdalena Leitner nun als modifizierten Malone zu interpre­tieren, ginge freilich zu weit. Zweifelsohne ist sie keine «[r]e-used figure[ [17] im engeren Sinn. Dennoch verknüpft der Text in ihr unterschiedliche Vor­lagen respektive Stoffe: ganz offensichtlich die biblische Maria Magdalena[18] mit zentralen Eigenschaften von Becketts bettlägerigem Erzähler. So ist Magdalena der onomastischen Implikation von “Malone” entsprechend, das sich als “M alone” lesen lässt, letztlich allein. Wie dieser befindet sie sich nach eigenem Bekunden außerhalb der Gesellschaft, wird von ihr als Fremdkörper wahrgenommen oder gar ignoriert (vgl. MS, S. 23-25). Auf­grund dieser Außenseiterposition neigen beide Figuren dazu, sich ihre ei­gene Welt qua Narration zu erschaffen[19]. Daher sind weder die vier analep­tischen Erzählungen Malones noch die Magdalenas durchweg glaubwürdig. Becketts Protagonist gesteht deren potenzielle Fiktivität sowie die Aus­tauschbarkeit seiner Charaktere vorab ein:

I think I shall be able to tell myself four stories, each one on a different theme. One about a man, another about a woman, a third about a thing and finally one about an animal, a bird probably. […] Perhaps I shall put the man and the woman in the same story […].[20]

Ihm geht es folglich um einen Prüfstein für seine Fähigkeit, zu erzählen. Wahrhaftigkeit ist dabei nicht sein Maßstab. Dass Wahrhaftigkeit auch Magdalenas Maßstab nicht ist, darauf lassen “discours” und “histoire” ihrer Geschichten schließen: Der “discours”, da sie die Ausführungen zu ihrem ersten Mord mit der rhetorischen Frage «Mögen Sie Märchen, Hochwür­den?» (MS, S. 71) einleitet und sie damit in die Nähe einer Gattung rückt, die «von den Bedingungen der Wirklichkeitswelt mit ihren Kategorien Zeit, Raum und Kausalität unabhängig[ ] [ist] […] [und] keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erhebt»[21]. Die “histoire”, da vor allem die Vorkommnisse um ihren vierten Liebhaber Jonathan die Grenzen dessen, was innerhalb der Diegese als wahrscheinlich erachtet wird, überschreiten. Wie sie ihrem Gegenüber, dem Priester, berichtet, sei der blasse junge Mann ein «Vampir[ ] [gewesen], der sich von [ihrem] Blut [er]nährt[ ]» habe (MS, S. 202).

Zwar ist der Geistliche Magdalena ein wohlwollender Zuhörer – einige allzu spektakuläre Details nimmt er ihr dennoch nicht ab. So merkt er an: «Ich hatte Magdalena im Verdacht, ihre Beichte gelegentlich etwas auszu­schmücken, Begebenheiten einzuflechten, die sich in Wirklichkeit wohl et­was anders zugetragen hatten» (MS, S. 299). Apologetisch ergänzt er so­gleich:

Nicht daß ich ihr diesbezüglich die geringste Böswilligkeit unterstellt hätte, es schien vielmehr so, als trügen sie die Flügel ihrer Phantasie manchmal in Bereiche, die mit der greifbaren Wirklichkeit nur noch in einem sehr losen Zusammenhang standen (MS, S. 299).

In welchem Zusammenhang wiederum die Ausführungen des Rahmen­erzählers zur Wirklichkeit stehen oder anders formuliert, ob sie einen Wahr­heitsanspruch haben, ist ad hoc schwer zu klären und verdient deshalb eine nähere Betrachtung. Ebenso wie Magdalena die «Fäden ihres Erzählgarns immer fester um» (MS, S. 216) den Pfarrer spinnt, spinnt dieser die seinen immer fester um den Rezipienten. Es gibt kein nennenswertes Verdachts­moment, keine Widersprüche, die ihn während seiner Erzählung unzuver­lässig erscheinen ließen. Umso bemerkenswerter ist daher die Schlusspas­sage des Textes. In ihr beendet er die Schilderung seiner Entführung und der abgebrochenen Beichte Magdalenas folgendermaßen. «Magdalena. Sie würde sich zu helfen wissen. Und ich würde das Beichtgeheimnis wahren und sie nicht verraten» (MS, S. 352).

Diese Aussage weist Parallelen zu der logisch-widerlogischen Konstella­tion auf, die Raymond Federman unter dem Terminus “Beckett’sches Pa­radox” fasst. Darunter versteht er jene «beabsichtigte[n] Widersprüche, die bei den Lebewesen, die die[…] seltsame Welt [Becketts] bevölkern, jede Möglichkeit von Bewegung, Wissen, Rationalität, Erkennen und Kohärenz negiert»[22]. Als schlagendes Beispiel dafür zitiert er den berühmten Schluss­satz von Molloy, dem Vorgängerroman von Malone Dies: «Then I went back into the house and wrote, It is midnight. The rain is beating on the windows. It was not midnight. It was not raining»[23]. Dadurch, dass die Darstellung des intradiegetischen Schreib- bzw. Erzählprozesses als Mise en abyme des extradiegetischen lesbar wird, untergräbt der Text seine eigene Glaubwür­digkeit. Der Rezipient ist nicht mehr in der Lage, zu entscheiden, ob bzw. wann dem Erzähler zu trauen ist. Ähnlich verhält es sich mit Faschingers Magdalena Sünderin. Indem der Priester behauptet, er «würde das Beichtge­heimnis wahren und [Magdalena] nicht verraten» (MS, S. 352), nachdem er deren Konfession in allen Einzelheiten erzählt hat, ergeben sich zwei Opti­onen: Entweder ist seine Behauptung eine Lüge – oder sie ist wahr und seine Erzählung ist gelogen. Als vertrauenswürdiger Erzähler hat er sich in jedem Fall disqualifiziert. Wie gezeigt werden konnte, ist die Beckett-Refe­renz in Magdalena Sünderin entgegen Gérard Genettes Ressentiment Motti betreffend[24] kein beliebig austauschbares Dekor. Vielmehr nimmt Faschin­gers Text motivisch wie strukturell Bezug auf das Œuvre des Iren, insbe­sondere auf Malone Dies und die Trilogie. Sein Gestus ist dabei kein legiti­mierender, kein sich auf die Autorität der Prätexte stützender. Der Roman integriert nicht bloß, er eignet sich regelrecht an.

IV.

Ob die Prosa mit den Werken Thomas Bernhards ähnlich verfährt, soll als Nächstes untersucht werden. In ihr erwähnt Magdalena ein «zerlesene[s] Exemplar von Frost» (MS, S. 17; Hervorhebung im Original). Faschingers Protagonistin dient Bernhards düsterer, die Konventionen der traditionel-len Heimatliteratur[25] ad absurdum führender Tagebuchroman allerdings nicht als Lektüre. Stattdessen berichtet sie im Zuge eines ins Pseudowissen­schaftliche kippenden Vortrags (vgl. MS, S. 17-19) davon, dass «zum Vier­kleefinden Berufene[ ]» (MS, S. 17), Frost als Pflanzenpresse zweckentfrem­deten. Laut dieser Schilderung konservierten sie die von ihnen angehäuften Glückssymbole demnach in einem Unglück zur Conditio humana schlecht­hin erhebenden Werk. Ginge es Faschingers Roman nun bloß darum, den Kontrast zwischen Magdalena, die «noch nie ein Vierklee gefunden» (MS, S. 17) hat und von einer unglücklichen Situation in die nächste gerät, und den glücklichen “Vierkleefindern” zu betonen, bedürfte es Frost nicht. Wie lässt sich also die Kombination aus (Klee-)Blättern und Buch deuten?

Im Allgemeinen stehen Blätter bzw. steht Laub nicht nur als “im­proprium” für «Leben[ ] in seinem zykl[ischen] Wechsel»[26], sondern auch für das «Schreiben[ ] und d[ie] Poesie»[27]. Das Einlegen von Blättern in ein Buch kann daher als Chiffre für Intertextualität verstanden werden. In Magdalena Sün­derin gibt der in Frost eingelegte Vierklee Hinweise darauf, wie Faschingers Text mit den Motiven und Sujets Bernhards umgeht. Einige werden weit­gehend unverändert übernommen, neue eine glücklichere Facette hinzufü­gende ergänzt. Der Famulant zeichnet den Gebirgsort Weng, den von gro­tesk entstellten, dumpfen Gestalten bevölkerten[28] Hauptschauplatz von Frost als außerordentlichen “locus terribilis” – als felsig, schwarz, kalt und abweisend[29]. Die vom Pfarrer wie von Magdalena beschriebene Voralpen­landschaft hingegen ist angenehm, der Gegensatz zwischen ihr und ihren Bewohner tritt deswegen umso stärker hervor. Denn, dass es sich bei diesen ebenfalls um «kein[en] gute[n] Menschenschlag»[30] handelt, geht aus den Er­zählungen der Sünderin deutlich hervor. Bereits während ihrer Kindheit am Ossiacher See eckt sie an. Das rotblonde Mädchen ist zu neugierig, zu ei­genständig, stellt zu viele Fragen. Die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung, die von Ignoranz, Borniertheit und Unterwürfigkeit Staat und Katholizismus gegenüber geprägt ist, wissen nicht recht, damit umzugehen. Sie schneiden ihm das Wort ab oder begegnen ihm mit «niederschmet­ternde[r] Zurückweisung[ ]» (MS, S. 23). Ähnliches widerfährt Magdalena in der Schule und an der Universität (vgl. MS, S. 23f.). Als junge Frau sieht sie sich deswegen zu einer «vazierenden Lebensweise» (MS, S. 40) gezwungen. Nach ihrer in vielerlei Hinsicht horizonterweiternden und – nicht zu ver­gessen – mörderischen Tour durch Europa reflektiert sie aus der Perspek­tive der Rückkehrerin, wie man es aus dem Schemenrepertoire des Hei­matromans kennt, das Wesen des «österreichischen Menschen» (MS, S. 36). Darüber hinaus hebt sie zu einer Austria-Schelte an, die stilistisch wie the­matisch an der “Eristik” des Obernathaler «Übertreibungskünstler[s]»[31] ge­schult zu sein scheint.

So attackieren Magdalenas bernhardesk rhythmisierte, hypotaktische Satzkonstruktionen die katholische Kirche, die österreichischen Erzie­hungseinrichtungen – und deren zweifelhafte Endprodukte, «die sogenann­ten Gebildeten» (MS, S. 48). Als äußerst zwiespältig entpuppt sich dabei ihr Verhältnis zu Ersterer. Obwohl sie postuliert, «kein katholischer Mensch» (MS, S. 68) zu sein, zeugen ihr zuweilen ironisch verwendetes Vokabular und ihre Gewohnheiten davon, dass sie die Dogmen und Rituale der Kirche doch internalisiert hat. Zudem attestiert sie der Institution einen fast thera­peutischen Mehrwert: Nur österreichische Pfarrer seien nämlich in der Lage, mit den «Ungeheuer[n] […], die in österreichischen Herzkammern hausen» (MS, S. 36), fertig zu werden. Die von Magdalena gefundenen Me­taphern für Sorgen bzw. Sünden, «Herzkammernscheusale» (MS, S. 36) und «Herzbeutelschreckgespenster» (MS, S. 36), erinnern an die Diktion Bern­hard’scher Figuren. Der Famulant in Frost verwendet vergleichbare neolo­gistische Determinativkomposita[32].

Einen komischen Effekt erzielt Faschingers Text durch eine andere Va­riante des Hyperbolischen. Während die Prosa des gebürtigen Heerleners, insbesondere seine autofiktionale Pentalogie[33], den Konnex zwischen Ka­tholizismus, Nationalsozialismus sowie der von beiden ideologisch beein­flussten Einrichtung “Schule” herausstellt und mit der «Geistesvernichtungs­anstalt»[34] scharf ins Gericht geht, ridikülisiert Magdalena Sünderin das Verhal­ten derjenigen, die das Bildungssystem erfolgreich durchlaufen haben, «der sogenannten gebildeten Schichten» (MS, S. 49) also. Der Protagonistin zu­folge schwingen sich gerade diese in ihrer «Kunst der Geisttötung» (MS, S. 49) – die begriffliche Analogie zu Bernhard ist evident – zu immer neuen Höhen auf und tun alles für die Aufrechterhaltung ihrer «Fassadenintellek­tualität» (MS, S. 193). Klimaktisch steigernd führt Magdalena eine Reihe der von ihnen bevorzugten «geisttötende[n]» (MS, S. 49) Aktivitäten an. Zu die­sen gehört unter anderen der Austausch von Kochrezepte für exklusive Speise, beispielweise Gerichte, die «ausschließlich im Nordosten von Ma­dagaskar gegessen werden, und auch dort nur von einer Minderheit indisch­stämmiger Christen» (MS, S. 49). Um die «bleierne Belanglosigkeit» (MS, S. 50) dieses Daseins zu betonen, konfrontiert Faschingers Roman die Aka­demiker mit ihren Antitypen, zupackenden und kunstverständigen Möbel­packern (vgl. MS, S. 48). Über sie sagt Magdalena:

Im Grunde erstaunte mich das Wissen der beiden Möbelpacker nicht sehr, hatte ich doch schon öfter die Erfahrung gemacht, daß die soge­nannten einfachen Leute in Wirklichkeit meist größeres künstlerisches Verständnis und höchste Sensibilität erkennen lassen, wogegen die so­genannten Gebildeten fast immer die dümmsten sind (MS, S. 48).

Der Kommentar Magdalenas gemahnt an den Tenor von Bernhards skandalisiertem Holzfällen (1984) und seiner Interviewpolemik Die Ursache bin ich selbst (1986). In ihr provoziert er Krista Fleischmann mit der Aussage:

[A]lle Intellektuellen halsen dem Volk ihren Blödsinn auf. Aber Gott­seidank ist das Volk schlau genug und dreht sich doch, wenn es ge­fährlich wird, um und laßt die in Ruhe und laßt sie mit ihrer Kunst und ihrem intellektuellen Blödsinn allein. Intellectualitas – die größten Arschlöcher sind die sogenannten Intellektuellen.[35]

Dass es Parallelen zwischen dem Œuvre Thomas Bernhards und Magda­lena Sünderin gibt[36], sollte damit ausreichend belegt sein. Zu klären bleibt jedoch, welcher Strategie die intertextuelle Bezugnahme folgt. Dass es sich bei ihr anders als in einigen Werken Andreas Maiers nicht um Formen von Bernhard-“imitatio” bzw. -“aemulatio” handelt, legen Figurenkonstellation und Perspektivierung nahe. Zwar formuliert Faschingers Roman Kritik, die ihrem Inhalt und Duktus nach mit der Bernhard’schen verwandt ist, fokus­siert dabei aber den «Teufelskreis österreichischen Frauenunglücks» (MS, S. 103). Er wendet sich ausdrücklich gegen die österreichischen Männer, «die vom österreichischen Frauenunglück seit Jahrhunderten profitieren» (MS, S. 103). Seine Stoßrichtung ist demnach dezidiert feministisch und hebt sich somit klar von der seiner Prätexte ab. Magdalena Sünderin macht sich also bewährte Bernhard’sche Muster zunutze und setzt sie für ihre eigenen Zwe­cke ein.

V.

Um jenem «österreichischen Frauenunglück[ ]» (MS, S. 103) zu entgehen, verlässt Magdalena ihre Heimat und durchquert mit ihrer Puch 800 ganz Europa. In der Werkzeugtasche der Beiwagenmaschine nimmt sie nur we­nige für sie «unentbehrliche Dinge» (MS, S. 60) mit auf die Reise. Unter diesen befindet sich neben einem Schweizer Messer, einem Sony-Walkman und einem Habit des Ordens der Unbeschuhten Karmeliterinnen auch «eine neunzehnhundertfünf von G. C. Sansoni in Florenz publizierte Aus­gabe der Divina Commedia von Dante Alighieri» (MS, S. 60; Hervorhebung im Original). Trotz der Exponiertheit und «Markierungsdeutlichkeit»[37] des intertextuellen Bezugs, beschränken sich die Anleihen, die Faschingers Prosa am dantischen Epos nimmt, auf motivisch-strukturelle Komponen­ten. Figuren werden nicht direkt integriert wie in Becketts Dante and the Lobs­ter, stilistische Übernahmen wie im Fall Bernhards sind nicht zu erkennen.

Ebenso wie der fiktionalisierte Dante und sein «Maestro»[38] Vergil greifen der Priester und Magdalena wiederholt auf das Symbol des Weges zurück. In Anlehnung an die Selbsteinschätzung des Ich-Erzählers der Divina Com­media im ersten Canto des Inferno, «la verace via abbandonai»[39], bescheinigt der Geistliche seiner Entführerin vom «richtigen Weg» (MS, S. 31) abge­kommen zu sein. Diese wiederum sieht sich vor ihrem Entschluss, Öster­reich zu verlassen, am «Scheideweg» (MS, S. 41). Magdalenas weitere “Le­bensreise” hält paradiesische Intermezzi für sie bereit, die allerdings schon nach kurzer Zeit ins Infernale umschlagen – exemplarisch hierfür ist ihre Liaison mit dem Friesen. Nachdem die beiden eine Weile in «Ruhe, Frieden und Glück» (MS, S. 105) auf einer italienischen Insel gelebt haben, wird

 

Dante Alighieri, Commedia, Mailand, Biblioteca Trivulziana,
Hds. Trivulziano 1080 (Jr. 1337), 1r, Z. 12: «che la verace via abbandonai».

Magdalena ihr träger werdender Liebhaber immer mehr zur Last. Schließ­lich ertränkt sie ihn: «Das Ende des Paradieses» (MS, S. 105). Im weiteren Verlauf verschwimmen die in der Divina Commedia räumlich getrennten Jen­seitsbezirke Paradiso und Inferno zunehmend.

Seinen Höhepunkt erreicht dieser Amalgamierungsprozess während Magdalenas Baden-Baden-Aufenthalts. Dort lernt sie im Casino – wieder scheut Faschingers Text kein Klischee – den gut situierten, greisen Baron Otto kennen. Gerade in dem Augenblick, als sie ihr letztes Geld beim Rou­lette verspielt hat, schiebt dieser ihr einen «Berg von Jetons vor die Nase» (MS, S. 259) und rät ihr dringend, alles auf die «Dreiunddreißig» (MS, S. 259) zu setzen. So gewinnt sie eine hohe Summe und ist aus ihrer finanzi­ellen Notlage gerettet. Die Zahl “Dreiunddreißig” verweist in diesem Zu­sammenhang nicht nur auf den Kreuzigungstod Christi mit dreiunddreißig Jahren, wie der Aristokrat Magdalena später im Restaurant des Kurhauses erklärt (vgl. MS, S. 259), sondern auch auf das «heilstheolog[isch] aufgela­dene[ ] Gliederungsprinzip»[40] des dantischen Epos. Abzüglich des Prologs besteht dieses bekanntlich aus drei jeweils in dreiunddreißig Gesänge unter­teilten, makrostrukturellen Einheiten: Inferno, Purgatorio und Paradiso. Da sich die intertextuellen Bezugnahmen auf die Divina Commedia im folgenden Abschnitt von Faschingers Roman häufen, lässt sich die Bemerkung des Adligen im Rekurs auf Genette als Vorhalt lesen[41].

Nach einer kurzen Phase des Kennenlernens schlägt Otto seiner Casinobekanntschaft vor, «als seine Gesellschafterin […] im Paradies» (MS, S. 261) zu leben. Obwohl es sich dabei lediglich um ein Stadtviertel von Baden-Baden handelt, deutet Magdalena den Namen «als günstiges Vorzei­chen» (MS, S. 262) und macht sich Hoffnungen auf ein angenehmes Leben. Diese scheinen sich zunächst zu erfüllen: Nachdem sie ihr Motorrad auf dem Anwesen des Barons geparkt und ihre Habseligkeiten in seine «riesige alte Villa» (MS, S. 262) gebracht hat, findet sie in ihrer «großzügig bemesse­nen Freizeit» (MS, S. 263) die Muße, sich «intensiv» (MS, S. 263) der Lektüre der in der Werkzeugtasche mitgebrachten Divina Commedia zu widmen. Bald verlangt Otto mehr als Magdalenas Gesellschaft bei den Mahlzeiten und Spaziergängen im Park. Erst bittet er sie, ihm aus pornografischen Werken vorzulesen, dann fordert er sie auf, ihm in den Keller zu folgen und bei der Erfüllung seiner masochistischen Wünsche zu Diensten zu sein (vgl. MS, S. 267). Dies geschieht unmittelbar, nachdem sich Magdalena «mit dem fünf­ten Canto des Inferno» (MS, S. 265; Hervorhebung im Original) beschäftig hat, in dem Dante und Vergil den Marterort der wollüstigen Sünder durch­wandern. Das heißt, der dantische Prätext ist mit der Diegese von Magdalena Sünderin verwoben. Was auf den «stockfleckigen Seiten» (MS, S. 263f.) von Magdalenas Ausgabe der Commedia geschildert wird, wird am optisch korre­lierenden «von Altersflecken übersäten» (MS, S. 260) Körper des Barons praktiziert.

Während die Sympathien der Faschinger’schen Hauptfigur für Otto auf­grund dieses neuen Aufgabenbereichs allmählich schwinden, wachsen jene für ihren Landsmann Clemens, den Chauffeur ihres Arbeitgebers. Ihn hat sie anfänglich allein aufgrund seiner Nationalität abgelehnt, gar als absto­ßend empfunden. Peu à peu ändert sich ihre diesbezügliche Wahrnehmung: Sie muss sich eingestehen, dass das Vertraute sie doch anzieht, ihm positive Aspekte nicht abzusprechen sind, was synekdochisch auch für ihr Heimat­land gilt. Zwischen den Angestellten des Baden-Badeners entwickelt sich schließlich eine Liebesbeziehung, die Magdalena mithilfe der Kategorien Dantes folgendermaßen umschreibt: «So begann ein kleiner Teil des Para­dieses, in das der Baron mich gelockt und das sich als Inferno herausgestellt hatte, seinem Namen doch gerecht zu werden» (MS, S. 273). In Clemens’ lichtdurchfluteten Zimmern, die dem finsteren Kellergewölbe antithetisch gegenüberstehen, deklamieren die zwei Österreicher im Wechsel Verse aus dem Paradiso. Ihr Glück währt jedoch nicht lange. Sobald Otto von der Ver­bindung der beiden erfährt, entlässt er Clemens. Daraufhin macht der Chauffeur Magdalena einen Heiratsantrag und skizziert im Zuge dessen ihre mögliche gemeinsame Zukunft in «Waidhofen an der Ybbs […] im Einfa-milienhaus seiner Mutter» (MS, S. 282) mit «sechs Kinder[n]» (MS, S. 283), die sie als seine Frau zu «ordentlichen Niederösterreichern» (MS, S. 283) zu erziehen habe. Da dieses Szenario exakt jenes «österreichische[ ] Frauenun­glück[ ]» (MS, S. 103) umreißt, dem die Kärntnerin mit ihrem Nomadenle­ben entgehen wollte, lehnt sie ab. Zudem setzt sie ihrem badischen «Frau­enunglück[ (MS, S. 103) ein Ende, indem sie den Baron bei einer Bondage-Session stranguliert. Strukturell entspricht das dem Konzept des “contra­passo” im dantischen Inferno, in dem die göttlichen Strafen immer nach dem «Gerechtigkeitsprinzip des suum cuique»[42] die begangenen Sünden wider­spiegeln oder umkehren.

Faschingers Text verfährt demnach mit Motiven der Divina Commedia ähnlich wie mit stilistischen und inhaltlichen Elementen aus dem Œuvre Thomas Bernhards. Er übernimmt sie nicht bloß, sondern setzt sie gezielt ein, um die Befindlichkeiten seiner Protagonistin zu illustrieren und ihre Morde letztlich als Ausbruchsversuche aus unterschiedlichen Varianten ei­nes irdischen Inferno zu rechtfertigen.

VI.

Der Roman Magdalena Sünderin spinnt also Beckett’sche, Bernhard’sche und dantische Erzählfäden weiter, webt Muster aus den Werken jener Re­präsentanten des männlich dominierten literarischen Pantheons ein. Er ver­leiht einer weiblichen Hauptfigur, die immer zum Schweigen angehalten worden ist, eine Stimme und mit ihr die Macht, ihren intradiegetischen Re­zipienten, den Priester, narrativ zu umgarnen, ihn entgegen seiner anfängli­chen Einschätzung gar davon zu überzeugen, dass sie trotz der von ihr be­gangenen Morde unschuldig sei.

Um seine gleichermaßen komischen wie tiefsinnigen Wortnetze knüpfen zu können, eignet sich Faschingers Prosa – bzw. in ihr Magdalena – nicht nur das nach der Theorie Bachtins «halbfremde[ ] Wort»[43] der Sprache an und besetzt es «mit [ihren] Intention[en]»[44] bzw. «Akzent[en]»[45]. In einem «komplementären Prozess»[46] ordnen sie sich zudem «Worte aus […] “fremde[m] Mund”»[47], konkret dem Becketts, Bernhards und Dantes, unter und machen sie dadurch für sich nutzbar. Dieser «Wortenteignung»[48] scheint ein feministischer Impetus zugrundezuliegen: Die auf der Ebene der “histoire” geübte Kritik am «patriarchalischen Gesellschaftssystem»[49] findet ihre Entsprechung im “discours”.

Literatur

Primärliteratur

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Sekundärliteratur

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[1] Lilian Faschinger: Die neue Scheherazade. Roman. Ungekürzte, von der Autorin durchgesehene Ausgabe. München: dtv 2003, S. 113.

[2] Gisela Roethke: Lilian Faschinger im Gespräch. In: Modern Austrian Literature 33 (2000), H. 1, S. 84-103, hier S. 84.

[3] Vgl. Erika Greber: [Art.] Gewebe/Faden. In: Günter Butzer / Joachim Jakob (Hgg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole. Stuttgart/Weimar: Metzler 2008, S. 126-129, hier S. 128.

[4] Eva Kuttenberg: A Postmodern Viennese Narrative: Lilian Faschingers «Wiener Pas­sion». In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 101 (2009), H. 1, S. 73-87, hier S. 77.

[5] Vgl. ebd., S. 76.

[6] Hans Ulrich Gumbrecht: [Art.] Postmoderne. In: Jan-Dirk Müller u.a. (Hgg.): Realle­xikon der deutschen Literaturwissenschaft. Band 3: P – Z. Berlin u.a.: de Gruyter 2000, S. 136-140, hier S. 137.

[7] Roethke 2000 (Anm. 2), S. 86.

[8] Magdalena Sünderin wird im Folgenden unter Angabe der Sigle «MS» im Fließtext zitiert nach: Lilian Faschinger: Magdalena Sünderin. Roman. Ungekürzte Ausgabe. München: dtv 1997.

[9] Henning Tegtmeyer: Der Begriff der Intertextualität und seine Fassungen – eine Kri­tik der Intertextualitätskonzepte Julia Kristevas und Susanne Holthuis’. In: Josef Klein / Ulla Fix (Hgg.): Textbeziehungen. Linguistische und literaturwissenschaftliche Beiträge zur Intertextualität. Tübingen: Stauffenburg 1997 (Stauffenburg Linguistik, 5), S. 49-81, hier S. 51.

[10] Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort v. Harald Weinrich. Aus dem Französischen v. Dieter Hornig. Frankfurt/M./New York: Campus 1989, S. 147.

[11] Vgl. Brian T. Fitch: Erzähler und Erzählung in der Romantrilogie Samuel Becketts: «Molloy», «Malone meurt», «L’Inommable». In: Hartmut Engelhardt / Dieter Mettler (Hgg.): Materialien zu Samuel Becketts Romanen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976 (Suhr­kamp-Taschenbücher, 315), S. 85-93.

[12] Vgl. zum «locus amoenus» Karin Schlapbach: [Art.] Locus amoenus. In: Theodor Klauser u.a. (Hgg.): Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Ausei­nandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Bd. 23: Lexikon II – Manes. Stutt­gart: Anton Hiersemann 2010, Sp. 231-244.

[13] Ingrid Pfandl-Buchegger: «Ich reihe die Wörter zu Schnüren und knüpfe Netze». Weibliche Identitätssuche in Lilian Faschingers Romanen. In: Script 19 (2001), S. 12-23, hier S. 23.

[14] Christa Gürtler: Glückliche Sünden: zu Lilian Faschingers Roman «Magdalena Sün­derin». In: Doris Moser / Kalina Kupcszyńska (Hgg.): Die Lust im Text. Eros in Sprache und Literatur. Wien: Praesens 2009, S. 307-318, hier S. 317.

[15] Ebd., S. 311.

[16] Jörg Helbig: Intertextualität und Markierung. Untersuchungen zur Systematik und Funktion der Signalisierung von Intertextualität. Heidelberg: Winter 1996 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Folge 3, 141), S. 113.

[17] Ebd.

[18] Vgl. Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur. Unter Mitarbeit von Sybille Gram­metbauer. 10. überarbeitete u. erweiterte Auflage. Stuttgart: Kröner 2005 (Kröners Ta­schenausgabe, 300), S. 577-580.

[19] Vgl. Ludovic Janvier: «Malone meurt». In: Hartmut Engelhardt / Dieter Mettler (Hgg.): Materialien zu Samuel Becketts Romanen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976 (Suhr­kamp-Taschenbücher, 315), S. 126-135, hier S. 132.

[20] Samuel Beckett: Malone Dies. Translated from the Original French by the Author. London: Calder & Boyars 1975, S. 9.

[21] Heike Gfrereis (Hg.): Grundbegriffe der Literaturwissenschaft. Stuttgart/Weimar: Metzler 1999 (Sammlung Metzler, 320), S. 120.

[22] Raymond Federman: Das Beckettsche Paradox: Wer sagt die Wahrheit? In: Hartmut Engelhardt / Dieter Mettler (Hgg.): Materialien zu Samuel Becketts Romanen. Frank­furt/M.: Suhrkamp 1976 (Suhrkamp-Taschenbuch, 315), S. 113-125, S. 113.

[23] Samuel Beckett: Molloy. In: Ders.: Molloy. Malone Dies. The Unnamable. London: John Calder 1959, S. [5]-176, hier S. 176.

[24] Vgl. Genette 1989 (Anm. 10), S. 155f.

[25] Generell ist «Heimatliteratur» als Gattungsbezeichnung problematisch, da der Ter­minus, wie Rémy Charbon konstatiert, nach wie vor nicht frei von «ideologisch belas­tende[n] Assoziationen» ist (Rémy Charbon: [Art.] Heimatliteratur. In: Harald Fricke u.a. (Hgg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Band 2: H – O. 3. neubearbeitete Auflage. Berlin/New York: de Gruyter 2000, S. 19-21, hier S. 19). Gemeint ist hier Litera­tur, die «Vorgänge in einer emotional erlebten, relativ geschlossenen Welt» (ebd.) schildert. Der thematisierte Mikrokosmos wird dabei tendenziell «positiv[ ]» konnotiert.

[26] Hans-Georg Grüning: [Art.] Blatt/ Laub. In: Günter Butzer / Joachim Jacob (Hgg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole. Stuttgart/Weimar: Metzler 2008, S. 46-47, hier S. 46.

[27] Ebd., S. 47; Hervorhebung im Original.

[28] Vgl. Thomas Bernhard: Frost. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972 (Suhrkamp-Taschen­buch, 47), S. 9-11.

[29] Vgl. ebd., S. 8-10.

[30] Ebd., S. 30.

[31] Wendelin Schmidt-Dengler: Der Übertreibungskünstler. Studien zu Thomas Bern­hard. Wien: Sonderzahl 1986, [Titel].

[32] Vgl. Bernhard 1972 (Anm. 28), S. 7.

[33] Vgl. zur Problematisierung des Autobiografie-Status der Pentalogie etwa: Jerker Spits: «Die Großväter sind die Lehrer». Thomas Bernhard über den Schriftsteller Johannes Freumbichler. In: Hans Ester u.a. (Hgg.): Künstler-Bilder. Zur produktiven Auseinander­setzung mit der schöpferischen Persönlichkeit. Amsterdam/New York: Rodopi 2003 (Du­itse kroniek, 52), S. 105-127, hier vor allem S. 109-112.

[34] Thomas Bernhard: Die Ursache. Eine Andeutung. München: dtv 1977, S. 78.

[35] Thomas Bernhard / Krista Fleischmann: Thomas Bernhard – Eine Begegnung. Ge­spräche mit Krista Fleischmann. Wien: Edition S 1991, S. 235.

[36] Vgl. Gerald A. Fetz: Post-Bernhardian Austria. Lilian Faschinger’s «Magdalena Sün­derin». In: Donald G. Daviau: Austria in Literature. Riverside, Calif.: Ariadne Press 2000, S. 179-192, hier S. 185.

[37] Helbig 1996 (Anm. 16), S. 116.

[38] Dante Alighieri: La Divina Commedia. Mailand/Neapel: Riccardo Riccardi Editore 1957, Inferno, Canto III, 12.

[39] Ebd., Inferno, Canto I, 12.

[40] Johannes Knecht: [Art.] Drei. In: Günter Butzer / Joachim Jacob (Hgg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole. Stuttgart/Weimar: Metzler 2008, S. 69-70, hier S. 70.

[41] Vgl. Gérard Genette: Die Erzählung. Aus dem Französischen v. Andreas Knop, mit einem Vorwort herausgegeben v. Jürgen Vogt. München: Fink 1994 (UTB für Wissen­schaft, 8083), S. 51-53.

[42] Jens Petersen: Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn. Berlin/Boston, Mass.: de Gruy­ter 2011, S. 22.

[43] Michail M. Bachtin: Das Wort im Roman. In: Ders.: Die Ästhetik des Wortes. Hg. u. eingeleitet v. Rainer Grübel. Aus dem Russischen übersetzt v. Rainer Grübel u. Sabine Reese. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979 (Edition Suhrkamp, 967), S. 154-300, hier S. 185.

[44] Ebd.

[45] Ebd.

[46] Misia Sophia Doms: Die Enteignung des Worts. Hans Magnus Enzensbergers fiktio­nales Schriftstellerinterview «Diderot und das dunkle Ei». In: Torsten Hoffmann / Ger­hard Kaiser (Hgg.): Echt inszeniert. Interviews in Literatur und Literaturbetrieb. Pader­born: Fink 2014, S. 379-400, hier S. 381.

[47] Ebd.

[48] Ebd.

[49] Anna Hausdorf: Aus der Rolle gefallen? Einige literaturpsychologische Überlegun­gen zu Lilian Faschingers Roman «Magdalena Sünderin». In: Ina Brueckel u.a. (Hgg.): Bei Gefahr des Untergangs. Phantasien des Aufbrechens. Festschrift für Irmgard Roebling. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S. 307-329, hier S. 309.

 


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Berit Jany

(Boulder, CO)

Searching for Harmonia. «Der abenteuerliche Simplicissimus»
and Hungarian Anabaptists

abstract. In Der abenteuerliche Simplicissimus (1668) Grimmelshausen depicts the Hungarian Hutterites as an ideal society, focusing predominantly on the ethics and social structure of this communal branch of Anabaptism. In this critical reading, I explore how Grimmels­hausen fictionalized the religious minority, its commitment to particular social structures and ethical aspects, and its separation from society. As part of this analysis, the study in­vestigates which social and religious principles drawn from polemical accounts and con­temporary sources influence and counter the minority’s image as an ideal society and how this image of the religious group supports the novel’s notion of utopia.

1. Fictionalization of Anabaptism in Early Modern Europe

Grimmelshausen’s baroque novel Der abenteuerliche Simplicissimus (1668) is one of the first European literary works that integrates a critical considera­tion of Anabaptist communal life into the storyline based on an encounter with the religious group. Prior to this German novel and apart from the Anabaptists’ own literary activities documenting the persecution and mar­tyrdom of believers in the sixteenth and seventeenth centuries, references to the religious group can only be found in a small number of dramas and fictional accounts written at the turn of the century. The Dutch drama Het Moortje (1616) by Gerbrandt A. Bredero, for instance, paints a picture of the Dutch Anabaptists in unpleasant colors. Similarly, Coornhert fashions a negative image of the religious group in Aertzney der sielen (1570)[1]. The de-piction of the separatist group in the comedy Phasma (1592) by the German humanist Nicodemus Frischlin also reflects common preconceptions about Anabaptism that were conveyed by polemicists’ writings of the late six­teenth century[2]. In the English literature of the sixteenth and seventeenth centuries, the term «Anabaptist» appeared in numerous works, often refer­ring to all separatist movements that threatened the customary social order[3]. In the seventeenth century especially, the lines between fictional literature and polemic pamphlets almost disappeared, so that Anabaptist references in literature generally served as rhetorical means to fight separatism and nonconformity. Most of the European literature produced during the six­teenth and seventeenth centuries, a time in which the Anabaptist movement emerged, dispersed, and was harshly persecuted, echoes the anti-Anabaptist rhetoric of state and church authorities in satirical and disputatious styles.

