Alexandra Rassidakis

(Thessaloniki)

«Verweile nicht bei den Hellenen, vernimm dich zu Byzanz»
Facetten der Griechenlandsehnsucht in deutschsprachigen literarischen Reiseberichten des 19. und angehenden 20.
Jahrhunderts

[«Linger not among the Greeks, betake yourself to Byzantium»
Aspects of the nostalgia for Ancient Greece
in German travel literature of the 19th and early 20th centuries
]

abstract. Austrian and German intellectuals were often disappointed when visiting contemporary Greece. This article examines various aspects of this tension between expectation and disappointment, as recorded in travel literature dating from the mid-nineteenth to the early twentieth century. It focuses on the nostalgia for Ancient Greece and its disillusionment due to the immense temporal distance. It also examines the portrayal of the landscape as a guarantee of continuity, in order to overcome this disappointment. To this Ancient-centered nostalgia this article juxtaposes one of a different kind, this time related to the Byzantine tradition. This nostalgia can be found in the German and Austrian travel literature that describes visits to Greek monasteries, especially on the Athos peninsula, and reaches its peak in the mystical overtones of travellers’ accounts in the twentieth century.

«Germans are tourists and Frenchmen are tourists but Englishmen are Greeks». So karikiert Virginia Woolf den Griechenlandenthusiasmus ihrer Landsleute in ihrem kurzen Text A Dialogue Upon Mount Pentelicus[1]. Dies klingt wie ein ironisches Echo zu Shelleys Einleitung zu seinem Gedicht Hellas von 1822: «We are all Greeks – our laws, our literature, our religion, our arts have their root in Greece»[2]. Allerdings scheint die Annahme einer seelischen Verwandtschaft zur hellenischen Welt besonders das deutschsprachige Bildungsbürgertum des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts zu kennzeichnen, wie es etwa bei Hegel deutlich formuliert wird: «Bei dem Namen Griechenland ist es den gebildeten Menschen in Europa, insbesondere uns Deutschen, heimatlich zu Mute»[3]. Die Auffassung einer besonderen Beziehung zu Griechenland, welche die deutsche Nation von den anderen europäischen Nationen differenziert, findet sich auch bei Humboldt:

Die Deutschen besitzen das unstreitige Verdienst, die griechische Bildung zuerst treu aufgefasst und tief gefühlt zu haben. […] Andre Nationen sind hierin nie gleich glücklich gewesen, oder wenigstens haben ihre Vertraulichkeit mit den Griechen weder in Commentaren noch Übersetzungen, noch Nachahmungen, noch endlich, in dem übergegangenen Geiste des Alterthums auf ähnliche Art bewiesen. Deutsche knüpft daher seitdem ein ungleich festeres und engeres Band an die Griechen, als an irgendeine andere, auch bei weitem näher liegende Zeit oder Nation.[4]

Diese verinnerlichte Hellas-Verehrung, gefestigt durch die klassizistische Hellas-Auffassung Winckelmanns, verbreitet durch die humanistische Bil-dungsreform Humboldts[5], erfährt einen Höhepunkt im Kontext des deutschen Philhellenismus[6] und bleibt bis in die ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bestehen[7], auch nachdem das klassizistische Antike-Bild durch Nietzsches Konzept des Dionysischen modifiziert wurde[8]. Es ist offensichtlich, dass bei der Annahme dieser Sonderbeziehung Griechenland nicht als reales Land, sondern als ideelle Größe gemeint ist, die bei Konzeptionen der Vergangenheit, aber auch der Zukunft von Bedeutung ist: so wird im Laufe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auf Griechenland nicht nur als “archaische Vergangenheit”[9], sondern auch, etwa bei Nietzsche, als Wegweiser für die Zukunft rekurriert[10]. Die Sonderbeziehung zu Griechenland ist somit mit dem Selbstverständnis und der Vorstellung Deutschlands als Kulturnation verknüpft, die «Suche nach Griechenland» verspricht Erkenntnisse über das eigene Wesen und die eigene Zeit.

Der Griechenland-Enthusiasmus beflügelt deutschsprachige Dichter und Denker und füllt mehrere Regale, doch oftmals kommt man, zumindest vor dem 20. Jahrhundert, erst gar nicht dazu, Griechenland tatsächlich zu bereisen. Im Gegensatz zu ihren englischen und französischen reisefreudigen Zeitgenossen, die bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die Grand Tour junger Adliger um die Levante erweitert hatten[11], realisieren deutschsprachige Dichter und Intellektuelle meistens nicht die lange Fahrt in ihr angebetetes Griechenland, sondern verweilen, wenn überhaupt, in dessen “Vorraum” Italien[12]. Diese “Griechenland-Abstinenz”[13] kann teilweise auf die beschwerlichen Bedingungen einer Reise ins Osmanische Reich zurückgeführt werden[14], die allerdings Engländer und Franzosen nicht abzuschrecken schienen. Man könnte meinen, dass deutsche Griechenland-Verehrer gerade wegen der empfundenen Seelenverwandtschaft die Realitätsprüfung scheuen. Ihre Wahlheimat ist eine geistige, sie soll – dem goetheschen Diktum entsprechend – “mit der Seele” gesucht werden. «Die Reise nach Griechenland ist von allen Reisen, die wir unternehmen, die geistigste» – so Hofmannstal in dem Vorwort seiner drei Essays Augenblicke in Griechenland (1908-1917); hier erinnert er auch daran, dass die Erwartungen eines (westlichen) Reisenden von geistigen Größen (er erwähnt Winckelmann und Goethe sowie Bachofen und Rohde) geformt wurden, die allerdings selber niemals in Griechenland gewesen sind[15].

Das imaginierte Griechenland prägt die Erwartungen der Reisenden und generiert eine spezifische Griechenland-Sehnsucht, die mehr über die Reisenden und weniger über das Land an sich aussagt. Hofmannsthal spricht von einer «geistigen Ungeduld» (AG 5), inspiriert von Generationen früherer Hellas-Enthusiasten: «Ungeduld regt sich in uns, unbezähmbar, ein geistiges Höchstes in Gestalten gewahr zu werden; eine Ungeduld, darin sich der Drang von wie vielen Geschlechtern verdichtet» (AG 5). Die Belastung durch konkrete Erwartungen, welche hier Hofmannsthal in seiner eleganten Prosa theoretisiert, findet sich, oftmals unreflektiert, in den meisten Reiseberichten dokumentiert. Ein gutes Beispiel hierzu bietet Maximilian Schmidt in seinem 1889 verfassten fiktiven Reisebericht Die Jachenauer in Griechenland[16]; Schmidt verarbeitet Briefe und Memoiren der Teilnehmer der bayerischen Expedition, die 1832 als Freiwillige den jungen König Otto in das von Aufständen und Krieg stark mitgenommene Griechenland begleiteten. Bei dem Aufruf des Königs Ludwig wurde, neben dem Versprechen von Reichtümern und Land, das gesamte ideologische Arsenal der Griechenlandidealisierung aufgeboten: Entsprechend enthusiastisch äußerten sich die so motivierten Freiwilligen:

