Paola Gheri

(Salerno)

«Wir haben jetzt die Demokratie, das ist kompliziert genug»
Zur Krise demokratischer Systeme und Auflösung des Politischen
in «Munin oder Chaos im Kopf» von Monika Maron

[«Now we have democracy, that is complicated enough»
On the crisis of democratic systems and the decline of politics
in «Munin or Chaos in the Head» by Monika Maron
]

abstract. In the light of the profound changes that have affected both the political scenario and the political role and forms of engagement of literature over the past thirty years, Monika Maron’s novel Munin oder Chaos im Kopf (2018) seems particularly topical. If analysed through Hannah Arendt’s remarks on the nature of politics and Zygmunt Bauman’s thoughts on our “besieged” society, the narrator’s shocking experience can be seen as both the consequence and the reflection of a failure of our democratic systems, as well as of our traditional idea of politics itself.

1. Marons Roman und das literarische Engagement in der Nachwendezeit

In den letzten Jahren ist Monika Maron, eine der bedeutendsten deutschen Gegenwartsautorinnen, auch eine der unbequemsten Stimmen in der literarischen Welt geworden. Trotz der Kritik, die sie durch ihre letzten Werke und ihre Artikel auf sich gezogen hat und trotz der kürzlich sich vollzogenen Trennung vom Fischer Verlag[1], der es abgelehnt hat, mit ihr weiter zusammenzuarbeiten, beharrt sie umso hartnäckiger auf ihrer unabhängigen, kritisch-engagierten Haltung. Wie Ulrich Kühn bemerkt, hat Maron «relativ früh in ihrer Schriftstellerinnenkarriere eine mutige Entscheidung für sich getroffen […]: Sie wird das, was sie für wahr hält, auch öffentlich aussprechen»[2]. Bereits in einem Brief aus dem Jahre 1987 an den Schriftsteller und Journalist Joseph von Westphalen hat sie Literatur und Widerstand als miteinander verbundene Formen der Selbstbehauptung bezeichnet:

Nun bedeutet Widerstand ja nicht[s] mehr, als gegen etwas zu stehen, sich oder etwas zu behaupten, einer Sache standzuhalten; einer Mode, einer Versuchung, einer Macht zu widerstehen, indem man die eigene Position nicht preisgibt. In diesem Sinne halte ich Widerstand für eine Existenzform der Literatur und die Literatur für eine Existenzform des Widerstands.[3]

Trotz dieser deutlichen Aussage zugunsten einer engagierten Literatur hat der Begriff vom “literarischen Widerstand”, der 1987 sei es im Sinne Sartres, sei es im Sinne Adornos noch selbstverständlich war, ein paar Jahre später und nicht nur für Schriftsteller der ehemaligen DDR seine herkömmlichen, wiewohl immer wieder diskutierten Umrisse, verloren. Seitdem haben weltpolitische Ereignisse wie das Ende der kommunistischen Regime in Osteuropa, die globale Wirtschaft oder die massenhafte Emigration von Flüchtlingen aus den ärmeren Teilen der Welt nach Westeuropa sowohl die politische Praxis als auch das politische Empfinden ganz allgemein und von Grund auf verändert.

«Die klare Topographie des Widerstands»[4] − so Jürgen Schröder – ist durch solche Ereignisse getrübt worden, im überkommenen Freund-Feind-Bild lässt sich keine deutliche Trennlinie mehr erkennen, wachsende Verwirrung sowohl in den nationalen als auch in den internationalen Verhältnissen und das Gefühl, keinen sicheren Standpunkt mehr zu haben, von dem aus ein politischer Diskurs auch nur möglich sei, beherrschen heute die meisten europäischen Bürger. Wenn politisches Engagement in solcher Verunsicherung steckt, so scheint auch die politische Bedeutung von Literatur heutzutage sehr umstritten. Während die neuen Medien ihre Wirkung und gesellschaftliche Rolle zweifellos abgeschwächt haben, wird gerade deshalb aus vielen unterschiedlichen Fronten umso lauter für die politische Rolle der Literatur plädiert[5] und die Frage nach ihrer politischen Bedeutung in dieser postmodernen Zeit scheint heute aktueller denn je.