Besides the polemical statements and allusions to their seditious prac­tices, members of the Anabaptist movement were scarcely represented in European non-Anabaptist literature of the seventeenth century. The more significant depiction becomes Grimmelshausen’s treatment of the Anabap­tists, specifically the Hutterite Brethren, in Hungary. The author gives a seemingly favourable account of the group’s social structure and division of work. In the critical reading of his literary depiction of the Anabaptist group, I explore how he fictionalized the religious minority, its commitment to particular social concepts and ethical aspects, and its separation from society. The discrepancy between the authorial discourse on the Anabaptist matter and the historical reality of Anabaptist persecution becomes appar­ent when examining the illustration of the encounter with the Hutterite Brethren in the novel and juxtaposing it with rhetoric employed by the state church. As part of this analysis, the study investigates which social and reli­gious principles influence and counter the minority’s image as an ideal so­ciety and how this image of the religious group supports the novel’s notion of utopia.

2. The Notion of Utopia in Der abenteuerliche Simplicissimus

Der abenteuerliche Simplicissimus gives a seemingly autobiographical account of a young man’s life during the Thirty Years’ War[4]. Regarded as the first adventure novel in the German language and one of the most significant novels of personal development, the narrative follows the hero, Simplicius (Melchior Sternfels von Fuchshaim), who experiences the events and bru­tality of the war. He first is separated from his foster parents during a raid by marauding soldiers, and then witnesses the wealth and intrigues at the Hanau court. He is also present at the hard-fought battle of Wittstock, and then suffers hunger at the Phillipsburg Garrison. In the tradition of the pic­aresque novel, Simplicius perceives the seventeenth-century European so­ciety from a viewpoint of the lower social class and satirically comments on the corruptness of this turbulent war time. According to Breuer, his adven­tures in the Thirty Years’ War period do not solely express personal obser-vation and individual struggle; rather, the mostly violent encounters can be considered as exemplary depictions of collective experience during that time (80). Grimmelshausen visits central locations of the war. Ergang has argued that these descriptions of war scenes were unlikely to have been obtained during Grimmelshausen’s time in military service. Instead, they must have been either collected by hearsay, created by a vivid imagination, or taken from historical accounts (7). Regardless of the origins of his war stories, the narrator reveals a peace-seeking stance when he portrays the violence and war crimes «als Erscheinung der Verkehrtheit der Welt … und in die satirische Perspektive rückt» (Breuer 80). The narration does not pro­duce heroic elevation or glorification of the war events. Rather, the story emphasizes how Simplicius suffered from his experiences in the Thirty Years’ War and regressed morally. An alternative to the destructive con­frontations of the war is given in Simplicius’ Mummel Lake adventure to the center of the earth and his accompanying description of the peaceful Anabaptists.

The narrator’s opposition to war and violence indicates the deeper issue of peace of mind and the quest for salvation. The Zeitgeist of the sixteenth and seventeenth centuries is one of religious striving for salvation and the constant question, «Was soll ich tun, daß ich selig werde?» (Ermatinger 15). During the time of confessional conflicts between the established Catholic Church, the Lutheran Church, and various radical reformed groups, the matter of salvation was a significant issue that Grimmelshausen portrayed as being threatened by worldly temptations. Throughout the novel, he seeks an ethical life, thereby considering different social concepts including reli­gion as a means of guidance toward correct moral conduct.

Book V of Der abenteuerliche Simplicissimus, in particular, pursues the mat­ter of orthopraxy, a practical religion as part of Simplicius’ developmental process. In his search for a Christianity that is manifested in ethics and per­sonal commitment rather than dogma, Simplicius explores new frontiers. Although the hero frequently changes locations throughout the novel, book V has the quality of an «ausgesprochenes Wander- und Reisebuch» (Bat­tafarano 38). After various fortunes and adventures in the Thirty Years’ War, Simplicius joins Heartbrother on a pilgrimage to Einsiedeln. Not being seriously committed to this endeavor, he converts to Catholicism when the devil confronts him with his sinful past. Yet, he quickly falls back into his old immoral life, indicating that an inner and purely voluntary conversion had not taken place.

In the twelfth chapter of the fifth book, Simplicius ventures to the center of the earth and visits the King of Sylphs. The social system he encounters in the Mummel Lake stands in complete contrast to the contemporary so­ciety. In this utopian community, the Sylphs are unable to sin and live in absolute freedom, with the king being their guide rather than their master and judge. Ermatinger has argued that the Mummel Lake episode is the author’s attempt to narrate Simplicius’ philosophical study without breaking from the tradition of rich and vivid description throughout the book (56). In that regard, the Mummel Lake episode appears to anticipate the Hungar­ian Brethren scene. The dialogue with the King of Sylphs communicates the structure of an exemplary community that exists beyond the borders of the dominant society. Such a communal organization which the narrator first encounters in this fabulous society of Sylphs reappears later in the story when he describes his experience with the Hungarian Brethren who are de­picted as a minority group at the periphery of the seventeenth-century Eu­ropean society.

In the novel, the concept of an ideal social order is transposed from the fictive world of supernatural beings to a geographically fixed territory – Hungary – that indeed had served as refuge for the historical brotherhood since the 1530s. The multi-confessionalism that developed in the Hungarian Empire during the time of the Ottoman rule significantly influenced Ger­mans’ image of Hungary during the sixteenth and seventeenth centuries. Although the Empire struggled with geopolitical and denominational prob­lems, Grimmelshausen used Hungary as the setting for his scene on ideal community life and religious tolerance. His decision could have been moti­vated by accounts of uprisings organized in seventeenth-century Upper Hungary that demanded equal rights among Christian groups. Grimmel­shausen depicts the Anabaptists against the backdrop of these appeals for religious tolerance. According to Battafarano, the author selected the Un­garische Täufer to explicate the essence of «Theologia», that is: «mehr englisch [engelshaft] als menschlich zusammenzuleben» (35). The Anabaptist group embodies the ideas of the utopian Sylph society in practical aspects. Thus, the Mummel Lake episode sets the scene for political, religious, and philo­sophical developments that find their application in the Anabaptist every­day life as it is depicted in the novel. Important elements of the Sylph com­monwealth such as freedom, purity, and the absence of authority are re­flected in the group’s harmonious communal life, as the following analysis will demonstrate.

In his thoughts about an optimum society, he recalls having seen Ana­baptists in Hungary who led «ein solches Leben» (542). His reference to the Hutterite Brethren in Eastern Europe started a debate and sparked research on Grimmelshausen’s sources for the description of the Hutterites. During the 1940s, Schowalter ruled out the possibility of a personal encounter with the Hungarian Brethren, as Grimmelshausen’s biography did not indicate extended trips to the East. The historian therefore concluded that the au­thor must have acquired his extensive knowledge about the Hutterian Brethren by reading travel accounts and first-hand reports about the reli­gious group[5]. Further speculations have circulated that Grimmelshausen’s depiction of the Anabaptists was inspired by Thomas More’s Utopia and Johann Valentin Andreae’s Christianopolis (Ermatinger 67). Andreas Zieg­lschmid was the first to establish a connection between Grimmelshausen’s Täufer and Hutterian missionaries from Sabatisch who, after the approval of Carl Ludwig, Elector and Count Palantine, founded colonies in the area of Mannheim in 1654 (386). Zieglschmid has pointed out that Grimmel­shausen’s direct contact with these Hungarian Hutterites in Mannheim en­abled him «ein solch lebendiges, bis in kleinere Einzelheiten genaues Bild von den ungarischen Vorfahren der … Hutterischen Brüder zu vermitteln» (387).

The question of direct contact or first-hand account has not been fully answered to this day. Yet, «die Betonung der Nicht-Fiktionalität des Erzähl­ten im Roman» supports the assumption that the so-called Täufer chapter has in fact authentic qualities and is based on personal contact with the faith community or the report thereof (Battafarano 35). Grimmelshausen’s vivid and detailed description of the Hungarian Bruderhof thus becomes highly significant for an image study of Anabaptists in German literature. Drawing his narrative from (accounts of) actual acquaintance, the Anabaptist depic­tion in Simplicissimus reflects an emphasis on certain aspects of the group’s life that were especially noticeable to the observer. In the light of religious hatred and persecution prevailing in the seventeenth century, the author’s enthusiastic account of the Hutterites needs to be analyzed in terms of rep­resentative aspects chosen to be included in the text. An examination of these practical and religious features will reveal Grimmelshausen’s creation of a unique otherness contrasting the conditions of the war-scarred century.

3. Simplicissimus’ Contact with Anabaptism and the Matter of Heresy

The chapter «Etwas wenigs von den Ungarischen Wiedertäuffern / und ihrer Art zu leben» is structured as a complete and complex unit within the narrative’s discourse on utopian societies. The author emphasizes his inter­est in the practical aspects of the sectarian community by defining the group exclusively by «ihrer Art zu leben», as indicated in the heading. His focus on the ethical rather than theological elements of the religious community becomes noticeable throughout the chapter which displays the separation of conduct and religion into two distinct divisions.

The narrator starts his account of the Anabaptists by recalling having seen a group of Anabaptists in Hungary: «dann ich hatte hiebevor in Ungarn auff den Wiedertäuferischen Höfen ein solches Leben gesehen» (524). The narrating «I» alternates between the acting view and the reflecting view throughout the story and within the Anabaptist episode. Karl Otto has pointed out that this continual shift from an actively participating first per­son to a thoughtful observer is one of the essential characteristics of Grim­melshausen’s narrative (48). Simplicius recollects an encounter with the

 

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch, Monpelgart [vielm. Nürnberg], 1669 (Digitale Sammlung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe), 5. Buch, 19. Kapitel, S. 585, Z. 29-31: «dann ich hatte hiebevor in Ungarn auff den Widertäuferischen Höfen ein solches Leben gesehen».

Hungarian Brethren from a temporal distance as a matured first person nar­rator. Simultaneously, he reawakens his memory of his active approach to the community and attentive observation of their daily habits, thereby initi­ating a conversion experience and inspiring his campaign to establish a community with a similar social fabric.

Taking the position of the viewer, the narrator identifies himself as a non-member of the religious minority. His observation from an outside perspective distances him personally from the group and lets him witness the phenomenon of practical theology. At the same time, the action of see­ing allows him to reflect on the differences between the dominant culture and society to which he is accustomed and the principles and practices of this Hutterite colony. His ability to perceive these dissimilarities and his ap­preciation for the peculiar elements of Anabaptist social life result from Simplicius’ distance from mainstream society. The narrator is enthralled by the Hutterite’s social interaction and ethical standards that stand in opposi­tion to those of the dominant society which he as a pícaro figure satirizes. As the «agent of perception», he focuses his attention on specific points of the group’s life that strike him as exceptional (Bal 18). His account of the particular aspects of Anabaptist social life, which derives from a compari­son with the dominant culture, thus shapes his image of the Hungarian group as a harmonious society.

Manfred Beller has pointed out that the journey to foreign countries and contact with other cultures was a truly valuable experience for the traveller in the seventeenth and eighteenth centuries (105). In the case of Simplicius, the act of seeing and encountering the otherness embodied by the Hungar­ian Anabaptists turns out to be beneficial for his personal development and his return to religion. The contact with the Anabaptist group initiates an honest and inner conversion:

… wofern dieselbe gute Leut mit andern falschen / und der allge­meinen Christlichen Kirchen widerwärtigen ketzerischen Meinung nicht weren verwickelt und vertiefft gewesen / ich mich von freyen stücken zu ihnen geschlagen / oder wenigst ihr Leben vor das seeligste in der gantzen Welt geschetzt hätte / dann sie kamen mir in ihrem Thun und Leben allerdings für wie Josephus und andere mehr / die Jüdische Esseer beschreiben. (524)

The narrator is so positively impressed by the Hutterian Brethren that he considers joining their colony. He even mentions that he wanted to es­tablish a society «auff Manier der Wiedertäuffer» (524). This ideal commu­nity would resemble the Anabaptist group in terms of living arrangements, work ethic, and devoted service to God.

It is necessary to note, however, that he abandons the intent because of the movement’s heretical affiliation, «ketzerischen Meinung … verwickelt». The term Ketzer refers to the Anabaptists’ place in society as determined by their role of outsiders. The label «heretic» excludes them from the institu­tional church as well as the secular state and pushes them into a position beyond the periphery of the dominant society. Grimmelshausen not only sets the boundary between the mainstream public and the sectarian fellow­ship by depicting the group’s exemplary social practice as unattainable and contrastive to the state of ethical deterioration prevailing in the seventeenth century; he also separates the group from the dominant society by the ex­ternal identification marker, Ketzer, a common term in early modern times, referring to any deviation from the orthodox belief and practice.

Grimmelshausen’s employment of the term Ketzer has been understood by scholars as conformity with the ecumenical publicity of that time. Zieg­lschmid has claimed that the author wrote «Ketzer … wohl nur pro Ecclesia et Pontifice» and that this ostensible condemnation did not affect his en­thusiasm toward the group’s manner of living (386)[6]. Bender has further argued that Grimmelshausen did not regard the Hutterite Anabaptists as heretics because he avoided associating them with the Münster events alt­hough the (mis)perception of the movement’s origin in violent revolution in the Westphalian city was rather common during his time (149)[7]. While the line of argument voiced by confessionalist scholars like Bender appear historically plausible, I venture to argue that the term «heretic» might be functional and that Grimmelshausen labelled the Hutterites as heretical in order to use them more effectively to mirror the deplorable state of present orthodoxy.

Critical remarks concerning the Anabaptists’ theological dogma already appear prior to the Täufer chapter. Identifying the religious group by their deviation from established belief and church practice becomes apparent in the story when the devil confronts Simplicius with his sins and misdemean­ors and calls him of «Ketzerischer Art / … seine Eltern seyn mehr Wieder­täufferisch als Calvinisch gewesen» (452). These accusations, which equate Anabaptism with heresy, deeply shock Simplicius and stir a desire in him to repent. His association with the sectarian group, which would invariably result in the loss of social status and a drift toward societal marginality, is quickly halted by his conversion to Catholicism. The devil’s mention of the two reformed groups reflects the theologically informed context of his An­abaptist reference. His comparative construction «mehr Wiedertäufferisch als Calvinisch» stresses the common perception of Anabaptism as a hereti­cal manifestation of the sixteenth-century reformation.

In the Ungarische Wiedertäufer chapter, the narrator assumes a different perspective when describing everyday life in the Hutterite community. Alt­hough the remark about the «widerwärtigen ketzerischen Meinung» reiter­ates the novel’s rejection of the sect’s theological doctrine, the favorable account of the Bruderhof’s communalism suggests an appreciation of their economic and ethical practices. In that regard, the narrator shifts from a portrayal of the Anabaptist identity as constituted by external institutions such as state officials and the Catholic Church to a depiction of the Ana­baptists informed by the observation of everyday life which provides a greater insight into their social and ethical principles essential to the for­mation of their group-internal identity. Simplicius’ change of viewpoint from the position of the dominant society that condemns the theological aspect of Anabaptist piety to the inner-sect perspective that is concerned with the social and moral principles also takes place on a spatial parameter. The narrator is confronted with anti-Anabaptist sentiments in the Catholic environment of Einsiedeln. His attitude toward the religious group is influ­enced by the harsh critique of polemicists from the established church who express theological opposition to the Anabaptists. Only when Simplicius leaves the dominant society and enters the marginalized community in Hun­gary, does the impact of external identification diminish, eventually to be replaced by an Anabaptist-sensitive perception of the communal group.

4. Representations of Hutterian Life as an Ideal Social Structure

Observing the structure and conduct of this group of social outsiders, the narrator emphasizes their unique manner of living. His account of the Hutterite’s communal life exceeds any seventeenth-century literary refer­ence of Anabaptists in respect to detail and tolerance toward the group’s social practices. Daniel Speer, for instance, retells Simplicius’ anecdotes in Hungary in his novel Ungarischer oder Dacianischer Simplicissimus (1683), reduc­ing the Täufer chapter to a brief remark in which he merely acknowledges the existence of the religious group. Embedded in a paragraph that provides regional information about Transylvania, the narrator lists following facts: «Sie reden Deutsch oder Hamler-Saechsisch / Ungarisch und Wallachisch; es gibt auch hin und wieder Wieder-Taeuffer im Lande / wie auch sehr viel Zigeuner …» (139). Here, Speer’s Simplicius associates Anabaptists with Gypsies and groups these two minorities into the category of social out­siders.

In comparison to Speer’s less informed or perhaps uninterested attitude toward Anabaptism, Grimmelshausen gives a positive portrayal of the group’s social and economic manners and shows awareness of their com­munal customs:

… dann sie kamen mir in ihren Thun und Leben allerdings für wie Jospehus und andere mehr / die Jüdische Esseer beschreiben; Sie hat­ten erstlich grosse Schätze und überflüssige Nahrung / die sie aber keines Wegs verschwendeten / kein Fluch, Murmelung noch Unge­dult würde bey ihnen gespürt / ja man hörete kein unnützes Wort. (525)

Simplicius captures the essence of the Anabaptist concept of Gelassen­heit[8], when noting that no verbalization of impatience could be heard in the colony. The practice of Gelassenheit, peace, patience, and social harmony is integral to the image he creates of Hutterite life and conduct, and corre­sponds to the morally superior nature of the Sylphs described in the Mum­mel Lake episode. The Sylphs’ characteristics of «gerecht/verständig/frey/ keusch/ hell/schön/klar/ … in ewiger Freude Gott loben» are personified by the Hutterite group and its ethical standards (496). In the company of the Bruderhof residents, Simplicius discovers a harmonious society that re­minds him of the Essenes, a Jewish sect that lived in communes and prac­ticed a voluntary poverty and a rejection of worldly pleasures.

Simplicius continues his account of the Hungarian Anabaptists as he re­flects upon all stages of human development, starting with birth and the rearing of offspring:

… ihr Schulmeister instruirte die Jugend / als wenn sie alle seine leib­liche Kinder gewest wären / nirgends sahe ich Manns- und Weibs­bilder untereinander gemischt / sondern an jedem bestimbten Ort auch jedes Geschlecht absonderlich seine obliegende Arbeit verrich­ten; Jch fande Zimmer / in welchen nur Kindbetterinnen waren / …; andere sonderbahre Säl hatten nichts anders in sich / als viel Wiegen mit Säuglingen / die von hierzu bestimmten Weibern mit Wischen und Speisen beobachtet wurden / … dieses Geschäffte den Kindbetterin und Kindern abzuwarten, war allein den Wittiben anbefohlen. (525)

The communal aspect of Hutterite life is particularly articulated in the group’s elimination of basic societal concepts such as private property and family unions. According to Simplicius’ observations, women in childbed receive their separate space within the community and all infants are gath­ered in a nursery. The schoolmaster instructs all children and teaches them correct manners as well as spiritual well-being just as if they were his own progeny. The narrator’s description of early childhood care and education on the communal site is reminiscent of his own upbringing in the foster family that differed strikingly from the Hutterite community, with regard to education, order, and religious grounding. Simplicius narrates at the begin­ning of the novel that he grew up not knowing «GOtt noch Menschen / weder Himmel noch Höll / … weder Gutes noch Böses zu unterscheiden» (20). The depiction of Hutterite communal life and organized efforts of child rearing thus stand in stark contrast to the anti-social and non-Christian orientation in Simplicius’ foster family.

Grimmelshausen’s positive opinion of the group’s communal way of child rearing are contrary to contemporary polemical writings that criticized the Hutterites’ childcare practices. Opponents of the religious group, par­ticularly the Jesuit priest Christoph Andreas Fischer, severely attacked the Anabaptists. His polemical writings Von der Wiedertauffer verfluchten Ursprung (1603) and Vier und funfftzig erhebliche Ursachen: warumb die Widertauffer nicht sein im Land zu leyden (1607) target in particular the beliefs and practices of the Hutterite Brethren, and therefore lend themselves to a comparison with Grimmelshausen’s depiction of the communal branch of Anabaptism. Jux­taposing the Anabaptist images presented in Fischer’s polemical works with Grimmelshausen’s fictional account underlines the novelist’s exceptional stance on Anabaptist social practices. Regarding the Hutterian early child care, Fischer noted in his 1603 pamphlet:

Es ist alles zu weit kommen, denn es müssen jetzt fast alle Frawen in Mähren zu iren Hebammen, Seugammen und Kinderwärterinnen lau­ter widertaufferische Weiber haben, als wenn sie allein in solche Sa­chen die allererfahrnesten wären. (101)

The denunciation of the work of Hutterite nurses and midwives, profes­sions that made the group well-known throughout the country, expresses Fischer’s attempt to draw the boundary between the dominant society and the social outcasts. He depicts the religious community as intruders who spread heretical beliefs and seek economic advantage over the surrounding population. In his anti-Anabaptist tract, he aims to exclude the radical re­formers from the dominant society by suggesting an invasion of the sect and a consequent danger to the established church and society[9]. Grimmel­shausen, on the other hand, presents the Hutterian early childhood care and education as a group-internal process that contributes to the preservation of the movement’s distinctive social system. He draws a boundary between the group and the dominant society for the purpose of making the Hutter­ites appear exceptional and oppositional to the social conditions of the sev­enteenth-century reality.

Simplicius further comments on Hutterite division of labor:

Anderswo sahe ich das Weibliche Geschlecht sonst nichts thun als spinnen / … da war ein Wäscherin / die ander eine Bettmacherin / die dritte Vieh-Magd / … wuste ein jedwedere was sie thun solte; und gleichwie die Aempter unter dem Weiblichen Geschlecht ordentlich ausgetheilet waren / also wuste auch unter den Männern und Jüng­linge jeder sein Geschäffte. (525)

The strict separation of sexes and distinct assignment of areas of respon­sibility are reminiscent of utopian ideas articulated by early modern philos­ophers and theologians. Simplicius is fascinated by the division of labor as it is practiced at the Bruderhof. According to the system of occupational ex­pertise, each member of the Hutterian colony has a well-defined work field depending on sex, age, personal skills, and the needs of the community. The author’s depiction of the Hutterian colony is primarily centered on practical aspects of their community life. Focusing on the industry and order of the Ungarische Wiedertäufer, he creates an image of the Hutterites that reflects the group-internal social practices and structures.

He also expresses his enthusiasm for the health and long life of commu­nity members:

… wiewol sie wegen löbl. Diät und guter Ordnung selten erkrancken / wie ich dann manchen feinen Mann in hohem gesundem und geruhigem Alter bey ihnen sahe / dergleichen anderswo wenig an­zutreffen / sie hatten ihre gewisse Stunden zum Essen / ihr gewisse Stunden zum Schlaffen / aber kein einzige Minut zum spielen … da war kein Zorn / kein Eifer / kein Rachgier / kein Neid / kein Feind­schafft / kein Sorg umb Zeitlichs / kein Hoffart / kein Reu! (525-26)

In sharp contrast to the protagonist’s life during the war, his hunger and malnutrition in the army, his poor condition in Paris where he was afflicted by illness, and his gambling habits in the imperial camps, the Anabaptists are depicted as healthy, hearty, and disciplined members of their religious community. Here the author addresses another well-known aspect of Hut­terian life, namely their good health and medical competence that was en­viously criticized by Fischer who warned his readers about the group’s pres­ence in the dominant society and counteracted rapprochement tendencies when dispraising: «nicht allein der gemeine Mann sondern auch die Herren wenn sie irgents ein Artzney bedürffen lauffen zu ihnen [den Wiedertäuf­ern], als wann sie diejenigen wären so die kunst allein gantz und gar hätten gefressen» (85).

Throughout the work, and particularly in Book V, Simplicius searches for the perfect society that is physically, mentally, and morally sound. His encounter with the Sylphs in the center of the earth delineates the concept of such an ideal community. Neither humans nor angels, the creatures in the Mummel Lake form a distinct group that exists on the periphery of humankind and divinity. The Sylphs are characterized by «gesunden Vernunfft / … mit gesunden Leibern / mit langem Leben / mit der edlen Freyheit / … keiner Sünd und dannenhero auch keiner Straff / noch dem Zorn Gottes / ja nicht einmal der geringsten Kranckheit unterworffen / … keine Wollust empfänden» (498), qualities and traits that are later embodied by the marginalized group of Hungarian Hutterites whose rigid division of labor, health, long life, and moral conduct result from regular habits inher­ent in the fundamental principles and social structures that constitute their community life.

Grimmelshausen designs a concept of an exemplary community that dif­fers significantly from the historical reality of seventeenth-century society. Attributes such as rage, revenge, jealousy, hostility, and pride, which clearly define the baroque court life satirically criticized in the novel, are banned from the Sylph league as well as the Anabaptist colony. The vision of a community that lives in harmony and peace is conceptualized in the Mum­mel Lake episode and later takes shape in the manner of living of the Hut­terite Bruderhof. The author specifically portrays those Anabaptist ethical standards and social structures that resemble the society of the lake crea­tures to create a parallel between the communal order and the fictitious society. Depicting the Hutterite colony as the epitome of social harmony, Grimmelshausen’s illustration of Anabaptism concentrates on social and economic qualities essential to the common good and welfare of any com­munity, such as moral values, a healthy lifestyle, industry, and ethical con­duct.

Grimmelshausen’s portrayal of the Hutterites, although perhaps inspired by the historical group in Mannheim, actually exceeds the believers’ re­ported reality. Loewen argues that the author was more concerned about «ein Ideal als um ein historisch-getreues Portrait der Hutterischen Brüder» (11). He suggests that Grimmelshausen was familiar with accusations against the religious community as stated in the records of the Mannheim’s city council[10]. Yet, he decided to disregard anti-Anabaptist allegations. In­stead, he depicted the group as a community of exemplary social practices. Fashioning the picture of a utopian society, he leaves out «diejenigen Züge von seinen Täufern, die seinem Ideal nicht entsprachen, und er hat die Züge idealisiert, die ihm an ihrem Leben und ihrer Lehre gefielen» (Loewen 18).

In his summary of the group’s everyday life, the protagonist reiterates his fascination with the social structure and ethical standards of the minor­ity. The group’s exemplary social practices stir a desire in him to establish a better society, one that is apt to overcome the moral and economic deteri­oration prevalent in his war-ravaged environment:

Jn Summa / es war durchauß eine solche liebliche Harmonia, die auff nichts anders angestimbt zu seyn schiene / als das Menschlich Ges­chlecht und das Reich Gottes in aller Erbarkeit zu vermehren / … Ein solch seeliges Leben / wie diese Wiedertäufferische Ketzer führen / hätte ich gerne auch auffgebracht / dann so viel mich dünckte / so übertraff es auch das Clösterliche; … Ach sagte ich offt / könntest du doch die Wiedertäuffer bekehren / dass sie unsere Glaubensgenossen ihre Manier zu leben lerneten / wie wärest du doch ein seeliger Mensch! Oder wenn du nur deine Mit-Christen bereden könntest / daß sie wie diese Wiedertäuffer ein solches (dem Schein nach) Christ­liches und ehrbares Leben führten. (526)

Simplicius is preoccupied with the group’s moral conduct and seeks to apply their ethical standards and social practices to the mainstream Chris­tian society. He considers recruiting the Hutterites to teach his «Glau­bensgenossen ihre Manier zu leben». Battafarano has called Simplicius’ ef­forts to apply the Hutterite lifestyle a «Plädoyer für praktiziertes Christen­tum jenseits aller theoretischen Divergenzen unter den Konfessionen in gegenreformatorischen Zeiten» (37).

Adopting the Hutterite manner of living and convincing fellow Chris­tians to take up «solches ehrbares Christliches Thun» is not an easy en­deavor. The influence of the dominant church becomes apparent when the narrator’s description of the Hutterite commune touches upon the religious matter of «seeliges» and «Christliches Leben». In these cases, the term «Wiedertäufferische Ketzer» appears to be in concession to secular and church powers. In addition to a possible conflict with the authorities when implementing the minority’s social and ethical living, the remark «dem Schein nach», emphasized by a round bracket inserted in the sentence, in-dicates the actual difficulties to be encountered when attempting to estab­lish a society based on the Hutterite model of communal living. The refer­ence to the «Schein» (appearance) underscores Grimmelshausen’s idealiza­tion of the colony’s social and ethical conduct, with which he fashions the image of a utopian society that is antithetical to that of the morally deterio­rated Thirty Years’ War.

5. Conclusion

In Der abenteuerliche Simplicissimus, Grimmelshausen depicts the Anabap­tists as an exemplary social unit. Unlike polemical literature of his time, which aimed to instruct readers on how to avoid succumbing to Anabaptist teaching and life, his fictional text expresses an appreciation for the group’s manner of life. In his novel, he focuses predominantly on the social struc­ture and work ethics of the communal group, thereby creating a stark con­trast to the bleak reality of the seventeenth-century society. Grimmelshau­sen is concerned with matters of Hutterite orthopraxy as it relates to the protagonist’s search for ethical conduct in times of moral decay.

Perhaps not unsurprisingly, the author avoids mentioning the events in Münster, despite the fact that the Anabaptist kingdom in Westphalia was generally perceived to be the origin of the radical reform movement until the nineteenth century. It appears that he does not even consider the link between the Hutterites and the violent Anabaptist uprising in Northern Germany. While there is a possibility that the author was not aware of the events in sixteenth-century Münster, it is likely that he disregards the con­nection between the violent and the peaceful members of the movement because he wants to maintain a positive image of the Hungarian Hutterites. To be sure, he utilizes the term Ketzer and acknowledges the group’s deviant theological precepts; however, he refrains from depicting the group as rad­icals who threaten the social order of the established church and state. In­stead, he utilizes the marginalized group to mirror the corrupted state of present Christianity. His focus on their exceptional life style and social form allows him to portray them as the «other» – comparable to the concept of the heretic, the outsider, or the noble savage utilized in narrations about the

discovery of America – as a means of intensifying his criticism of Christian Europe of his time. The Hutterites represent humanity’s innate goodness or perhaps a continuation of the apostolic order that has not been corrupted by seventeenth-century civilization.

Consequently, Grimmelshausen’s interest in the Hutterite Brethren fo­cuses on social and economic aspects of their communal life. The image he creates of the Anabaptist colony gives an idealized picture of the minority; especially the emphasis on their economic and ethical practices serves as an extension to the Mummel Lake episode in which he explores theoretical notions of an ideal society. The concept of utopia, addressed in the encoun­ter with the Sylph king, finds a practical application in the conduct, industry, and order that he observes at the Hutterite colony. The author departs from the negative perception of Hutterite social and economic practices as voiced by contemporary polemicists. Rather, his description of the religious mi­nority is marked by a sense of admiration – an admiration that neither in­vites to imitation nor intends moral instruction. Although the narrator con­templates about establishing a society based on the Anabaptist social order, he dismisses this idea for the Hutterites’ system of social structure seems unapt to be realized. Their manner of collective life remains a utopian ideal – a pícaro’s tool to expose moral decline, violence, and injustice prevalent in the dominant society during the Thirty Years’ War.

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[1] According to Jeltes, the Doopsgezinde in Dirck Vzn. Coornhert’s farcical dialogue Aertzney der Sielen is subjected to bitter mockery (150-151). In his satire, Coornhert fiction­alizes the Dutch Anabaptist leader Menno Simons as well as the pope, Luther, and Calvin.

[2] The Anabaptists in Frischlin’s comedy are characterized by polygamy, communism, and iconoclasm. They are associated with Thomas Müntzer and the peasant uprising. Rich­ard Schade found similarities between the negative depiction of Anabaptists in Phasma and tracts concerning Anabaptism Johann Brenz, Martin Luther, and Jacob Andrae authored. He concluded that the condemnation of the Anabaptists (and other «Ketzer») to purgatory exemplifies the religious crisis during the sixteenth-century reformation period (302-318).

[3] The term was used to designate heretics and contemporary separatist groups such as Baptists, Independents, Quakers, and even Puritans. Irvin Horst grouped Anabaptist ref­erences in English literary accounts under following three headings: «(1) allusions to sedi­tious Anabaptism, particularly the Münster episode, (2) comments on topical Anabaptism, usually satirical in nature, (3) discussion of Anabaptist belief and practice in theological tracts and treaties» (232). Authors of fiction and church polemics joined public officials in the effort to instrumentalize the Münster affair for the purpose of suppressing a radical counterculture. John Bale, for instance, links the Anabaptists with the Münster rebellion and consequently alludes to the English suppression of Anabaptist émigrés in his play King John (1538). In the picaresque novel The Unfortunate Traveller (1594), Thomas Nashe de­scribes a group of German Anabaptists in the Münster tradition. References to Puritan leaders in the novel indicate the author’s motivation behind the choice of Anabaptist char­acterization, namely, to promote an anti-separatist stance.

[4] The autobiographical implications of the novel have been under discussion by several scholars, most prominently by Gustav Könnecke in Quellen und Forschungen zur Lebensges­chichte Grimmelshausen.

[5] Furthermore, he has stated that chapter 19 of the fifth book appears as «ein in sich geschlossenes und dazu rein beschreibendes Stück, daß die Annahme einer, vielleicht erin­nerungsgemäßiger, Abschrift, begründet» (662).

[6] Similarly, Trappen understood Grimmeshausen’s application of the prejudicial term as an expression of differentiating between Anabaptists’ admirable conduct of life and their faulty doctrine (294).

[7] If Grimmelshausen’s knowledge of the Hutterites was indeed based on direct contact with the group or the report thereof, it is only understandable that he does not include Münster in his description of the Bruderhof as the Hutterian Brethren did not link their origins to the violent movement in northern Germany.

[8] Gelassenheit expresses the Anabaptist commitment to Christ. Karlstadt first promoted the term in his teaching of «letting-go of temporal things in the awareness that God will provide for His own» (Hillerbrand 165). This notion of true discipleship to Christ is re­flected in the group’s disregard of worldly matters.

[9] In the 1607 polemic, Fischer criticizes the Hutterite child care system by asserting, «Wiedertäuffer handeln wieder die Natur … Denn sobald als die Muter das Kind entwehnet hat / so wird es von den rechten natürlichen Müttern genommen und gegeben den bestelten Schwestern. Hernach den unbekannten Schulmeistern und frembden jach­zornigen Kindsziherin / die dann ohne Lieb / sittsamkeit und erbarmnuß / bisweilen hefftig und unbarmherzig gnug dreinschlagen» (53). Fischer assumes a lack of love and affection resulting from the community’s absence of family structures. His negative de­scription of the group’s communal child rearing aims to discourage readers from joining the reform movement.

[10] In council records dating back July 1683, the Hutterite Brethren in Mannheim are accused of moral laxity: «in ihrem Gebäudehof soll es … unsittlich zugegangen sein» (quoted in Loewen 17).

 


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Rosemarie Brucher

(Graz)

Haunted Identity. Melancholie und Dissoziation als Strategien
der Dekonstruktion des Ich in Helmut Kraussers «Schmerznovelle»

[Haunted Identity. Melancholy and Dissociation as Strategies for Deconstructing the Self
in Helmut Krausser’s «Schmerznovelle»
]

abstract. Krausser’s texts play repeatedly with the radical disintegration of identity. In «Schmerznovelle» (2001) he describes the encounter between Johanna Palm, who suffers from a split personality, and the narrator, a psychiatrist with the obsessive wish to cure her. As a result of this process, their ideas of self-identity increasingly dissipate. This article investigates the disintegration of the self against the backdrop of the psychological con­cepts of melancholia and dissociation. The productive conjunction that allows Krausser to question the idea of stable identity altogether is analysed with the help of the theories of Freud, Žižek and Agamben.