Mit Freuden verließ man sein Vaterland, um nur auf dem Boden wandeln zu können, der durch so manche erhabene Erinnerung geheiligt ist. […] man sah im Geiste nur Rosengewinde, Olivenhaine, mächtige Weinlauben, welche sich an weißen Marmorpalästen emporranken, üppige Kornfelder mit dreifachen Ären, kurz, alles in Hülle und Fülle.[17]

Das europäische Ideologem von Griechenland als Heimat, die innig empfundene Vertrautheit mit der griechischen Antike, bedeutet in gewisser Hinsicht die Aufhebung der Fremdheitserfahrung: die Reisenden erkennen das Eigene im fernen Griechenland wieder, fühlen sich heimisch. Bezeichnend hierfür ist der Reisebericht Griechischer Frühling[18] von Hauptmann aus dem Jahre 1908, in dem das Paradigma der Vertrautheit gleichermaßen die Landschaft («Alles ist hier von einer erfrischenden, beinahe nordischen Einfachheit», GF 44), das Wetter («In der Luft wohnt deutscher Frühling», GF 50) und die Menschen umfasst («[…] ein blondes Mädchen […], blauäugig und von zart weißer Haut: ein großer, vollkommen deutscher Kopf, der als solcher auf einem Leiblschen Bilde stehen könnte», GF 35). Sogar der Schulchor auf Korfu klingt in seinen Ohren “deutsch”: «Die Stimmen der Singenden haben mehr einen kühlen deutschen Charakter und nicht den feurigen italienischen, an den man im Süden gewöhnt ist» (GF 19). Die Vertrautheit bestätigt somit die postulierte Seelenverwandtschaft, wobei sie hier als solche zum Reflexionsgegenstand wird:

Eine Empfindung kommt über mich, als sähe ich diese Fluren nicht zum Ersten Mal. Das Vertraute daran ist, was überrascht. Ich kann nicht sagen, daß mich etwa je auf der italienischen Halbinsel eine Empfindung des Heimischen, so wie hier, beschlichen hätte. (GF 44)

Und doch findet sich gerade bei Hauptmann auch die Thematisierung der Unmöglichkeit, sich zu einem idealen Griechenland aufzumachen:

Ich kenne übrigens keine Fahrt, die etwas gleich Unwahrscheinliches an sich hätte. Ist doch Griechenland eine Provinz jedes europäischen Geistes geworden: und zwar ist es noch immer die Hauptprovinz. Mit Dampfschiffen oder auf Eisenbahnen hinreisen zu wollen, erscheint fast so unsinnig, als etwa in den Himmel eigener Phantasie mit einer wirklichen Leiter steigen zu wollen. (GF 16)

Er selber distanziert sich von der Begeisterung seiner Zeitgenossen für ein imaginäres Griechenland: «Ich habe das schwächliche Griechisieren, die blutlose Liebe zu einem blutlosen Griechentum niemals leiden mögen» (GF 49). Und doch wird an anderer Stelle deutlich, dass er selbst ebenso verklärte Erwartungen hegt: «Was mir bevorsteht ist eine Art Besitzergreifen. […] ich bin berauscht von schönen Erwartungen, denn ich habe von dieser Insel, solange ich ihren Namen kannte, Träume geträumt» (GF 16).

Die konkreten Erwartungen, die geerbte Griechenland-Idealisierung belasten den westlichen Reisenden, der feststellen muss, dass Griechenland nicht (das imaginierte) Hellas ist. Die Reise nach Griechenland ist keine ein-fache Rückkehr in die Heimat, die Fremdheitserfahrung holt die Reisenden letztlich ein. Gerade die Erwartung des Vertrauten führt oftmals, bei der Konfrontation mit einer doch sehr fremd anmutenden Realität, zur Desillusionierung. Es erstaunt daher nicht, wenn die Berichte westlicher Griechenlandreisender zwischen enthusiastischer Erwartung und herber Ent­täuschung oszillieren[19]. So wird etwa das heutige Griechenland als Hindernis empfunden, das es zu überwinden gilt, wie es Hauptmann deutlich formuliert:

Eine Stadt wie das moderne Athen, das sich mit viel Geräusch zwi­schen Akropolis und Lykabettos einschiebt, muß erst in einem gewissen Sinn überwunden werden, bevor der Geist sich der ersehnten Vergangenheit ungestört hingeben kann. (GF 46)

Todorova spricht in ihrer Studie zum Balkandiskurs vom «frustrierten Philhellenismus» und bezeichnet hiermit die Enttäuschung über den Mangel an äußerer Ähnlichkeit der zeitgenössischen Griechen mit den antiken Statuen sowie über das Fehlen klassischer Umgangsformen[20]. Ein Beispiel hierzu bietet das Reisetagebuch Grillparzers, der sehr früh, 1843, unter anderem auch Griechenland bereist. Zu den Strapazen der Reise, die ihm an sich missbehagt[21], kommt der Dreck in Dörfern und Städten erschwerend hinzu, sowie der «widerlich starke Wein», der «entsetzliche Kaffee» und der «grie-chische Lärm», der ihn nicht zu Ruhe kommen lässt[22]. Die Ergriffenheit in Anbetracht der Ruinen hindert die westlichen Reisenden also nicht daran, sich über Dreck und Verwahrlosung der Bevölkerung auszulassen. So auch bei Hauptmann, bei dem sogar die blühenden Margeriten zu «lieblichen Teppichen des Elends» werden:

Kinder betteln mit Fröhlichkeit, starrend von Schmutz. […] Margueriten, wie Schnee über Wegrändern und Wiesen, bilden weiße, liebliche Teppiche des Elends. Erbärmliche Höfe sind von Aloepflanzen eingehegt, über deren Stacheln unglaubliche Lumpen zum Trocknen gebreitet sind, und in der Nähe solcher Wohnstätten riecht es nach Müll. Ich sehe nur Männer bei der Feldarbeit. Die Weiber faulenzen, liegen im Dreck und sonnen sich. (GF 23)

Die idealisierte Antike wird zum Maß, um das gegenwärtige Griechenland zu beurteilen, wobei das Urteil oftmals negativ ausfällt. Die Gegenwart wird als Verlust empfunden, die Geschichte Griechenlands als Verfallsprozess:

Der blaue Himmel wölbte sich zwar jetzt noch ebenso schön über dieses viel besungene Land, man fand keine Spur mehr von den Göttern und Helden, von denen die unsterblichen Dichter sangen.[23]

Abgesehen von der störenden Präsenz des gegenwärtigen Griechenlands, dass sich zwischen dem westlichen Reisenden und seiner Suche nach dem vertrauten Hellas stellt, wird oftmals zugegeben, dass das Hindernis in der immensen zeitlichen Distanz liegt. So wird in den Reiseberichten um die Jahrhundertwende konstatiert, dass die empfundene Seelenverwandt­schaft mit dem antiken Griechenland nicht ausreicht, um die Jahrhunderte zu überbrücken. Bei Hauptmann heißt es: «Ich finde, dass diese Ruinen einen spröden Charakter haben, sich nicht leicht dem Spätgeborenen aufschließen» (GF48). Ausführlich schildert Hofmannsthal in dem kurzen Text Die Statuen[24] seine Ratlosigkeit und Enttäuschung im Anblick der Akropolis:

Dies war Athen. Athen? So war dies Griechenland, dies die Antike. Ein Gefühl der Enttäuschung fiel mich an. Ich setzte mich auf einen der Trümmer, die da an der Erde lagen und auf die ewige Nacht zu warten schienen. (AG 49)

Wo ist diese Welt, und was weiß ich von ihr! rief ich aus. Wo fasse ich sie? […] Hier! Oder nirgends. Hier ist die Luft und hier ist der Ort. Dringt nichts in mich hinein? Da ich hier liege, wird’s hier auf ewig mir versagt? Nichts mir zuteil als dieses Gräuliche, diese ängstliche Schattenahnung? (AG 51)

Diese Götter, diese Menschen, ihr Handeln, alles schien mir fremd über die Maßen, trüglich, vergeblich. […] Dies alles war fremd über die Maßen und unbetretbar. (AG 53)

Unmögliche Antike, sagte ich mir, vergebliches Suchen. […] Nichts ist von all diesem vorhanden. Hier, wo ich es mit Händen zu greifen dachte, hier ist es dahin, hier erst recht. Eine dämonische Ironie webt um diese Trümmer, die noch im Verwesen ihr Geheimnis festhalten. (AG 54)

Doch, obgleich sich die Suche nach der geistigen Heimat schwieriger als erwartet erweist, wird in diesen oftmals mystisch angehauchten Reiseberichten geschildert, wie die zeitliche und kulturelle Distanz letzten Endes überwunden werden kann. Im Folgenden sollen einige Beispiele konkreter Überwindungsstrategien gegeben werden.

In Hofmannsthals Text wird die anfängliche Enttäuschung über die Unerreichbarkeit der Antike[25] später, bei der Betrachtung der Statuen im Museum, in einer mystischen Vision aufgehoben – das epiphanische Erlebnis transformiert den Erzähler[26]. Diese geglückte Begegnung mit der Antike, die, wie der Titel der Sammlung deutlich macht, einen “Augenblicks-Charakter” hat, wird beschrieben als Ektase: «Indem ich mich immer stärker werden fühle und unter diesem einen Wort: Ewig, immer mehr meiner selbst verliere […]» (AG 61)[27].

Neben der mystischen Erfahrung, erlauben Landschaft und Licht den Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu überbrücken:

Zu ihrem Animalischen haben diese Geschöpfe etwas Göttliches hinzu, aus der Luft: dieses Licht ist die unaufhörliche Hochzeit des Geistes mit der Welt. […] Die homerischen Götter und Göttinnen treten fortwährend aus der hellen Luft hervor; nichts erscheint natürlicher, sobald man dieses Licht kennt. […] Ein geistiges Höchstes an leiblichen Spuren zu erkennen – hier auf griechischem Boden verliert die Forderung ihr Übermäßiges, beinahe Unverschämtes. Unter diesem Licht ist ja wirklich das Geistige leiblicher und das Leibliche geistiger als irgend sonst auf der Welt. (AG 6)

Landschaft fungiert bereits bei Grillparzer als Garant von Kontinuität: «Die immer war, was sie jetzt ist, und dazu Zeugin jener unsterblichen Thaten und Werke»[28]. In seinem Reisetagebuch kontrastieren die negativen Beschreibungen von der Bevölkerung und deren Siedlungen mit seiner Begeisterung über die Landschaft. Es handelt sich um einen Zug, der im Laufe der Zeit zunehmen wird und zur regelrechten Verklärung der griechischen Landschaft in den Reiseberichten des angehenden 20. Jahrhunderts führen wird. Etwa bei Hauptmann, auf dessen Zweifel über die Unerreichbarkeit der griechischen Antike eine zum Teil sehr esoterisch angehauchte Be-schreibung der griechischen Landschaft folgt, die in einer mystischen Erfahrung im «Garten der Niriiden» kulminiert. Und doch wird dabei deutlich, dass es seine Bewunderung für die Antike, die bereits besprochene Griechenlandsehnsucht ist, welche die Mystifizierung der Landschaftswahrnehmung ermöglicht. Bezeichnend ist seine Beschreibung von Olympia, bei der die Landschaft die Kontinuität über die Jahrhunderte hinweg gewährleistet:

Es ist ein ewiges flüsterndes Aufatmen, traumhaftes Aufrauschen, gleichsam Aufwachen, von etwas das zugleich in einem schweren unerwecklichen Schlaf gebunden ist. Das Leben von einst scheint ins Innere dieses Schlafes gesunken. Wer nie diesen Boden betreten hat, dem ist es schwer begreiflich zu machen, bis zu welchem Grade Rauschen und Rauschen verschieden ist. (GF 488)

Auch in Thomas Manns kurzem Reisebericht Unterwegs, in dem sein Akropolis-Besuch von 1925 erwähnt wird, findet sich die Feststellung der Distanz zur verehrten Antike: «Aber sonst trieb ich mich ebenso ordinär und verächtlich zwischen den edlen Resten herum»[29]. Zugleich wird die Besonderheit dieser «edlen Reste» für den europäischen Besucher betont und die Distanz somit aufgehoben: «Es ist unbeschreiblich, wie verwandt, wie geistig-elegant, wie jugendlich-europäisch auf einmal, nach den Formen der Nilkultur, diese göttlichen Reste auf uns wirken. […] Zuletzt ist es unser aller Anfang, in Wahrheit unser heroisches Jugendland».[30] Die Wirkung des Ortes macht dem Reisenden die besondere, innige Beziehung zur griechischen Antike klar, die hier zum Kriterium des Europäischen an sich erklärt wird: «Wo ich stand, empfindet man, dass wahrhaft nur der Europens Sohn ist, der sich in seinen besten Stunden auf Hellas im Herzen zurückzubeziehen weiß»[31].