Fest steht, wie Thomas Ernst bemerkt, «dass sich – vor dem Hintergrund veränderter Macht- und Medienverhältnisse – eine Transformation politischer Schreibweisen vollzogen hat»[6]. Denn Schriftsteller, die sich heute mit politisch-gesellschaftlichen Problemen literarisch auseinandersetzen, müssen einer viel komplizierteren, chaotischeren Situation gerecht werden als vor dreißig Jahren.

Auch Monika Maron, die sich in ihrem bisherigen literarischen Werk mit Fragen des Staatssozialismus und der deutschen Wiedervereinigung beschäftigt hat, hat in ihrem Roman Munin oder Chaos im Kopf (Februar 2018 bei Fischer) Gegenstand und Perspektive geändert und sich gerade jener “Trübung” der politischen Landschaft zugewendet, auf die Schröder aufmerksam gemacht hat. Das Durcheinander der politischen Welt und Gedankenwelt der Menschen hat sie in einem schönen auf die eigene Erfahrung bezogenen Bild erfasst:

In meiner Jugend war ich links. So hatte man mich erzogen, und außerdem waren fast alle, die ich kannte, irgendwie links, schon wegen der deutschen Geschichte, wegen Sartre, Böll, Brecht, Heiner Müller. Sogar Wolf Biermann war links. Links bin ich schon lange nicht mehr. Ich dachte immer, ich sei liberal, aber im Fernsehen und in der Zeitung sagen sie, ich sei rechts. Und nun zermartere ich mir den Kopf, wie das passieren konnte. Ich bilde mir ein, ähnlich vernünftig zu sein wie früher, als ich nicht mehr links, aber noch nicht rechts war. Welche Achse hat sich gedreht, dass ich mich auf einer anderen Seite wiederfinde, ohne die Seite gewechselt zu haben? Doch die in meinem Kopf? Oder hat jemand am Meinungskompass gedreht, so dass Osten, Westen, Norden und Süden, also rechts, links, liberal und ahnungslos, völlig durcheinandergeraten sind?[7]

Solche Zweifel erscheinen wie eine Vorwegnahme der Desorientierung, die Mina Wolf, die Hauptfigur in Munin oder Chaos im Kopf, erlebt und beklagt. Denn vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung stehen sowohl die Auflösung der alten politischen Denkmuster als auch die Bedrohung durch den fundamentalistischen Terror und die vielen Kriege, die Europa umgeben. Dieser chaotischen Situation, dem Unsicherheitsgefühl und der Angst, die bei vielen westlichen Bürgern dadurch hervorgerufen werden, ist Marons bereits vieldiskutierter Roman gewidmet.

2. Die Publizistin und die Romanautorin

In Munin oder Chaos im Kopf berührt die Autorin aus der ehemaligen DDR einige der akutesten Fragen unserer globalisierten Gegenwart, die sie als Journalistin in zahlreichen Artikeln der letzten Jahre behandelt hat. Themen wie die Einwanderungspolitik der Merkel-Regierung oder das Aufkommen nationalistischer Bewegungen in Deutschland werden in diesem Roman in ein kompliziertes erzählerisches Geflecht miteinander verwoben, das nicht nur «ein Stimmungsbild unserer Zeit» widergibt, wie es auf dem Buchumschlag steht, sondern Probleme streift, welche an manche unbeliebten politischen Stellungnahmen Marons erinnern.

Tatsächlich hat die Ich-Erzählerin Mina Wolf, die in Berlin lebt und als Journalistin arbeitet, offensichtliche Ähnlichkeiten mit der Schriftstellerin Monika Maron. Außer Beruf und Wohnort teilt Mina mit dieser auch das Unbehagen vor den genannten Phänomenen unserer Gegenwart, mit denen Maron sich als Journalistin beschäftigt hat. Obwohl die Autorin, direkt befragt, jedes Verhältnis zwischen ihr und der Romanfigur verneint[8], hat ihr Roman gleich nach seinem Erscheinen gerade wegen solcher Nähe rege Debatten ausgelöst. Die meisten Kritiker haben ausgerechnet jene Aspekte der Erzählung angegriffen, die sich auf die sozial-politische Gegenwart beziehen[9]. Eine Rezensentin schreibt zum Beispiel:

Monika Maron ist nicht Mina, doch schreibt sie die Fragestellungen dieses Romans unüberlesbar in die gegenwärtigen Debatten hinein. Mina erfährt aus der Zeitung, «dass man unter massivem Protest der linken Bewegung achtzehn von den Millionen jungen Männern, die man zuvor ins Land gelassen hatte, nun wieder in ihre Heimat befördert hatte, achtzehn von einer Million». Diese Empörung zieht die Wirkung des Romans runter zu einem politischen Pamphlet.[10]

Stellen aus dem Roman wie die soeben zitierte würden nach der Meinung anderer Literaturkritiker der sonst schönen Erzählung schaden oder die Geschichte schwächen[11]. Ein Roman ist aber kein Pamphlet, hat Maron erwidert, sondern ein sehr komplexes Ding, in dem man keine Thesen vertritt, sondern versucht, ein Ganzes einzufangen[12].