Der Wahnsinn – wenn man sich nicht länger gegen ihn auflehnt – stellt eine Befreiung dar. Wenn einem der Glauben an die fünf Sinne verlorengegangen ist, und man sie nur noch spielerisch benutzt, um einem ersten Befund von Wirklichkeit, der unerträglich ist, entgegen zu treten.[1]

Die melancholische Einverleibung des toten anderen ist wiederholtes Motiv fiktionaler Auseinandersetzungen mit der Dissoziation des Ich. Ob in Alfred Hitchcocks Psycho (1960) oder Alejandro Jodorowskys Santa Sangre (1989), der Spaltung des Individuums geht ein traumatischer Verlust eines Liebesobjektes voraus, welches dann in der Folge als Alterpersönlichkeit in das Ich integriert wird bzw. – präziser – dessen gespenstische Einverleibung die dissoziative Desintegration des Ich allererst in Szene setzt. Dabei wird in vielen fiktionalen Bearbeitungen dieses Motivs ein Bezug zu psychologi-schen Narrativen, so beispielsweise der Schizophrenie oder der Dissoziati­ven Identitätsstörung hergestellt. Im Zuge dessen rücken in Texten und Fil­men wie beispielsweise Robert Silverbergs Multiples (1983), Tedd Dekkers Thr3e (2003), Gabrielle Pinas Chasing Sophea (2006), Matt Ruffs Set This House in Order: A Romance of Souls (2004), Mischa Bachs Stimmengewirr (2006) oder John Carpenters The Ward (2011) Fragen der Diagnostik, der Ätiologie als Traumafolgestörung sowie der Therapie in den Vordergrund[2]. Zugleich werden jedoch in derlei Texten respektive Filmen medizinische Klassifizie­rungen der Normativität und Störung hinterfragt bzw. alternative Bewusst­seinsformen erprobt, welche die grundsätzliche Konstruktion und unhin­tergehbare Instabilität des Ich verdeutlichen sollen. Denn während die Psy­chiatrie als akademische Wissenschaft die psychotische bzw. dissoziative Desintegration des Ich bis heute weitgehend als eine Devianzerscheinung einer als normal erachteten einheitlichen Persönlichkeit fasst, fungiert diese in künstlerischen Auseinandersetzungen häufig als affirmiertes Modell, das gerade der condition humaine gerecht zu werden verspricht. Hierbei kann auf eine lange philosophische Tradition identitätskritischer Diskurse aufgebaut werden – kulminierend in poststrukturalistischer Differenzphilosophie, postmodernen Ansätze bzw. queer-theoretischen Positionen –, welche die pathologisierende Gewissheit von Norm und Devianz rigoros disqualifi­ziert haben.

Die Einbettung der künstlerischen Verhandlung dissoziativer Heimsu­chung in einen psychologischen Bezugsrahmen und zugleich die dekonstruk­tivistische Überschreitung desselben kennzeichnen auch Helmut Kraussers 2001 publizierte Schmerznovelle[3]. Dieser «Höhepunkt seiner Erzählkunst»[4] verbindet alle großen Themen des Krausserschen Werkes: Subjektspaltung, Aberration, Gewalt sowie die «andere Dimension, Sphäre oder Welt […], einen Bereich, der von der Realität der dargestellten Welt aus zwar erahnt, aber nicht beobachtet werden kann»[5]. Der Text erzählt in Form von Erin­nerungen, Polizeibefragungen sowie Briefeinschüben – eine Struktur, die auch auf der Erzählebene Spaltung sichtbar macht, zugleich aber auch die Handlung in der Tradition der Romantik zu beglaubigen versucht – die Be­gegnung des namenlos bleibenden Icherzählers, «den in Deutschland füh­renden Spezialisten auf dem Gebiet sexueller Aberrationen»[6], mit der an einer Bewusstseinsspaltung leidenden Johanna Maria Palm während seines Urlaubaufenthalts in einem kleinen österreichischen Kurort[7]. Wie der Ich­erzähler bald herausfindet, leidet Johanna nicht nur an einer Persönlich­keitsspaltung, sondern ihr alternierendes Ich ist darüber hinaus ihr toter Ehemann Ralf, den sie nach seinem Selbstmord in einem Prozess aus Trauer, Schuld und Obsession inkorporiert hat und auf diese Weise sein Ableben verleugnet. Wie auch anderen ProtagonistInnen in Kraussers Werk, so etwa Hagen Trinker in Fette Welt, bleibt dabei auch Johanna ihre Ichspaltung weitgehend verborgen. Zwischen dem Psychiater und Johanna, derer er sich therapeutisch annimmt – oder vielmehr aufdrängt –, ent­spinnt sich in der Folge eine sadomasochistisch ausgerichtete Affäre[8], die zunehmend außer Kontrolle gerät, als der Erzähler beginnt, für seine selbst-ernannte Patientin Gefühle zu entwickeln[9]. Denn dies geht mit dem Wunsch einher, seinen gespenstischen Rivalen zu verdrängen, wogegen so­wohl Johanna als auch Ralf Widerstand leisten, was schließlich in dem Sui­zid Johannas, der zugleich als ihre Ermordung durch Ralf gelesen werden muss, kulminiert: Der Versuch der Austreibung des Toten führt folglich zum Tod der Johanna Palm.

Im Folgenden gilt es anhand der Schmerznovelle exemplarisch Kraussers Ästhetisierung sowie literarische Funktionalisierung psychologischer bzw. psychoanalytischer “Störungsbilder” zu untersuchen. Dabei werden neben der Verhandlung von Dissoziation insbesondere verschiedene Konzepte der Melancholie, der “seelischen” Einverleibung des toten anderen, von In­teresse sein. Weist diese gezielte Verortung seiner Charaktere im Bereich psychischer Devianz zunächst auch auf deren Pathologisierung hin, so soll aufgezeigt werden, dass hinter dieser scheinbaren Pathologisierung einzel­ner Individuen vielmehr eine genuine Brüchigkeit und damit Hinterfragung stabiler Identität per se zu Tage kommt. Die Ästhetisierung psychologischer Konzepte dient Krausser folglich dazu, die Fragilität des Ich in einer sich notwendig dem logischen Zugriff entziehenden Welt sichtbar zu machen, wodurch seine Texte inhaltlich an die literarische Moderne und ihre The­matisierung der Krisenhaftigkeit des Ich und der Welt anschließen. Es über­rascht daher nicht, dass es in Kraussers Schmerznovelle letztlich der Polizei überlassen bleibt, Ordnung zu schaffen, wo epistemologische Ordnungen notwendig scheitern müssen. Um dies zu verdeutlichen, setzt die nachfol­gende Analyse der Schmerznovelle zunächst Freuds Konzept der Melancholie mit dem psychiatrischen Narrativ der Dissoziativen Identität in Kontext. Dabei sollen mittels eines komparatistischen Zugangs die Parallelen zwi­schen den theoretischen Ansätzen und Kraussers literarischer Desintegra­tion des Ich untersucht und auf ihr identitätstheoretisches Potenzial hin be­fragt werden. In einem zweiten Schritt gilt es mit Žižeks und Agambens Melancholietheorien Freuds Ansatz identitätstheoretisch weiterzudenken und die Lektüre der Schmerznovelle damit abzuschließen.

I. Melancholie und Dissoziation

Es ist diese schreckliche Einsamkeit, die meinige oder die unsrige, beim Tode des anderen, die jene Selbstbeziehung konstituiert, die man “ich”, “uns”, “unter uns”, “Subjektivität”, “Intersubjektivität”, “Ge­dächtnis” heißt.[10]

Wie eingangs erwähnt, liegt der Spaltung Johannas der traumatische Ver­lust ihres Liebesobjektes zugrunde. Ist es in anderen fiktionalen Beispielen dieser Art häufig die tote Mutter, die auf diese Weise eine Verinnerlichung erfährt, so handelt es sich in Kraussers Schmerznovelle um die Inkorporation des toten Ehepartners, den die Protagonistin im Moment seines Todes – Ralf Palm übergießt sich mit Benzin und verbrennt – quasi in sich birgt.

Dieses «monströs[e]» (Schmerznovelle, S. 22) Ereignis lässt sich im Kontext Freuds Konzept der Melancholie lesen, das er 1915 in seinem Aufsatz “Trauer und Melancholie” darlegt. In diesem Text grenzt Freud die Trauer, als “gesunde” Reaktionen auf einen Verlust, bei der nach einer gewissen Zeit der Realitätsverweigerung die Realität des Verlustes akzeptiert, die Li­bido folglich von dem verlorenen Objekt abgezogen und auf ein neues Ob­jekt gerichtet wird, von der pathologischen Melancholie ab. Auch bei dieser handelt es sich um eine Verlusterfahrung. Im Gegensatz zum Trauernden bleibt der Melancholiker jedoch im Zustand des Verlustes gleichsam ste­cken, er trauert «unendlich und unabschließbar»[11]. Es ist ihm nicht möglich, seine Libido von dem verlorenen Objekt abzuziehen bzw. – präziser – er zieht zwar seine Libido von dem Objekt ab, doch anstatt diese auf ein an­deres Objekt zu verschieben, kommt es zu einer narzißtischen Identifizie­rung mit dem verlorenen Objekt, das auf diese Weise inkorporiert wird. Das Ich richtet sein Begehren folglich auf sich selbst, wird dabei aber quasi selbst zum verlorenen anderen. So Freud: «Die narzißtische Identifizierung mit dem Objekt wird dann zum Ersatz der Liebesbesetzung, was den Erfolg hat, daß die Liebesbeziehung trotz des Konflikts mit der geliebten Person nicht auf­gegeben werden muß»[12]. Bei der Melancholie handelt es sich folglich um die Ökonomisierung eines Verlustes, indem dieser als Realität verweigert wird, was aber eben nur gelingen kann, indem der (tote) andere inkorporiert wird; ein Vorgang, den Freud mit der «kannibalischen Phase» (“Trauer und Me­lancholie”, S. 436) in Verbindung bringt: Um den Verlust des Liebesobjek­tes zu vermeiden, wird der andere metaphorisch aufgefressen.

Nun setzt Freud voraus, dass es keine Identifizierung ohne Negativität geben kann, d.h., ohne dass dabei das “Andere” in Form einer Spaltung in das Ich Einzug hält. Im Falle der Melancholie erweist sich der Vorgang der Identifizierung indes als besonders problematisch, ja geradezu als selbstzer­störerisch, als nun der «Schatten des Objekts» (S. 435) auf das Ich fällt, wodurch sich der «Objektverlust in einen Ichverlust» (S. 435) verwandelt. Die Melancholie wird damit zum Modell «einer internen Alterität, einer Selbst-Differenz oder Inter-Subjektivität, die alle Vorstellungen von einer Abgrenzbarkeit der Subjekte gegeneinander, von Differenz und (Selbst-)I­dentität erschüttert» (Trauer schreiben, S. 23). Das Resultat dieser verhängnis­vollen Identifizierung ist die «Entleerung» des Ich «bis zur völligen Verar­mung» (S. 440). An anderer Stelle spricht Freud von der Melancholie als «Arbeit, welche sein Ich aufzehrt» (S. 432) bzw. benennt diese als «Verlust an seinem Ich» (S. 433).

Die Parallelen zu Kraussers Schmerznovelle sind bestechend. Auch hier geht der Desintegration der Protagonistin eine traumatische Verlusterfah-rung voraus und auch diese führt zu einer identifikatorischen Einverlei­bung, um die Realität des Verlustes zu negieren. Freuds inkorporierende Identifizierung gewinnt in Kraussers Text jedoch insofern an Radikalität, als die Verlusterfahrung der Protagonistin mit dem psychiatrischen Narrativ der Dissoziativen Identität zusammengeführt wird. So wird der tote Ehe­mann Ralf nicht nur als verlorenes Liebesobjekt verinnerlicht, sondern wächst sich vielmehr parasitär zu einer eigenständigen Alterpersönlichkeit aus, die zunehmend Johanna aus dem gemeinsamen Körper zu verdrängen beginnt; ein Vorgang, den sie lakonisch mit den Worten kommentiert: «Er hört schon lange nicht mehr auf mich» (Schmerznovelle, S. 93). Diese Ver­drängung äußert sich wiederholt in so genannten Switches, in denen Ralf die Kontrolle über den Körper übernimmt[13]. Den letzten dieser Wechsel, der zu Johannas Tod führen wird – sie bzw. er treibt sich ein Steakmesser «mit einem gewaltigen Stoß quer durch den ganzen Hals, bis es am Nacken heraustrat» (S. 139) –, beschreibt der Erzähler wie folgt:

Er sah mich an. Die Verwandlung schien, obgleich mit bloßem Auge kaum wahrzunehmen, schrecklicher und überzeugender als die Male davor. Als sei etwas Fremdes, unendlich Entferntes mit großer Wucht zwischen uns getreten und nähme von der Luft Besitz, die wir beide atmeten. (S. 135)

Folgt man Kraussers Zusammenführung von Melancholie und Dissozi­ativer Identität, so ist es möglich, hierüber die Desintegration des Ich radi­kaler zu denken, nämlich nicht als bloß respondierenden Akt, sondern als einen Prozess der Differenzverschiebung, der Identität immer schon unter­läuft. Der Grund hierfür liegt im psychologischen Narrativ der Dissoziati­ven Identitätsstörung selbst[14]. Folgt man dem derzeitigen Forschungsstand, so handelt es sich bei der Dissoziativen Identität um eine Traumafolgestö­rung, die jedoch nicht zur Desintegrationen einer vormals intakten Identität führt, sondern bei der das Herausbilden eines stabilen und kohärenten Identitätsgefühls aufgrund wiederholter schwerer Traumata in der frühen Kindheit von vornherein scheitert[15]. Anstatt eine konsistente Erinnerungs­kette zu bilden, werden Erinnerungen und Erlebnisse kontinuierlich am­nestisch abgespalten. Auf diese Weise entstehen an der Stelle eines einheit­lichen Identitätsgefühls bloße Persönlichkeitsfragmente, deren Anzahl bis in die Hunderte steigen kann. Diese verfügen in der Regel über individuelle Erinnerungen, soziale Beziehungen und Verhaltensmuster in unterschiedli­cher Komplexität, d.h. das Resultat eines solchen Prozesses ist tatsächlich, folgt man publizierten Fallberichten und Autobiografien Betroffener, in etwa so vorzustellen, wie dies Krausser in seiner Novelle beschreibt, wenn auch die Genese eine andere ist[16].

Betrachtet man nun das Konzept der Dissoziativen Identitätsstörung nicht ausschließlich im psycho-sozialen Kontext, sondern stattdessen als eine Art alternativen Ichentwurf, wie dies beispielsweise von James Glass bereits Mitte der neunziger Jahre angedacht wurde[17], so lässt sich hierin eine “Identität” erkennen, der statt Stabilität ein fortdauernder Prozess der Zer­streuung – der Dissoziation – zugrunde liegt. Zugleich zeigt sich jedoch auch eine Form des Ich, welches Vielheit kennzeichnet. Es handelt sich folglich – analog zu postmodernen Denkfiguren – um ein Ich als «leere[n] “Ort” […], an dem viele Ichs sich vereinigen und trennen»[18]. Die Entlee­rung des Ich, wie sie Freud als Charakteristikum der Melancholie ausmacht, wäre demnach der “Normalzustand” der Dissoziativen Identität. Diese kann damit als exemplarische Figur einer genuin dislozierten Identität die­nen.

Dahingehend erzählt die Schmerznovelle auch nicht die Geschichte einer Reintegration, sondern ganz im Gegenteil: Anstatt Johanna heilen zu kön­nen, kommt ihrem Psychiater selbst zunehmend sein Identitätsgefühl ab­handen. Er wird gleichsam von ihrer Dissoziation «infiziert» (Schmerznovelle, S. 56) – die intendierte Therapie gerät selbst zum «psychosozialen Symp­tom» (“Die Geburt des Autors”, S. 34)[19]. So entsteht in dem Icherzähler alsbald «der Verdacht, der mein Leben nach und nach zerstören sollte. Wie der letzte Schimmer einer untergehenden Sonne leuchtete die Frage tief in mich hinein: Wer bist du? Und warum bist du so?» (Schmerznovelle, S. 38). Kurz darauf beginnt er selbst erste Anzeichen einer Dissoziation zu zeigen wie Zeit- und Gedächtnisverlust:

Ja doch. Gewiß. Es muß bestimmt irgendeine Ordnung hinter den Dingen stehen. Meine Hose spannte noch immer. War alles Einbil­dung gewesen? Ich muß draußen onaniert haben, am Elektrozaun, vor staunenden Kühen, dumpf kann ich mich dessen erinnern. An den Rest aber nicht, der Nachmittag war aus der Zeit gefallen, wollte nie mehr dahin zurück. Die Stunden danach sind meinem Gedächtnis ver­loren gegangen. Unauffindbar. Blackout, fast ohne Alkoholeinwir­kung. Rätselhaft. (S. 75)

Die zunehmende Konfusion des zu Beginn der Novelle allzu selbstsi­cheren Icherzählers[20] macht zugleich Kraussers Strategie deutlich, Be­obachtbarkeit sowie Erzählbarkeit selbst in Frage zu stellen. So handeln Kraussers Texte bevorzugt von dem, was sich eigentlich nicht erzählen lässt, und machen zugleich dieses narrative Scheitern sichtbar; ein Umstand, der in der Sekundärliteratur wiederholt zu Bezugsetzungen zu Erzählstrate­gien der Romantik geführt hat[21]. Die Ereignisse bleiben dem Erzähler letzt­lich selbst unbegreiflich, er ist, wie sich auch in den eingeschobenen Poli­zeiverhören immer wieder zeigt, ebenso wenig ein verlässlicher Zeuge des Geschehens wie Johanna. Vielmehr kulminiert seine Erzählung angesichts Johannas Todes, der sein Weltbild endgültig ins Schwanken versetzt, in Spe­kulationen, Wissenslücken, traumatischen Flash-backs und schließlich gar der Notwendigkeit, auf den vagen Bericht anderer zurückgreifen zu müssen:

Ich schrie wohl stundenlang, über und über von spritzendem Blut be­sudelt.

Ich schrie, als wäre die Welt nur ein Lärm, der zu übertönen sein müsse, um alles darin neu nach meinem Willen zu gestalten.

Das Halbdunkel des Schlafzimmers war ein flüssig wabernder Raum, unter mir schwankte der Boden. Taub gegen mein eigenes Geschrei wurde ich ohnmächtig, die Schatten tanzten und quollen auf, mehr weiß ich nicht.
Bildfetzen der Verblutenden tauchen auf. Manchmal. In meinen Träu­men. […]
Kann sein, daß das Messer im Lauf der Nacht in meine Hände geriet. Daß ich es aus der Wunde zog. Daß die Fingerabdrücke sich so erklä­ren.

Es liegt nahe.

Man fand mich morgens im Freien, halb erfroren, im Gras vor dem Haus, ein blutverkrustetes T-Shirt um den Oberarm geknotet. Immer hätte ich “Johanna” geflüstert, tausendmal “Johanna”, frierend, halb bewußtlos in den Anblick der aufgehenden Sonne versunken. So wurde es mir erzählt. (S. 139)

Auf die im Polizeiverhör gestellte Frage, ob er denn seinen Beruf als Psychiater ernst nähme, antwortet der Erzähler schließlich auch folgerich­tig: «Nein. Nicht mehr» (S. 29). Es wird am Ende ihm zufallen um Johanna zu trauern oder aber er wird wie zuvor sie der Melancholie anheimfallen. Statt einer klaren Trennung von Norm und Devianz ist es folglich bezeich­nenderweise gerade die für eine solche Trennung legitimierte Instanz, die sich zunehmend der Instabilität ihrer vormals allzu sicher erscheinenden Kategorien gewahr wird.

Diese fortschreitende Dissoziation der Romanfiguren spiegelt sich auch auf der formalen Ebene des Textes wider[22], so beispielsweise wenn einzelne Kapitel mit Dialogpassagen eröffnet werden, bei welchen zunehmend be­deutungslos erscheint, welche Sätze von wem gesprochen werden:

“Endlich. Ich hab auf dich gewartet”.
“Ich hab auf dich gewartet!”
“Wir sind zu alt, um solche Spiele zu spielen”.
“Aber Spiele spielen dürfen wir?”
“Natürlich. Was bleibt uns denn?”
“Dann spielen wir”.
“Du bist unser Gast”. (S. 113 [Herv. i. O.])

Diese Veruneindeutigung der SprecherInnenposition und damit letztlich von Identität überhaupt wird auch auf Figurenebene reflektiert, wie das fol­gende Zitat verdeutlicht: «“Sie können mich küssen, wenn Sie wollen”. Der Satz stand im Raum. Aber wer von uns hatte ihn ausgesprochen? Ich bin mir ehrlich nicht mehr sicher. Oder war unser beider Denken so laut ge­worden? Hatte es sich mit vereinigten Kräften in Laute verwandelt?» (S. 41). Auf diese identitären Verschmelzungs- bzw. Verdoppelungsvorgänge gilt es zurückzukommen.

Wenn uns Krausser vor Augen führt, dass die Grenzen des Ich immer schon als durchlässig gedacht werden müssen, dass das Ich eine Leerstelle ist, von der nichts als sein anderes abgeleitet werden kann, dass die Dualität von Ego und Alter folglich in sich zusammenfällt, worin liegt dann noch das Charakteristische der melancholischen Inkorporation, wie sie der Autor anhand seiner Protagonistin beschreibt? Der Versuch einer Antwort soll in der zweiten Hälfte des Textes in dem Konzept eines konstitutiven Mangels gesucht werden, wie er in ähnlicher und doch differenter Weise sowohl Žižeks als auch Agambens Lektüre der Melancholie zugrunde liegt. Mit die­sen Re-Lektüren der Freudschen Melancholie schließt sich auch der ge­dankliche Bogen, der durch die Zusammenführung von Melancholie und Dissoziativer Identität gespannt wurde.

II. Melancholische Desintegration II

Slavoj Žižek bietet ausgehend von Agamben eine Lesart der Melancho­lie, die nicht den Verlust des Liebesobjektes zum Ausgang nimmt, sondern stattdessen auf den Verlust des Grundes des Begehrens zielt, der, so Lacan, objet cause. Der Melancholiker betrauere demzufolge das Objekt, bevor es überhaupt verloren ist. Žižek spricht in diesem Zusammenhang von einem «preactive mourning»[23]. Doch wie ist diese Relektüre zu verstehen?

Folgt man Lacan, so ist die Struktur des Begehrens durch eine Ökono­mie des Mangels gekennzeichnet, d.h. Begierde setzt konstitutiv Negativität im Sinne eines unhintergehbaren Entzugs des begehrten Objekts voraus. Diese Dynamik des Mangels wird von Lacan bekanntermaßen begrifflich als Objekt klein a oder auch als Grund des Begehrens gefasst. Der Grund des Begehrens ist folglich als Objektfunktion zu verstehen, die ein beliebiges konkretes Objekt erfüllen kann. Letzteres ist daher strukturell metonymisch und kann die Funktion des Mangels nie aufheben[24].

Wenn Žižek also vom Verlust des Grund des Begehrens als Basis der Melancholie spricht, so lässt sich folglich annehmen, dass es die metonymi­sche Funktion des Begehrens selbst ist, d.h. die Fähigkeit, im Begehren von Objekt zu Objekt zu wandern, die in der Melancholie eine Stillstellung er­fährt. Es findet gleichsam keine fort/da Bewegung mehr statt, wie sie Freud in “Jenseits des Lustprinzips” (1920) in Bezug auf das Kinderspiel seines Enkelsohns angesichts der Abwesenheit seiner Mutter beschreibt, sondern das Ich bleibt vielmehr im fort stecken, d.h., es kommt zur Auflösung des Objekts in seiner Abwesenheit[25]. Ebenso gut ließe sich jedoch sagen, das Ich verharre im Moment des da, in dem sich jedoch die dem Objekt immer schon eingeschriebene Abwesenheit in Form eines unaufhebbaren Mangels entbirgt. Das Subjekt hätte also sein Objekt schließlich gefunden, es hört auf zu supplieren, doch erweist sich dieses als schiere Leere. Was dem Ich auf jeden Fall abhandenkommt, ist die Alternanz von Abwesenheit und An­wesenheit, die jedoch, so Lacan, notwendige Bedingung des Begehrens ist. Der Melancholiker verliert in Žižeks Lesart somit eben nicht das Objekt bzw. dieser Verlust ist nicht Ursache der Melancholie, doch wird die Be­gierde selbst in ihrer Logik inhibiert.

Diese Inhibition des metonymischen Begehrens findet sich auch in Kraussers Schmerznovelle. So verhindert das melancholische Festhalten an Ralf nicht nur die Reintegration der Protagonistin, sondern auch die Mög­lichkeit, ein neues Liebesobjekt zu wählen und damit das metonymische Begehren fortzusetzen.

Um dies umfassend zu verstehen, ist ein weiteres Charakteristikum der Melancholie wesentlich, das bislang unberücksichtigt blieb: Die zentrale Rolle der «Ambivalenz der Liebesbeziehungen» (“Trauer und Melancholie”, S. 437) innerhalb des Komplexes der Melancholie[26]. Folgt man Freuds 1913 publiziertem Aufsatz “Das Tabu und die Ambivalenz der Gefühlsregun­gen”, so ist jeder Liebesbeziehung ein Todeswunsch gegen den anderen eingeschrieben, weshalb mit dem realen Todesfall zwangsläufig ein Gefühl der Schuld und damit zugleich eine Angst vor der Rache des Toten einher­geht[27]. Unter dieser Perspektive lässt sich die Melancholie in ihrer Verwei­gerung nach Liebesersatz als Akt der Buße einer Schuld verstehen, welche sich mit dem Ende der Trauer aktualisieren würde. Denn «das neue Objekt, der Ersatz, der das glückliche Ende aller Trauer sein sollte, wird nun nach­träglich zu dem Profit, um dessentwillen das Ich am anderen schuldig ge­worden ist. Der Ersatz des verlorenen Objekts wird im nachhinein zum “Mordmotiv”» (Trauer schreiben, S. 19).

Auch die Beziehung zwischen Johanna und Ralf, so erzählt der Text, war durch eine destruktive Dynamik gekennzeichnet. So hat Ralf Palm seine Frau nicht nur geschlagen und sexuell unterworfen, sondern auch program­matisch demoralisiert. In einem Brief an seine Mutter schreibt er: «ich habe versucht, sie zu zerstören, zu beugen, habe so vieles getan, Johanna von mir loszulösen» (Schmerznovelle, S. 102). Ihre daraus resultierende Ambivalenz gegenüber ihrem Ehemann veranschaulichend antwortet Johanna daher auf die Frage:

“Lieben Sie Ihren Mann?”
“Nein, er ist ein Monstrum. Ja, ich liebe ihn, selbstverständlich”.
                                                                                      (S. 37f.)

Das der Melancholie stets eingeschriebene Schuldgefühl am Tod des an­deren gewinnt jedoch in Kraussers Novelle besondere Brisanz, als sich letztlich herausstellt, dass es Johanna selbst war, die Ralf auf sein Drängen hin angezündet hat. Dieser Moment der Inbrandsetzung ist zugleich auch jener der ersten Dissoziation:

“Ich stand vor ihm, hatte diese Spielchen satt, so satt, diese Prügeleien, weil er impotent oder deprimiert war, er spielte mit dem Streichholz, ich sagte, Ralf, tu es nicht, wir hatten das so oft, ich bin müde, Ralf. Aber er, naß vom Benzin, entzündete das Streichholz, gab es mir, und er sagte: Sei mein Leuchtfeuer, sei mein Licht in der Nacht. Ich habe geweint, weil das alles zuviel war für mich. Eine Sekunde lang hab ich ihn verabscheut, habe ich mich verabscheut. […] Und plötzlich ließ er das Streichholz fallen”.

“Ralf? Ralf ließ das Streichholz fallen?”
“Ja. Er war in einem Moment so stark in mir. So stark”.

“Seither seid ihr zusammen?”
“Ja. Seither lebt er. Frei von Schmerz”. (S. 129)
[28]

Die Textstelle verdeutlicht das Ineinandergreifen von Melancholie und Dissoziation, von Begierde und Schuld, zugleich wird klar, warum die No­velle mit Johannas Tod enden muss. Denn das Angebot des Erzählers, mit ihm ein neues Leben zu beginnen, d.h. die Wiederaufnahme des metonymi­schen Begehrens, würde bedeuten, Ralf in seiner «merkwürdige[n] Zwi­schenform von Existenz» (S. 66) ein zweites Mal zu töten und ihre Schuld damit zu besiegeln.

III. Doubles und parasitäre Heimsuchung

Ist das Verharren im Zustand der Inkorporation der Grant Johannas Schuldlosigkeit an dem Tod ihres Ehemanns, so zugleich auch die Erklä­rung für ihren Widerstand, Ralf auf- bzw. freizugeben:

Zu anfangs der Glauben, sie wolle das, sehne sich subkonszient, manchmal auch bewußt danach, mit den Schrecken der Vergangenheit abzuschließen. Ehrgeiz und Eitelkeit trieben mich. Später waren es Eifersucht und Besitzgier. Bisweilen setzte ich Ralf Palm einem Dä­mon gleich, der in ihr hauste und sein Wohnrecht längst verloren hatte, der Johanna unterdrückte und sie zwang, um ihn zu trauern. Aber alles war viel komplizierter und in keinem Moment ganz eindeu-tig. Ebensogut ließe sich behaupten, Ralf Palm, oder was aus ihm ge­worden war, wäre ihr Gefangener gewesen, den sie mit allen Mitteln daran hinderte, aus ihr herauszufahren. (S. 127)

Die Textstelle verdeutlicht die wechselseitige Gefangenschaft von “Sub­jekt” und “Objekt”, die deren Status und damit zugleich die Antwort auf die Frage, wer letztlich wen heimsucht, ungreifbar werden lässt. Dieses Mo­ment der (gewaltsamen) Aneignung des Toten, d.h. dessen, was per se nicht aneigenbar ist, erinnert an einen abschließenden Theoretiker der Melancho­lie, auf welchen Žižek in seiner Darlegung derselben – insbesondere in der Idee der antizipierenden Trauer («preactive mourning») – wiederholt Bezug nimmt: Giorgio Agamben.

Agamben entwirft in Stanzen (1977) eine Lektüre der Melancholie, die in einigen Punkten Parallelen zu dem Lacanschen Konzept des Mangels als Grundlage des Begehrens aufweist. So geht in Agambens Freudlektüre der Melancholie ebenfalls nicht der Verlust eines realen Objektes voraus, son­dern diese antizipiert vielmehr einen Verlust, der nie stattgefunden hat, ja, der gar nicht stattfinden kann, da das in der Melancholie betrauerte Objekt nie besessen wurde. Es handelt sich folglich um eine imaginierte Verluster­fahrung, wobei der Fokus der Imagination weniger auf dem Verlust liegt – dieser kann nach Freud, wie ausgeführt, sowohl real als auch irreal sein –, sondern auf dem mit Hilfe eines vermeintlichen Verlustes imaginierten vo­rausgegangenen Besitzes. So Agamben:

In dieser Perspektive wäre die Melancholie weniger die regressive Re­aktion auf den Verlust des Liebesobjektes als vielmehr das phantas­matische Vermögen, ein nicht aneigenbares Objekt als verloren er­scheinen zu lassen. Wenn die Libido sich gleichsam verhält, als hätte sich ein Verlust ereignet, obgleich in Wirklichkeit nichts verlorenging, so deshalb, weil sie auf diese Weise eine Simulation inszeniert, in der das, was nicht verloren gehen konnte, weil es niemals besessen wor­den ist, verloren scheint und das, was nicht besessen werden konnte, weil es womöglich niemals real war, als verlorengegangenes Objekt angeeignet werden kann. (Herv. i. O.)[29]

Die Melancholie wäre demnach ein sich ausschließlich in der Negation bzw. in der Nachträglichkeit ereignender Besitz, der nun jedoch, da er aus der Narration eines Verlustes hervorgeht – d.h., immer bereits verloren ist –, nicht mehr verloren gehen kann. Denn insofern die Melancholie «die Trauer um ein nicht aneigenbares Objekt ist, eröffnet ihre Strategie einen Raum für die Existenz des Irrealen und umreißt eine Szene, in der das Ich mit dem Objekt in Beziehung treten und eine Aneignung versuchen kann, der kein Besitz je gleichkommen, die kein Verlust je gefährden könnte» (Stanzen, S. 39)[30].

Als eine solche Szene einer idealen, jedoch irrealen Beziehung kann auch Ralfs Einverleibung durch Johanna gedeutet werden. Denn hat hier auch ein reales Sterben stattgefunden, so legen Johannas Erinnerungen an ihren Ehemann sowie dessen Briefe an seine Mutter zugleich nahe, dass sich Ralf Zeit seines Lebens einer tatsächlichen Bindung zu seiner Frau immer bereits durch seine Depressionen sowie seinen Wunsch zu sterben bzw. sein Be­gehren, sie tot zu sehen, um – um sie trauernd – überhaupt eine Verbindung mit ihr eingehen zu können, entzogen hatte. Vor diesem Hintergrund der gegenseitigen Inbesitznahme im Tod scheint es zunehmend unklar, ob Jo­hanna oder Ralf der Fremdkörper ist, der eine «parasitical inclusion», ein «home for someone else’s suffering within him»[31] erfährt. So kann die me­lancholische Inkorporation auch als Geiselnahme des Toten verstanden werden, was Ralf Palm mit einigem Zynismus zu der Feststellung veranlasst: «– er habe danach erfahren müssen, daß das Leben der Liebe, einer starken, großen Liebe, nicht so leicht entkommen kann» (Schmerznovelle, S. 65).

Folgt man Avital Ronells in ihrer Studie Dictations. On Haunted Writing dargelegter Logik multipler wechselseitiger Heimsuchungen und Verdop-pelungen, so lässt sich bezüglich Kraussers Figurenkabinett darüber hinaus fragen, ob nicht auch hier eine solche Logik der Verdoppelung zugange ist. In diesem Sinne kann beispielsweise Johanna, die von Ralf einerseits in ge­radezu vampiristischer Weise als Erlöserin stilisiert wird, die er jedoch an­dererseits zu zerstören versucht, als Doppelung seiner Mutter, mit der ihn eine ähnliche Hassliebe verbindet, gedeutet werden. Die erste Objekttren­nung, nämlich die von der Mutter als Ausgangsbasis seiner “melancholi­schen Existenz” (Anne Dufourmantelle), würde somit durch seine Einver­leibung in Johanna – quasi als Rückkehr in den Mutterleib – aufgehoben werden. Gleichzeitig doppelt Johanna für Ralfs Mutter in deren ödipaler Gegenbesetzung ihren verstorbenen Sohn, indem sie “als Ralf” fortfährt, Briefe an diese zu schreiben. Gerade diese Briefe, die zusammen mit den “Originalbriefen” des Sohnes in den Text eingeschoben sind und dem Er­zähler durch ihren mit Ralfs Handschrift positiv ausfallenden Schriftpro­benvergleich Rätsel aufgeben, sind für Kraussers Spiel der Identitäten be­sonders exemplarisch, was anhand eines längeren Zitats aus dem vierten und letzten Brief veranschaulicht werden soll. Hier zeigt sich nicht nur in besonders eindrücklicher Weise, wie es Johanna, indem sie quasi Ralf wird, gelingt, ihre Beziehung nachträglich zu idealisieren und dabei zugleich durch seine Stimme ihre narrative Identität umzuschreiben, sondern auch die ambivalente Hass-Liebe zur (Schwieger)Mutter, die zwischen Todes­wunsch und Verschmelzungsphantasien oszilliert:

Laß Dir sagen, daß Du verstockt bist und grausam. Ich würde gerne einmal wieder nahe bei Dir sitzen und dich spüren, aber Du – Du machst hysterische Szenen, nur weil ich nicht aussehe, wie Dein klein­mütiger Geist sich mich vorstellt. Wir alle verwandeln uns, wechseln unsere Gestalt und die Körper. Doch die Liebe – sie verbindet alle Erscheinungsformen, weit über den Tod hinaus, sie allein bleibt ewig, durchdringt das Lebendige, ist die Wärme, die uns diese Welt ertragen läßt. […]

Mein Leben war glücklich, weil Johanna mich geliebt hat. Diese Liebe zu begreifen, wurde mir sehr spät zuteil. Lange nahm ich sie als etwas hin, das eben da war, nicht zu ändern, manchmal störte sie mich sogar, störte meine Welt, das jämmerliche verzerrte Abbild meiner Welt, meine Kunst. […] Sie hat sich nie beirren lassen, blieb rein, blieb sie – bei allem, was ich ihr antat. Wer hätte solches auch vermuten kön­nen? Daß mir, von allen Lebewesen ausgerechnet mir, die Gnade ge­schenkt worden ist.