Thomas Mann betont also, dass die Reise nach Griechenland in erster Linie der Bestätigung der besonderen Beziehung zu Hellas dient, weshalb selbstverständlich auch die antiken Orte, die “edlen Reste” aufgesucht werden und diese Besuche einen festen Bestandteil der Reisebeschreibungen ausmachen. Diese Pilgerschaft, bzw. deren Schilderung, ist in der Gesellschaft hoch anerkannt, was wiederum nicht selten thematisiert wird. So schließt er seinen knappen Text mit der für ihn typischen Ironie:

In Gesellschaft werde ich fortan meinen Mann stehen, das ist gewiß. Ich werde sprechen wie ein Buch, dem Anschauung zugrunde liegt, wenn auch nur eine Hastige. Ich bin ungeduldig, diesen sozialen Vorteil zu genießen; ich wollte, es wäre so weit.[32]

Thomas Mann belächelt hier die Vorliebe des Publikums für Reiseberichte aus Griechenland, über die sich bereits E. T. A. Hoffmann – inmitten philhellenischer Begeisterung – lustig gemacht hatte; in seiner “griechischen” Erzählung Die Irrungen (1820) wird geschildert, wie bereits das Vorhaben einer Reise nach Griechenland sich als vorteilhaft für den jungen Protagonisten erweist:

Eine Reise nach dem romantischen Griechenland – ein geheimnisvolles Abenteuer – ein Abschied auf vielleicht nie Wiedersehen – war das nicht genug, die zartesten Fräuleins in Ekstase zu setzen?[33]

Die Tatsache, dass er die Reise letztlich doch nicht unternimmt, spielt für sein gesellschaftliches Ansehen keine Rolle:

Kam noch hinzu, dass er von der Reise nach Griechenland, die er hatte unternehmen wollen, allerliebst und sogar tiefsinnig und gelehrt zu sprechen wusste, so kommt es gar nicht fehlen, dass er, seine ganze Liebenswürdigkeit wiedergewinnend, jeden Spott niederschlug und der Abgott mehrerer Fräuleins wurde, wie er es sonst gewesen.[34]

Hier wird deutlich, dass die auf die Antike fixierte Griechenlandsehnsucht gleichermaßen die Reisenden wie auch die Rezipienten ihrer Reisebe-richte (das deutschsprachige, gebildete Lesepublikum daheim) ergreift, was vielleicht die bis heute andauernde hohe Anzahl deutschsprachiger Reiseberichte und Griechenland-Romane aber auch deren oftmals klischeehafte editorische Aufmachung erklärt.

Literarische Reisen in die Welt des Byzanz

Zum Bild des gegenwärtigen Landes gehört oftmals, neben der Beschreibung von Menschen und Siedlungen, die Schilderung von byzantinischen Kirchen und Klöstern, sowie des Eindruckes, den das orthodoxe Ritual auf die Reisenden macht. Tatsächlich finden sich in den meisten Reiseberichten Erwähnungen von Kirchen und Klöstern. Obwohl man annehmen könnte, dass das byzantinische Erbe im Verhältnis zur fernen Antike sowohl zeitlich als auch aus theologischem Gesichtspunkt den westlichen Reisenden näher stünde, stellt sich heraus, dass die Fremdheitserfahrung hier zunimmt.

Bei Hauptmann wird die Besichtigung von Kirchen und Klöstern nebenbei geschildert, der Erzähler wirkt eher indifferent (GF 56, GF 90). Einen größeren – befremdlicheren – Eindruck machen auf ihn die Figuren der schwarzbekleideten Priester:

Ich sehe die ersten griechischen Priester, die im Schmuck ihrer schwar­zen Bärte, Talare und hohen, röhrenförmigen Kopfbedeckungen Magiern ähneln, auf Plätzen und Gassen herumstreichen. (GF 19)

Der Vergleich zu Magiern findet sich auch bei Hofmannsthal. Hier wird dem byzantinischen Erbe mehr Interesse entgegengebracht; einer der drei Texte, aus denen der schmale Band Augenblicke in Griechenland besteht, berichtet von einem Besuch im Kloster des Heiligen Lukas. Hofmannsthals Beschreibung des Klosters betont die Andersartigkeit einer Welt, die zwar auf den Betrachter befremdend wirkt aber dennoch positiv konnotiert ist:

Das schwarze lange Gewand, die schwarze hohe Kopfbedeckung, das lässige Dastehen mit dem Blick auf die Ankommenden in dieser paradiesischen Einsamkeit, das alles hatte etwas vom Magier an sich. (AG 11)

Das überweltliche, nichtmenschliche wird im Folgenden weiter ausgeführt: Etwa wenn die von ihren Gewändern akzentuierte Bewegung der Mönche kommentiert wird:

In ihrem Gang war der gleiche undefinierbare Rhythmus: gleich weit von Hast und Langsamkeit. Sie verschwanden gleichzeitig in der Kirchentür, wie ein Segel, das hinter einem Felsen verschwindet […] nicht wie Menschen, die in ein Haus treten. (AG13)

Ebenso “nicht aus dieser Welt”, fremd und zeitlos, wirken die Psalmen auf den Reisenden: «Die Stimmen hoben und senkten sich, es war etwas Endloses, gleich weit von Klage und von Lust, etwas Feierliches, das von Ewigkeit her und weit in die Ewigkeit so forttönen mochte» (AG 13).

Gegen Ende des kurzen Textes wird deutlich, weshalb die Berührung mit dieser Welt, trotz aller Fremdheit, für den Reisenden wichtig ist. Das griechische Kloster, als Ort der Frömmigkeit und der jahrhundertalten Ritualen, wird als Zeitfenster beschworen, durch das man die Verbindung zur Antike herzustellen erhofft. Es wird daher als besonderer Ort gefeiert, in dem vergangene Zeiten – in dem Fall das naheliegende Delphi – präsent und somit erfahrbar sind: «Man blickt ihre Jahrhunderte hinab wie in eine Zisterne, und in Traumtiefen unten liegt das Unerreichliche. Aber hier ist es nah. […] Der gleiche Boden, die gleichen Lüfte, das gleiche Tun, das gleiche Ruhn» (AG 19). Auf diese Weise wird die Fremdheitserfahrung des orthodoxen Rituals letztlich wieder an den Antike-Diskurs gekoppelt und vertraut gemacht; die Hellas-Sehnsucht bestimmt also auch die Begegnung mit der byzantinischen Seite Griechenlands.