Von alledem begreifst Du nichts. Ich schäme mich Deiner. Willst Du denn sterben, ohne mich noch einmal in dem Arm gehalten zu haben? Dann stirb, geh hin, Du wirst an Verstopfung krepieren, stirb von mir aus, woran Du Lust hast, Du wirst nicht verhindern können, daß ich für immer Johanna sein werde und sie für immer ich. Dann – dort – wirst Du mir die Hand reichen und ihre nehmen müssen, dann werden wir eins sein vor allem, ineinander zerschmolzen im Feuer, das Feuer – hab ich Dir je davon erzählt? Nie wirklich. Ich habe gebrannt, mein Fleisch ist Asche geworden, das war der Moment, da ich Gott ähnli­cher wurde, zum Verwechseln ähnlich, in einem Moment, der Dir noch bevorsteht, stirb, Du blöde alte Kuh, dann wirst Du wissen, wo­von ich all die Jahre an Dich, Geschöpf aus Stein, hingeredet habe. Wofür hast du denn je gelebt? Mich geboren zu haben? War das alles? […] Dann sei auf Dich geschissen, als hätten alle Engel des Himmels noch ein Arschloch, verrecke im Dünnschiß tausender Putten, er­trinke darin, Du verwahrloste Mutter, Du kleinmütige Karikatur eines gebärenden Scheusals! Ralf. (S. 102-103)

Es bleibt letztlich ungeklärt, ob Johanna bzw. Ralf den plötzlichen Herz­tod von Charlotte Palm verursachen oder ob dieser natürlich eintritt.

Die Verbindung, ja Verschmelzung – «Dann – dort – wirst Du mir die Hand reichen und ihre nehmen müssen, dann werden wir eins sein vor al­lem, ineinander zerschmolzen im Feuer» – von Johanna, Ralf und Charlotte Palm ist jedoch nicht die einzige Dreieckskonstellation, in der sich die Iden­titäten verschieben bzw. aufzulösen beginnen. So kann der Erzähler wiede­rum als Supplement für Ralf erachtet werden, als welches er von Johanna immer wieder adressiert wird – so beispielsweise, wenn sie feststellt: «“Sie sehen ihm ein wenig ähnlich. […] Ja, er hat ihre Mundpartie. Ihr Mund ist ein einziges Plagiat”» (40) – auch wenn er letztlich in dieser Funktion an der Frage scheitern muss: «“Du willst uns auseinanderbringen? Wie willst du ihn denn ersetzen? Wo ist deine Kraft?”» (S. 133 [Herv. i. O.]).

Und schließlich doppelt Johanna, so erfährt man beim Lesen in einzel­nen Andeutungen, Sonja, die einstige Liebe des Psychiaters, die ihm an­scheinend der Tod geraubt hat, was seinerseits ein tatsächliches Sich-Ein-lassen auf Johanna verhindert: «Hinten im Wagen kuschelte sie sich an mich. Warmer Atem an meinem Hals. Tat gut. Erinnerte an – ich schob sie prompt von mir weg» (S. 95). Dahingehend deutet Conter die Schmerznovelle als «Selbsterlösungsgeschichte des Arztes»[32], im Rahmen derer er seine zu­nehmende Dissoziation bewusst herbeiführe, um über das eigene Trauma des Verlustes hinwegzukommen. So Conter: «Sowie der Arzt die Patientin Johanna konsequent infolge des Modells der Gegenübertragung zu seinem Instrument der Selbstheilung gemacht hat, wird er zu seinem eigenen Pati­enten qua Projektion und emotionaler Reaktanz auf die Ich-Dissoziation von Johanna Palm zwecks Überwindung der für den Leser im Verborgenen gebliebenen traumatischen Liebesgeschichte zu Sonja» (“Zur Inthronisie­rung der Poesie”, S. 51).

In allen drei Dreieckskonstellationen dringt folglich ein parasitäres Drit­tes in eine idealisierte Paarbeziehung ein und subvertiert diese. Was jedoch Kraussers Text in der Behandlung dieses Motivs auszeichnet, ist, dass letzt­lich jede der Personen je nach gewählter Perspektive als dieser eindringende Parasit gelten kann. So untergräbt beispielsweise aus der Sicht Charlotte Palms Johanna die vormals intakte Mutter-Sohn-Beziehung, um ihr Ralf abtrünnig zu machen. Aus einer anderen Perspektive betrachtet ist es je­doch gerade Johanna, die den Erhalt dieser Beziehung über Ralfs Tod hin­aus gewährleistet. Zugleich wünscht sich Johanna Charlotte als Mutterer­satz, da sie selbst früh ihre Eltern verloren hat. Noch eklatanter verhält es sich mit dem Beziehungsdreieck Erzähler/Ralf/Johanna. Denn wenn der Erzähler auch Ralf eindeutig als einen störenden Eindringling auszumachen können glaubt, so gerät er unversehens selbst in diese Position, wenn Jo-hanna ihm entgegenschleudert: «“Ralf hat mich immer geliebt, und wir lie­ben uns noch, und niemand bringt uns je auseinander!”» (Schmerznovelle, S. 134). Über diese wechselseitige Rivalität der beiden Männer hinaus stellt der Text jedoch auch, quasi als eine weitere Beziehungsebene, homoerotische Konnotationen zwischen dem Erzähler und Ralf her, da es stets Momente sexueller Intimität sind, in denen Ralf in Erscheinung tritt. So etwa nach dem ersten Geschlechtsverkehr zwischen dem Erzähler und Johanna: «Ich mußte noch mal abspritzen. Es ging unglaublich schnell. Der Samen landete auf ihrem Bauch, auf ihren Beinen, die Stiefel traf ich nicht. “Nicht schlecht”. Sagte ER. “Du gibst ihr, was sie braucht”» (S. 94). Das Zitat ver­anschaulicht, ebenso wie die joviale Zusicherung Ralfs, der Erzähler habe von ihm «keine Repressalien zu erwarten» (S. 65), ein Geschlechterverhält­nis, im Rahmen dessen männliche Subjekte über Frauen, als Objekte des Begehrens, verfügen bzw. ihren Besitzanspruch untereinander aushandeln. Interpretiert man diese erotische Dreieckskonstellation vor dem Hinter­grund von Eve K. Sedgwicks Studie Between Men (1985)[33], so lässt sich das vordergründig umkämpfte weibliche Objekt des Begehrens gar als stören­des Drittes einer homosozialen bzw. homoerotischen Beziehung zweier Männer deuten, wodurch unversehens Johanna zum parasitären Fremdkör­per wird. Hierfür spricht auch die Identifikation des Erzählers mit Ralf, die insbesondere in deren analogen Sadismus gegenüber Johanna zum Aus­druck kommt, sowie die diabolische Macht, die Ralf zunehmend über den Erzähler zu gewinnen scheint. So schwankt denn auch deren letzte Begeg­nung, die ebenso nach einem Geschlechtsakt mit Johanna stattfindet, zwi­schen erotischer Anziehung und Überwältigungsphantasien, wie das fol­gende Zitat zum Ausdruck bringt:

Diese Stimme. Rauh, heiser, beherrscht. Diese Stimme redete zu mir, wie nichts sonst auf mich jemals eingeredet hat. Schlug eine Brücke, auf der vieles hin und her wechselte, Ahnungen, Erinnerungen, Er­fahrungen, Destillate des Lebens, Übersetzungen aus allen Sprachen in die eine Sprache des Gefühls.

Als würde ich Ralf Palm binnen einer Sekunde kennengelernt haben und wüßte nunmehr jede Regung seiner Seele voraus, wurde er mir vertraut, zwang sich mir auf, begann in mir zu wüten. Und ich ver­mochte ihm nichts entgegenzustellen. (Schmerznovelle, S. 135-136)

In diesem unlösbaren Konflikt aus schuldhaften Ersetzungen, mimeti­schen Begierden und unabschließbaren Verbindungen mit den Toten wählt Johanna schließlich die Flucht in den Suizid, welcher zugleich als Überwäl­tigung durch das verinnerlichte Objekt verstanden werden kann.

IV. Schluss und Ausblick

Sowohl Žižeks als auch Agambens Lektüre der Melancholie lassen einen wesentlichen Aspekt des Freudschen Konzepts unberücksichtigt, jenen der Inkorporation. Womit identifiziert sich der Melancholiker, wenn es nicht das Objekt ist, das ihm verloren geht? Lässt Žižek diese Frage unbeantwor­tet, so soll abschließend in der Zusammenführung der “ausgelegten Fäden” eine Antwort versucht werden. Diese lautet: Der Melancholiker identifiziert sich nicht mit dem Objekt des Verlustes, sondern dem Verlust selbst, nicht mit dem Toten, sondern mit dem Tod, nicht mit der Mangelhaftigkeit seines Liebesobjektes, sondern mit dem Mangel – kurz, er identifiziert sich nicht mit dem Objekt, sondern der Objektfunktion, dem Objekt klein a, der Ne­gativität per se, das, was Kristeva “melancholisches Ding” nennt[34]. Die Me­lancholie beschreibt vor diesem Lektürehintergrund somit eine radikale Vergegenwärtigung des Entzugs, die jedoch zugleich die genuine “Lücke im Ich” (Caroline von Günderrode) offenlegt, was sich exemplarisch mit Hilfe des Konzepts der Dissoziativen Identitätsstörung verdeutlichen ließ. Was hier wiederkehrt, im Sinne einer gespenstischen Heimsuchung, ist folglich die paradoxe Anwesenheit von Absenz.

Dieses melancholische Gewahrwerden der eigenen Absenz versucht auch Kraussers Text zu fassen, wenn sich Ralf in dem zweiten eingescho­benen Brief an seine Mutter erinnert:

Liebste Mamschi

wie ich wünschte, Du wärest hier bei mir, wenn ich wieder so friere und nachts die Felsen, die ich von mir, aus mir heraus gemacht hab, zurückkehren ins Fleisch, das tut weh. […]

Meine Gedanken schießen aus mir raus, alle meine Gedanken torkeln um mich herum, in mir ist nichts. Die Figuren verschwimmen.

Aber Johanna, das Licht, sie liebt mich noch, sie will mich nur erlösen, vielleicht ist das zuviel gewollt und niemand kann mehr etwas für mich tun. Wenn man alles versucht, und die Welt nicht antwortet, wenn sie das Spiel mit einem spielt, wie früher Vati, Du weißt, als er fragte, wo Ralf denn sei, und ich sagte: hier, hier bin ich doch, und er sah in die Luft und fragte, wo denn Ralf bloß ist, und ich klammerte mich an seine Hosenbeine, schrie: hier bin ich doch, hier, und Tante Helga und Onkel Fred spielten das Spiel noch lustvoll mit, sahen sich mit großen Gesten im Zimmer um, suchten den kleinen Ralf, und ich dachte, nie­mand könne mich mehr sehen, nie mehr. Und erst als ich laut geweint habe, hatte das Spiel ein Ende, Vati «fand» mich, hob mich hoch, das war kein Glück, war mehr als Glück, war die Begnadigung eines zum Tode Verurteilten, das ist was anderes, so nah am Tod vorbei kann sich dieser Zustand, auf den ich jetzt wieder warte, Glück nicht nen­nen. (Schmerznovelle, S. 81-82)

In dem Gewahrwerden der eigenen Absenz liegt auch der Gewinn, das Dissoziationskonzept mit jenem der Melancholie gegenzulesen, denn die Radikalisierung einer solchen Lektüre ist eine wechselseitige: Beschreibt die Dissoziation, wie aufgezeigt, eine dem Ich konstitutiv eingeschriebene Mul­tiplizität, so zeigt das Konzept der Melancholie, dass diese Vielheit nicht als colorful diversity, als kreatives “inneres Team” oder aber als fröhliches patchwork zu verstehen ist, sondern dass diese als unhintergehbare Negati­vität, der sich Identität nicht entziehen kann, gedacht werden muss. Hinter jeder Alterpersönlichkeit bzw. – präziser – hinter der Funktion der Disso­ziation selbst steht folglich die Absenz von Identität und damit letztlich der Tod, der dem Ich immer schon eingeschrieben ist, der dieses immer schon als sein Verschwinden heimsucht. Folgerichtig ist die Identifikation der Protagonistin mit ihrem Ehemann in Kraussers Schmerznovelle eine Liaison mit dem Tod und mündet dementsprechend auch in ihrem Sterben. Das Bergen des toten anderen im Selbst kündigt so die eigene Determination hin zum Tode an.

Literatur

Agamben, Giorgio, Stanzen. Wort und Phantasma in der abendländischen Kultur, Zürich: diaphanes 2005.

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Hagestedt, Lutz, Erschütterung im roten Bereich. Helmut Kraussers bewundernswerte Schmerz­novelle, http://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=3508&ausgabe= 200104 (25.07.2018).

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Krausser, Helmut, UC, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt  2001.

Kristeva, Julia, Soleil noir. Dépression et mélancholie, Paris: folio essais 1987.

Lacan, Jacques, Die Angst. Das Seminar, Buch X, Wien: Turia und Kant 2010.

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Žižek, Slavoj: On Melancholy. https://www.youtube.com/watch?v=_x0eyNkNpL0 (25.07.2018).



[1] Helmut Krausser, UC, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 437.

[2] Einen Überblick zum Motiv Dissoziativer Identität in der amerikanischen Gegen­wartsliteratur bietet Heike Schwarz, Beware of the Other Side(s). Multiple Personality Disorder and Dissociative Identity Disorder in American Fiction, Bielefeld 2013.

[3] Die Auseinandersetzung mit so genannten psychischen Devianzen, wie beispielsweise Obsessionen, Wahnzuständen bzw. Schizophrenie, findet sich auch in anderen Texten Kraussers. Vgl. hierzu etwa Thanatos 1996, Fette Welt 1999, Eros 2006 oder UC 2003.

[4] http://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=3508&ausgabe=200104 (acces­sed 22 October 2018).

[5] Oliver Jahraus, “Die Geburt des Autors aus dem Geist der Romantik” in Sex – Tod – Genie. Beiträge zum Werk von Helmut Krausser, hg. v. Claude D. Conter, Oliver Jahraus, Göt­tingen 2009, S. 23-42 (S. 28).

[6] Helmut Krausser, Schmerznovelle, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 11.

[7] Kraussers Text weist sowohl in der Wahl des Titels als auch des Schauplatzes sowie in einzelnen Handlungselementen Parallelen zu Arthur Schnitzlers Traumnovelle auf. Vgl. hierzu Matthias Pauldrach, Die (De-)Konstruktion von Identität in den Romanen Helmut Kraussers, Würzburg 2010.

[8] So reflektiert der Erzähler eine der ersten Begegnungen mit Johanna: «In der linken Hand hielt ich den noch glühenden Stummel der Zigarette. Hätte ihn gerne in ihrer offenen Handfläche ausgedrückt, und hätte ich um Erlaubnis dazu gefragt, weiß Gott, ich glaube, sie wäre einverstanden gewesen. Hinterher läßt sich so etwas nicht mehr leicht beweisen, aber – sie hätte ja gesagt und mir die Hand gegeben. Ja. Ja!» (Schmerznovelle, S. 28).

[9] Conter stellt die Schmerznovelle in die Tradition der Amour-fou-Geschichte. Vgl. Claude D. Conter, “Zur Inthronisierung der Poesie im Gegenwartsroman. Zur Remythisierung romantischer Poesie im Werk von Helmut Krausser” in Sex – Tod – Genie. Beiträge zum Werk von Helmut Krausser, hg. v. Claude D. Conter, Oliver Jahraus, Göttingen 2009, S. 43-62.

[10] Jacques Derrida, Mémoires. Für Paul de Man, Wien 1988, S. 57.

[11] Eva Horn, Trauer schreiben. Die Toten im Text der Goethezeit, München 1998, S. 15.

[12] Sigmund Freud, “Trauer und Melancholie” in Gesammelte Werke, hg. v. Anna Freud et al.,  20 Bnd., London 1940-52, X, S. 428-446 (S. 436). Freud räumt ein, dass es sich hinsicht­lich der Melancholie im Gegensatz zur Trauer nicht immer um den realen Verlust eines Liebesobjektes handeln muss, sondern dass sich dieser auch ideell, beispielsweise in Form einer Enttäuschung oder Kränkung, ereignen kann bzw. dass oftmals sowohl für Be­troffene als auch Therapeuten überhaupt unklar bleibt, was letztlich verloren gegangen ist. So Freud: «So würde uns nahegelegt, die Melancholie irgendwie auf einen dem Bewußtsein entzogenen Objektverlust zu beziehen, zum Unterschied von der Trauer, bei welcher nichts an dem Verluste unbewußt ist» (“Trauer und Melancholie”, S. 3).

[13] Die erste Begegnung mit Ralf – «Es war ein schlimmer Moment, schlimmer als ich ihn mir vorgestellt hatte» (Schmerznovelle, S. 62) – lässt den Erzähler folgende Überlegungen anstellen: «Selbstverständlich hätte ich Palm fragen können, warum er ein Kleid trug und Reste von Lippenstift an den Mundwinkeln. Ich glaube indes, die Frage hätte ihm nicht wesentlich zugesetzt, er schien sich seiner Sache, seiner Entität ausreichend sicher. Ihm wäre schon etwas eingefallen» (S. 65).

[14] Die Dissoziative Identitätsstörung kann auf zwei Hochphasen zurückblicken, wäh­rend sie in der Zeit dazwischen weitgehend in Vergessenheit gerät: Ihre Entstehungszeit und erste Blüte von 1875-1910, wo sie als dédoublement de la personalité, alternierende Persönlichkeit oder double consciousness den zentralen Bestandteil des psychiatrischen Denkens darstellte, sowie ihre Renaissance in den neunzehnhundertsiebziger Jahren, die bis in die Gegenwart anhält. Während sie im neunzehnten Jahrhundert von Theoretikern wie insbesondere Alfred Binet und Pierre Janet in Frankreich, Morton Prince in den USA oder auch dem frühen Freud weitgehend der Hysterie zugerechnet wurde, bildete sich in den neunzehnhundertsiebziger Jahren aufgrund zunächst noch vereinzelter Fälle erneut eine psychiatrische Multiplenbewegung, welche die Multiple Persönlichkeitsstörung nun als eigenständiges Störungsbild auszumachen suchte. 1980 wurde die Multiple Persönlich­keitsstörung in das amerikanische Diagnosehandbuch für Geisteskrankheiten (DSM III) und 1992 in die von der WHO publizierte Internationale Klassifikation von Krankheiten (ICD-10) aufgenommen und integrierte sich damit international in die Curricula der Psy­chiatrieausbildung. 1994 wurde das Störungsbild in der vierten Auflage des amerikanischen Handbuchs (DSM IV) in Dissoziative Identitätsstörung umbenannt.

[15] Vgl. hierzu American Psychiatric Association, Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-5, Washington 2013.

[16] Dass eine Dissoziative Identitätsstörung erst im Erwachsenenalter auftritt, wie dies Kraussers Novelle nahezulegen scheint, ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung me­dizinisch nicht möglich.

[17] Vgl. James Glass, Shattered Selve. Multiple Personality in a Postmodern World, NY 1995.

[18] Ihab Hassan, “Prometheus as Performer: Toward a Posthumanist Culture”, The Georgia Review, 31/4 (1977), S. 830-850 (845).

[19] So gesteht sich der Erzähler sukzessive ein: «Ich fühlte mich von Johanna infiziert, und anstatt mich zu wehren, begab ich mich nach und nach auf eine Ebene mit ihr. Was ich an ihr heilen wollte, bewunderte und beneidete ich auch» (Schmerznovelle, S. 56).

[20] «Ich war der genialste Psychotherapeut der Welt» (Schmerznovelle, S. 38).

[21] Vgl. bspw. Oliver Jahraus, “Die Geburt des Autors aus dem Geist der Romantik”; Friedhelm Marx, “Schwarze Romantik? Helmut Kraussers Teufelsroman Der große Baga­rozy” in Sex – Tod – Genie. Beiträge zum Werk von Helmut Krausser, hg. v. Claude D. Conter, Oliver Jahraus, Göttingen 2009, S. 63-73.

[22] Im Vergleich zu anderen zeitgenössischen AutorInnen, welche die Brüchigkeit ihrer Figuren auch auf formaler Ebene in Form von Montagetechniken, wechselnder Erzäh­linstanz oder Sprachdekonstruktionen konsequent umgesetzt haben, wie beispielsweise Rainer Götz oder Elfriede Jelinek, bleibt Krausser in seinen Texten traditionellen Erzähl­techniken weitgehend verpflichtet.

[23] http://www.egs.edu/faculty/slavoj-zizek/videos/on-melancholy/ (accessed 22 Oc­tober 2018).

[24] Vgl. hierzu Jacques Lacan, Das Seminar, Buch X: Die Angst, Wien 2010.

[25] Sigmund Freud, “Jenseits des Lustprinzips” in Studienausgabe, hg. v. Alexander Mit­scherlich et al., 11 Bnd., F. a. M. 1969-1975, III, S. 213-272.

[26] So schreibt Freud: Die Melancholie «ist einerseits wie die Trauer Reaktion auf den realen Verlust des Liebesobjektes, aber sie ist überdies mit einer Bedingung behaftet, wel­che der normalen Trauer abgeht oder dieselbe, wo sie hinzutritt, in eine pathologische verwandelt. Der Verlust des Liebesobjektes ist ein ausgezeichneter Anlaß, um die Ambi­valenz der Liebesbeziehung zur Geltung und zum Vorschein zu bringen» (“Trauer und Melancholie”, S. 6).

[27] Sigmund Freud, “Totem und Tabu” in Studienausgabe, hg. v. Alexander Mitscherlich et al., 11 Bnd., F. a. M. 1969-1975, IX, S. 219-444.

[28] Ein ähnliches Zusammenfallen von Gewalt und Dissoziation findet sich auch in Kraussers Roman Thanatos, wo der Protagonist Johanser im Moment der Ermordung sei­nes Cousins Benedikt eine psychische Spaltung erfährt.

[29] Giorgio Agamben, Stanzen. Wort und Phantasma in der abendländischen Kultur, Zürich 2005, S. 38-39.

[30] Mit Lacan ließe sich Agambens Ansatz dahingehend weiterdenken – wie im voran­gegangenen Abschnitt bezüglich Žižek ausgeführt –, dass diese in der Negation stattfin­dende Aneignung des genuin durch Mangel gekennzeichneten Objekts in dem Verlust des Begehrens münden muss, da eben der für das Begehren notwendige Entzug des Objekts in dessen melancholischer Inbesitznahme verloren ginge.

[31] Avital Ronell, Dictations. On Haunted Writing, Bloomington 1986, S. 116-117.

[32] “Zur Inthronisierung der Poesie im Gegenwartsroman. Zur Remythisierung roman­tischer Poesie im Werk von Helmut Krausser”, S. 48.

[33] Eve K. Sedgwick, Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire, NY 1985. – Sedgwicks Studie basiert auf René Girards Theorie mimetischen Begehrens, nach wel­cher nicht das Objekt selbst Begehren hervorruft, sondern das beobachtete Begehren eines Dritten das eigene Begehren bedingt. Girard entwirft hierfür den Begriff des “triangularen Begehrens”, im Rahmen dessen insbesondere die Beziehung der beiden RivalInnen an Be­deutung gewinnt. Vgl. René Girard, La Violence et le sacré, Paris 1985.

[34] Vgl. Julia Kristeva, Soleil noir. Dépression et melancholie, Paris 1987.

 


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Lukas Schmutzer

(Wien)

“Trotzdem! Ein gutes Land” (?). Marianne Fritz’ «Dessen Sprache du nicht verstehst» als radikalste Liquidation des habsburgischen Mythos am Leitfaden seiner Sprechakte*

[“Nevertheless! A Good Land” (?). Marianne Fritz’s «Whose Language
You Do Not Understand» as a Radical Liquidation of the Habsburg Myth
on the Basis of Its Speech Acts
]

abstract. This paper explores how Marianne Fritz’s novel Dessen Sprache du nicht verstehst incorporates its sources. On the one hand it traces the many contexts of the novel’s title, which cites Deuteronomy, the fifth Book of Moses. At the same time it interrogates the usage of a quote by Franz Grillparzer, «Es ist ein gutes Land» («It is a good land»), and how it communicates with other quotes within the novel. Thereby the essay develops a unique way of reading the novel, which many still judge to be unreadable.

1. Einleitung

Das 3300-seitige Epos Dessen Sprache du nicht verstehst[1] der österreichi­schen Autorin Marianne Fritz besitzt den Ruf, unzugänglich zu sein, seit die ersten Literaturkritiken dem Werk und der Autorin mangelnde «Ökonomie des Erzählens»[2] und eine angebliche «Privatsprache»[3] zum Vorwurf ge-macht haben. Weder Bettina Rabelhofers Versuch einer semiotischen Poetik[4] noch der Hinweis Wendelin Schmidt-Denglers, die «sechs Orientromane und die drei Bände “Winnetou” Karl Mays zusammengenommen»[5] hätten denselben Umfang, konnten beeinflussen, dass noch im Jahr 2003 auf das Werk der Autorin mit der Schlagzeile Natürlich ungelesen[6] referiert wurde. Wenn heute in sozialen Netzwerken mit Stolz von Urlaubstagen berichtet wird, die für die jüngste Staffel Game of Thrones genommen worden sind, so kann das als Anzeichen für ein stetes Interesse an vereinnahmenden Erzäh­lungen gedeutet werden. Aus dieser Perspektive erscheint der nicht enden wollende Gesang von Blut und Worten vielleicht attraktiver, der uns von den Söhnen des Arbeiterhelden Josef Null senior erzählt, vom homosexu­ellen Priester Pepi Fröschl, der Landstreicherin Wiglwogl und von so vielen weiteren Figuren im Mikrokosmos um die Marktgemeinde Nirgendwo. Wir müssen nicht wie ein Mann vom Lande vor einem unzugänglichen Block verharren, sondern können uns auch auf eine minutiös komponierte Fort­setzungsgeschichte einlassen, auf ein österreichisches Twin Peaks an der Schwelle zum Ersten Weltkrieg.

Die einzigartige Perspektive des Landproletariats auf die angespannte historische Lage hat Wendelin Schmidt-Dengler dazu veranlasst, von «der radikalsten Liquidation des habsburgischen Mythos» zu sprechen – wobei er diese Zuschreibung fast im selben Atemzug noch relativiert, wenn er dem anfügt: «so es diesen Mythos je gegeben hat und so man einen Mythos über­haupt liquidieren kann»[7]. Mit der Zuschreibung und ihrer zweifachen Rela­tivierung wird ein komplexes Feld betreten: Die erste Relativierung hinter­fragt Claudio Magris’ Diagnose der Realitätsverweigerung, die sich in der österreichischen Literatur seit jeher vollziehe – in österreichischer Literatur würden wir dem «Antlitz eines versunkenen Schlaraffenlands»[8] begegnen, aber keinen realpolitischen Konflikten. Die zweite Relativierung steht im Zeichen der Fragestellung, wie wir uns zu einem Mythos überhaupt verhal­ten können.

Der Roman sei die Liquidation von etwas möglicherweise Unliquidier­barem, das es womöglich nie gegeben hat. Daran wären weitere Fragen, die die Definition eines Mythos betreffen, anzuschließen: Wie unterschiede sich denn ein existenter Mythos von einem nicht existenten? Gesetzt, es gibt diesen Unterschied, wo und in welches Koordinatensystem müssten wir unsere Begriffe von Mythos und Realität eintragen? Wir werden uns im zweiten Teil des vorliegenden Aufsatzes diesen Fragen und dem Komplex des habsburgischen Mythos zuwenden. Zur Einführung gewählt habe ich das Zitat allerdings nicht aufgrund seiner Referenz, sondern aufgrund der eigentümlichen Art und Weise, in der Schmidt-Dengler mit dieser Referenz verfährt, um sich dem Roman anzunähern. Einen Satz nach der zitierten Zuschreibung berichtet er, der Roman sei zumindest in Teilen eine literari­sche Rekonstruktion von Geschichte anhand umfangreicher Quellenstu­dien – aber dennoch kein historischer Roman:

Es gibt auch unzählige Hinweise auf Realien aus der Monarchie (die Autorin hat auch genaue Quellenstudien, vor allem aus dem Bereich der Kriegsgeschichte, unternommen), aber es ist trotzdem kein histo­rischer Roman; es ist, um auch eine Formulierung der Autorin zu be­rücksichtigen, «Nicht-Geschichte, die trotzdem war».[9]

Was eine solche Rede in Gegensätzen, die sich als eine Form von Dia­lektik beschreiben lässt, notwendig machen könnte, hat Schmidt-Dengler an verschiedenen Stellen thematisiert, an denen er auf das Schaffen von Marianne Fritz zu sprechen gekommen ist: «Ihr Werk zwingt in einem fort, unsere Kriterien zu überprüfen», hatte er in einer Laudatio erklärt[10]. Dem Kritiker werde «das Werkzeug der Analyse aus der Hand»[11] geschlagen, hat es ähnlich in einem Vortrag zur Präsentation des Romans geheißen. An ei­nem weiteren Zitat zeigt sich, dass dem, was zuvor als Dialektik bezeichnet worden ist, eine performative Dimension zueigen ist: «Jedes Wort, das man zum Lobe dieser Autorin ausspricht, hat die Gegenfrage zur Folge, ob diese Form des Lobes auch zuträfe»[12]. Entgegen den Stimmen, die den Roman als unkommunikativ verurteilen, erweist er sich hier als ziemlich gesellig – auf ein Lob antwortet er mit einer Frage. Solche Formen des Dialogs entwi­ckeln paradoxerweise gerade auch die Kritiken, die dem Roman seine «Pri­vatsprache» zum Vorwurf machen wollen: Daran wird der vorliegende Auf­satz im nächsten Kapitel Anstoß finden. Doch zuvor ist noch sein Pro­gramm und sein methodisches Vorgehen zu klären.

Das Ziel des Aufsatzes ist es, das Verhältnis des Werks zu seinem Außen zu klären, indem nachvollzogen wird, wie es mit seinen Quellen, die es zi­tiert, verfährt. Dies geschieht in zwei Teilen entlang der Spuren zweier ver­schiedener Äußerungen. Zuerst an den Spuren des Titels, der sich en abyme an unzähligen Stellen im Roman findet und in eine andere Richtung bis ins 5. Buch Mose verfolgt werden kann. Danach nehmen wir die Spur der Phrase «Es ist ein gutes Land»[13] auf, die aus der Sprache Grillparzers in einen eigentümlichen Landstrich des Romans ausgewandert ist.

Methodisch kann mit Roland Barthes von «einem vieldimensionalen Raum» ausgegangen werden, «in dem sich verschiedene Schreibweisen [écri­tures], von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen»[14]. Dass die angesprochenen Kämpfe das «Gewebe» des Textes im Sprachduk­tus des Romans zerreißen, deutet Konrad Paul Liessmanns für Dessen Spra­che du nicht verstehst entwickelter Begriff des «Sprachzerfall[s]»[15] an, der sich an Adornos Wendung vom «Zerfall der Materialien»[16] orientiert.

Die Spannungen, die mit diesen so abstrakt anmutenden Worten ange­sprochen werden, wurden bereits zuvor ausgemacht: Sie bestehen zwischen der von Schmidt-Dengler erwähnten «Nicht-Geschichte» und Begriffen von Kommunikation. Dieses Verhältnis zwischen einer Eigengesetzlichkeit der Kunst und der Sprache ist in Christoph Menkes Frage «Material oder Signifikant?»[17] vielleicht am konzisesten formuliert.

Der eigenartige Sprachduktus des Romans irritiert, so meine These, weil er von dem Geschehen, von dem er berichtet, affiziert wird. Die Handlung wird von ihm nicht bloß geschildert, sondern vollzogen. Dieser Vollzugs­charakter erfordert, dass zwei verschiedene Begriffe von Performanz be­rücksichtigt werden: Performanz im sprachpragmatischen Sinne als der sprachliche Vollzug innerhalb einer Kommunikationssituation und Perfor­manz im ästhetischen Vollzug. Diese Vermittlung bzw. dieser Übergang wird vom vorliegenden Aufsatz unternommen. Die Art, wie dies geschieht, kann hier an einem Beispiel illustriert werden.

In seiner Vorlesung deutet Schmidt-Dengler zuletzt an, dass die Dialek­tik zwischen «Kriegsgeschichte» und «Nicht-Geschichte» weniger in einer Position des Textes zu seinem Außen besteht, sondern in dessen Bewegun­gen selbst vollzogen wird: Denn «dieses Land, das am Anfang so stark an die Monarchie erinnert», so Schmidt-Dengler, «verliert sich allmählich, es ist mehr von jenen […] Orten die Rede, die da “Nirgendwo” und “Donau­blau” heißen»[18]. An dem Namen «Donaublau» lassen sich diese Bewegun-gen an einem Detail charakterisieren: «Donaublau so blau» (S. 1108 und S. 1157) hören wir an verschiedenen Stellen des Romans. Im Namen dieser Stadt klingt ein walzertanzendes Wien an, welches Magris als Motiv des habsburgischen Mythos identifiziert[19]. In einer ironischen Übersteigerung wird hier nicht nur die schlammige Donau blau gemacht[20], sondern auch eine Stadt, deren Elend der Text in späteren Kapiteln geschildert haben wird. Wie verhält sich also Donaublau zu Wien? Es kann nicht von einer festgeschriebenen Relation zwischen dem Roman und dem, was ihm äußer­lich ist, ausgegangen werden, sondern wir müssen ihn als einen «Spiegelort» verstehen, «in dem alles zurückgeworfen, gebrochen, ineinander- und aus­gespiegelt wird, was in diesen eintritt»[21].

2. Das Rätsel des Titels

Viele Kritiken haben sich vom Titel des Romans angesprochen gefühlt, welcher andeute, zurückweise, werbe, herausfordere, Dinge verrate oder warne: Der Titel des Werkes «deutet bereits das unabänderbare Scheitern des Lesers an»[22]; er «weist Leser zurück» und kann zugleich «eine werbende Herausfor­derung sein»[23]; er «verrät unverblümt einiges von den Schwierigkeiten, mit denen der Leser hier konfrontiert wird» und mit ihm «warnt uns» die Auto­rin «beinah, daß wir ihre Sprache nicht verstehen werden»[24]. Hans Haider hingegen findet in dem Titel eine Art Mantra, welches die Lektüre zu un­terstützen vermag: «Wer sich ansaugen läßt, wird den Romantitel zur Ent­schuldigung seiner Verständnisgrenzen repetieren – und doch ein Verste­hen spüren, das über die Gewohnheiten diskursiver Logik hinausgeht»[25]. Bettina Rabelhofer hat auf diesen performativen Aspekt in der Rezeption hingewiesen[26] und entwickelt an ihm – Begriffe aus Umberto Ecos Semiotik aufgreifend – zwei verschiedene Arten von Lesern: Den «semantischen» Leser, den naiven, dem es ausschließlich um Inhalte und Information gehe auf der einen Seite und den «semiotischen» auf der anderen Seite, den kriti­schen, der Sinn dort suche, «wo der von der Autorin angebotene Diskurs seine Autorität nicht aus den von der zeitgenössischen Geltungshierarchie gesteuerten kognitiven, emotionalen oder ästhetischen Normen bezieht»[27]. Die «Er- oder Entmutigung des Titels» eröffne deshalb im Sinne von Wolf­gang Isers Rezeptionsästhetik «die elementare Chance, den eigenen Frei­heitsspielraum zu erweitern»[28].