Athosgänger

Auf dem Berg Athos, im äußeren Norden der Ägäis, werden seit dem 9. Jahrhundert beide Grundtypen des christlichen Mönchtums praktiziert, das Anachoreten- bzw. Eremitentum und das Koinobium, die Klostergemeinschaft. Von byzantinischen Kaisern und orthodoxen Königen aus Russland und dem Balkan unterstützt, florieren im Laufe der Jahrhunderte teilweise prunkvolle Klöster, neben zahlreichen Höhlen und kleineren Bauten für Einsiedler und Asketen. Das Interesse des Westens für den Athos ist bereits im 14. Jahrhundert belegt[35], wobei die Motivation der Reisenden stark vari-iert: Neben den Gelehrten, welche auf dem heiligen Berg das Erbe des Altertums suchen[36], finden sich Naturkundler, die sich in erster Linie um die Erdformationen, Fauna und Flora interessieren[37]. Hinzu kommen im 17. Jahrhundert die Reisenden im Auftrag der katholischen Kirche, deren Berichte die klare Funktion haben, dem Adel und dem Klerus in Westeuropa Informationen über die orthodoxe Tradition zu liefern[38]. Diese Besucher fokussieren auf die Klosterwelt an sich, wobei aus den Texten deutlich wird, dass auch wenn die Abgesandten der katholischen Kirche den religiösen Eifer der Mönche würdigen, sie der orthodoxen Tradition jedoch mit Ablehnung und Überheblichkeit entgegentreten: Sie lehnen die Lehren als irreführend ab, verhöhnen die Legenden und tragen zur Verbreitung der Vorurteile über die Verstocktheit, Falschheit und Hinterlist der Griechen bei[39]. Im 19. Jahrhundert beginnt auch auf dem Athos die Jagd nach seltenen Manuskripten, wobei das Interesse hauptsächlich antiken und hellenistischen Texten gilt. So etwa der britische adlige Robert Curzon, der seine “Jagdzüge” in seinem Bericht Visits to Monasteries in the Levant von 1849 dokumentiert und der das Bild vom ignoranten Mönch, der die Schätze in seinem Besitz nicht zu würdigen weiß, etabliert.[40]

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich auch deutschsprachige Reiseberichte über den Athos, wobei deutlich wird, dass der heilige Berg (“Hagion Oros” lautet die griechische Bezeichnung) als Reiseziel eine Abweichung von der gängigen Ruinen- Verklärung darstellt: es ist eine andere Art von Sehnsucht, welche die westlichen Besucher zur Mönchsrepublik führt. Hier werden nicht die klassischen Stätten aufgesucht und die Antike beschworen, sondern ein Einblick in das jahrhundertalte orthodoxe Ritual gesucht, wobei die gelebte Weltflucht und die betörende Landschaft zur besonderen Anziehungskraft von Athos beitragen. Anhand zweier konkreter Beispiele aus Österreich soll dieser anderen Griechenlandsehnsucht nachgegangen werden: einem der frühsten literarischen Reiseberichte über den Athos in deutscher Sprache, Jacob Fallmerayers, Hagion Oros oder der Heilige Berg Athos von 1842, und dem für die esoterischen Tendenzen der 1920er Jahre typischen Text Theodor Däublers Der heilige Berg Athos: Eine Symphonie von 1922.

Jacob Fallmerayer bereist 1841 den Athos im Kontext seiner zweiten Orientreise (1840-42). In seinem Reisebericht[41] liefert er einen kurzen Ab­riss der Geschichte der Mönchsrepublik, erklärt die unterschiedlichen Organisationsstrukturen der Klostergemeinschaften, beschäftigt sich jedoch kaum mit den religiösen Praktiken, so wie er sich auch nicht für Fragen der orthodoxen Kunst interessiert. In eleganter Prosa wird die überwältigende Schönheit der Landschaft hervorgehoben, bei der der Südtiroler sich an seine Heimat erinnert fühlt (HO 67) – wir sehen auch hier das Moment der Vertrautheit, das bereits weiter oben als typisches Merkmal des Griechenlanddiskurses besprochen wurde. Das Empfinden der Vertrautheit hindert jedoch Fallmerayer nicht daran, an anderen Stellen die Einmaligkeit der Natur des heiligen Berges hervorzuheben: «[…] nirgends aber ein so schlankes Maß angelegt, die Wände so romantisch ausgeführt und den Wuchs in so liebliche Formen gegossen wie hier» (HO 9). Aus seiner Feder stammen seitenweise enthusiastische Naturbeschreibungen, deren schwärmerischer Charakter vom Autor selbst thematisiert wird:

Freilich hat man wegen Empfindsamkeit und romantischen Schwärmens für prachtvolle Naturszenen und Waldeinsamkeit die Deutschen von jeher ausgelacht. Aber was soll man sagen, wenn der Bergabhang von Karyäs mit seinen luftigen Pinien […] sogar frostigen Seelen aus den britischen Inseln als ein zweites Eden erscheint […] selbst von abgestumpften Klausnern und Weltüberwindern des Athos wie ein irdisches Paradies gepriesen wird? Nur ist alles Reden und Malen umsonst, weil die Sprache zu arm und mit einem Schlage das Panorama in seiner Farbenpracht der Seele vorzuzaubern unvermögend ist. (HO 14)

Bei Fallmereyer findet sich ein Motiv, dass auch spätere Reiseberichte prägen wird: Der Athos wird als ein alternatives Lebensmodell beschrieben. Fallmereyer bekundet offen seine Faszination für ein ruhiges, zurückgezogenes Leben in der Natur, das er mit dem Stadtleben in Zentraleuropa vergleicht, wobei er die Gelegenheit ergreift, die störenden Facetten seines Alltags aufzuzählen: «[…] die Eitelkeit, die Ignoranz, der Hochmut, der Schmutz und die Langweile []» (HO 6). Es handelt sich jedoch um mehr als das Lamento eines enttäuschten, sich missverstanden fühlenden Gelehrten. Fallmerayer vergleicht zwei gleichwertige Paradigmen: Er stellt den Wissensdrang des Abendlandes der bewusst gewählten Ignoranz der Athos-Mönche gegenüber, wobei seine Darstellung von Einfühlsamkeit und Akzeptanz zeugt:

Wir überlassen es anderen, vom stereotypen, toten Buchstaben der Athos-Konstitution zu reden und mitunter zu berechnen, wie viel eine Gesellschaft an Kraft und Wert verliere, sobald sie sich außer Bereich des Fortschrittes, der stetigen Verbesserung und des abendländischen Wandelprinzips gestellt. […] Leute, die den Kampf mit der Materie wagen, sind noch keine Toren, und wenn Freiheit und innerer Friede um geringeren Preis als um Hingabe der Wissenschaft, der Kunst und der Lebenseleganz nicht zu erringen sind, so darf selbst der Philosoph den Kauf nicht tadeln. (HO 93)

Wie verschieden ist alles bei uns! Wir haben die Tyrannei der Bildung, des Progresses, der Doktrin, des feinen Tones […]. (HO 103)

Der Aspekt der Weltflucht bzw. der Zivilisationskritik wird zum zentralen Merkmal der sich nun häufenden[42] Reiseberichte über den Heiligen Berg in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Es entwickelt sich so ein anderer Griechenlanddiskurs, der parallel zur Antikenbegeisterung existiert und der nicht weniger verklärend ist, zumal er der für die Zeit typischen oftmals mystisch angehauchten Suche nach einer Alternative zur modernen, fortschrittsorientierten Gesellschaft entspricht[43].