Es wird also angenommen, der Titel richte sich an den Leser, während er implizit die Rolle des «ästhetische[n] Code[s]» thematisiere, dem sich Ra­belhofers Studie generell widmet: Die Literaturkritik habe, als sie sich vom Titel ansprechen hat lassen, nicht verstanden, dass Verstehen hier als ein grundsätzliches ästhetisches Problem verhandelt werde. Rabelhofer denkt die unverständliche Sprache in einer Kommunikationssituation zwischen dem Buch und dem Leser. Zwei im Sommer von 1986 erschienene Texte von Thomas Beckermann und Friedhelm Rathjen suchen die Bedeutung des Titels darüber hinaus in der werkinternen Konfiguration der Figuren. Beckermann spricht zuerst von den «Herrschenden» im Roman, welche die Sprache der «Bewohner des Landes» nicht verstünden; dann von der «Spra­che des Guten» und «des Bösen», unter der die Figuren Johannes Null und Pepi Fröschl besonders litten; schließlich geht Beckermann zu «Marianne Fritz’ Sprache» über, die mit den Wörtern umginge «wie das wortlose Tanztheater mit der Bewegung»[29]. Bevor Beckermann also wie Rabelhofer auf die Lektüresituation Bezug nimmt, reiht er verschiedene Kontexte aus dem Inneren des Romans aneinander. Ähnlich fächert Friedhelm Rathjen Kontexte unverstandener Sprache auf: Zunächst spricht Rathjen vom «Rät­sel des Titels»[30], welches der Roman am Ende auflöse: Es handle sich um die Sprache des Krieges, erklärt er, und belegt dies mit dem entsprechenden Zitat von den letzten Seiten des Romans: «Dessen Sprache du nicht ver­stehst, und das weder den Greis achtet noch der Kinder schont» (S. 3302). Fast wie in Schmidt-Denglers Vorgehen wird diese Schlussfolgerung so­gleich relativiert, wenn im darauf folgenden Absatz mindestens drei weitere Bedeutungen unverständlicher Sprache, die der Roman entwickelt, aufzählt: Der Roman erweise eigentlich schlechthin jede Sprache als unverständlich, insofern sein Sprachduktus vorführe, wie «Eindeutigkeit des Sprechens» stets nur auf Kosten einer Abstrahierung, d.h. einer Reduktion komplexer Phänoneme erreicht werden kann. Der Sprachduktus selbst sei in diesem Sinne nicht Abstrahierung, sondern «die Sprache des fleischgewordenen Wortkunstwerks». Neben der «Sprache des Krieges» (1.) sei in diesem Sinne auch die «Körpersprache» (2.) des Romans unverständlich, weil sie das Abs­trahieren dem Leser überantworte, der für sich Deutungen erarbeiten müsse. Im selben Satz zieht Rathjen eine Verbindung dieser Körpersprache zu «jene[r] zutiefst beunruhigende[n] «Sprache des eigenen Fleisches», mit der Pepi Fröschl ringe (3.). Damit wird behauptet, dass eine Figur des Ro­mans sich in ihrer eigenen Sprache unverständlich ist, wobei die Frage offen bleibt, ob und wie sich die «Sprache des eigenen Fleisches» Pepi Fröschls mit der «Körpersprache» des Romans überschneidet. Rathjens Aufzählung ist damit noch nicht beendet. Er erwähnt die «Verständigungsprobleme im “Vielvölker-Gemisch” Kakaniens» (4.) und die «Unfaßbarkeit des Ichs wie des Gegenübers» (5. und 6.). Von diesen grenzt er eine weitere Bedeutung ab, denn «zu allererst» sei unverstandene Sprache «der immer illusorische Traum von Freiheit» (7.), was er mit einem zweiten Zitat, diesmal aus der Mitte des Werks, belegt[31]: «Und hinein in den Himmel weint, die Sehnsucht. Trotzdem! Es ist ein gutes Land» (S. 1431).

Nicht eine Lösung findet Rathjen für das «Rätsel des Titels», sondern mindestens vier[32]. Aus dem Vergleich mit der Sprache, mit der die Figur Pepi Fröschl kämpft, lässt sich folgern, dass der Roman mit seinem Sprach­duktus seinen Leser in eine ähnlichen Kampf drängt wie den, den eine sei­ner Figuren ausfechtet – trifft Rathjens Beobachtung zu, vollzieht der Ro­man das, wovon er erzählt. Das «Rätsel des Titels» kann nur gelöst werden, wenn die Aufzählungen von Beckermann und Rathjen in einem narratolo­gischen und sprachpragmatischen Sinne[33] differenziert werden: Wo spricht die Wendung konkret zum Leser, wo spricht sie intradiegetisch zu einer der Figuren? Wann kann sie den werkeigenen Sprachduktus meinen, wann be­zieht sie sich auf das erzählte Geschehen?

Gegenübergestellt finden sich die beiden Aspekte des Titels – als an den Leser gerichteten Sprechakt, welcher sich auf den unter ihm subsumierten Sprachduktus bezieht sowie als Synopsis verschiedener Situationen in ihm – auch bei Konrad Paul Liessmann. Einerseits verweist dieser darauf, dass der Titel selbst im Roman zitiert wird und dort stets auf konkrete Situatio­nen Bezug nimmt:

Der Titel des Romans, Dessen Sprache du nicht verstehst, meint dann auch in letzter Instanz die durch den Gang der Ereignisse provozierte Be­ziehungslosigkeit der Figuren zu einander. Mehrmals taucht diese For-mel auf, immer markiert sie eine soziale Distanz bei gleichzeitiger höchster Anspannung der Situation[.][34]

Andererseits wird im Titel ein poetisches Prinzip vorgefunden, wenn Liessmann schreibt, der Roman sei «geschrieben gegen die Eindeutigkeiten einer Welt, der alles kommunizierbar sein muß»[35]. Liessmann zitiert dafür eine Stelle, an der der Roman selbst darüber nachdenkt, wie «Nichtverste­hen» in ihm «zum Konstituens des Verstehens»[36] werde: «Es gibt da nix zum Verstehen, weil. Das ist nicht zum Verstehen. Verstehst!» (S. 2158). Hierin spiegelt sich der Titel des Romans und damit die ästhetischen Probleme, die Liessmann, Rabelhofer, Rathjen und Beckermann in ihm gefunden haben.

Was Liessmann nicht weiter ausführt, ist, dass natürlich auch dieses Zitat viel konkreter einem Dialog entnommen ist, in dem eine Art von Bezie­hungslosigkeit verhandelt wird. Der Arbeiter Albrecht weist in ihm ein auf­dringliches junges Mädchen, das Mäuschen, zurecht: Er und die anderen Arbeiter hätten «einen anstrengenden Tag» (S. 2157). Der Tag ist anstren­gend, weil in der Arbeiterschaft schon länger schlummernde Konflikte es­kaliert sind, nachdem August Null, Sohn des Arbeiterhelden Josef Null se­nior, die Familie seiner ehemaligen Geliebten ermordet und sich auf den Kirchturm Nirgendwos zurückgezogen hat, wo er nun um sich schießt (nachzulesen ab Ende des 5. Kapitels des 4. Teils, Romeo). Bei dem Kapitel, welches auf ungefähr 300 Seiten von den Konflikten zwischen den Arbei­tern erzählt (das 11. Kapitel von Romeo), hat es sich in meiner eigenen Lek­türeerfahrung um einen der unübersichtlichsten Teile des gesamten Werks gehandelt – insofern fühlte ich mich durch die Äußerung Albrechts auch selbst als Leser angesprochen. Der Roman drängt den Leser in die Position des Mäuschens, welches hier Zeugin der inneren Zerrissenheit des Proleta­riats wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird.

Der Konflikt führt zur Vergiftung von Josef Null junior, der schließlich vor seinen im Kirchturm lauernden Bruder Gusti torkelt: «Und doch: sprach Unverständliches, Josef ganz so sprach, daß Gusti sich rekapitulie­ren mußte: dessen Sprache du nicht verstehst, die hat Josef gesprochen» (S. 2675). Es ist dies eine von zwei Stellen, die Liessmann zuletzt anführt, um auf die «Beziehungslosigkeit der Figuren» zu verweisen. Mit der anderen Stelle nimmt Liessmann – wie schon Beckermann und Rathjen – Bezug auf die Liebesbeziehung zwischen Pepi Fröschl und Johannes Null, einem wei­teren der fünf Brüder der Familie Null.

Während der ungefähr 1500-seitige Mittelteil des Romans, Romeo, die Geschichte von August Null enthält, bildet die Desertion von Johannes Null den Anfang des Romans und dessen Exekution das Ende. Trotz zahl­reicher Warnungen versteckt sich der Fahnenflüchtige nach seiner Rück­kehr in seinen Heimatort Nirgendwo bei seinem Liebhaber Pepi Fröschl im Keller. Fröschl, an sich bereits ein Zerrissener zwischen seiner proletari­schen Herkunft, seinem adligen Gönner, seinem als unnatürlich empfunde­nen Begehren und der katholischen Ordnung, der er sich verschrieben hat, schwankt nun in schlaflosen Nächten zwischen Treue und Verrat. Einen möglichen Ausweg sieht er darin, dass sein Geliebter mit ihm eine Giftmi­schung trinke[37]:

Einschlafen mit ihm. Und in der Gewißheit. Er hatte einen Menschen, an seiner Seite, der weder marschieren wird, weder arbeiten wird für das große Werk noch auf die Kanzel steigen und lügen wie verordnet, auch nicht übergeben den Vogelfreien: der Sprache, die er in letzter Instanz nie verstehen wird. Dies auch nicht verleugnen wird, daß er die Sprache nicht sprechen konnte, sich hierfür nicht schämen, hiezu: sich bekennen wie zu seiner Unnatur, ihre Welt war nicht diese Welt, ihre Liebe fand in der Welt keinen Platz, ihre Buße war nicht echte Reue, eher das Wis­sen: sich verschaffen die mildeste Strafe Tod, schützen ihre Unnatur vor dem Zugriff dieser Natur und deren Verwalter. (S. 3231; Hervor­hebungen L.S.)

Die Sprache, von der hier die Rede ist, stelle, so Liessmann, den «Kom-munikationszusammenhang der zivilisierten Welt»[38] dar. Die verordnete Lüge bezieht sich hier zugleich auf den Krieg, für den Pepi Fröschl auf der Kanzel Partei ergreifen soll. Mit dem Bekenntnis zur eigenen Unnatur fin­den wir in diesem Zitat auch den von Rathjen angesprochenen Konflikt mit der «Sprache des eigenen Fleisches», den Fröschl nicht nur mit der äußeren Welt, sondern auch in sich selbst austrägt. Zuletzt wird er sich für den Ver­rat seines Geliebten entscheiden, worauf Johannes Null verhaftet, abgeführt und mit fünf Schüssen hingerichtet wird. Am Ende des Romans liegt Pepi Fröschl einmal mehr «auf der Suche nach adäquater Schlaflage» (S. 3301) in seinem Bett. Er denkt über den großen Krieg nach, der soeben ausgebro­chen ist, und kommt zu dem Schluss, dass die «Triumphzeit der Liebe» (S. 3301) begonnen habe: «Wann konnte die Tugend der christlichen Nächs­tenliebe vielgestaltiger, phantasievoller geübt und besungen werden, als wenn es galt, großmütig und bereitwillig, zum Opfer zu bringen: allessamt, allessamt!» (S. 3301). Diese Überlegungen haben hier einen Adressaten, er erklärt sie «seinem Affen», dem «Affen Gottes», den er als ein begriffstutzi­ges Wesen aburteilt (S. 3301). In dieser Szene fällt der Satz, der laut Rathjen das Rätsel des Titels auflöse:

Die eine Hand wider das rechte Ohr, die andere Hand wider das linke Ohr gepreßt; rollte er sich zusammen, als wäre er ein Rollmops, Pepi Fröschl knirschte mit den Zähnen.

«Dessen Sprache du nicht verstehst, und das weder den Greis achtet noch der Kinder schont.», murmelte er.

Trotzdem. So sekkieren den Affen, es war schon unmenschlich; grau­sam. (S. 3302)

Mit dem Affen Gottes hat Pepi Fröschl zu leben, seit sein erster Gelieb­ter, Johannes Todt, sich im Priesterseminar von Dreieichen erhängt hat. Der Affe ist das Symptom einer Psychose[39], welches im Verlauf mehrerer tausend Seiten, zuweilen in skurrilen Szenen, beobachtet werden kann.

Die «Sprache des Krieges» wiederum, mit der der Affe belehrt wird, ist die Sprache aus dem fünften Buch Mose, dem Deuteronomium. Bei diesem handelt es sich um eine Sammlung von Reden, in denen ein Gesetz entwor­fen wird, welches das Leben bis in Details des Alltags unter die Herrschaft Gottes stellt. Zunächst setzen die Reden bei der allgemeineren Rolle von Gottes Volk im nahen Osten und dessen Beziehung zu anderen Völkern an – «wenn der Herr, dein Gott, sie dir ausliefert und du sie schlägst, dann sollst du sie der Vernichtung weihen» (5 Mose 7,2) – und schreiten zu pat­riarchalen Regelungen des Zusammenlebens einzelner Menschen voran (vgl. 5 Mose 12,1-26,19). Schließlich wird ein Segen für Gehorsame ausge­sprochen (5 Mose 28,1-14) sowie ein mehr als dreimal so langer Fluch gegen Ungehorsame (5 Mose 28,15-68). Im Rahmen dieses Fluches wird ein Volk mit unverständlicher Sprache prognostiziert, das aus der Fremde kommt und den Ungehorsamen straft (5 Mose 28,49ff)[40].

Was macht das Werk von Marianne Fritz mit dem Diskurs von Mose, wenn sich Pepi Fröschl mit jenem Fluch an seinen Affen wendet? Im Schlafzimmer des Priesters wird der Erste Weltkrieg zum Spiegelbild der alttestamentarischen Konflikte des gottgewollten Volkes, an denen sich die christliche Nächstenliebe des Neuen Testaments zu bewähren habe. Um sich dieser Aufgabe verschreiben zu können, hat Pepi Fröschl den nächsten Johannes in der Geschichte seines Wiederholungszwanges geopfert, wäh­rend er das, was er seine «Unnatur» nennt, einmal mehr von sich weist. Der haarige Affe, Exteriorisierung der «Unnatur» des glatzköpfigen Priesters, wird mit dessen privater Mythologie belehrt, weil diese Mythologie als Rechtfertigung seines Handelns fungiert.

In Pepi Fröschl macht der Roman eine seiner Figuren zu einem Schlachtfeld von Worten. Daraus darf nicht geschlossen werden, wie bei­spielsweise in der Lesart des Titels, die Barbara Priesching in ihrer Disser­tation vorschlägt, dass die Sprecher selbst im Diskurs aufgelöst würden: «“Dessen Sprache du nicht verstehst” – das (konkrete) Subjekt der Ge­schichte ist verschwunden, eine (noch) unverstandene Sprache meldet sich dennoch zu Wort»[41]. Vielmehr lässt uns der Sprachduktus spüren, dass «jede Individualität ein Ort ist, an dem eine inkohärente (und oft widersprüchli­che) Vielzahl von Größen aufeinandertrifft»[42].

3. Der Weg ins Land des Chen und Lein

Der Titel des großen Romans führt an viele Orte, die von einem Aufsatz aus nicht überblickt werden können. Die Rezension Rathjens hat uns mit den beiden Zitaten vom Ende und aus der Mitte des Romans einen Weg gewiesen: Von der Sprache des Krieges am Ende zurück zur unverstande­nen Sehnsucht. Dies ist der Weg von Pepi Fröschls Schlafzimmer in das «Land des Chen und Lein» (S. 1547). Dieses Land betreten wir als Leser am Anfang des Romans (im ersten Kapitel des ersten Teils) und noch einmal ungefähr in der Mitte (im vierten Kapitel von Romeo). Die beiden Brüder Johannes und August Null durchqueren es jeweils; der eine als Deserteur auf der Flucht, der andere am Rückweg von der Hauptstadt Donaublau in seinen Heimatort Nirgendwo.

Danach, als wir das Land zum zweiten Mal wieder verlassen haben, bli­cken wir in August Nulls Kindheit zurück und erfahren von seiner Freund­schaft zu seinem Mitschüler Fredie Donnerer[43]. Dies ist der Sohn des so genannten Hohlmachers, dessen Beruf es ist, Felswände zwecks Rohstoff-gewinnung zu unterhöhlen und umzustürzen: «Arbeiten mußten Hohlma­cher: meist liegend, in beständiger Gefahr eines vorzeitigen Niedergehens der Wand» (S. 1550). Es handelt sich um eine Außenseiterfigur, die vielleicht gerade aufgrund dieser Rolle ihre Identität im «Lied vom Hohlmacher» (S. 1553) sucht, das August Null in einer eigenartigen Szene als Gast im Haus seines Freundes kennenlernt. Da wird zuerst Zweifel an der Identität des Hohlmachers inszeniert: «Warum sagt er immer, er ist der Hohlmacher Donnerer! Wenn er’s doch nicht ist!» (S. 1553). Darauf knieen sich Fredie und dessen Mutter gemeinsam mit August vor dem angesprochenen Fami­lienvater nieder und singen das fremdsprachige Lied: «Die Sprache Gusti nicht verstanden, aber Gusti einfach ja auch zu- und aufmachen konnte den Mund und es nachgemacht dem Fredie» (S. 1554). August lernt das Lied, dessen Sprache er nicht versteht, «auswendig» – «aber inwendig er es mög­licherweise verstanden» (S. 1554).

Die Spur der unverstandenen Sprache führt uns also durch die Konflikt­felder dieser Szene, in der sich zwei fremde Sprachen begegnen: Auf der einen Seite lesen wir von der offiziellen Sprache, die oft die «neutsche Spra­che» (S. 1558) genannt wird. Es ist die «Sprache der Schule» (S. 1550), aus der Fredie die Worte seines Schulfreundes für den eigenen Vater übersetzt. Auf der anderen Seite ist von einer «anderen Sprache» (S. 1437) die Rede, die mehrmals im Roman angesprochen wird[44]. Hier ist es «die Sprache des alten Donnerer» (S. 1559), die Sprache des Liedes, die auch Augusts Vater Josef Null senior ein wenig spricht und die später zur Grundlage für die Sympathie der beiden Männer zueinander werden wird. Später wird beiläu­fig erwähnt, dass auch Augusts Mutter Barbara diese Sprache spricht (vgl. S. 1587), was der Leser auf den ersten Romanseiten schon erfahren hat. Während Johannes Null durch jenes Land flieht, wird festgestellt, dass der vogelfreie Deserteur holprig «die Sprache des Landes» spricht, weil seine Mutter Barbara «eine Tochter des Landes» (S. 48) sei. Damit ist bereits an-gedeutet: Die fremde, andere Sprache wird im Land des Chen und Lein gesprochen.

Der Rückblick zur Kindheitsszene Augusts findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem wir als Leser bereits mit August in diesem Land der Figur des Bänkelsängers begegnet sind. Dieser wurde als Autor des Liedes vom Hohl­macher und vieler weiterer Lieder ausgewiesen. In Liedern wie dem «Lied von der Steinbeißerin» (S. 1441) verleiht der Bänkelsänger den Bewohnern des Landstriches eine Identität. Durch sie finden sie einen Selbstbezug. Die unverstandene Sehnsucht, auf die uns Rathjen verweist, äußert sich in die­sen Liedern: «Und hinein in den Himmel weint, die Sehnsucht. Trotzdem! Es ist ein gutes Land» (S. 1431).

Heinz F. Schafroth hat bereits in seiner dem Roman vorausgeschickten Einführung angedeutet, dass sich um solche Sehnsucht das tragische Schicksal vieler Figuren konfiguriert: «Wer für sie einsteht, kommt in die “Festung” oder bezahlt es mit dem Tod»[45]. Er spielt hierbei auf die beiden Figuren Johannes und August Null an, deren Schicksale Rahmen und Kern des Romans bilden. Flucht und Exekution von Johannes klammern die vie­len anderen Geschichten ein, während der Weg Augusts von einer Beleidi­gung seiner Mutter bis zur Einlieferung in die psychiatrische Anstalt den rund 1500-seitigen Mittelteil des Romans ausmacht. Beide Brüder begegnen auf ihren Wanderungen dem Satz «Trotzdem! Es ist ein gutes Land» aus den Liedern des Bänkelsängers, auf den Rathjen wie Schafroth[46] im Kontext der angesprochenen Sehnsucht verweisen.

4. Mythos, Fiktion und ästhetische Negativität

Barbara Priesching hat in ihrer Dissertation das «Es ist ein gutes Land» als ein Zitat aus Franz Grillparzers König Ottokars Glück und Ende ausgewie­sen. Wo man sich bei Grillparzer – «Er ist ein guter Herr, es ist ein gutes Land»[47] – auf einen Herrscher und dessen Ländereien beziehe, weise in Des-sen Sprache du nicht verstehst der so genannte Bänkelsänger mit ihm auf «den “sprachlosen” Teil der Donaumonarchie» und «damit auf die Notwendig­keit bewußter Erinnerung» hin[48]. «Die politische Affirmation des Zitats» verlagere sich «auf die Beherrschten»[49], während Herrscher nur indirekt an­wesend[50] seien. Deshalb, so Priesching, sei der Roman als «negativer Habs­burger Mythos»[51] zu verstehen: «Die konstitutive Stellung des Abwesenden – der «großen» Geschichte (des Kriegs) – setzt denn auch jenes Verdikt von Claudio Magris’ kritischer Prüfung der österreichischen Literatur nach 1918 außer Kraft»[52]. Priesching bezieht sich hier wohl auf das Verdikt, dass der Habsburgische Mythos mit dem Zerfall des Reiches «in seine eindrucks­vollste und interessanteste Phase getreten»[53] sei, weil die zerbrochene Mo­narchie in der österreichischen Literatur fortan – bzw. weiterhin – als eine «malerische, sichere und geordnete Märchenwelt»[54] idealisiert worden sei.

In der Einleitung wurden zwei Relativierungen von Schmidt-Dengler zi­tiert: Ob es den Mythos je gegeben habe und ob sich Mythen liquidieren lassen. Meint die von Priesching konstatierte Außerkraftsetzung konkret die Liquidation, von der Schmidt-Dengler spricht, dergestalt, dass der Roman mit dem radikal bricht, was die restliche Literatur konstruiert hat? Oder operiert sie vielmehr in ersterem Feld, dergestalt, dass uns Dessen Sprache du nicht verstehst vorführen würde, dass Magris’ These als solche eigentlich un­plausibel ist? Wehrt sich der Roman gegen die These vom habsburgischen Mythos stellvertretend für die österreichische Literatur – oder in Abgren­zung zu ihr, dergestalt dass er die Ausnahme darstellt?

Schmidt-Dengler gesteht der vereinheitlichenden Perspektive, die der habsburgische Mythos eröffnet, Vorteile für eine synthetische Betrachtung der Literaturgeschichte zu, kritisiert aber, dass dies nur unter Beschränkung auf kanonische Texte und unter Vernachlässigung der «wirtschafts- und so­zialgeschichtlichen Rahmenbedingungen»[55] funktioniere. Bezieht man diese ein, seien die von Magris in den Blick genommenen Werke nicht nur als «Weigerung, sich ihrer Gegenwart zu stellen» lesbar, sondern auch «als eine sehr komplexe Antwort auf diese». Priesching zeigt, dass dies ähnlich be­reits auf Grillparzer zutrifft: «Das historische Drama fungiert dabei auch als Antwort auf die Konflikte der Gegenwart»[56]. Diese Konflikte aber konnte Grillparzer, so Priesching, wie den «Nationalitätenkonflikt», nur im «mythi­schen Sinne»[57] in seine Dichtung aufnehmen.

In diesem Rahmen zeigt sich das zentrale Problem, wie es sich für Prie­schings Auseinandersetzung mit Dessen Sprache du nicht verstehst stellt: Nicht eine Kommunikationsverweigerung, die viele Literaturkritiker dem Epos zum Vorwurf gemacht haben, steht – wie bei Bettina Rabelhofers Studie – im Mittelpunkt, sondern eine andere Weigerung, die ihm aus der Perspek­tive des habsburgischen Mythos unterstellt werden könnte: Dass er sich vor der Realität in Mythen flüchte. Priesching verteidigt den Roman folglich gegen Lesarten, die eine Perspektive auf denselben als Realitätsverweige­rung eröffnen könnten. So polemisiert sie gegen Rabelhofer, wo diese das «Land der Chen und der Lein» aufgrund «der poetischen Unbestimmtheit des Ortes»[58] als einen «Mythen-Wald»[59] ausweist – obwohl Priesching zu-gleich erklärt, dass die «mythische Struktur» als «Conditio sine qua non po­etischer Konzeption»[60] erscheine. Sie sucht die Lösung in einem dialekti­schen Verhältnis von Mythos und Geschichte: Auf die reale Gewalt in der Geschichte folge eine Flucht in den Mythos, durch den «die Artikulation der “anderen” Geschichte möglich wird»[61] und wodurch «die historischen Konstellationen der hier herrschenden Geschichte des Schweigens auf die konkrete geschichtliche und realpolitische Situation der Donaumonar­chie»[62] hinweisen: «Das Oszillieren zwischen geschichtlicher Bezugnahme und fiktiver Eigengesetzlichkeit zeigt sich als Teil des literarischen Kon­zepts einer Geschichte der Namenlosen»[63].

Allerdings ist das Verhältnis von Geschichte, Mythos und Fiktion diffus gedacht. In der Gegenüberstellung von Geschichte und Geschichtsverges­senheit drängen wir Fiktion und Wirklichkeit in ein «Oppositionsverhält­nis», wo deren Beziehung vielleicht adäquater und offener als eine Triade beschrieben werden kann, die entsteht, sobald wir neben dem historischen Diskurs die mit Worten erschaffene «Faktizität» der Fiktion von unseren von diesen ausgelösten Imaginationen unterscheiden[64]. In einem Vorwort zur 2. Auflage von Der Habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur schreibt Magris, dass er mit seiner These prinzipiell versucht habe, zu erfas­sen, wie eine Kultur «das Chaos der Welt» und ihre «historisch-politischen Widersprüche» für sich auf «eine Ordnung» und eine «Harmonie» zu redu­zieren imstande war[65]. Wenn Dessen Sprache du nicht verstehst so etwas wie eine Liquidation des habsburgischen Mythos vornimmt, so allein deshalb, weil dieses Werk Ordnung und Harmonie allenfalls in ironisch gebrochenen Re­ferenzen interessieren, während das Werk in sich, in seiner Faktizität, das Chaos der Welt als Miniatur neu konstruiert. Damit wird es von der These des habsburgischen Mythos bloß tangiert und zwar im wörtlichen Sinne: Punktuell wird es von ihr berührt, wie etwa im Wort «Donaublau», das an das walzertanzende Wien anspielt.

5. Der Raum und seine Texte[66]

Was bedeutet dies für das Grillparzer-Zitat, von dem wir ausgegangen sind? Zunächst muss festgestellt werden, dass Magris selbst das Lob des Landes in der Wendung «Es ist ein gutes Land» vom habsburgischen My­thos unterschieden hat: Zwar sei Grillparzers Dichtung «der erste, vollen­dete Ausdruck des habsburgischen Mythos» und das Lob im König Ottokar stelle den «Höhepunkt» einer «patriotischen Richtung» in Grillparzers Werk dar – doch handle es sich beim Lob nicht eigentlich um einen Ausdruck des Mythos, welcher sich vielmehr «unter der Schicht patriotischer Verherrli­chung»[67] befinde und eine zuweilen subtile Haltung österreichischer Auto­ren meine, die aufgrund ihrer «Liebe zur universalen Ordnung»[68] das politi­sche Subjekt ohnmächtig schlage.

Im König Ottokar findet sich dieses Lob abseits des eigentlichen Konflikts zwischen dem titelgebenden böhmischen König, der sich in seinen Macht­bestrebungen keiner Ordnung beugen will, und Rudolf von Habsburg, der genau diese höhere Ordnung vertritt. Das Lob wird kurz vor dem berühm­ten Moment am Ende des dritten Aktes geäußert, in dem Ottokar vor Ru­dolf widerwillig auf die Kniee sinkt, um die Lehen zu empfangen. Es äußert ein anderer Ottokar, Ottokar von Hornek, der Verfasser der Steirischen Reimchronik, der als letzter einer Reihe von Bürgern vor Rudolf von Habs­burg tritt, die ihre Anliegen kundtun und die sich Rudolf, dessen Volksver­bundenheit damit inszeniert wird, bereitwillig anhört. Grillparzer lässt Ot­tokar von Hornek um Hilfe für seinen von jenem anderen böhmischen Ot­tokar bedrängten Herren, den Ritter Ott von Lichtenstein, mit folgenden Worten bitten:

O nehmt Euch sein, nehmt Euch des Landes an!
Es ist ein guter Herr, es ist ein gutes Land,
Wohl wert, daß sich ein Fürst sein unterwinde!
Wo habt Ihr dessen Gleichen schon gesehn?
Schaut rings umher, wohin der Blick sich wendet,
Lachts wie dem Bräutigam die Braut entgegen!
Mit hellem Wiesengrün und Saatengold,
Von Lein und Safran gelb und blau gestickt,
Von Blumen süß durchwürzt und edlem Kraut,
Schweift es in breitgestreckten Tälern hin –
Ein voller Blumenstrauß, so weit es reicht,
Vom Silberband der Donau rings umwunden!
[69]

Von dem österreichischen Wiesengrün und dem Silberband der Donau trägt Marianne Fritz dieses Lob an einen anderen Ort, wo es eine andere Funktion einnimmt. Derridas Insistieren, dass die Kraft der Worte in ihrer Iterabilität[70] zu suchen sei, erfährt hierin eine gewisse Bestätigung – diese Kraft zehrt aber von dem Verhältnis zu einem Kontext, der hier durch das Werk gebaut wird. Die Worte richten sich in Dessen Sprache du nicht verstehst nicht an einen Herrscher, sondern der Bänkelsänger richtet sie, wie Prie­sching erklärt, an die Bevölkerung des Landes. Schafroth erklärt, die «Na­tion» sei «mit «Land» gerade nicht gemeint», sondern «immer der Lebens­raum»[71]: «Das ganze Land ist voll, von diesen Liedern, Sehnsucht nach Ge-rechtigkeit und nach dem Guten» (S. 1432). Die Liedtexte des Bänkelsän­gers werden zu sprachlichen Figuren, die mit der Landschaft verwoben sind und in verschiedenen Situationen von verschiedenen Personen geäußert werden. Der so genannte «denkende Bienenvater» zitiert diese offenbar, als er auf August Null trifft und diesem von einem Fluss ohne Silberband er­zählt, zu dem die Bevölkerung ambivalente Gefühle unterhält:

Kennst du dieses Brausen, dieses Getöse, Nirgendwoer August, es knirscht und das sind, nicht die Zähne! Die knirschen, so knirscht die Wachablöse der Natur. Im Jahr dreimal! Überschwemmt der Fluß die Niederungen, die Ebenen erzählen von den Tücken des Flusses und beklagen ihre Toten und vernichtet ihre Arbeit und die Mühen endlo­ser Tage! Das erste Mal peitscht er das Land im Frühjahr, bei der Eis-und Schneeschmelze; zu Johanni da tut er es wieder, wenn der Regen einsetzt: der lange Regen und schmilzt auf den Bergen der Schnee, dann zittern wieder, die Menschen unten, die zuhause sind, in den Niederungen, die regiert noch der Fluß und im September wieder, zu Jakobi das dritte Mal. Drei Mal im Jahr! So zittert Jahr für Jahr das Land, Gott, Kaiser und Vatterland fehlen die Kronen und bändigen nicht den Strom, wir sind nur dazugut zu säen und zu verlieren: alless­amt, im Frieden so auch im Krieg. Trotzdem! Es ist ein gutes Land. (S. 1429)

Kurz darauf fasst der denkende Bienenvater zusammen: «sie ihn so lie­ben wie sie ihn aufrichtig hassen, wenn er drei Mal im Jahr vergißt die Be­wohner der Ebene. Glaubst du mir, Nirgendwoer Gusti, es ist ein gutes Land» (S. 1430). Der Fluss überflutet das Land und macht die Arbeit der Bauern zunichte. Hunger ist die Folge, während die Herrschenden – «Gott, Kaiser und Vatterland» – den Fluss aus Geldmangel nicht regulieren. Die Bewohner fühlen sich von der Obrigkeit im Stich gelassen. Dieses Verhält­nis kehrt wieder in der Rede von einer Kultur, die in einer Doppeldeutigkeit oszilliert:

Denn tief ihr ins Herz eingedrungen die Kultur und hat ihr verwandelt den schweren, schwarzen Boden in AckerLand. Die Kultur! Was ist das, für eine Kultur, die nicht sättigt die Bewohner der Niederungen? Nirgendwoer August, was ist das für eine: Kultur? Trotzdem! Es ist ein gutes Land. Kennst du den Teppich, auf dem du gehst? Riechst du ihn. Schau hinein in die Nacht, mit den Augen, meinen Augen. So weit ich sehe, nur Disteln, so auch dein Fuß berührt Heidekraut wie mit Thymian durchwirkt der Teppich und Lychnis, Kampanulen einge­webt in dem Teppich: Erde, gute Erde, Heu und das ist das Meer, blüht Jahr für Jahr und läßt sich streicheln, so auch peitschen vom Wind, gutes Land, es ist ein gutes Land! Freiheit träumt es und es ist ein Land der Träume. In den Augen seiner Bewohner, die geworden in diesem Land, Fremde! Eingeschrieben ihre Träume. (S. 1431)

Auf der einen Seite steht Kultur für das Ackerland, das nicht sättigen kann und über dessen Teppich im Sprechen vorangeschritten wird. Auf der anderen Seite finden wir das Wort auch im Namen der «Kulturträger» (S. 12), die dem Leser bei seinem ersten Streifzug durch das Land der Chen und der Lein begegnet sind und die für eine Herrschaft stehen, welche die eigenen Gesetze und die eigene Sprache einem «Volk» aufoktroyiert, das – aus der Perspektive eines jener Kulturträger formuliert – «so sehr Sünde war, so sehr deswegen, weil es sehr nahe dem Tiere» (S. 15). Imperalismus und Patriarchat reichen sich hierbei die Hand:

Denn einem Tier entlocken Verständnis für die Sprache der Kultur, des Mannes, des Gebieters und des Menschen, es war schwere Arbeit, unmöglich sie belehren anders als mit der Faust und der Muskelkraft, selbst der oft solide Hackstock eher geborsten, ehe artig und verstän­dig wie vernünftig geworden das Weib; ganz ein Vieh. (S. 16)

Eine solche imperialistische Bedeutung von Kultur wird aufgeblendet, wenn davon die Rede ist, dass die Bewohner Fremde im eigenen Land ge­worden sind. Uns werden darin Worte verfremdet, wie sie uns aus dem öf­fentlichen Diskurs der letzten Jahre besonders vertraut sind und in welchen Erklärungen für die Popularität nationalistischer Strömungen gesucht wird. Im Land des Chen und Lein fühlt man sich nicht fremd im eigenen Land, weil die politischen «Kommandobrücken kein Echo zurückwerfen»[72] wür­den, wie Hartmut Rosa über die Motivation, AfD zu wählen, schreibt, son­dern aus einem Herrschaftsverhältnis zur Obrigkeit, das nur nachvollzogen

werden kann, wenn wir dem literarischen Text als solchem folgen. Der Ver­weis auf unseren Gebrauch der Phrase soll also keine Analogie oder ver­kehrte Analogie zwischen zeitgenössischem Diskurs und literarischem Werk behaupten – im Gegenteil zeigt sich hierin die «ästhetische Negativi­tät»[73] des Werks, welches die Zeichen in sich neu konfiguriert.

Wie sich dieses «Trotzdem!» in die Sprache anderer Figuren schleicht, erfahren wir in einer durch August Null fokalisierten Stelle, denn im Sohn eines Arbeiterhelden schlägt es Wurzeln und wächst in neue Richtungen:

Wie ein Herr verstehen soll je: dieses Trotzdem, geschweige ein Kauf­mann, dem nur eine Sehnsucht diktiert die Leistungen seines Kopfs, verwandelen die Erde in einen einzigen großen Kaufladen und der nur gespürt in sich Feuer, so er bedacht, die Luft! Unglaublich, noch im­mer die Luft frei herum und er sie noch nicht verkaufen, wann er end­lich auch verkaufen durfte die Luft und die Flüsse, Bäche, verkaufen, allessamt, er mußte doch: verkaufen um jeden Preis, das doch seine kaufmännische Leistung, daß er verkaufen konnte, allessamt und selbst­verständlich auch die Luft! Unglaublich, noch immer das Feuer in der Erde, unter der Erdkruste doch Feuer und er es nicht verkaufen konnte. Wie so einer je fassen sollte dieses Trotzdem! (S. 1439)

Neben Augusts Empörung begegnen wir als Reaktion auf den Hunger einerseits und der nicht sattmachenden, aber brutalen Kultur andererseits auch die Hoffnung, in einem anderen Land bessere Verhältnisse vorzufin­den. Der Bänkelsänger hat einst den Hohlmacher beschwört, nicht nach Amerika auszuwandern und singt nunmehr davon:

Und ihm der vorgesungen die Lieder, die erzählt von den Urwäldern, dem Dschungel und wie der verschluckt die Träume, wie das macht Brasilien, dem Nirgendwoer Hohlmacher Donnerer erzählt der Bän­kelsänger, ganz bestimmt auch Brasilien verschluckt seine Träume, sage Trotzdem! Hohlmacher Donnerer, sage trotzdem! Zu deinem Land. Bleibe, bleibe Hohlmacher Donnerer in Nirgendwo. Fredie wird schon sterben auf der Überfahrt und nie wird er sehen Brasilien, sterben wird dein Sohn und ihn begraben die Sehnsucht nach dem Nirgendwoer August. (S. 1441)

In den Worten, mit denen August das Gehörte reflektiert, spiegelt sich sein Kindheitserlebnis im Hause des Hohlmachers: «Doch auch seine Ge­schichte in den Liedern, deren Sprache er nicht verstanden, ihre Melodie schon. Die Stimme des Bänkelsängers auch gesprochen ohne Worte» (S. 1445). Hier kann die Geschichte Augusts gemeint sein, aber auch bloß die Geschichte des Steinschlags, auf welchen direkt davor Bezug genommen wird, vollends wird dies nicht klar – ungeachtet dessen ist es aber die Kom­munikationssituation der Kindheitsszene, die sich in diesen Worten wieder­holt.

Schließlich erzählt der Bänkelsänger auch aus seiner Familiengeschichte, in der wir eine Genealogie des «Trotzdem! Es ist ein gutes Land» lesen kön­nen. Wie August Null hat auch der Bänkelsänger vier Brüder, die er nach­einander verloren hat. Der erste Bruder, der «der Daumen» (S. 1447) ge­nannt wird, ist in See gestochen: «Matrose sein Bruder, er versucht sein Glück und sein Trotzdem zu finden als Matrose» (S. 1446). Der zweite, «der Zeigefinger» (S. 1447), ist in das «Reich im Norden» (S. 1446) ausgewandert und der dritte, «der Finger der Mitte», nach «Brasilien» (S. 1447). Der Ring­finger wurde gerufen von «Gott, Kaiser und Vatterland» (S. 1446). Nur der Bänkelsänger als «der Jüngstgeborene» und «der kleine Finger» (S. 1446) ist im Land geblieben.

Der Zeigefinger, so erfahren wir mehr als hundert Seiten später, ist aus dem Reich des Nordens wieder heimgekehrt, «auf seinem Buckel» das Land tragend, «das er sich erworben im großen Reich im Norden» (S. 1564) – an der Stelle ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass es sich beim Zei­gefinger und dem Hohlmacher Donnerer um dieselbe Person handelt. Ein Blick auf den Eintrag für den Donnerer, den «Auswandererspezialist[en] (im großen Reich im Norden; in Nirgendwo; in Amerika)» (S. 3322) im Re­gister des Romans hätte das direkter erklärt.

An August Null richtet der Bänkelsänger, der auch der «Sohn des Steinenmeers» (S. 1446) genannt wird, die Frage: «Sohn der Ebene, fehlen vier Finger der Hand und bleibt nur mehr zurück der kleine Finger, wie soll das werden die Faust?» (S. 1447). Die Gegenüberstellung zwischen einem Bewohner des Gebirges und einem der Niederungen, die hier durch die An­rede erfolgt, führt auch eine weitere politische Differenzierung ein. Die merk­würdig pathetisch anmutende Genitivkonstruktion scheint ein Deutsch des frühen zwanzigsten Jahrhunderts nachzuahmen. So findet sie sich auch in einer Einführung in das Bergsteigen aus dem Jahr 1924:

Der Sohn der Ebene, insbesondere der Städter, ist gegenüber dem Gebirgler, den das rauhe Klima wetterhart gemacht hat, ein gar ver­zärteltes und unbeholfenes Geschöpf, das zu seiner Fortbewegung schön gebahnt Wege braucht, weil seine empfindlichen Sohlen und nicht minder sein elegantes Schuhwerk es nicht anders vertragen.[74]

Wir finden im Sprachvollzug eine politische Situation entwickelt, welche das «Trotzdem!» des Bänkelsängers als einer zweifachen Äußerung hervorge­bracht hat, mit welcher er jetzt durch die Lande streift. Zweifach, weil der Widerspruch, dem wir in ihm begegnen, eine Affirmation zur Voraussetzung hat: “Ja, ich sehe eure Probleme, ich stimme euch zu, ich kenne eure Ge­schichten und trotzdem müssen wir zusammenstehen”. Es sind die verschie­denen Einzelschicksale, die der Bänkelsänger in seine Lieder einfließen hat lassen, aus denen sein «Trotzdem!» als der für ihn einzig schlüssigen conclusio zu einer festen Form geronnen ist, die sich nun an die Schicksale jedes po­tentiellen weiteren Hörers richtet. Im Verhältnis zwischen Biographie und Performativ[75] sucht der Text die Möglichkeitsbedingungen politischer Akti­vität.

6. Der entwendete Text

Das dialektische Verhältnis, in dem Barbara Priesching Mythos und Ge­schichte gegeneinander setzt, sucht sie mit einer historischen und geogra­phischen Lokalisierung zu belegen. Die verschiedenen Sprachen, politi­schen Oppositionen, Grenzziehungen und topographischen Eigenschaften im Land des Chen und des Lein werden ihr darin zu Spuren in einem als Tatsachenbericht aufgefassten Text. Aus dieser Perspektive erzählt der Text, dass im Land des Chen und Lein ein «Ausnahmezustand schon vor 1914» vorgeherrscht hat, durch «Kolonisation», «Ausbeutung der Boden­ressourcen», «Auslöschung der kulturellen Identität» und «Vereinnahmung durch Sprache»[76]. Es ist die Bezeichnung der «Erdfarbenen» auf der anderen Seite der Grenze als «Flöhe und Mücken, Läuse und Ungeziefer» (S. 36) und darüber hinaus eine Überlegung des Offiziers Rome am Ende des ersten Romankapitels, von denen Priesching darauf schließt, dass «es sich bei der geknechteten Volksgruppe um die Serben handeln muß»[77]. Die Namensge­bung verweise auf ein Hetzgedicht von Anton Wildgans: «Der Sieger wird die Großmut unterdrücken,/Und über schmählich hingekrümmte Rü­cken/Hinstampfen wie auf häßliches Insekt»[78]. Die Überlegung Romes lau­tet, dass er als Offizier nicht in das Land des Chen und Lein zurückgekehrt wäre, «hätte sich der Adler nach Osten hin nicht, in einige Verlegenheit ge­bracht, indem er gegriffen nach Süden und gedacht, einstecken eine Laus» (S. 115). Priesching schließt aus diesem Gedanken, dass das in Frage ste­hende Land nicht im Osten, sondern im Süden liegen muss. Für den Fluss, der uns in der Rede des denkenden Bienenvaters begegnet ist, käme in dem «von den Serben besiedelten Gebiet»[79] nur die Theiß in Frage. Weitere Spu­ren findet Priesching in der Erwähnung von Weiden und Pappeln (vgl. S. 1433) sowie in Johannes Nulls Begegnung mit Torfstechern (vgl. S. 239)[80]. Sie schließt:

Studiert man die Landkarte, so weist lediglich die nördlich der Save gelegene Fruska Gora ausgedehnte Wälder auf, die etwas weiter süd­lich von der Karstlandschaft Kroatiens flankiert wird. Es liegt nahe, diese Karstlandschaft mit dem «Steinenmeer» in Zusammenhang zu bringen[.] […]

Das Land des Chen und Lein umfaßt also jene Regionen, die im heu­tigen Jugoslawien liegen und sich von Westen nach Osten, von Kroa­tien aus, durch das Gebiet zwischen Drau und Save bis an die Mün­dung von Donau und Theiß über Peterwardein, dem heutigen Novi Sad (deutsch Neusatz), nach Norden ziehen. In diesem Land werden vier verschiedene Sprachen gesprochen: neutsch – die Herrschafts­sprache, die Sprache der Söhne der Ebene, die Sprache der Söhne des Steinenmeers und schließlich die Sprache der Erdfarbenen. Oder um dies in das historische Umfeld von 1914 einzubetten: der Nationalitä­tenkonflikt in dieser Gegend manifestiert sich im Zusammentreffen von vier verschiedenen Nationalitäten: Deutsche, Ungarn, Kroaten und Serben.[81]

Prieschings Vorgehen erinnert ein wenig an einen Präfekten der Pariser Polizei in Edgar Allan Poes Der entwendete Brief[82], der in minutiöser Arbeit eine Wohnung nach dem titelgebenden Brief durchsucht, während das Schreiben auf eine Weise versteckt worden ist, die vielmehr erfordert, sich in die Perspektive des Bewohners der Wohnung zu versetzen. Dazu muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass die zitierten Passagen des Ro­mans aus anderen Räumen stammen, nämlich aus einem Buch von Alek­sandar von Guttry über Galizien, wo fast gleichlautend über einen reißen­den Fluss geschrieben wird:

Die Nordwestgrenze Galiziens bildet die Weichsel, in die die Biala, Sola, Skawa, Skawina, Raba, der mächtige Dunajec, die Wisloka, der San von den Karpathen und der Bug von dem Lemberger Plateau her münden.

Inmitten vieler alter Flussbetten rollt die tückische Weichsel, die im Winter für zwei bis zweienhalb Monate zufriert.

Tosend sprengt sie im Frühling die Eisdecke und gefährdet bedrohlich die Niederungen. Mit ungeheuerlichem Krachen wälzen sich die Eis­schollen und türmen sich zu Bergen, überfluten und zerfetzen die Dämme, und brausend stürzen sich die Wasser über Saaten und Flu­ren.

Dreimal im Jahr überschwemmt der Fluss die Niederungen. Das erste Mal im Frühjahr, bei der Eis- und Schneeschmelze, – Krakowek heisst die Ueberschwemmung; das zweite Mal zu Johanni, wenn der Regen einsetzt und auf den Bergen der Schnee schmilzt; das dritte Mal zu Jakobi, im September.

Die 1873 begonnen Regulierungsarbeiten haben wegen Mangel an grösseren Fonds den Strom noch nicht zu bändigen vermocht, und nur langsam schreiten die Arbeiten vorwärts.[83]

Hier finden wir ein Beispiel für die umfassenden Recherchen der Auto­rin, von denen Schmidt-Dengler gesprochen hat. Diese Quellen machen das Werk zu keinem historischen Roman, weil sie hier zu Bausteinen für einen anderen Raum geworden sind. Die Bausteine selbst werden auch po­etisch verformt. Durch die Anrede und die vielen Zwischenrufe im Text des Romans wird der Diskurs Guttrys in eine neue Sprechsituation verscho­ben: Die Berichtlegung wird zu einem Gespräch. Über die Steppe Galiziens schreibt Guttry:

Die Steppe!

Ein winziger Rest aus längst vergangenen Zeiten. Eigentlich nur eine Erinnerung an verklungene ukrainische Lieder und Dumen (ukraini­sche Volkslieder), an tollkühne Helden. Denn schon ist tief ins Herz der Steppe die Kultur eingedrungen und hat den schweren, schwarzen Boden in frucht­bare Aecker verwandelt.

Ein üppiger, mit Heu, Disteln, Heidekraut, Lychnis, Thymian, Kam­panulen durchwirkter Teppich –– so weit das Auge reicht.

Ein blühendes, wogendes Meer, ein Land der Freiheit und der Träume.
[…]

Mit Feuer und Schwert ist die Geschichte der Steppe geschrieben.

Durch diese blumigen, reichen Fluren zogen einst die blutrünstigen Horden des Ostens gegen Polen, und der schwarze, schwere Boden ist mit Blut getränkt.

Zahlreiche Grabhügel zeugen vom Heldenmut der Verteidiger des heimatlichen Bodens, der Verteidiger westlicher Kultur und Gesit­tung. [Hervorhebungen L.S.][84]

In den letzten, nationalistisch gefärbten Zeilen deutet sich an, was die Autorin gerade an diesen Bausteinen interessiert haben mag, die sie im Nachfolger zu Dessen Sprache du nicht verstehst, Naturgemäß[85], in weit größerem Ausmaß verarbeitet hat: «Mit Galizien und dem Raum rundherum hat sich Fritz eine jahrhundertelange Aufmarschzone europäischer und asiatischer Heere zur Darstellung erkoren»[86]. Der Nationalismus von Guttrys zuletzt zitierten Zeilen wird nicht in die Rede des denkenden Bienenvaters über­tragen, an dessen Stelle dort die Referenz auf die leidtragenden «Söhne und Töchter» tritt: «Und-Schuldiger Säufer, du getrunken, das Blut deiner Söhne und Töchter, schwarzer, schwerer Boden! Erde, gute Erde! Was du schon gesoffen. Trotzdem! Es ist ein gutes Land» (S. 1431).

Aus dieser Perspektive wären die vier Nationalitäten, die Priesching im Land des Chen und Lein findet, anders zu bezeichnen: Polen, Ruthenen, Juden und Deutsche[87]. Die Kritik, die ich hier vorbringe, bemängelt aber nicht eine falsche Identifizierung, sondern die in der Identifizierung bean­spruchte Ausschließlichkeit. Wir müssen es als ein Potential des Romans, als seine eigentliche Kraft begreifen, dass der Raum, den er konstruiert, mit Serbien verwechselt werden kann. Er zwingt uns, uns den sprachlichen Er­eignissen als solchen zuzuwenden. Natürlich bestehen aufgrund der Bau-steine die Referenzen auf das historische Galizien[88]. Die Funktion dieser Verweise und Zitate erschöpft sich aber nicht im Verhältnis zu ihrer Her­kunft. Was geschieht mit ihnen im Roman? Am knappesten lässt sich dies an einer Beleidigung aufzeigen, die der Hohlmacher Donnerer an seine Frau richtet: «Weib, du gleichst einem löchrigen Topf» (S. 1560). Diese Beleidi­gung hat ihre Quelle nicht in der Arbeit Aleksandar von Guttrys, sondern in einer ethnologischen Studie Raimund Friedrich Kaindls, wo von einem Sprichwort der Huzulen berichtet wird: «Ein nichtsnutziges Weib und ein löchriger Topf gleichen einander»[89]. Aus dem Sprichwort werden in Dessen Sprache du nicht verstehst Adressat und Adressant geboren, die benötigt wer­den, um die Feststellung wieder in eine konkrete Szene einzuschreiben – der Patriarch, der seine Frau beleidigt. Ähnlich, wie wir es an den Zitaten über Fluss und Ebene bemerkt haben, wird hier die zum Sprichwort geron­nene Form wieder zu einem Dialog.

7. Schlussbemerkung

Der Begriff des Mythos erweist sich als eine schlechte Hilfe, um auf das komplexe Werk zuzugehen – wenn er nicht gar für zusätzliche Verwirrung sorgt, weil er ein sehr heterogenes Feld umfasst. Wir haben auf den vergan­genen Seiten nicht nur vom habsburgischen Mythos gesprochen, sondern auch von einem Mythen-Wald sowie von der privaten Mythologie Pepi Frö­schls. Die Liste ließe sich fortsetzen: Was könnte es beispielsweise bedeu­ten, wenn ein Malermeister im Roman «Ikarus» (S. 2353) heißt? Hans Hai­der hat 1994 im Rahmen eines Symposiums[90] angesprochen, dass die Hin­richtung Johannes Nulls am Ende des Romans in ihrer Struktur die Kreu­zigung Christi wiederholt. Liessmann hat in demselben Gespräch angedeu­tet, dass die Verwandlungen vieler Figuren – wie jener von Barbara Null zum Erdäpfelchen[91] – vor dem Hintergrund von Ovids Metamorphosen gelesen werden könnten und zugleich mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass ein Text selbst zu noch keinem Mythos werde, sobald er die Verfah­rensweise eines Mythos sich in Teilen aneigne, denn ein literarischer Text könne zugleich noch viele andere Verfahrensweisen in sich aufgenommen haben.

So inkorporiert das Werk biblische Mythen, wenn es die Figur des Pepi Fröschl entwirft – die zugleich nicht ohne psychoanalytische Studien denk­bar wäre. Vom habsburgischen Mythos lässt sich das Werk oft dort berüh­ren, wo es ironisch auf die österreichische Geschichte Bezug nimmt. So lässt sich beispielsweise auch eine Figur mit dem Namen «Franz Josef» fin­den, vor der Barbara Null als einem «begnadeten kaiserlichen und königli­chen Irrenwärter» flieht (S. 2794). Der «Mythen-Wald» des Land des Chen und Lein kann auf den Aberglauben der Huzulen verwiesen werden, wie wir ihn beispielsweise bei Kozjubynsky[92] dargestellt vorfinden. Doch all diese Zusammenhänge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie im Werk ihre eigene Dynamik entfalten. Was tut der Roman, wenn er Worte in sich neu konfiguriert, während er seine Quellen verbirgt? Er wendet sich der Realität ab, um die Mythen wie die Berge, Niederungen, Flüsse und Ebenen in sich wieder einander zuzuwenden und zwingt uns als Leser da­mit, ihn wie einen eigenen Raum zu betreten.

Literaturverzeichnis

            a. Literatur von Marianne Fritz

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Dies.: Die Schwerkraft der Verhältnisse. Frankfurt/Main: Fischer 1978.

Dies.: Naturgemäß I. Entweder Angstschweiß; Ohnend; Oder Pluralhaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996.

Dies.: Naturgemäß II. Es ist ein Ros entsprungen; Wedernoch heißt sie;. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1998.

Dies.: Naturgemäß III. Oder doch Noli me tangere “Rührmichnichtan!”. Online: http:// www.mariannefritz.at/ (Zugriff: 29.3.2018).

            b. Sekundärliteratur zu Dessen Sprache du nicht verstehst

Beckermann, Thomas: Marianne Fritz, «Dessen Sprache du nicht verstehst». In: manuskripte. Zeitschrift für Literatur. 26. Jahrgang/92. Heft. Juni 1986, S. 83-85.

Cerny, Karin: Natürlich ungelesen. In: Falter, 36/2003, S. 52.

Fuld, Werner: Ein riesenhafter Flohzirkus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.1. 1986, S. 24.

Haider, Hans: Suhrkamps Bitte um Geduld. In: Die Presse, 22.6.1985, S. VI.

Irnbeger, Harald: Wer hat die Fritz zum Bahnhof gerollt? In: M. Das Magazin, 2/1986.

Kastberger, Klaus und Helmut Neundlinger (Hg): Marianne Fritz Archiv Wien. Eine Dokumentation. Online: https://www.academia.edu/4355277/Mari­anne_Fritz_Archiv_Wien._Eine_Dokumentation_2012_ (Zugriff: 29.3.2018).

Kraft, Martin: Annäherung an einen Monster-Roman. In: Der Landbote, 6.12.1986/ Nr. 283, S. 30f.

Liessmann, Konrad Paul: Ohne Mitleid. Zum Begriff der Distanz als ästhetische Kategorie mit ständiger Rücksicht auf Theodor W. Adorno. Wien: Passagen 1991.

Michaelis, Rolf: … und aber …. In: Die Zeit, 10.1.1986, S. 40f.

Praschl, Bernhard: Familie Null im Weltkrieg. In: Freizeit-Kurier, 18.1.1986, S. 24

Priesching, Barbara: … hinter und über die Mauern … Zur formalen Gestaltung einer Ge­schichte der Namenlosen in Marianne Fritz’ Roman «Dessen Sprache du nicht ver­stehst». Dissertation: Universität Wien 1990.

Rabelhofer, Bettina: So es geraunt rundumihn. Der ästhetische Code in Marianne Fritz’ Roman Dessen Sprache du nicht verstehst. Versuch einer semiotischen Poetik. Erlan­gen: Palm & Enke 1991 (Erlanger Studien Bd. 94).

Rathjen, Friedhelm: Prosa zum Aufschrei geballt. In: Frankfurter Rundschau, 16.8. 1986.

Schafroth, Heinz F.: Einführung. In: «Was soll man da machen». Frankfurt/Main: Suhrkamp 1985.

Schmidt-Dengler, Wendelin: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990. 3. Auflage. St. Pölten/Salzburg: Residenz 2010, S. 482.

Ders.: “Das Unsagbare bleibt auch ungesagt”. Über Ilse Aichinger, Umberto Eco, Herta Müller u. a. Preisreden und Würdigungen. Hg. v. Helmut Neundlinger. Wien: Klever 2014.

Ders.: Ex libris, 12. Jänner 1986, S. 1. Unveröffentl. Typoskript einer Ö1-Radio­sendung aus dem Archiv des Literaturhaus Wien.

Ders.: Vortrag vom 27.1.1986 in der Kulisse anlässlich der Buchpräsentation. Un­veröffentlichtes Typoskript aus dem Archiv des Literaturhaus Wien.

Schmutzer, Lukas: “Was; Johannes, bewegt dich nur”. Die Räume in Marianne Fritz’ Dessen Sprache du nicht verstehst. In: Andrea Kreuter (Hg.)/Julia Grill­mayr (Hg): Raumirrititationen. Wien: danzig & unfried 2018.

Ders.: Zwischen Wunderblock und Diskursmaschinengewehr. In: Dagmar von Hoff (Hg.)/ Brigitte E. Jirku (Hg.)/Lena Wetenkamp (Hg.): Visualisierungen von Ge­walt. Beiträge zu Film, Theater und Literatur. Berlin: Peter Lang 2018 [=Sig­naturen der Gewalt Bd. 4], S. 189-209.

            c. Weitere Literatur

Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. 19. Auflage. Erste Auflage 1973. Frank­furt/Main: Suhrkamp 2012.

Austin, John Langshaw: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words). Deut­sche Bearbeitung v. Eike von Savigny. Stuttgart: Reclam 2002 [=RUB 9396].

Barthes, Roland: Der Tod des Autors. Übers. v. Matias Martinez. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hg. v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart 2012, S. 185-193, hier S. 190.

Benesch, Fritz: Wie man Bergsteiger wird. Wien: Steyrermühl 1924.

De Certeau, Michel: Kunst des Handelns. Aus d. Franz. v. Ronald Voullié. Berlin: Merve 1988.

Derrida, Jacques: Signatur Ereignis Kontext. In: Ders.: Limited Inc. Hg. v. Peter Engelmann. Aus d. Franz. v. Werner Rappl / Dagmar Travner. Wien: Passagen 2001, S. 15-45.

Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1993.

Genette, Gérard: Einführung in den Architext. Aus d. Franz. v. J.-P. Dubost, G. Febel, H.-Ch. Hobohm, U. Pfau. Stuttgart: Legueil 1990.

Grillparzer, Franz: Ein Bruderzwist in Habsburg. In: Ders.: Sämtliche Werke. Histo­risch-kritische Gesamtausgabe. Erste Abteilung. Band 6. Hg. v. August Sauer. Wien: Anton Schroll 1927, S. 155-337.

Ders.: König Ottokars Glück und Ende. In: Ders.: Sämtliche Werke. Historisch-kriti­sche Gesamtausgabe. Erste Abteilung. Band 3. Hg. v. Reinhold Backmann. Wien: Anton Schroll 1931, S. 1-177.

Guttry, Aleksandar von: Galizien. Land und Leute. Mit 74 Bildbeigaben. Mün­chen/Leipzig: Georg Müller 1916.

Kaindl, Raimund Friedrich: Die Huzulen. Ihr Leben ihre Sitten und ihre Volksüberliefe­rung. Mit Unterstützung d. anthropolog. Gesell. i. Wien. Mit 30 Abb. im Text u. einer Farbendrucktafel. Wien: Alfred Hölder 1894.

Kozjubynsky, Mychailo: Schatten vergessener Ahnen. Aus dem Ukrainischen v. Sabine u. Alexander Kusmin. Mit Holzschnitten v. Georgi Jakutowytsch. Kiew: Dnipro 1984.

Magris, Claudio: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Zweite Auf­lage. Salzburg: Otto Müller 1988, S. 19.

Makarska, Renata: Der Raum und seine Texte. Frankfurt/Main: Peter Lang 2010.

Menke, Christoph: Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991 [=stw 958].

Poe, Edgar Allan: Der entwendete Brief. In: Ders.: Sämtliche Erzählungen in vier Bän­den. Bd. 3. Streitgespräch mit einer Mumie und andere Erzählungen. Hg. v. Günter Gentsch. Aus d. Amerik. v. Heide Steiner. Dritte Auflage (Erste Auflage 2008). Frankfurt/Main: Insel 2012, S. 27-50.

Rosa, Hartmut: Fremd im eigenen Land? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.4. 2015. Online: http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/jeder-5-deutsche-fuehlt-sich-fremd-im-eigenen-land-13546960.html (Zugriff: 27.3. 2018).

Schmidt-Dengler, Wendelin: Abschied von Habsburg. In: Literatur der Weimarer Re­publik. 1918-1933. Hg. v. Bernhard Weyergraf. München/Wien: Carl Han­ser 1995, S. 483-548.

Wildgans, Anton: Vae Victis! Ein Weihelied den verbündeten Heeren. Wien: Hugo Heller 1914.

            Audiovisuelles Material

Neues Wiener Symposium über Marianne Fritz 18.3.–20.3.1994. Symposiumskon­zept: Kurt Neumann. Leitung der Vorbereitung und Moderation: Klaus Kastberger. Veranstalter: Literaturhaus Wien. Videomitschnitt aus dem Ar­chiv der Alten Schmiede, Wien.



* Dieser Aufsatz versammelt zahlreiche Erkenntnisse, die ich von 2015 bis 2017 als Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erarbeitet habe.

[1] Marianne Fritz: Dessen Sprache du nicht verstehst. Frankfurt/Main 1985. Alle Seitenanga­ben im Fließtext beziehen sich auf diese Ausgabe.

[2] Rolf Michaelis: … und aber . In: Die Zeit, 10.1.1986, S. 40f.

[3] Werner Fuld: Ein riesenhafter Flohzirkus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.1.1986, S. 24.

[4] Bettina Rabelhofer: So es geraunt rundumihn. Der ästhetische Code in Marianne Fritz’ Roman Dessen Sprache du nicht verstehst. Versuch einer semiotischen Poetik. Erlangen 1991.

[5] Wendelin Schmidt-Dengler: Ex libris, 12.1.1986, S. 1. Unveröffentl. Typoskript einer Ö1-Radiosendung aus dem Archiv des Literaturhaus Wien.

[6] Karin Cerny: Natürlich ungelesen. In: Falter, 36/2003, S. 52.

[7] Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990. St. Pölten/Salzburg 2010, S. 482.

[8] Claudio Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Salzburg 1988, S. 19.

[9] Schmidt-Dengler: Bruchlinien, S. 482f.

[10] Wendelin Schmidt-Dengler: «Das Unsagbare bleibt auch ungesagt». Über Ilse Aichinger, Umberto Eco, Herta Müller u. a. Preisreden und Würdigungen. Hg. v. Helmut Neundlinger. Wien: Klever 2014, S. 52.

[11] Wendelin Schmidt-Dengler: Vortrag vom 27.1.1986 in der Kulisse anlässlich der Buchpräsentation. Unveröffentlichtes Typoskript aus dem Archiv des Literaturhaus Wien, S. 1.

[12] Wendelin Schmidt-Dengler: Im Sog der Texte. In: derstandard.at/353830/Im-Sog-der-Texte. Zugriff: 26.3.2018.

[13] Franz Grillparzer: König Ottokars Glück und Ende. In: Ders.: Sämtliche Werke. His­torisch-kritische Gesamtausgabe. Erste Abteilung. Band 3. Hg. v. Reinhold Backmann. Wien 1931, S. 1-177, hier S. 103.

[14] Roland Barthes: Der Tod des Autors. Übers. v. Matias Martinez. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hg. v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart 2012, S. 185-193, hier S. 190.

[15] Konrad Paul Liessmann: Ohne Mitleid. Zum Begriff der Distanz als ästhetische Kategorie mit ständiger Rücksicht auf Theodor W. Adorno. Wien 1991, S. 189.

[16] Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt/Main 2012, S. 31.

[17] Christoph Menke: Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Der­rida. Frankfurt/Main 1991, S. 52.

[18] Schmidt-Dengler: Bruchlinien, S. 483.

[19] Vgl. Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, S. 202.

[20] Vgl. Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, S. 201. Bereits im Erstlingswerk von Marianne Fritz finden wir das Motiv des Donauwalzers: Vgl. Marianne Fritz: Die Schwerkraft der Verhältnisse. Frankfurt/Main 1978, S. 44 und S. 92.

[21] Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt/Main 1993, S. 146.

[22] Harald Irnberger: Wer hat die Fritz zum Bahnhof gerollt? In: M. Das Magazin, 2/1986, S. 70.

[23] Fuld: Ein riesenhafter Flohzirkus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.1.1986.

[24] Bernhard Praschl: Familie Null im Weltkrieg. In: Freizeit-Kurier, 18.1.1986, S. 24. Ob der Titel aus diesem Grund ironisch oder nicht zu verstehen sei, müsste Rolf Michaelis von der Zeit mit Martin Kraft vom Landboten ausdiskutieren: Während der erstere meint, der Titel sei «nicht ironisch» zu verstehen, erklärt letzterer, er besitze «eine ziemlich ironi­sche Note». Vgl. Michaelis, … und aber . Martin Kraft: Annäherung an einen Monster-Roman. In: Der Landbote, 6.12.1986/Nr. 283, S. 30f.

[25] Hans Haider: Suhrkamps Bitte um Geduld. In: Die Presse, 22.6.1985, S. VI.

[26] Vgl. Rabelhofer, So es geraunt rundumihn, S. 56. Es wird dabei Austins Terminologie etwas durcheinander gebracht, was allerdings dem Argument nicht im Wege steht.

[27] Rabelhofer, So es geraunt rundumihn, S. 57.

[28] Rabelhofer, So es geraunt rundumihn, S. 57.

[29] Thomas Beckermann: Marianne Fritz, «Dessen Sprache du nicht verstehst«. In: ma­nuskripte. Zeitschrift für Literatur. 26. Jahrgang/92. Heft. Juni 1986, S. 85.

[30] Friedhelm Rathjen: Prosa zum Aufschrei geballt. In: Frankfurter Rundschau, 16.8.1986. Eine Bemerkung Adornos spiegelt sich übrigens in diesen Worten: «Die gescholtene Un­verständlichkeit der hermetischen Kunstwerke ist das Bekenntnis des Rätselcharakters aller Kunst». Adorno: Ästhetische Theorie, S. 186.

[31] Rathjen: Prosa zum Aufschrei geballt.

[32] Mir ist nicht ganz klar geworden, ob die Bedeutungen 4. bis 6. als Wiederholungen vorangegangener gemeint sind oder als eine weitere Auffächerung: Die Unfassbarkeit von Ich und Gegenüber kann sich auf Pepi Fröschls inneren Konflikt beziehen, der Traum von Freiheit auf die politischen Konflikte Kakaniens.

[33] Für diese Schaltstelle vgl. Gérard Genette: Einführung in den Architext. Stuttgart 1979, S. 78f. Ich beschäftige mich damit en détail in meiner Dissertation.

[34] Liessmann: Ohne Mitleid, S. 199.

[35] Liessmann: Ohne Mitleid, S. 230.

[36] Liessmann: Ohne Mitleid, S. 199.

[37] Ganz so, wie er es als Zögling des Priesterseminars auf einer Bühne für eine Insze­nierung von Romeo und Julia mit seinem ersten Geliebten schon einmal gemacht haben muss. Vgl. dazu Fritz, Dessen Sprache du nicht verstehst, S. 622.

[38] Liessmann, Ohne Mitleid, S. 200.

[39] In einem Aufsatz, der demnächst erscheinen sollte, habe ich gezeigt, wie dieser Fall von Freuds Studien zum Fall Schreber inspiriert worden ist. Lukas Schmutzer: «Was; Jo­hannes, bewegt dich nur». Die Räume in Marianne Fritz’ Dessen Sprache du nicht verstehst. In: Andrea Kreuter (Hg.)/Julia Grillmayr (Hg): Raumirrititationen. Wien: danzig & unfried 2018.

[40] Die Stelle wird innerhalb der Bibel mehrmals wieder aufgegriffen. Meine Schulaus­gabe verweist auf Jeremia 5,15 und 1 Korinther 14,21. Eine kurze Internetrecherche hat mich darüber hinaus zu Jesaja 28,11, Jesaja 33,19 und Ezechiel 3,5 geführt.

[41] Barbara Priesching: … hinter und über die Mauern … Zur formalen Gestaltung einer Ge­schichte der Namenlosen in Marianne Fritz’ Roman «Dessen Sprache du nicht verstehst«. Dissertation: Universität Wien 1990, S. 253. Priesching lässt sich von Foucault hier zu einer conclusio führen, die den vielen subjektbezogenen Perspektiven, die sie zunächst entwickelt hat, zu­widerläuft.

[42] Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Aus d. Franz. v. Ronald Voullié. Berlin 1988, S. 11.

[43] Bereits vor der Wanderung durch das Land des Chen und Lein sind wir diesem Fre­die Donnerer begegnet (vgl. Fritz, Dessen Sprache du nicht verstehst, S. 1370ff). Es stellt sich dabei die Frage, ob wir davon sprechen können, dass es nun erneut zu einer Analepse kommt oder doch davon, dass der Teil, der zwischen den Kindheitsszenen liegt, nicht vielmehr eine Prolepse darstellt. Es wird zum Problem, was von was eingerahmt wird.

[44] Vgl. beispielsweise diese Stelle aus dem zweiten Teil: «Und es war ein Kindchen, das etwas plapperte in einer anderen Sprache, es konnte nur die Sprache der Mutter sprechen und es war nicht die neutsche Sprache» (Fritz, Dessen Sprache du nicht verstehst, S. 599).

[45] Heinz F. Schafroth: Einführung. In: «Was soll man da machen.«. Frankfurt/Main 1985, S. XII.

[46] Schafroth: Einführung, S. XII.

[47] Grillparzer: König Ottokars Glück und Ende, S. 103.

[48] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 35. Priesching verweist auch auf eine andere Stelle bei Grillparzer: Wo im Bruderzwist in Habsburg vom Volk als den «vielen leeren Nullen» gesprochen wird, werden diese in Dessen Sprache du nicht verstehst als Familie Null in den Mittelpunkt gerückt. Vgl. Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 33f. Franz Grillparzer: Ein Bruderzwist in Habsburg. In: Ders.: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ge­samtausgabe. Erste Abteilung. Band 6. Hg. v. August Sauer. Wien: 1927, S. 155-337, hier S. 260.

[49] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 35.

[50] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 34.

[51] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 33.

[52] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 33.

[53] Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, S. 285.

[54] Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, S. 9.

[55] Wendelin Schmidt-Dengler: Abschied von Habsburg. In: Literatur der Weimarer Re­publik. 1918-1933. Hg. v. Bernhard Weyergraf. München/Wien 1995, S. 486.

[56] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 33.

[57] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 34. Hier verweist Priesching konkret auf Libussa: «Der Begriff der unterdrückten Nation ist bei Grillparzer entpolitisiert, das zeigt sich im Drama Libussa ganz deutlich, im Mythos kann die von Grillparzer sonst ab­gelehnte böhmische Nation Thema der Literatur werden».

[58] Rabelhofer, So es geraunt rundumihn, S. 133.

[59] Rabelhofer, So es geraunt rundumihn, S. 133. Es muss hinzugefügt werden, dass hier verschiedene Verständnisse eines Mythos durcheinander gebracht werden, denn Rabel­hofer bezieht sich darauf, dass im Land des Chen und Lein seltsame Figuren wie eine Steinbeißerin und eine vom Grund eines Teiches sprechende Frau zu Worten kommen.

[60] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 63.

[61] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 63. Mit den Begriffen von Geschichte und Mythos folgt Priesching Schafroth, der diese in die sekundäre Rede zu Dessen Sprache du nicht verstehst eingebracht hat. In Anlehnung an Karl Heinz Bohrer hat er von einer «Ar­beit am Mythos» gesprochen, analog zu einer «Arbeit an der Geschichte», insofern es sich bei dem Roman um eine «Gegen-Geschichtsschreibung» von unten handle, von den Be­herrschten anstatt von den Herrschern verfasst. Schafroth: Einführung, S. III und S. XII.

[62] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 56.

[63] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 55.

[64] Dieses Argument entnehme ich dem ersten Kapitel von: Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Die zitierten Begriffe – die «Faktizität» ist von Nelson Goodman geborgt – fin­den sich auf S. 19 und S. 29.

[65] Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, S. VIII.

[66] In Anspielung an eine Studie von Renata Makarska: Der Raum und seine Texte. Frank­furt/Main 2010.

[67] Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, S. 99.

[68] Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, S. VIII.

[69] Franz Grillparzer: König Ottokars Glück und Ende, S. 103.

[70] Vgl. Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext. In: Ders.: Limited Inc. Hg. v. Peter Engelmann. Aus d. Franz. v. Werner Rappl / Dagmar Travner. Wien: Passagen 2001, S. 15-45.