In Theodor Däublers mit neomythischen Momenten[44] angereichertem Reisebericht von 1922 Der heilige Berg Athos: Eine Symphonie[45] finden sich die Koexistenz und der Widerstreit der beiden Griechenlandsehnsüchte. Direkt zu Beginn spricht er von der Notwendigkeit, sich von dem Phantasma der Antike zu befreien, um sich der Welt des Byzanz nähern zu können. Mit dem für diesen Text typischen Pathos fordert er sein Herz auf: «Verweile nicht bei den Hellenen, vernimm dich zu Byzanz» (AS 14).

Bei Däubler findet sich die Kombination aus Naturbewunderung und Kulturkritik wieder, die bereits Fallmerayers Athos-Bericht gekennzeichnet hat. Däubler präsentiert gleich zu Beginn seine Reise auf den Athos als eine Flucht vor der westlichen Zivilisation: «Ich suche nicht mehr, als mir hoffentlich gebührt: einige Atemzüge Freiheit und bloß etwas Rast für die eigene Zerspaltenheit» (AS 13). Doch Däublers Begeisterung für die «Einzigartigkeit von Athos» (ΑS 30) geht über eine bloße Kulturkritik des Westens hinaus. Seine Sehnsucht äußert sich nicht, wie bei Fallmerayer, als der Traum, sich selbst als Einsiedler im Athos niederzulassen. Däubler erhofft sich durch die Berührung mit der Welt der Orthodoxie eine Erneuerung der westlichen Kultur[46]: Athos soll über Europa erstrahlen – seine Worte klingen wie eine Beschwörung:

Athos gib durch dunkle Felsen, innerirdisch, untermeerisch, in von dir gewölbten Bögen die zu dir in tiefstem Bogen hergelangte Glutenbrücke aus Jerusalem kühn weiter: nach Epirus und Illyrien bis zur Donau und den Dnjestr, und sogar hinauf zum Rhein, auch zur Rhone und bis zur Themse und so fort: fern zur Wolga und noch ferner! (AS 52)[47]

Die Hoffnung auf Erneuerung der eigenen Kultur durch (Rück-)Besinnung auf das griechische Erbe, ein zentrales Merkmal des Hellas-Enthusiasmus deutscher Intellektueller des 19. Jahrhunderts, findet sich auch hier, allerdings mit einer mystisch-religiösen Ausrichtung und in Bezug auf das byzantinische Erbe.

Däubler beschreibt einzelne Klöster und hebt die zentrale Stellung der Heiligenlegenden hervor; ausführlich gibt er Erzählungen über Heilige, Wundertätige Ikonen usw. wieder (AS 90 ff). Doch letztlich geht es ihm nicht um die Besonderheit der orthodoxen Lehre und Tradition, sondern um die Lebenspraxis der Spiritualität und Weltabgewandtheit. Ähnlich wie bei Hofmannsthal wird auch hier die Kontinuität betont bzw. die Hellasbegeisterung als Folie des Interesses für das byzantinische Erbe kenntlich gemacht: Athos wird als heiliger Ort mit den Heiligtümern der Antike wie Olympia und Delphi in Bezug gesetzt. Der hohe Berg erlaube eine besondere Perspektive auf eine Landschaft, die sich als die antike Landschaft entpuppt: die Heimat von Helden und Göttern. (AS 14). Die auffällige Insistenz in diesem Text, die Klosterwelt vom Athos mit der Antike zu verknüpfen[48], wurde als eine Art Legitimationsstrategie interpretiert: Meid spricht von einer “Veredelung” des geistigen Gehaltes von Athos durch die Ver-bindung mit der Antike[49]. Man könnte hierin jedoch auch den Versuch sehen, das Fremdartige über den Umweg der (vermeintlich) heimischen Antike vertraut zu machen. Die Einzigartigkeit der Mönchsrepublik wird zwar deklariert – «Ehrfurcht sei dem Athoshaupt gezollt; nirgends gibt es seinesgleichen!» (AS 16) – und doch letztlich in einer emotional aufgeladenen, synkretistischen Vision aufgehoben: «Zu einem Tempel Indiens ward mir einst der Heilige Berg» (AS 18). Bezeichnend ist dann auch der Schluss, der eher etwas über die westlichen Athosgänger, als über die Mönchsrepublik aussagt: «O, vom Athos knistern oft Sorgengeister und Trostgespenster auf: sie finden Frommvereinsamte»[50] (AS 56). Athos wird zum «gegenwärtigen spirituellen Utopia»[51] stilisiert, das, wie einst das apollinische Delphi, nur Auserwählten den Zugang gewährt.

Man kann somit von einem anderen Griechenland-Diskurs sprechen, der sich nicht auf das klassische Erbe, sondern die byzantinische Tradition konzentriert, und der nicht minder verklärend ist: die ungezähmte Natur bzw. die Weltabgeschiedenheit und Fortschrittsskepsis der Mönche kommen der Sehnsucht nach einer alternativen Lebensweise westlicher Reisender entgegen. Streckenweise konkurriert dieser “Byzanz-Diskurs” mit dem Hellas-Diskurs, andere Male wird er von ihm eingeholt. In der Aufforderung Däublers – «Verweile nicht bei den Hellenen, vernimm dich zu Byzanz» – wird einerseits die Forderung ausgesprochen, sich mit einer anderen Seite Griechenlands zu befassen, zugleich wird jedoch auch deutlich, dass bei Reiseberichten über Griechenland, auch wenn sie einen anderen Fokus haben, die Antike immer, wenn auch als Leerstelle oder Negation, latent präsent ist.

Bibliographie

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[1] Virginia Woolf: «A Dialogue upon Mount Pentelicus», in: Dies.: The Complete Shorter Fiction of Virginia Woolf (Michigan: Hogarth, 1989), 64-68, 64. Siehe hierzu Jeanne Dubino: «From Greece 1906 to A Dialogue upon Mount Pentelicus: From Diary Entry to Traveler’s Tale», Virginia Woolf Miscellany 79 (2011), 21-23, 21. Siehe auch Rowena Fowler: «Moments and Metamorphoses: Virginia Woolf’s Greece», Comparative Literature 51:3 (1999), 217-42.