[71] Schafroth: Einführung. In: «Was soll man da machen». 1985, S. XII.

[72] Hartmut Rosa: Fremd im eigenen Land? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.4.2015: http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/jeder-5-deutsche-fuehlt-sich-fremd-im- eigenen-land-13546960.html (Zugriff: 27.3.2018). «Menschen fühlen sich fremd im eigenen Land, weil die Politik als Resonanzsphäre versagt, weil die Kommandobrücken kein Echo zurückwerfen».

[73] Menke: Die Souveränität der Kunst, S. 19. Vgl. dazu Adorno: «Was sie [Kunst, Anm. L.S.] zur Gesellschaft trägt, ist nicht Kommunikation mit jener sondern ein sehr Mittelba­res, Widerstand, in dem kraft der innerästhetischen Entwicklung die gesellschaftliche sich reproduziert, ohne daß sie nachgeahmt würde». Adorno: Ästhetische Theorie, S. 335f.

[74] Fritz Benesch: Wie man Bergsteiger wird. Wien 1924, S. 8. Auch das Wort «verzärtelt» (Fritz: Dessen Sprache du nicht verstehst, S. 571) nimmt im Übrigen eine zentrale Funktion im Seelenleben einer Figur des Romans ein. Gottlieb Kreuzfels junior kehrt dieses Wort aus dem Wortschatz seiner Stiefmutter gegen sich selbst. Vgl. dazu meine Darstellung in: Schmutzer: «Was; Johannes, bewegt dich nur».

[75] Vgl. John Langshaw Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words). Deutsch v. Eike von Savigny. Stuttgart 2002, S. 37: Bei einem Performativ handle es sich um ein «konventionales Verfahren», so Austin. Hier ist also der bereits zitierten Kritik Derridas zu widersprechen: Gerade in der Konvention liegt hier die Kraft, die allerdings stets auf ihre Entstehungsbedingungen verwiesen bleibt.

[76] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 55.

[77] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 56.

[78] Anton Wildgans: Vae Victis! Ein Weihelied den verbündeten Heeren. Wien 1914. Vgl. Prie­sching: … hinter und über die Mauern …, S. 57.

[79] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 58.

[80] Vgl. Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 58f.

[81] Priesching: … hinter und über die Mauern …, S. 59.

[82] Edgar Allan Poe: Der entwendete Brief. In: Ders.: Sämtliche Erzählungen in vier Bänden. Bd. 3. Streitgespräch mit einer Mumie und andere Erzählungen. Hg. v. Günter Gentsch. Aus d. Amerik. v. Heide Steiner. Frankfurt/Main 2012, S. 27-50.

[83] Aleksandar von Guttry: Galizien. Land und Leute. München/Leipzig 1916, S. 48f.

[84] Guttry: Galizien. Land und Leute, 1916, S. 51f.

[85] Marianne Fritz: Naturgemäß I. Entweder Angstschweiß; Ohnend; Oder Pluralhaft. Frank­furt/Main 1996. Dies.: Naturgemäß II. Es ist ein Ros entsprungen; Wedernoch heißt sie;. Frank­furt/Main 1998. Dies.: Naturgemäß III. Oder doch Noli me tangere «Rührmichnichtan!». Online: http://www.mariannefritz.at/ (Zugriff: 10.6.2016).

[86] Klaus Kastberger und Helmut Neundlinger (Hg): Marianne Fritz Archiv Wien. Eine Dokumentation. Online: https://www.academia.edu/4355277/Marianne_Fritz_Archiv_Wien. _Eine_Dokumentation_2012_, S. 9 (Zugriff: 29.3.2018).

[87] Vgl. Guttry: Galizien, S. 55.

[88] Unzählige weitere Elemente aus Guttrys Zeilen finden sich im Land des Chen und Lein. Um vier Beispiele anzuführen: 1. Ein Läuten der «Glocken der Dorfkirche in sanften Molltönen» (Guttry: Galizien, S. 61) begegnet August Null: «die Glocken des Dorfers her­übergelogen zu ihm das Ave in sanften Tönen: Moll gespielt[.]» (Fritz, Dessen Sprache du nicht verstehst, S. 1458). Vgl. dazu auch die «Aveglocken der Barbarakapelle» (Guttry: Gali­zien, S. 49) und die Rede von «schwermütigen Mollklängen der vielen Kirchenglocken» (Guttry: Galizien, S. 76). – 2. Der Landstrich Galiziens wird auch «Babia Gora» genannt, nach «Baba», Großmutter (Guttry: Galizien, S. 42) – so wird auch die Frau des Hohlmachers genannt (vgl. Fritz, Dessen Sprache du nicht verstehst, S. 1553). – 3. Guttry erzählt davon, dass «Bänkelsänger» von «Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt ziehen» und «mit wehmütiger Stimme alte Weisen, alte ukrainische Dumen und Kolomyjkas erschallen» lassen (Guttry: Galizien, S. 80). – 4. Auch die von verschiedener Seite betonte «Sehnsucht» findet sich bei Guttry (vgl. Guttry: Galizien, S. 61 und S. 74). Sogar von «grenzenloser Sehnsucht» (Guttry: Galizien, S. 71) ist die Rede. Das, was Rabelhofer den «“Schmerz-” und “Sehnsuchtsref­rain”» (Rabelhofer, So es geraunt rundumihn, S. 129) des Romans nennt, erweist sich als poe­tische Verformung einer Referenz auf Chopins Mazurken (vgl. Guttry: Galizien, S. 81 – genauer betrachte ich dies in meiner Dissertation).

[89] Raimund Friedrich Kaindl, Die Huzulen. Ihr Leben ihre Sitten und ihre Volksüberlieferung. Wien 1894, S. 124. Diese Studie ist vor allem in das erste Romankapitel verwirkt worden, das ich in meiner Dissertation auf vielen Wegen durchstreife. Übrigens wohnt die Familie Donnerer auch in einem «löchrigen Topf» (Fritz, Dessen Sprache du nicht verstehst, S. 1612) am Rande Nirgendwos.

[90] Neues Wiener Symposium über Marianne Fritz 18.3. – 20.3. 1994. Symposiumskon­zept: Kurt Neumann. Leitung der Vorbereitung und Moderation: Klaus Kastberger. Ver­anstalter: Literaturhaus Wien. Videomitschnitt aus dem Archiv der Alten Schmiede, Wien, hier: Dritte Sitzung, Sonntag, 20.3.1994, 15-18 Uhr [ab Minute 27:26]. Mein Dank gilt an dieser Stelle Daniel Terkl für die Einsicht in das Material.

[91] Eine andere Verwandlung, jener des Wiglwogl in Stein im Kopf, Stein in der Brust, habe ich in einem weiteren Aufsatz erkundet: Lukas Schmutzer: Zwischen Wunderblock und Diskursmaschinengewehr. In: Dagmar von Hoff (Hg.)/Brigitte E. Jirku (Hg.)/Lena Weten­kamp (Hg.): Visualisierungen von Gewalt. Beiträge zu Film, Theater und Literatur. Berlin: Peter Lang 2018 [=Signaturen der Gewalt Bd. 4], S. 189-209, hier S. 208f.

[92] Mychailo Kozjubynsky: Schatten vergessener Ahnen. Aus dem Ukrainischen v. Sabine u. Alexander Kusmin. Kiew 1984. In meiner Dissertation ziehe ich konkretere Linien.

 


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Maria Giovanna Campobasso

(Palermo)

«Pfleget den Fremdenverkehr!»
Karl Kraus e la propaganda d’incentivo al turismo
*

[«Foster Tourism!» Karl Kraus
and the Propaganda to Promote Tourism
]

abstract. This study explores Karl Kraus’ case against ministerial incentives to promote tourism. Kraus covers the overlap between tourism and war propaganda, treating an ap­parently insignificant cultural phenomenon as a symptom of collective spiritual decay. As Kraus sees it, the governmental push to cultivate tourism serves as a diversion for Austri­ans amid the economic uncertainty brought on by the Great War. This essay examines instances of the theme in the Buchausgabe (1926) of the drama Die Letzten Tage der Menschheit, together with a selection of articles and glosses from Die Fackel (1899-1936).

Nell’introdurre l’«apocalissi absburgica» in Die Letzten Tage der Menschheit (1926)[1], Claudio Magris condensa i principi ispiratori della scrittura krau­siana nel rifiuto delle premesse politico-sociali, delle strutture mentali e verbali di una civiltà in declino[2]. Die Fackel (1899-1936)[3], rivista che Kraus fonda e redige sostanzialmente da solo fino all’anno della sua morte, è l’espressione di una lotta solitaria contro il pervertimento morale, politico e linguistico della società austriaca[4]. Continuo è lo sforzo di denunciare sul proprio periodico l’accecamento delle folle perpetrato dalla stampa filoab­sburgica: sulla Fackel gli attacchi sistematici contro i giornalisti prezzolati, superficiali e pretenziosi offrono allo scrittore l’occasione di dar sfogo ad una riflessione sullo stato catatonico dei suoi connazionali. Agli occhi di Kraus i giornali si fanno carico di una funzione che esige mezzi intellettuali e qualità morali di cui i giornalisti sono assolutamente privi[5]. In Die Letzten Tage der Menschheit, dramma mastodontico sull’orrore umano della Prima guerra mondiale, i giornalisti dominano la scena, coi nomi di Reporter, Re­dattore, Corrispondente, o nella forma allegorica della Iena. La manipola­zione dell’opinione pubblica è per Kraus prima di tutto il risultato del lavoro di piccoli scribacchini senza nome, a volte ignari del proprio ascendente sul pubblico[6]. Kraus accorda ben poca autonomia di giudizio all’opinione pub­blica, convinto che l’esercizio dell’immaginazione e della fantasia sia stato sostituito dalla lettura dei bollettini e degli articoli di giornale[7]. I periodici, a dir suo, accecano i cittadini, che sono ben felici di lasciarsi accecare. Si in­fiamma il patriottismo della popolazione, si predica la finalità etica della guerra, si professa la necessità del sacrificio per il Vaterland, si promette la ricompensa dell’eterna fama dell’eroe. La parola stampata relativizza la ve­rità, vendendo la strage come se fosse una parata. I lettori assorbono bugie, versioni edulcorate dei fatti, propugnate dai quotidiani, facendosene a loro volta promotori: così nel primo atto dei Letzte Tage der Menschheit[8] due Am­miratori della Reichspost[9] si felicitano per lo scoppio della guerra – «Endlich! Endlich!» –, riempiendosi la bocca delle parole di propaganda diffuse dai periodici. Gli averi, la tranquillità, non valgono certo quanto l’onore della patria, e il conflitto è catarsi di un popolo che combatte in nome di ideali più alti. «Kriege sind Prozesse der Läuterung und Reinigung, sind Saatfelder der Tugend und Erwecker der Helden. Jetzt sprechen die Waffen!». Ac­canto ai pesci piccoli dell’editoria Kraus piazza i corrispondenti, prima fra tutti Alice Schalek[10], che in tutta coscienza prendono il ruolo di aizzatori delle folle. A manovrare i fili sono i redattori, in particolare Moriz Bene­dikt[11], redattore capo della Neue Freie Presse, quotidiano di tendenza liberale, storico avversario della Fackel[12]. Nel suo giornale Kraus trascrive e com­menta estratti[13] dai periodici vicini al potere imperiale, in particolare proprio dalla Neue Freie Presse[14]. Obiettivo ultimo della battaglia mediatica di Kraus è denunciare il contenuto paradossale degli articoli a tema patriottico e smontarne la retorica[15]. Kraus seziona il proprio tempo, ne almanacca le contraddizioni, additandole alle coscienze anestetizzate.

È alla pressione mediatica che si deve in tempi di guerra la manipolazione della popolazione, gravata dall’incertezza per il futuro del paese, dall’inquie­tudine per la presa di potere del nemico, dall’angoscia per la crisi economica. Secondo Kraus il principio attivo di questa operazione è l’impiego massiccio di Wahlsprüche e Phrasen, quelle frasi fatte e quei motti falsificatori volti ad assoggettare l’opinione pubblica. La loro capacità diabolica di imprigionare la coscienza negli schemi ideologici del mito patriottico è oggetto di nume-rosissimi interventi, saggi e aforismi, nonché colonna portante degli scambi tra il Criticone[16] e l’Ottimista in Die Letzten Tage der Menschheit, l’opus magnum di Kraus concepito per un «Marstheater»[17]. Nel primo atto osserva laconico il Criticone, fedele fidanzato della lingua tedesca[18], come questa si sia scle­rotizzata in un repertorio di frasi fatte[19] non a prescindere dalla guerra ma specificamente a causa della guerra. Il linguaggio manipolatorio è responsa­bile di quel lavaggio di cervelli che consente ai ministeri di mandare in guerra uomini e ragazzi convinti di diventare eroi della patria. Nel secondo atto il Criticone, alter ego di Kraus, arriva ad accusare le frasi fatte di assassinio: «Warum sollte der Krieg Sie von Ihrer fixen Idee befreit haben?», si chiede l’Ottimista[20]. La guerra non ha fatto altro che confermare il potere distrut­tivo delle frasi fatte, risponde il Criticone; è con la loro capacità di appiattire il significato letterale, di manipolare il linguaggio caricandolo ideologica­mente che «Kirchenglocken werden in Kanonen verwandelt»[21].

La mastodontica produzione giornalistica di Kraus costituisce il fulcro della riflessione di Eberhard Sauermann[22], che indaga sul ruolo effettivo di giornalisti, pubblicisti e artisti nell’incentivo perverso alla Grande guerra in Austria. Lo studioso isola una serie di immagini propagandistiche reiterate in almanacchi, Jahrbücher e quotidiani, sia finanziati dal Kriegsarchiv, dal Kriegs­hilfsbüro e da ulteriori organi della Kriegsfürsorge[23], sia indipendenti[24]. Di Kraus si discutono in particolare le invettive contro il linguaggio falsificatore della cultura di massa e i continui attacchi all’apparato propagandistico ministe­riale. L’appello dei quotidiani a “durchhalten” si prefigge l’obiettivo pratico di sostenere la continuazione della Guerra fino alla vittoria dell’Impero. Con la spinta al sacrificio per Dio, per l’Imperatore, e per la Patria si affida alla propaganda il difficile compito di potenziare la capacità di sopportazione della popolazione e migliorare l’efficienza dei soldati al fronte. Facendo leva sulla crisi economica dei cittadini, l’eventuale rifioritura del turismo viene ingegnosamente presentata come fonte di guadagno per la popolazione. Il lavoro di sedimentazione ideologica portato avanti dall’autorevolezza della stampa si dispiega nell’identificazione tra turismo fiorente e altezza dell’im­pero Austriaco. Fine ultimo della propaganda ministeriale per l’incentivo del turismo era convincere il popolo di due assiomi: la fioritura del turismo è motivo d’onore per la patria e fonte di grande vanto agli occhi delle altre potenze europee; la crescita del turismo risulta inevitabilmente in ricchezza per il cittadino comune. Kraus denuncia come elevare il turismo a “hoheres Ideal” sia un tentativo di circuire i cittadini con la prospettiva del benessere. L’attaccamento all’idea del ritorno al turismo prolifico si fondava sulla grande prosperità portata dall’attività turistica nell’anteguerra, in coinci­denza con la cosiddetta era dell’Hotel-Schwindelei[25].

Per Alois Brusatti[26], due sono i fattori decisivi per la prosperità del set­tore all’inizio del secolo: il calo dei prezzi dei biglietti ferroviari e l’impera­tivo del viaggio verso la Sommerfrische per chiunque volesse far sfoggio di un certo status. La moda, dettata in primo luogo dagli aristocratici, era quella di trascorrere i mesi da maggio a ottobre lontani dalla città. Le famiglie pas­savano la giornata a Vienna, in giro per la città, per poi tornare di sera nel Land. Il numero crescente di visitatori aveva portato con sé grande ric­chezza per la capitale; il turismo assume presto un discreto peso nel bilancio dello Stato[27]. L’ospite diventa così una figura centrale nella cultura popolare austriaca[28]. Nel 1908 apre il Ministerium für öffentliche Arbeiten, tra i cui campi d’azione rientra quello dell’incentivo al turismo; il ministero lancia una serie di misure straordinarie, tra cui rientrano il sostegno economico alle organiz­zazioni private che contribuiscano alla crescita del turismo, incentivi all’apertura di nuove strutture turistiche, la protezione e la preservazione di luoghi tipici e bellezze naturali. Il budget stanziato è di 50.000 corone, a cui

 

Die Fackel, 1903, 140, p. 1
(Austrian Academy Corpus – Fackel Gate – http://corpus1.aac.ac.at/fackel/).

se ne aggiungono altre 40.000 per le pubblicità sulle testate estere[29]. L’idea fissa dell’incremento del turismo è secondo Kraus un’irrazionale esclusiva del suo paese: «Kein Staat Europas läßt sich wegen des Fremdenverkehrs so graue Haare wachsen wie Österreich»[30], sosteneva Kraus poco prima dello scoppio del conflitto.

Già nella sua produzione precedente alla guerra Kraus manifesta costan­temente una certa diffidenza nei confronti delle politiche volte ad attrarre i visitatori stranieri. Kraus non dubita che il turismo possa aver portato ric­chezza al paese in passato, ma reputa ridicolo il dispiego massiccio di forze ministeriali per convincere i cittadini che il flusso di turisti possa avere un qualche impatto sulle loro vite personali. Appare già in questa fase il fulcro di ogni futura asserzione contro le politiche di incentivo al turismo: questo viene spacciato per ideale ma non è altro che una maschera per solleticare l’avidità del cittadino austriaco. Una cinquantina tra articoli e trafiletti sul tema escono sulla Fackel tra il 1902 e il 1926. Il primo attacco coerente con­tro gli organi di controllo del turismo appare nel 1903, dove Kraus lamenta le politiche fallimentari di conoscenza del turismo all’estero[31]. Lo scrittore tratteggia a tinte fosche la situazione: l’Austria è incapace di vendersi come altro se non come meta turistica a buon mercato. Solo tedeschi, ungheresi e cechi si avvicinano al paese. Il Presseclub Concordia, un’associazione indi­pendente di cui facevano parte i corrispondenti esteri di giornali austriaci e i corrispondenti di testate estere di stanza in Austria, non riesce a far sentire la sua voce oltralpe. Il brand delle vacanze in Austria non sembra esportabile. L’indagine di Brusatti conferma come finanziamenti e pubblicità sui perio­dici esteri avevano accresciuto solo il numero di turisti tedeschi, cechi e un­gheresi, legati fin dal Romanticismo alla natura incontaminata d’Austria, ma si erano rivelati alquanto fallimentari in Inghilterra, Olanda e Francia[32]. Kraus fa notare che le guide turistiche inglesi non inseriscono la capitale tra le mete consigliate; Vienna, quando non viene dimenticata, è oggetto di scherno nei giornali esteri. «Nur in der Fremde hat man von dem Verein nichts erfahren; der Verein war da, aber die Fremden blieben aus. Und so man schließlich auf die Mitwirkung der Fremden bei der Hebung des Frem­denverkehrs verzichtet zu haben»[33]. Kraus puntualizza che il Presseclub Con­cordia ha individuato nelle continue critiche agli stranieri da parte della Neue Freie Presse il principale deterrente all’estero al turismo nell’Impero. Kraus ne scrive con estrema soddisfazione: già un anno prima sosteneva su Die Fackel[34] che gli strilli nel megafono della Neue Freie Presse contro quei barbari dei turisti che avevano reso Vienna una città devastata, senza spirito, ave­vano raggiunto il resto del continente. Già qui vediamo il germe di una delle grandi polemiche di Kraus sul tema del turismo: Vienna smania per i turisti ma odia i turisti, predica l’accoglienza dello straniero ma diffonde nella po­polazione una xenofobia radicale.

Lo scoppio della Prima guerra mondiale segna una battuta d’arresto per la floridità del turismo austriaco. La completa chiusura degli Imperi centrali porta naturalmente alla contrazione dell’attività turistica dei visitatori sto­rici[35]. I fattori interni che mettono in ginocchio l’industria turistica sono legati principalmente a problemi nei trasporti e negli approvvigionamenti. La maggior parte degli hotel e dei ristoranti viene convertita in alloggi per i feriti al fronte o in lazzaretti[36]. Per cercare di sanare la situazione viene isti­tuito poco dopo l’inizio della guerra un ente centralizzato per il turismo, il Bund Österreichischer Fremdenverkehrs-Verband, convertito nel 1916 nel Reichs­verband[37]. Per Kraus la situazione è estremamente comica. I versi satirici di Der Fremdenverkehr[38] offrono uno schizzo della situazione di crisi del turismo nella Kaiserstadt del 1917. Il lessico del Fremdenverkehr si allaccia a quello della sfera sessuale. Kraus fa uso del binomio città/prostituta per descrivere una Vienna disperatamente aggrappata al flusso dei turisti. Vindobona[39] ha ri­nunciato alla propria purezza per guadagni regolari derivati dal turismo, tra­mutandosi in una seduttrice che adesca chiunque si lasci adescare. La (ormai non più) vergine Vienna, alla partenza dei turisti in tempi di guerra, sta lì in piedi nei vicoli e si sente «von jedem Verkehr verlassen»; così «Die Fremden ließen sie schnöde im Stich – nur durch die Hoffnung allein geht der Strich». Kraus conclude: solo col ritorno della pace potrà rifiorire il turismo.

La severa burocrazia austriaca fa la sua parte nell’ostacolare lo sviluppo del turismo. Il tentativo congiunto degli organi ministeriali di regolamentare l’arrivo dei forestieri durante il conflitto porta a situazioni paradossali; chiunque desideri entrare nel paese in tempi di guerra deve sottoporre in­numerevoli scartoffie per vedersi convalidare la propria richiesta di sog­giorno. Kraus ironizza in Die Letzten Tage der Menschheit[40] sull’iter burocratico necessario per godere dell’aria fresca in Austria. L’Impiegato dell’Ufficio Municipale Viennese, che «[nimmt] unaufhörlich mit dem Zeigefinger der rechten Hand eine Bewegung vor, die jede Hoffnung abzuweisen scheint», riferisce al Richiedente che, per ottenere i permessi necessari per passare fino a quattro settimane in un bagno di cura estivo o in una spa nel 1917, questi deve adempiere ad un interminabile elenco di obblighi burocratici. La lista è così lunga, annuncia una nota di regia, che il Richiedente si dilegua a metà monologo, mentre l’Impiegato continua imperterrito a snocciolare norme per un’altra pagina intera. Secondo Kraus sono le stesse manovre di incentivo dell’industria turistica ad ostacolarne la crescita. Kraus dramma­tizza una realtà storica: l’Impiegato ribadisce che non è permesso richiedere provvigioni extra per i turisti[41]. Durante la Grande guerra peggiorano le dif­ficoltà che già nel 1909 affossavano ogni tentativo di incentivare il turismo, quando ancora «Wiens Sorge sei es nur, daß jene Fremden, deren es endlich teilhaft wird, nicht durch eine allzu ausgedehnte ärztliche Behandlung zu Einheimischen werden»[42]. L’Austria è semplicemente incapace di tenersi stretta gli stranieri.

Il conflitto crea le condizioni ideali per inasprire la xenofobia dilagante nel paese. Le campagne di sensibilizzazione al turismo si caricano ideologi­camente, oliando la preesistente polarizzazione tra Austriaci e stranieri. Nel 1917 l’esperto Josef Stradner indice una vera e propria crociata contro i forestierismi nel lessico del turismo. I termini di origine non tedesca anda­vano cancellati. Chiunque intendesse coltivare l’ideale del turismo non po­teva esimersi dal sostenere la patria proteggendo la purezza della lingua[43]. Come è possibile conciliare la xenofobia linguistica con un apparato propa­gandistico che predica l’incentivo alla cultura dello straniero? Per Kraus la risposta è semplice: non vi è alcuna possibilità di conciliazione, solo inaspri­mento della condizione di illogicità. Sul tema si sviluppano alcuni degli in­termezzi comici in Die Letzten Tage der Menschheit, in particolare in situazioni in cui la folla prende la parola. Nel primo atto della Buchausgabe leggiamo uno scambio conservato quasi integralmente nella Bühnenfassung[44]:

Fünfter: Oba oba oba wos treibts denn, habts denn net in der Zei­tung g’lesen, schauts her, da stehts (er zieht ein Zeitungsblatt hervor) “Der­artige Ausschreitungen des Patriatismus können in keener Weisee ge­duldeet werden und sind überdies geeigneet, den Fremdenverkehr zu schädigeen”. Wo soll sich denn da nacher ein Fremdenverkehr entwi­ckeln, wo denn, no olstern!

Sechster: Bravo! Recht hot er! Der Fremdenverkehr, wann mr eahm hebn wolln, das is schwer, das is net aso –

Siebenter: Halts Maul! Krieg is Krieg und wann einer amerikanisch daherredt oder türkisch oder so –

Achter: So is. Jetzt is Krieg und da gibts keine Würschtel! (Eine Dame mit leichtem Anflug von Schnurrbart ist aufgetreten.)

Die Menge: Ah do schauts her! Das kennt ma schon, ein verkleideter Spion! Varhaften! Einspirn stantape![45]

Provvedimenti di legge e bandi pubblici offrono a Kraus la possibilità di svelare i meccanismi di controllo ministeriale. L’assoggettamento dell’opi­nione pubblica si dispiegava in provvedimenti di sensibilizzazione a lungo termine come nel caso delle politiche scolastiche volte all’educazione alla cultura del turismo, risultato di sforzi congiunti tra vari ministeri. La mano­vra propagandistica si propone di alimentare lo spirito patriottico nei gio­vani, per renderli futuri patrioti. L’indottrinamento dei più piccoli è un mezzo di propaganda di grandissimo potenziale, grazie alla sua capacità di strutturalizzare la manipolazione ideologica della popolazione. Esempio di provvedimenti in questa direzione è il concorso a premi in denaro per Lese­stücke bandito dal Landesverband für Fremdenverkehr a Vienna e nella Bassa Austria con il sostegno del Ministerium für Kultus und Unterricht nel giugno 1912. Un anno dopo Kraus parafrasa con freddezza nella Fackel[46] il bando di concorso, che prometteva di inserire nell’antologia delle Volks- e Bürger­schulen i tre brani di lettura che riuscissero ad esporre nella forma più accat­tivante agli scolari il significato del turismo per la comunità, e che risultas­sero più adatti ad educare gli studenti di paese e di città all’ospitalità per lo straniero. Pfleget den Fremdenverkehr (Lesestücke über den Fremdenverkehr) (1913) presenta la classica struttura delle invettive krausiane scatenate dalla lettura di inserti controversi presi da altre testate: ad un’asettica esposizione dei fatti (citazione o parafrasi) segue una violenta dissezione dell’assurdità del con­tenuto del testo. A catturare l’interesse di Kraus è il terzo brano classifica­tosi, Pfleget den Fremdenverkehr[47], che dà il titolo all’articolo. Il tono si fa ir­ruento nel demolire non solo lo scarso valore estetico del testo, ma soprat­tutto la vuota retorica di cui si fa carico per insegnare le vocali:

Die wir heute unter dem Fluch, im Zeichen des Fremdenverkehrs zu stehen, vorzeitig altern, können uns manchmal noch vor der Wich­tigkeit des Hotelportiers in ein Logis der Erinnerung retten. Dann dringt, nicht greifbarer als ein Sonnenstrahl im Staub, ein Tanz von Stimmen, Farben und Gerüchen ein, ein toter Tag schlägt seine Augen auf, und wir ertappen uns beim Einsagen, beim Zuspätkommen, beim Nachsitzen. Wir memorieren Lesestücke, sie waren von Pfeffel, Hölty, Kopisch und vor allem von Hey, und ferne klingt es wie: Bei einem Wirte wundermild, und: Hinaus in die Ferne … Und dennoch, es galt nicht dem Fremdenverkehr. Was wird euch Kindern der Zeit nach dreißig Jahren durch den Traum ziehen? Das Bäumchen, das andere Blätter hat gewollt, wird längst zu Zeitungspapier verdorrt sein, aber eine Welle des Lebensfrühlings trägt euch die Mahnung zu: “Pfleget den Fremdenverkehr!” Und wisset ihr auch, wer der wackere Fremd­ling war? fragte der Lehrer. Wir wissen es, antworteten die Schüler. Es war Pierpont Morgan. Und nicht mehr hieß es: “Gebet den Armen!”, sondern: “Nehmet vom Reichen!” Und die Klasse sang:

A a a, der Fremde der ist da.
Die stieren Zeiten sind vergangen,
Der Fremdenverkehr hat angefangen,
A a a, der Fremde der ist da.
E e e, Euer Gnaden wissen eh.
Fesch das Zeugl, fesch die Madeln,
Gstellt vom Kopf bis zu die Waden,
E e e, Euer Gnaden wissen eh.
I i i, wir wurzen wie noch nie.
Seids net fad, ruckts aus mit die Maxen,
Reiß’n ma aus der Welt a Haxen,
I i i, wir wurzen wie noch nie.
O o o, wie sind die Wiener froh.
Mir werns euch schon einigeigen,
Laßts euch das Wiener Blut nur zeigen,
O o o, wie sind die Wiener froh.
U u u, nun hat die Seel’ a Ruh.
Wien ist und bleibt die Stadt der Lieder,
Bitte beehren uns bald wieder,
U u u, nun hat die Seel’ a Ruh.
[48]

Kraus riporta il testo integralmente. Che beneficio potrebbe mai portare agli studenti memorizzare un brano che promette il ritorno alla prosperità del turismo di inizio secolo? Sono composizioni come queste che innalzano il turismo a Ideal, sostiene Kraus, e testi come Pfleget den Fremdenverkehr so­stituiranno nel bagaglio culturale dei futuri cittadini viennesi ciò che per le generazioni precedenti erano i Lieder classici di Pfeffel, Hölty, Kopisch ed Hey. Gli adulti del domani non avranno alcuna familiarità con la letteratura, ma sapranno mandare a memoria Bei einem Wirte wundermild e Hinaus in die ferne[49]. Le composizioni patriottiche non sono per Kraus altro che specchi per le allodole, e gli austriaci sono ben felici di lasciarsi abbindolare. Pfleget den Fremdenverkehr è il simbolo della resa austriaca, poiché solo un popolo capace di inciampare dentro il suo idillio come un imbecille sopporta il fer­vore riformista statale. Un governo che imbocca gli scolari con le notifiche dell’Organizzazione nazionale per il Turismo a Vienna e nella bassa Austria, continua Kraus, vorrebbe allevare i bambini del paese instupidendoli come lavoratori ad ore.

Il breve articolo sarà punto di partenza per la stesura di due scene (I. 9 e V. 23) in Die Letzten Tage der Menschheit. Kraus immagina un’ora di lezione surreale in cui Pfleget den Fremdenverkehr viene effettivamente impiegato come materiale didattico. La parodia krausiana si costruisce sulla combinazione tra la corruzione del sistema scolastico a fini propagandistici e l’ossessione austriaca per il turismo, a cui si aggiunge l’educazione alla Kriegskultur e all’odio per lo straniero. Kraus continua la denuncia della pervasività di un cancro ideologico che si spinge fino a coinvolgere dei bambini nelle politi­che turistiche: ognuno deve portare il suo «Scherflein zum Vaterlande», so­stiene il maestro, veicolo del patriottismo governativo. L’insegnante invita gli scolaretti a concentrarsi sul turismo, di modo che nei loro cuori ne cresca forte il delicato seme, piantato grazie ai provvedimenti dell’«hochlöblicher Landesschulrat» e del «löblicher Bezirksschulrat»[50]. Questo delicato germo-glio deve essere protetto dal ferreo passo della guerra; il genitore assennato si premuri dunque di procurare giocattoli che educhino i patrioti del futuro alla cultura della guerra. I piccoli scolari rappresentano l’opinione pubblica del domani. La denuncia esplicitata sulla Fackel della pervasività intrasociale della propaganda scolastica trova in questa scena la sua controparte: i co­gnomi degli studenti, spesso “tedeschizzati”, mostrano una classe multiet­nica, riflesso di una popolazione percorsa dalle tensioni tra diverse etnie all’interno dell’Impero. Kraus designa gli scolari nelle indicazioni di regia esclusivamente come «der Knabe»: l’identità dei ragazzi è irrilevante per il lettore, a cui è richiesto di tenere a mente solo l’età dei personaggi che ripe­tono i Wahlsprüche della propaganda senza coglierne il senso. Nel suo invito a coltivare il turismo, il maestro Zehetbauer ricorre a una serie di parole chiave della propaganda patriottica: l’uso di «durchhalten», «große Zeit», «höhere Idealen», «ein Scherflein zum Vaterlande beitragen», «es ist unsere Pflicht», «auf dem einmal betretenen Wege unerschrocken fortfahren», «sei­nen Mann stellen»[51], esemplifica il legame tra cultura della guerra e l’ideolo­gia del turismo.

Kraus esplicita il debito con la riflessione del 1913 disseminando la scena di riferimenti alle stesse composizioni di propaganda contro le quali si era scagliato sulla Fackel. Durante le interrogazioni il maestro ordina ai ragazzi di identificare gli autori di Bei einem Wirte wundermild e Hinaus in die Ferne; tra i titoli menzionati compare Ein Goldstrom di Melk Alexander Ohm-Janu­schovski, vincitore della famosa competizione aspramente criticata sulla Fackel. Nell’attacco contro la produzione culturale asservita del proprio tempo Kraus innesta la polemica contro l’Aufhebung des Fremdenverkehrs. Il maestro concede ai bambini di non interrogare su Hassgesang gegen England»[52], invitandoli piuttosto a prepararsi a rispondere alle domande circa quegli Ideali su cui «die große Zeit» impongono di riflettere, il turismo e l’ospitalità per lo straniero. Il maestro esorta poi i bambini a recitare «das alte Lied» imparato in tempi di pace. Sul fraintendimento di “alt” si impernia l’amara comicità degli ultimi versi: l’aggettivo richiama alla mente del lettore[53] i Lie­der classici, ma i bambini rispondono solo nominando Bei einem Wirte wun­dermild e Hinaus in die Ferne[54]. Kraus mette così in scena quell’inaridimento culturale profetizzato in Pfleget den Fremdenverkehr (Lesestücke über den Fremden­verkehr). Il maestro si riferisce infatti a Pfleget den Fremdenverkehr, che tutti i personaggi cantano in coro a conclusione della scena. La critica esplicita sulla Fackel al testo di Else John non trova qui alcun corrispondente dida­scalico. Il paratesto si rende inutile davanti alla forza della citazione, che per Kraus si fa strumento di accusa del contenuto della citazione stessa: lo scrit­tore aveva il potere di condannare gli uomini con le loro stesse parole, dirà Canetti[55]. La visione distorta della realtà del maestro Zehetbauer si fa evi­dente nel contrasto tra i ciechi incitamenti a “durchhalten e l’incapacità dei ragazzi di distinguere tra significato letterale e figurato. Agli studenti manca quella familiarità con la realtà del mondo per decifrare il significato traslato delle frasi fatte[56]. Al maestro, al contrario, non riesce di esprimersi esulando dal campo lessicale della guerra. Uno studente che chiede banalmente di usare il bagno viene aggredito verbalmente dal maestro, che legge nelle sue parole il desiderio di lasciare l’Austria. La comicità della scena si costruisce interamente sulla polisemia delle esclamazioni dei personaggi. Il bambino deve «hinaus», ma il maestro gli dice di aspettare fino a quando sarà un po’ più maturo. «Ich habe Not», insiste il ragazzo: Zehetbauer lo incita ad aspet­tare tempi migliori, perché «das Vaterland ist in Not, nimm dir ein Beispiel, jetzt heißt es durchhalte[57].