[2] Percy Bysshe Shelley: «Hellas», in: Donald H. Reiman (Hg.): Shelley’s Poetry and Prose (New York: Norton, 2002), 431.

[3] Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Ders.: Werke in zwanzig Bänden, Band 18 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979), 173. Siehe hierzu auch Manfred Landfester: «Griechen und Deutsche: Der Mythos einer “Wahlverwandtschaft”», in: Helmut Berding (Hg.): Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996), 198-219.

[4] Wilhelm von Humboldt: «Geschichte des Verfalls und Untergangs der griechischen Freistaaten» (1807-1808), in: Ders.: Werke, Band 2 (Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik), hg. von Andreas Flitner und Klaus Giel (Stuttgart: Cotta, 1961), 173-124, 87. Vgl. hierzu den Beitrag von Matthiessen, der auf die historischen Umstände hinweist und die Affinität zum griechischen Geist mit der Vorstellung von Deutschland als Kulturnation verbindet: Kjeld Matthiessen: «Wilhelm von Humboldt und das Studium des Altertums», in: Gerhard Lohse (Hg.): Aktualisierung von Antike und Epochenbewusstsein (München, Leipzig: K. G. Saur Verlag, 2003), 179-198.

[5] Manfred Fuhrmann, Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters (Frankfurt am Main: Insel Verlag, 2004), 55ff.

[6] Vgl. Gilbert Hess, Elena Agazzi und Elisabeth Décultot (Hg.): Graecomania. Der europäische Philhellenismus (Berlin: de Gruyter, 2009).

[7] Sünderhauf verfolgt die Rezeption von Winckelmanns idealisierter Antike bis hin zur faschistischen Auffassung einer «Sonderrolle der deutschen Nation», vgl. Esther Sophia Sünderhauf: Griechensehnsucht und Kulturkritik: Die deutsche Rezeption von Winckelmanns Antikenideal 1840-1945 (Akademie Verlag, 2004). Auf die problematischen Folgen des Hellas-Kultes hatte schon Butler aufmerksam gemacht, E. M. Butler: The Tyranny of Greece over Germany: A study of the influence exercised by Greek art and poetry over the great German writers of the eighteenth, nineteenth, and twentieth Centuries (Cambridge: University Press, 1935).

[8] Achim Aurnhammer und Thomas Pittrof (Hg.): Mehr Dionysos als Apoll: Antiklassizistische Antike-Rezeption um 1900 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2002). Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Christoph Meid: Griechenlandimaginationen: Reiseberichte im 20. Jahrhundert von Gerhart Hauptmann bis Wolfgang Koeppen (Berlin: Walter de Gruyter, 2012), 28ff.

[9] In ihrer Studie zum Hellas-Bild in der deutschsprachigen Literatur der 1930er und -40er Jahre führt Santini das «Mysterium der Frühe», das «Wunder des Ursprünglichen» als Erklärung für die Hellas-Verehrung deutschsprachiger Denker an, als «die besondere Aura, die alles Griechische umhüllt». Daria Santini: Wohin verschlug uns der Traum? Die griechische Antike in der deutschsprachigen Literatur des Dritten Reichs und des Exils (Frankfurt am Main, New York: Peter Lang, 2007), 10.

[10] Griechenland sei die «Hoffnung für das deutsche Wesen», erklärt Nietzsche 1885 (vgl. KSA 11: 679).

[11] Vgl. Ernst Osterkamp: «Auf dem Weg in die Idealität – Altertumskundliche Reisen zur Zeit des Greek Revival», in: Hermann Bausinger, Klaus Beyrer, und Gottfried Korff (Ηg): Reisekultur: Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus (München: C. H. Beck, 1991), 186-192.

[12] Vgl. Claudia Schmölders: Faust & Helena: eine deutsch-griechische Faszinationsgeschichte (Berlin: Berenberg, 2018), 27 f. Zu dem Konzept und der Praxis des Bildungsreise siehe Fuhrmann: Der europäische Bildungskanon, a.a.O., 173ff.

[13] Adolf Max Vogt: Karl Friedrich Schinkel, Blick in Griechenlands Blüte (Frankfurt am Main: Fischer, 1985), 6. Vgl. ebenfalls die Ausführungen von Danae Coulmas: «Hellenismus als Kulturleistung. Altgriechisches Erbe als Kristallisationselement des neuzeitlichen Kulturverständnisses», in: Alexander von Bormann (Hg.): Ungleichzeitigkeiten der Europäischen Roman­tik (Würzburg: Königshausen und Neumann, 2006), 63-94, 69ff.

[14] Vgl. Meid: Griechenlandimaginationen, a.a.O., 22.

[15] Hugo von Hofmannsthal: Augenblicke in Griechenland (Zürich: Arche, 1917). Im Folgenden als AG und Seitenzahl abgekürzt.

[16] Maximilian Schmidt: Die Jachenauer in Griechenland (Hamburg: tredition, 2012).

[17] Ebd. 67.

[18] Gerhart Hauptmann: Griechischer Frühling, in: Ders. Sämtliche Werke, Band 7, hg. von Hans-Egon Hass (Berlin: Propyläen, 1996), 9-119. Im Folgenden als GF und Seitenzahl abgekürzt.

[19] Bezeichnend ist die Darstellung dieser Enttäuschung bei Schmidt: Auf die bekannten Verse Goethes anspielend, erklären die Jachenauer: «Wir estimieren die Pomeranzen und Lemoniwaldungen nit. Was is dagegen a Tanna- oder a Buchenwald!», Schmidt: Die Jachenauer in Griechenland, a.a.O., 82.

[20] Maria Nikolaeva Todorova: Die Erfindung des Balkans: Europas bequemes Vorurteil (Darmstadt: Primus, 1999), 137ff.

[21] Müller Funk zeichnet das Portrait Grillparzers als eines unwilligen Reisenden, seine Griechenland-Reise als «Erfahrung einer Deplazierung», vgl. Wolfgang Müller Funk: «Ich werde den Parnaß; ich werde Delphi nicht sehen. Die Prosa der Gegenwart. Grillparzers Reise nach Griechenland (1843)», in: Maria Oikonomou, Maria A. Stassinopoulou, Ioannis Zelepos (Hg.): Griechische Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert. Verortung, Bewegung, Grenzüberschreitung, (Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag, 2011), 187-200, 191.

[22] Franz Grillparzer: Tagebuch auf der Reise nach Konstantinopel und Griechenland, in: Ders.: Sämtliche Werke, hg. von August Sauer (Stuttgart: Cotta, 1892), 176, 179.