Se i bambini dovessero dimostrare un certo profitto scolastico, continua il maestro, riceveranno il permesso di piantare un chiodo nel Wehrmann in Eisen, un monumento al valore dei caduti, delle vedove e degli orfani di guerra[58]. Ai cittadini di Vienna si chiedeva di sostenere economicamente i soldati al fronte con una donazione, consentendo in cambio di infilare un chiodo nel monumento. Per il maestro, il Cavaliere non è solo un simbolo, bensì un’attrazione turistica di cui «eure Kinder und Kindeskinder erzählen werden»[59]. Eppure, i ragazzi preferiscono lo Stock im Eisen, un tronco d’al­bero dove i giovani apprendisti dovevano conficcare un chiodo al loro ar­rivo a Vienna[60]. Kraus tocca nella scena uno dei tasselli della sua polemica anti-turistica, il ruolo da protagonista affidato a nuovi monumenti. Ai lettori della Fackel la sua avversione per le attrazioni turistiche era cosa nota[61]. Nel 1908, non certo cieco davanti al pregio artistico delle statue equestri, Kraus si oppone piuttosto alla loro proliferazione:

Aber ich glaube, daß die Fülle von Reiterstandbildern, durch die sich unser armes Dasein hindurchwinden muß, uns in unserer Entwick­lung dermaßen hemmt, daß wir schlechterdings dazu unfähig gemacht werden, Reiterstandbilder zu schaffen. […] Es gibt deren so viele, daß man sich ganz aufs Sehen verlegt und das Schaffen verlernt. Die Kunst dient dazu, uns die Augen auszuwischen. Wenns auf der Welt­bühne nicht klappt, fällt das Orchester ein.[62]

Il quinto atto si apre con l’annuncio della resa della Bulgaria nel settem­bre 1918: la guerra è agli sgoccioli. Kraus inserisce qui una breve scena a continuazione della I. 9, portando all’estremo la paradossalità dell’uso di Pfleget den Fremdenverkehr come materiale didattico. La scena V. 23, assente nella Bühnenfassung, è ambientata ancora una volta nella classe del maestro Zehetbauer; tra i banchi vuoti siedono sei scolari superstiti, vestiti di carta[63]. Kraus ripropone l’espediente narrativo dell’incomunicabilità tra il maestro ed i ragazzi, che in questa scena prendono gli incitamenti patriottici di Ze­hetbauer per minacce. I bambini soffrono di fame, sete e freddo e chiedono solo la pace. Il piccolo Sukfüll, che nella scena I. 9 aveva indovinato l’«altes lied», desidera solo il ritorno dei forestieri: suo padre non vuole più «durch­halten», poiché «es wär schon höchste Zeit, daß einmal die Fremden kom­men!»[64]. La frecciatina è diretta a Karl Sukfüll albergatore presidente onora­rio della Vereinigung der österreichisch-ungarischen Hotelbesitzer, spesso preso di mira sulla Fackel per via dei suoi forti legami col Landesverband für Fremden­verkehr[65]: neppure il peggior speculatore tra gli albergatori, massimo colpe­vole dell’ossessione patriottica per il turismo[66], ha da trarre alcun vantaggio dal conflitto. La classe reagisce alla preghiera del piccolo Sukfüll urlando illogicamente: «Ja, pfleget den Fremdenverkehr!». Kraus drammatizza la parte finale del proprio pronostico del 1913: non solo ai bambini si inse­gneranno esclusivamente componimenti patriottici e nessun Lied classico, ma questi ricorderanno solo e soltanto le composizioni di incentivo al turi­smo. Il maestro ordina di intonare ancora una volta l’“altes Lied” imparato in tempo di pace, e la scena si conclude con la prima strofa di Pfleget den Fremdenverkehr.

Quali attrazioni potrà offrire l’Austria ai turisti dopo la guerra, o meglio, al posto delle attrazioni distrutte dalla guerra? Nella scena immediatamente seguente[67] risponde a questa domanda un Funzionario dell’Ente Nazionale per il Turismo. Questi suggerisce i territori alpini, «mit ihren hervorragen­den Kriegserinnerungen». Kraus prevede quindi una massiccia capitalizza­zione sugli orrori di guerra. La visita dei luoghi di sepoltura degli eroi di guerra non potrà che attrarre un flusso turistico pieno di vitalità:

Der Redakteur: Welche Art Kriegserinnerungen wäre diesbezüg­lich ins Auge gefaßt?

Der Funktionär: Wir geben uns der Hoffnung hin, daß der pietät­volle Besuch der Heldengräber und Soldatenfriedhöfe eine lebhafte Verkehrsbewegung zur Folge haben wird. Es handelt sich ja darum, unser Haus wiederum zu bestellen. Und wir appellieren gerade in die­sem Punkte an die verständnisvolle Mitarbeit der Presse, da es unsere Aufgabe ist, jeder Epoche die Attraktionen abzugewinnen, die sie in sich selbst bietet, und die Gräber der Gefallenen wie geschaffen er­scheinen, die Hebung des Fremdenverkehrs erhoffen zu lassen.[68]

La scena è una rielaborazione di un brevissimo trafiletto uscito sulla Fackel nel 1918 con il titolo Eine prinzipielle Erklärung[69]. Kraus commenta una serie di dichiarazioni del Segretario generale del Landesverband für Frem­denverkehr circa le prospettive del turismo dopo la guerra. Il comunicato ri-portava la delibera di proporre i territori alpini come meta turistica per i pochi francesi e belgi in arrivo verso l’Austria. Kraus inserisce nell’articolo il facsimile del comunicato, in cui il segretario si esprime con le stesse parole che Kraus aveva messo in bocca al Funzionario:

[….] Außerdem werden die Alpenländer mit ihren hervorragenden Kriegserinnerungen einen Anziehungspunkt des mitteleuropäischen Reisepublikums bilden, wie schließlich auch der pietätsvolle Besuch der Heldengräber und Soldatenfriedhöfe eine lebhafte Verkehrsbewe­gung zur Folge haben wird.[70]

Kraus sentenzia: finché avrà respiro, non lascerà che la tomba di nessun amico si trasformi in un motivo per accalappiare denaro tedesco. In caso contrario, nessuno potrà trattenerlo dal lasciare l’Austria. La prospettiva delle gite turistiche alla volta di campi di battaglia e cimiteri militari resta estremamente disturbante per Kraus: nella scena V. 55[71] una nota di regia segnala sullo sfondo: «Ein Schlachtfeld […]. Die Touristen zerstreuen sich in Gruppen, photographieren [sic] sich gegenseitig in heroischen Stellungen, parodieren Feuersalven, lachen und stoßen Schreie aus. Einer hat einen Schädel gefunden, steckt ihn auf das Ende seines Spazierstockes und bringt ihn mit triumphierendem Gesicht»[72]. La colpa della degenerazione morale che consente tali scempi è della passività del popolo: nella sua ultima appa­rizione[73] il Criticone si chiede cosa diranno gli austriaci ai posteri increduli davanti alla realtà storica della loro silenziosa accettazione dell’orrore, della trasformazione delle proprie tombe in monumenti per il piacere dei turisti. Nel 1917 si legge sulla Fackel: gli austriaci non sono altro che una «Hunnen­horde […] die an der Verwandlung von Lebenswerten in Sehenswürdigkei­ten schuld ist»[74].

Sarà proprio la pubblicità di una gita su un campo di battaglia ad incen­diare Kraus nel 1921: sulla Fackel esce l’articolo Reklamefahrten zur Hölle[75], uno dei testi di cui dava più volentieri lettura pubblica[76], attirando quelle grandi folle di cui dà notizie un Canetti[77] entusiasta. Kraus inserisce inte­gralmente nella Fackel il facsimile di un annuncio su rivista svizzera, le Basler Nachrichten, che pubblicizza la visita guidata al campo di battaglia di Verdun. Nel suo studio su Reklamefahrten zur Hölle, Jens Malte Fischer osserva come la pubblicazione dell’annuncio su un giornale svizzero circa un campo fran­cese dispensi Kraus dal mantenere la promessa fatta sulla Fackel di lasciare il paese nel caso si fossero davvero organizzate gite alla volta di campi di battaglia[78]. A commento dell’articolo Kraus disseziona l’inserto mettendo in luce l’assurdità di una gita alla volta del luogo di una catastrofe. Nel prezzo dell’escursione sul campo di battaglia per eccellenza, è inclusa la visita di cimiteri, di aree devastate dalle granate nonché di biglietti del treno, giornali, pernottamento e pasti. Fischer osserva come Kraus, nell’elencare i servizi offerti rivolgendosi direttamente al lettore, faccia un uso satirico del linguag­gio di grande efficacia, smontando il potere retorico dell’anafora[79]. Kraus torna a denunciare come la strumentalizzazione dell’Heldentod[80] sia diventata la colonna portante della follia del turismo, insieme all’avidità della popola­zione: non solo gli austriaci, ma anche gli svizzeri mancano di ogni ritegno, anche per la morte[81]. Il «Valutenbrei, der sich Menschheit nennt» ha perso ogni dignità, al punto di essere diventato incapace di provare a mentire sulla propria natura[82]. Complici degli organizzatori, trafficoni senza scrupoli, sono i «Preßpiraten», che si prendono gioco della morte lucrandoci su, con­sigliando pacatamente una gita all’inferno come vacanza di Primavera[83]. Per Kraus la stampa è riuscita con successo a desensibilizzare il lettore nei con­fronti dello scandalo politico, dell’orrore della guerra. Si è messo pian piano in moto un processo di normalizzazione, ed il lettore si trova a sfogliare la Neue Freie Presse senza alcuna sorpresa davanti ad annunci commerciali che usano l’immagine degli eroi della patria per vendere i prodotti più improba­bili.

La fine della guerra strangola l’economia austriaca. Le spinte irredentiste delle diverse etnie portano alla dissoluzione dell’Impero austro-ungarico. Questo implica per l’Austria la perdita di molte delle sue località turistiche più ambite, prime tra tutte il Sud Tirolo, Karlsbad e Marienbad[84]. Il numero già bassissimo di turisti diretti alla volta di un’Austria ormai minuscola rag­giunge i suoi minimi storici. Le ferrovie, chiave di volta del successo del turismo austriaco del passato, giacciono in stato pietoso. Gli hotel convertiti in lazzaretti versano in condizioni pessime[85]. Un prestito salatissimo con­sente alle casse statali di tornare ad elargire incentivi ad attività turistiche solo nel 1920. Nel 1926, il segretario del Gremium der Wiener Kaufmannschaft annuncia pubblicamente la propria intenzione di istituire nelle scuole delle giornate dedicate al turismo. Nell’annuncio Kraus riconosce lo stesso spi­rito che aveva animato il bando del 1912, pubblicando il giorno successivo il trafiletto Pfleget den Fremdenverkehr (Fremdenverkehrsförderung durch Schulkinder) sulla Fackel[86]. L’iniziativa si prefigge ancora una volta l’obiettivo di educare i bambini all’accoglienza degli stranieri. Per Kraus c’è dell’amara ironia nel vedere le sue previsioni realizzate; riprendendo una serie di elementi toccati nell’articolo del 1912 e in Die Letzten Tage der Menschheit, scrive:

Ich freue mich immer, wenn meine Satire, die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war, zur Wirklichkeit heranwächst. Es könnte doch keine Absurdität geben, die dieses absurde Land auf meine Weisung nicht zu liefern bereit wäre. Ja, die Förderung des Fremdenverkehrs, auf “die aus Anlaß dieser Tage” die Lehrpersonen die Schulkinder aufmerksam machen sollen, ist im Interesse des Wohlstandes jedes einzelnen, also auch in letzter Linie der Lage der Schulkinder, in der sie sind, ihn zu fördern. In erster Linie aber wird sie zur Verhinderung der deutschen Sprache beitragen, damit die Kleinen, wenn sie den Fremdenverkehr gelernt haben und dereinst ins Leben hinaustreten, im Fremdenverkehrskomitee sitzen und auch so schöne Beschlüsse fassen können.[87]

Chiaramente per Kraus si tratta di una manovra politica. Cosa dovreb­bero mai fare gli studenti per attirare gli stranieri? Spingerli forse a piantare un chiodo nello Stock im Eisen e raccontare la leggenda di Herthasee? I turisti fuggirebbero a gambe levate. Kraus sentenzia: «Man muß es einmal dem von einer fixen Idee paranoisch besessenem Österreicher sagen: die Frem­den kommen deshalb so spärlich nach Österreich, weil sie hier auf Schritt und Tritt von den Bestrebungen zur Hebung des Fremdenverkehrs beläs­tigt werden und weil ihnen halt gar so wenig außer dieser Zerstreuung ge­boten wird»[88].

Zur Aufhebung des Fremdenverkehrs (1926)[89] è in esplicita continuità con gli altri contributi in obiezione alla «Chimäre» dell’incremento del turismo. Kraus riassume qui le posizioni portate avanti negli ultimi 20 anni: le politi­che di incremento del turismo tra le due guerre persistono nel loro tentativo di trasfigurare la crescita del turismo in un ideale a cui puntare in onore della patria. Kraus identifica la «ausschließliche Konzentrierung des Wiener Ge­dankenlebens auf dieses Ideal» con una delle cause della «Senkung des geis­tigen Niveaus» fino al «Nullpunkt». Il comportamento amichevole del citta­dino viennese nei confronti del turista deriva sempre dalla convinzione che un afflusso incrementato di turismo possa avere un rapido effetto benefico sulla situazione economica del paese. I viennesi restano aggrappati al desi­derio dell’influsso salvifico degli stranieri, perché ancora nel 1926 «was der Skarabäus den Ägyptern, das bedeutet für die Österreichischer der Fremde»[90].

Con questo studio si è inteso dimostrare come anche su questioni secon­darie come il turismo Kraus tendesse a orientare la discussione contro i suoi bersagli preferiti: la decadenza del linguaggio, il potere distruttivo della stampa e la passività degli austriaci. Smontare l’Ideal dell’Aufhebung des Frem­denverkehrs significa per Kraus affrontare altre questioni spinose, quali il de­clino del sistema scolastico, l’idealizzazione della morte eroica, la durezza della burocrazia, la noncuranza del lettore medio e l’artificio della scrittura giornalistica, l’asservimento della letteratura alla propaganda di guerra, la politicizzazione della lingua tedesca, la xenofobia dilagante, l’assenza di etica della mutualità. Le obiezioni di Kraus nel tempo restano coerenti. Nello sforzo di evidenziare le criticità delle politiche di incremento del turismo, lo scrittore non ne mette in dubbio l’efficacia sul piano economico; le sue obiezioni si muovono piuttosto contro il bombardamento mediatico sull’in­centivo al turismo, riflesso di un apparato ideologico che mira a sfruttare le condizioni difficili in cui versa la gente comune nel malcelato tentativo di rimpolpare le casse dello stato.

Bibliografia

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Annuncio di lettura pubblica di brani dalla Fackel, tra cui Pfleget den Fremdenverkehr
(Die Fackel, 1913, 372/373, p. iv)
(Austrian Academy Corpus - Fackel Gate - http://corpus1.aac.ac.at/fackel/).



* Questo lavoro è nato nell’ambito del soggiorno di ricerca (2017) presso il Diparti­mento di Scienze Sociali dell’Università di Lubiana, finanziato dal Ministero dell’Educa­zione Sloveno, l’ente CMEPIUS e il Ministero degli Affari Esteri italiano. Ringrazio il re­sponsabile dell’Istituzione Mitja Velikonja.

[1] D’ora in avanti si indicherà la scena di riferimento riportando numero dell’atto in numeri romani o Vw per Vorwort, Vs per Vorspiel e E per Epilog, numero della scena in numeri arabi, numero del volume e della pagina dell’edizione del 1964, Die letzten Tage der Menschheit: Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog, Teil I und Teil II, dtv, München. Il testo segue la cosiddetta Buchausgabe (1926). Lo stesso sistema è adottato nei riferimenti alla Bühnenfassung in un unico volume: Karl Kraus, 2005, Die Letzten Tage der Menschheit. Bühnen­fassung des Autors, Suhrkamp, Frankfurt am Main.

[2] Claudio Magris, 1996, “Karl Kraus e l’apocalissi absburgica”, in Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna, pp. 256-261, qui p. 257, Einaudi, Torino.

[3] Da qui in poi F, seguita da anno di pubblicazione, numero e pagina. L’Österreichische Akademie der Wissenschaften ha curato la digitalizzazione della rivista, consultabile gratuita­mente previa registrazione: http://corpus1.aac.ac.at/fackel/. [20 marzo 2018]. L’interfac­cia è in lingua inglese.

[4] Maurizio Cau, 2008, “Illuminare un paese in cui il sole non sorge mai, in Politica e diritto. Karl Kraus e la crisi della civiltà, pp. 15-28, qui p. 19, Il Mulino, Bologna.

[5] Bouveresse Jacques, 2007, “La presse et l’opinion publique”, in Satire & prophétie: les voix de Karl Kraus, pp. 34-38, qui p. 37, Marseille, Agone.

[6] János Szabó, 1992, “Kraus und der Weltkrieg (1914-1918)”, in Untergehende Monarchie und Satire. Zum Lebenswerk von Karl Kraus, pp. 75-92, qui p. 88, Akadémiai Kiadó, Budapest.

[7] Kraus dedica un trafiletto carico di ironia alla consuetudine di educare gli scolari alla lettura dei periodici a Danzica, ai tempi parte della Prussia, Die Kinder der Zeit [Die Zeitung in der Schule] (F, 1912, 354-356, p. 68).

[8] I. 1, vol. I, p. 50.

[9] Quotidiano indipendente cristiano, fondato a Vienna nel 1894. Cfr. Agnes Pistorius, 2011, «Kolossal Montiert», Ein Lexikon zu Karl Kraus «Die Letzten Tage der Menschheit», p. 397, Ibera Verlag / European University Press, Wien.

[10] Alice Schalek era corrispondente di guerra e poi redattrice della Neue Freie Presse. Era l’unica corrispondente donna dal fronte tra il 1914 e il 1928 (Ernesto Braun & Mario Car­pitella, 1996, “Indice dei nomi”, in Kraus, Karl, Gli Ultimi Giorni dell’Umanità, p. 739, Adelphi Edizioni, Milano). Spesso bersagliata sulla Fackel, Kraus inserisce la Schalek anche tra i personaggi dei Letzte Tage der Menschheit; per una panoramica sulle sue apparizioni cfr. Agnes Pistorius, «Kolossal Montiert», Ein Lexikon zu Karl Kraus «Die Letzten Tage der Menschheit», cit., pp. 421-424. Sull’animosità tra i due, cfr. il tentativo di evidenziare l’eccessiva ostilità da parte di Kraus in Elizabeth Klaus, 2008, “Rhetoriken über Krieg: Karl Kraus gegen Alice Schalek”, in Feministische Studien, vol. 26, n. 1, pp. 65-82.

[11] Szabò identifica Benedikt nel Signore delle Iene (E, vol. 2, pp. 273-308). Cfr. János Szabó, “Kraus und der Weltkrieg (1914-1918)”, cit., p. 87.

[12] Ivi, p. 89.

[13] «[…] La Fackel è anzi in fin dei conti un immenso, parossistico collage, un montage che vive delle rovine di un universo linguistico ormai in decomposizione. Non è difficile immaginare con quale ghigno sadico Kraus ritagliasse le sue citazioni dai giornali annien­tandone così la seppur fittizia compattezza e coerenza. Un lavoro di forbici che fa della negazione e della decontestualizzazione il principio creativo dell’arte moderna, come avrebbero teorizzato Adorno e Benjamin qualche anno più tardi» (Michele Cometa, 1999, “Cronache dall’apocalisse. Karl Kraus e il Demonico”, in Il demone della redenzione. Mistica e messianismo nella cultura tedesca da Hebbel a Lukàcs, pp. 85-96, qui p. 90, Aletheia, Firenze).

[14] Quotidiano viennese di tendenza liberale, fondato nel 1864, uscito fino al 1938. Espressione dell’alta borghesia, era diretto da Moriz Benedikt durante la stesura dei Letzte Tage der Menschheit (Ernesto Braun & Mario Carpitella, “Indice dei nomi”, cit., p. 731; Agnes Pistorius, «Kolossal Montiert», Ein Lexikon zu Karl Kraus «Die Letzten Tage der Menschheit», cit., p. 342). L’attività pubblicistica di Kraus era iniziata proprio collaborando con la Neue Freie Presse (Maurizio Cau, “Illuminare un paese in cui il sole non sorge mai”, cit., p. 17).

[15] Di citazioni e facsimile riportati su Die Fackel Kraus fa menzione anche in Die Letzten Tage der Menschheit durante uno scambio tra il Criticone e l’Ottimista, suo avversario-spalla. Dopo aver difeso per cinque atti il ruolo dell’Impero nel promuovere la necessità di gloriosi sacrifici per l’onore della patria, anche l’Ottimista deve arrendersi davanti all’evidente stru­mentalizzazione del patriottismo a scopo di lucro. Nella V.44 (vol. II, p. 209) il Criticone mostra al suo interlocutore sconcertato una serie di ritagli di giornale che trattano il tema della morte eroica in nome della patria romanticizzata per fini commerciali: ai venditori ambulanti si rivolge un annuncio di messa in commercio dell’imitazione di manifesti pa­triottici recanti la scritta «Er starb den Heldentod fürs Vaterland», perfetti per decorare i salotti di coloro che hanno perso un caro «auf dem Felde der Ehre». L’Ottimista non sop­porta la vista dell’inserto, chiedendo speranzoso al Criticone se quello non fosse forse uno scritto parodico del suo giornale.

[16] I dialoghi tra l’Ottimista e il Criticone vengono sostanzialmente cassati nella Bühnen­fassung (1928); Kraus scrive nella F, 1930, 834-837, p. 20, che la funzione del Criticone è stata quasi interamente sacrificata per fini pratici. Il personaggio appare solo tre volte in questa versione, libero dall’Ottimista, lo «Stichwortbringer», il cui spirito rimane veicolato nei dialoghi tra l’Abbonato ed il Patriota. Per un’analisi più approfondita cfr. Eckart Früh, 2005, “Nachwort des Herausgebers”, in Kraus, Karl, Die Letzten Tage der Menschheit. Bühnen­fassung des Autors, pp. 225-268, qui 231, Suhrkamp, Frankfurt am Main.

[17] Vw, vol. I, p. 5.

[18] I. 29, vol. I, p. 152.

[19] Secondo il Criticone la stessa operazione è stata un grande successo anche in Ger­mania: anzi, «kein Volk lebt entfernter von seiner Sprache, also von der Quelle seines Le­bens, als die Deutschen» (I. 29, vol I, p. 151). Con un gioco di parole in riferimento all’abu­sato invito a tener duro e alla retorica dell’orgoglio per la morte eroica dei figli della patria, l’Alienato berlinese profetizza nel quarto atto che «der Wahnsinn des Durchhaltens und der elende Stolz auf die Verluste der Andern […] wie […] die Begeisterung für den Hel­dentod ihrer Sohne – dass dieser perverse Geisteszustand einer Gesellschaft, die in einer organisierten Glorie atmet und sich von Selbstbetrug nährt, ein verkrüppeltes Deutschland hinterlassen wird» (IV.7, vol. II, p. 29).

[20] II. 10, vol. I, p. 125.

[21] Ibidem.

[22] Eberhard Sauermann, 2000, Literarische Kriegsfürsorge. Österreichische Dichter und Publizis­ten im Ersten Weltkrieg, Böhlau, Wien/ Köln / Weimar.

[23] Nell’Austria della Grande guerra creare l’illusione di sicurezza e unità era tra i compiti dei due ministeri dedicati alla Kriegsfürsorge, il Kriegsministerium (Kriegsfürsorgeamt) e l’Innenmi­nisterium (Kriegshilfsbüro) (ivi, p. 10).

[24] Ivi, rispettivamente pp. 127-218 e pp. 218-291.

[25] Punto di riferimento sulla storia del turismo austriaco è il lavoro di Alois Brusatti, 1984, 100 Jahre österreichischer Fremdenverkehr. Historische Entwicklung 1884-1984, Republik Ös­terreich, Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie, Wien, che ne traccia le tappe fondamentali a partire dal 1884. Brusatti dedica molto spazio alle premesse del boom di inizio Novecento. Col Congresso di Vienna nel settembre 1814 nasce il turismo nella Kaiserstadt. In Austria si sviluppa la cultura dei bagni termali, che attraggono giramondo alla ricerca di cure e ristoro. Il vero magnete turistico è il Salzkammergut, alla cui fama contri­buiscono giornalisti e scrittori (pp. 15-20). Durante il Biedermeier la borghesia soprattutto tedesca, che non può permettersi soggiorni eleganti in giro per l’Europa, scopre nell’Austria un’alternativa più avvicinabile. Nasce così quell’Ausflugtourismus che diventa presto turismo di massa, all’insegna di un’idea di ritorno alla natura incontaminata. Grazie alla costruzione delle ferrovie si creano le condizioni ideali per la crescita del turismo. Se nel 1871 la decina di hotel presenti sul territorio poteva alloggiare solo milionari, nobili e intellettuali di grido, la Grande Esposizione del 1873 rende necessaria la costruzione di nuove strutture. Le pra­tiche edilizie mostrano subito i segni della speculazione: è l’epoca dell’Hotel-Schwindelei (pp. 26-29).

[26] Ivi, p. 82.

[27] I profitti derivanti dall’attività turistica passano dai 78.000.000 di corone del 1908 ai 693.000.000 di corone nel 1911 (ivi, p. 86).

[28] Ibidem.

[29] Ivi, pp. 92-93.

[30] F, 1913, 372, pp. 16-18.

[31] F, 1903, 140, pp. 1-3.

[32] Alois Brusatti, 100 Jahre österreichischer Fremdenverkehr. Historische Entwicklung 1884-1984, cit., p. 83.

[33] F, 1903, 140, p. 1.

[34] F, 1902, 111, pp. 26-28.

[35] Per una stima del flusso di turisti nel 1914, sia stranieri che austriaci, Alois Brusatti, 100 Jahre österreichischer Fremdenverkehr. Historische Entwicklung 1884-1984, cit., pp. 86-87.

[36] Brusatti (ivi, p. 99) suggerisce la lettura di 3. November 1918 di Franz Theodor Czokor per uno schizzo della quotidianità nei lazzaretti.

[37] Ibidem.

[38] F, 1917, 472-473, p. 12.

[39] Vindobona era il nome generico dato ai campi militari romani situati nel territorio dell’odierna Vienna.

[40] IV. 17, vol. II, p. 43.

[41] Alois Brusatti, 100 Jahre österreichischer Fremdenverkehr. Historische Entwicklung 1884-1984, cit., p. 107.

[42] F, 1909, 283-284, pp. 48-56, qui p. 53.

[43] Ivi, p. 99.

[44] I. 1, p. 21.

[45] I. 1, vol. I, p. 45.

[46] F, 1913, 372-373, pp. 16-18.

[47] Autrice del pezzo è Else John, insegnante alla Volkschule di Perchtoldsdorf (Ernesto Braun & Mario Carpitella, “Indice dei nomi”, cit., p. 101).

[48] F, 1913, 372-373, p. 17.

[49] Canzoni popolari o da marcia rivitalizzate dalla propaganda di guerra. Cfr. Agnes Pistorius, «Kolossal Montiert», Ein Lexikon zu Karl Kraus «Die Letzten Tage der Menschheit», cit., p. 50 e p. 209.

[50] I. 9, vol. I, p. 68.

[51] Ivi, pp. 68-71.

[52] Il popolarissimo Hassgesang gegen England (1914) di Ernst Lissauer è un esempio di composizioni di propaganda nazionalistica ad opera di soggetti privati (scrittori, professori universitari), spesso impiegati presso istituzioni ufficiali come il Kriegsarchiv o il Kriegspresse­quartier) (Eberhard Sauermann, Literarische Kriegsfürsorge. Österreichische Dichter und Publizisten im Ersten Weltkrieg, cit., p. 340). Kraus fa riferimento più volte alla composizione nel dramma; nella scena I. 9 il maestro interroga gli scolari sull’autore dell’Hassgesang, e Merores risponde facendo il nome dell’avvocato Otto Frischauer, redattore del Wiener Tagblatt, quo­tidiano di tendenze democratiche (Ernesto Braun & Mario Carpitella, “Indice dei nomi”, cit., p. 752). Kraus sottintende maliziosamente come nelle famiglie viennesi si senta più facilmente il nome di redattori di quotidiani che di letterati.

[53] Kraus concepisce Die Letzten Tage der Menschheit, con più di duecento scene, come dramma da lettura.

[54] I. 9, vol. I, pp. 70-71.

[55] Elias Canetti, 1975, Das Gewissen der Worte, p. 45, Fischer Taschenbuch Verlag, Frank­furt am Main.

[56] Kraus intesse nei discorsi dei bambini le parole chiave della propaganda nazionalista sentite tra le mura domestiche.

[57] Ivi, p. 69.

[58] Sull’effettivo impatto delle misure economiche a favore dei familiari dei caduti di guerra cfr. Eberhard Sauermann, Literarische Kriegsfürsorge. Österreichische Dichter und Publizisten im Ersten Weltkrieg, cit., pp. 292-339.

[59] I. 39, vol. I, p. 69.

[60] Ernesto Braun & Mario Carpitella, “Indice dei nomi”, cit., p. 748.

[61] F, 1908, 266, p. 5.

[62] Ibidem.

[63] Al realismo dei primi quattro atti subentra lentamente una forte componente proto-surrealista, che culmina nell’ultima scena (V. 55) e nell’Epilog in una parata di personaggi reali e fittizi, feriti e cadaveri ambulanti, soldati congelati, animali e donne vestite da insetti, il Volto dell’Austria, maschere antigas maschili e femminili, Il Figlio Non Nato, La Voce di Dio.

[64] V. 23, vol. II, p. 166.

[65] Nel Vs. 10, vol. I, p. 38, alla veglia funebre di Francesco Ferdinando, Sukfüll porge le condoglianze a nome della Vereinigung. Il suo messaggio di cordoglio divaga immediata­mente su come tempi di tale incertezza impediscano di valutare se la morte dell’erede al trono d’Austria-Ungheria possa essere un evento positivo o negativo per il progetto dell’in­cremento del turismo. Sukfüll tornerà nella surreale scena V. 52, vol. II, p. 223, dove si esprimerà con le stesse formule usate nella scena precedente. Alla vista dei caduti che tor­nano dal mondo dei morti per sfilare davanti agli spettatori, Sukfüll osserva, ancora in qualità di delegato dal comitato, che nonostante non si possa negare che l’attività alber­ghiera abbia sofferto per la guerra ed il turismo sia stato ostacolato dalle difficoltà legate al razionamento di cibo, non si può certo chiudere gli occhi davanti ai gloriosi combattenti che hanno combattuto per la Casa d’Austria.

[66] F, 1926, 743-750, p. 94.

[67] Kraus taglia drasticamente la scena nella Bühnenfassung, (V. 5) conservando solo que­sto scambio.

[68] V. 24, vol. II, pp. 168-169.

[69] F, 1918, 484-498, p. 238.

[70] F, 1918, 484-498, pp. 238-240, qui p. 239.

[71] V. 55, vol. II, p. 265.

[72] Nota di regia eliminata nella Bühnenfassung.

[73] V. 54, vol. II, p. 232.

[74] F, 1917, 462-471, pp. 76-78, qui p. 77.

[75] F,1921, 577-582, pp. 96-98.

[76] Leggiamo sulla F, 1921, 577, p. 71 l’annuncio di una lettura plenaria il 16 ottobre al Wiener Bürgertheater, a cui segue la pubblicazione del testo a novembre nella F, 1921, 577, pp. 96-98. Si dà annuncio di letture successive nella Fackel, cfr. F, 1921, 583, p. 32; F, 1922, 588, p. 64; F, 1922, 588, p. 65; F, 1922, 608, p. 50; F, 1924, 649, p. 74; F, 1925, 686, p. 36; F,1925, 686, p. 39; F, 1925, 686, p. 44; F, 1926, 712, p. 42; F, 1926, 712, p. 49; F, 1926, 726, p. 74; F, 1927, 751, p. 128; F, 1928, 781, p. 3; F, 1928, 781, p. 65; F, 1928, 781, p. 77; F, 1928, 781, p. 83; F, 1929, 800, p. 48; F, 1929, 800, p. 49; F, 1929, 800, p. 50; F, 1929, 800, p. 51; F, 1929, 800, p. 52; F, 1929, 800, p. 53; F, 1929, 806, p. 11; F, 1929, 806, p. 43; F, 1929, 811, p. 36; F, 1929, 811, p. 42; F, 1930, 827, p. 46; F, 1930, 834, p. 28; F, 1930, 834, p. 30; F, 1931, 852, p. 53; F, 1931, 852, p. 55; F, 1931, 864, p. 5. La Wien Bibliothek im Rathaus mette a disposizione online all’interno del Karl Kraus-Archiv una registrazione audio e una video di una lettura del testo del 1934: https://www.kraus.wienbibliothek.at/con­tent/tondokument-reklamefahrten-zur-hoelle. [15 marzo 2018] e https://www.kraus.wien bibliothek.at/content/filmausschnitt-reklamefahrten-zur-hoelle [15 marzo 2018]. Su Kraus e le letture pubbliche cfr. Friedrich Rothe, 2003, “Der Vorleser und Sein Publikum”, in Karl Kraus: die Biographie, pp. 321-353, Piper Verlag, München. Il testo contiene anche una serie di foto.

[77] La lettura del 6 novembre 2011 presso l’Akademischer Verband für Literatur und Musik contava quasi mille ascoltatori, quasi tutti giovanissimi (Friedrich Rothe, “Der Vorleser und Sein Publikum”, cit., p. 327). Il giovane Canetti (Das Gewissen der Worte, cit., p. 51) identifica il vero Karl Kraus nell’oratore [sic] da pelle d’oca, che penetrava sotto pelle. L’im­patto oratorio di Kraus si costruisce sulla somma delle passioni riccamente sviluppate, quali collera, scherno, disprezzo e adorazione per il femminile, pietà e tenerezza per chi non aveva potere, audacia nell’andare a caccia di potenti, la voluttà con cui ne smascherava l’ottusità, l’orgoglio per il proprio isolamento, l’idolatria per Shakespeare, Goethe, Offen­bach. Canetti conserva la memoria di immense platee incollate sedie durante le letture pub­bliche: un sentire antibellico condiviso si accendeva con quell’orrore per la guerra che Kraus sapeva destare negli ascoltatori, soprattutto giovani (ivi, p. 258). Sul metodo prepa­ratorio delle letture secondo quando riportato nella corrispondenza con Sidonie Nádherny von Borutin, cfr. ivi, pp. 365-366. Diversa l’esperienza di Max Brod, che ricorda in Streit­bares Leben una lettura relativa ad un’operetta di Offenbach: «Auch von seiner berühmten Vortragskunst kann ich persönlich nichts Rühmliches berichten. Ich habe eine einzige sei­ner Lesungen gehört; und da habe ich wohl Pech gehabt, denn […] bin ich vielleicht zu­fällig auf eine Darbietung gestoßen, die in nicht von der vorteilhaften Seite zeigte. Sie war, um es mit nüchternen Worten zu sagen, schlechthin scheußlich» (Max Brod, 1969, Streit­bares Leben, p. 60, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlug, München / Berlin). Poco più avanti nel testo Brod criticherà aspramente l’antisemitismo krausiano, partendo dall’attacco ad Alfred Kerr, critico di Heinrich Heine, su cui già si era espresso su Die Aktion (ivi, p. 67), rivista contro cui Kraus si scagliava spesso in Die Fackel (cfr. in particolare F, 1906, 206, pp. 28-29).

[78] Jens Malte Fischer, 2005, “Reklamefahrten zur Hölle». Karl Kraus und die Mission der Presse”, in Daniel Jacob, Thomas Krefeld & Wulf Oesterreicher (eds.), Sprache, Bewusst­sein, Stil: theoretische und historische Perspektiven, pp. 217-224, qui p. 220, Gunter Narr Verlag, Tübingen.

[79] Ivi, 221.

[80] Nel 1917 Kraus pubblica sulla Fackel il piccolo componimento Kinematographischer Heldentod: «Das Weltgericht macht uns nicht bang, / doch wird uns gerne weltgeschichtlich / Kein Epos, ein Kino die Zeit besang:/ “Sämtliche Heldentaten ersichtlich!”» (F, 1917, 454-456, p. 5).

[81] Per Fischer il componimento che segue l’articolo, Im Untergang, (F, 1921, 577-582, p. 98), si offre come commento poetico a Reklamefahrten zur Hölle. Cfr. Jens Malte Fischer, “Reklamefahrten zur Hölle. Karl Kraus und die Mission der Presse”, cit., p. 223.

[82] F, 1921, 577-582, p. 96.

[83] Ivi, p. 98.

[84] Alois Brusatti, 100 Jahre österreichischer Fremdenverkehr. Historische Entwicklung 1884-1984, cit., p. 100.

[85] Ivi, 107.

[86] F, 1926, 717-723, pp. 74-75.

[87] F, 1926, 717-723, p. 74.

[88] Ivi, p. 75.

[89] F, 1926, 743-750, pp. 91-95.

[90] Ivi, p. 94.

 


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