[23] Schmidt: Die Jachenauer in Griechenland, a.a.O., 112.

[24] Es handelt sich um die dritte Erzählung des Bandes Augenblicke in Griechenland. Vgl. hierzu die Ausführungen von Hans Jürgen Schings: «Hier oder nirgends. Hofmannsthals Augenblicke in Griechenland», in: Jochen Schmidt, Olaf Hildebrand und Thomas Pittrof (Ηg.): «Auf klassischem Boden begeistert»: Antike-Rezeptionen in der deutschen Literatur (Freiburg: Rombach, 2004), 365-388.

[25] Es handelt sich hierbei um eine Problematik, die Hofmannsthal bereits vor seiner Griechenlandreise, bei dem schöpferischen Umgang mit der Antike in seinen Dramen beschäftigt, vgl. sein Vorspiel zur Antigone des Sophokles von 1900. Siehe hierzu auch Daria Santini: «“Wir wollen in uns spazierengehen”: Gerhart Hauptmann’s and Hugo von Hofmannsthal’s Greek Travel Writings», Oxford German Studies 29:1 (Januar 2000), 131-54, 136.

[26] Zum mystischen Aspekt in Hofmannsthals Text in Bezug auf dessen Kunstauffassung vgl. die Ausführungen von Nafsika Mylona: Griechenlands Gedenkorte der Antike in der deutschsprachigen Reiseliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014), 101ff.

[27] Beschrieben wird hier allerdings in erster Linie die Wirkung des Erlebnisses auf das Individuum, den Künstler. Siehe auch die Ausführungen von Meid, der Hofmannsthals Augenblicke der Griechenlandreise Hauptmanns gegenüberstellt: Christopher Meid: Griechenland-Imaginationen, a.a.Ο., 115 ff.

[28] Ebd. 182.

[29] Thomas Mann, «Unterwegs», in: Ders.: Sämtliche Werke Bd. 15 (Essays II, 1914-1926), hg. von Hermann Kurzke (Frankfurt am Main: Fischer, 2002), 952-962, 960.

[30] Ebd. 960.

[31] Ebd. 961.

[32] Ebd. 962.

[33] Es handelt sich um eine Doppelerzählung, erschienen 1820 und 1821, bestehend aus Die Irrungen und Die Geheimnisse. E. T. A Hoffmann: Sämtliche Werke in Sechs Bänden, Bd. 5, hg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht (Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1985), 461-568, hier 482.

[34] Ebd. 493.

[35] Folker Reichert: Athos: Reisen zum Heiligen Berg 1347-1841 (Stuttgart: Thorbecke, 1996) sowie Michael John Llewellyn Smith: «Mount Athos» in: Jennifer Speake (Hg.): Literature of Travel and Exploration: A to F (New York, London: Taylor & Francis, 2003), 41-43.

[36] Etwa der italienische Humanist Cristoforo Buondelmonti (ca. 1385- 1430) und der italienische Kaufmann und Sammler Ciriaco d’Ancona (1391-1452).

[37] Etwa der französische Diplomat und Naturkundler Pierre Belon (1517-1564), der 1553 sein Voyage au Levant publiziert, oder der britische Botanologe John Sibthorp (1758-1796), dessen Beschreibung von der Flora des Athos in sein Werk Flora Graeca (1806) Eingang findet.

[38] Etwa der Franzose François Braconnier (1656-1716) oder der Brite John Covel (1638-1722). Vgl. Reichert: Athos, a.a.O., 56 ff.

[39] Ebd. 57f.

[40] Ebd. 61ff.

[41] Jakob Philipp Fallmerayer: Hagion Oros, oder, Der Heilige Berg Athos (Wien: Herder, 1949). Im Folgenden als HO und Seitenzahl abgekürzt.

[42] Meid erklärt das zunehmende Interesse einerseits durch die politischen Umstände, welche einen Besuch erleichtern (die Mönchsrepublik ist seit 1878 autonom und seit 1912 Teil des griechischen Staates), andererseits als symptomatisch für die Zeit, da es der Zivi-lisationskritik und der spirituellen Sinnsuchen der 1920er Jahre entspricht. Christopher Meid: Griechenland-Imaginationen, a.a.O. 202.

[43] Dem Zusammenhang von Mystik und Moderne widmet sich der Sammelband von Moritz Baßler und Hildegard Chatellier (Hg): Mystizismus und Moderne in Deutschland um 1900 (Strasbourg: Presses Universitaires de Strasbourg, 1998). Anhand von Einzelstudien wird deutlich gemacht, dass «an entscheidenden Knotenpunkten der Moderne (unter vielen anderen) auch mystische Diskurse beteiligt waren» (25).

[44] Thomas Keller: Welterfahrung und Fremderfahrung. Zur Mythologie Theodor Däublers, ebd. 255-278.

[45] Theodor Däubler: Der heilige Berg Athos: Eine Symphonie (Leipzig: Insel, 1923). Im Folgenden als ΑS und Seitenzahl abgekürzt.

[46] Vgl. hierzu Dieter Werner: «Realität und Erwartung: Theodor Däublers ungeschriebenes Griechenlandbuch», in: Chryssoula Kambas und Marilisa Mitsou (Hg.): Hellas verstehen: Deutsch-griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert (Köln, Weimar: Böhlau, 2010), 15-34, 21ff.

[47] Dieter Werner sieht hier eine Parallele zu Campanellas Der Sonnenstaat: «Der Athos wird somit symbolhaft zur Keimzelle der Erneuerung des christlichen Staates, wie das im Modell einer priesterlichen Theokratie schon in Campanellas Città del Sole vorgebildet war». Dieter Werner: «Delos und Athos. Kulturkritik und soziale Utopie im Werk Theodor Däublers», in: Ders. (Hg.): Theodor Däubler: Zum Erscheinen der geistigen Landschaft Europas in der Kunst. Die Vorträge des Berliner Däubler-Symposions von 1996 (Dillenburg: M & N, 2000), 155-175, 168.

[48] «Am Athos wandelte Orpheus», AS 16. «Orphisches Gelände, indischer Gipfel in herrlicher Christenheit des Ostens […] ich liebe dich, selten betretenes Gebiet», AS 20.

[49] Siehe Meid: Griechenland-Imaginationen, a.a.O., 204.

[50] Werner sieht hier ein Beispiel für die Hinwendung zum Mystizismus der «zivilisationsmüden Sinnsucher» und erklärt, dass für Däubler der Athos zu einem «Kristallisationskern für die eigenen Vorstellungen» wird. Dieter Werner: «Realität und Erwartung», a.a.O., 22.

[51] Dieter Werner: «Delos und Athos», a.a.O., 168.