Zwar werden in Munin kritische Sachverhalte und Widersprüche im gesellschaftlichen Leben einer schonungslosen Diagnose unterzogen, aber Stellung wird nicht genommen, noch werden Lösungsvorschläge gemacht für die vielen Fragen, die die Geschichte aufwirft. Obwohl nichtfiktionale Publizistik im Roman sehr präsent ist, handelt es sich nie um die von Maron selbst. Stattdessen hat die Autorin politische Nachrichten und Kommentare aus Zeitungen und Internet in den Text reichlich einfließen lassen und durch diese mediale Vielfalt dem wachsenden Chaos in Minas Kopf eine Art objektive, nachweisbare Entsprechung gegeben. Denn in Munin sind Geschichte und Gegenwart nicht mehr in der Form von Erinnerungen oder Gedanken der Erzählerin vorhanden, wie in Marons früheren Romanen, sondern durch externe, verschiedenen Quellen entstammende “Stimmen” vertreten: Zeitungen, Internet, Radio und Bücher. Dieses verworrene Nebeneinander von Stimmen, die auf sehr “demokratische Weise” über Konflikte und Kriegen berichten, weist aber zugleich auch auf eine tiefe Krise unserer demokratischen Systeme hin: «Deutschland ist seit zwanzig Jahren vereint. Wir haben jetzt die Demokratie, das ist kompliziert genug»[13]. Das bemerkt die Ich-Erzählerin im Roman Zwischenspiel in einem surrealen Gespräch mit dem Gespenst Erich Honeckers, dem sie in einem sonderbaren Park begegnet ist. Ihr Zweck ist natürlich nicht, dem untergangenen Regime das Lob zu singen, sondern die seltsame Gelegenheit auszunützen, um auf die Schattenseiten «unserer schönen neuen Demokratie» hinzuweisen:

Dass wir seit Jahren in einer monströsen Krise hingen, die von den geheimbundähnlich agierenden Regierungen im Verein mit undurchschaubaren Banken ausgenutzt wurde, um neue Kommissionen, Räte und andere Gremien zu schaffen, deren Namen über ihre Funktion nichts verrieten und die den Verdacht aufkommen ließen, sie seien den Arsenalen des Regimes entliehen, dem wir gerade entkommen waren, dass die Wahlen, nach denen wir uns so gesehnt hatten, auch jetzt keine Wahlen mehr waren, weil alle Parteien einander so ähnelten, dass, was immer man auch wählte, das Gleiche herauskam.[14]

Solche simplifizierend anmutenden, doch einem weitverbreiteten Unbehagen entsprechenden Überlegungen bilden den problematischen Hintergrund und die versteckte politische Frage der in Munin oder Chaos im Kopf erzählten Geschichte.

3. «Vorkriegszeit» – Die alte und die neue Unordnung der Welt

Krisenphänomene werden von Mina auf allen möglichen Ebenen wahrgenommen: in der internationalen Lage, in ihrem eigenen Land, sogar in ihrem Alltag. Was sie aus ihren Quellen erfährt wird immer wieder durch sehr «kunstvolle […] Assoziationskreise»[15] mit ihrer persönlichen Erfahrung in Verbindung gebracht. Aus Anlass des tausendjährigen Jubiläums einer westfälischen Kleinstadt muss Mina einen Aufsatz über den 30-jährigen Krieg schreiben. Je mehr sie sich mit den Verwirrungen des 30-jährigen Kriegs befasst, desto mehr drängt er sich ihr als Folie für die heutige Situation auf:

Vielleicht faszinierte mich die Vorkriegszeit vor allem, weil sie sich bei unscharfer Betrachtung als grobe Vorlage für die Gegenwart darstellte, und sich in Begriffen beschreiben ließ, die ich täglich in den Zeitungen lesen konnte: Klimawandel, Wassermangel, Hunger, Verdoppelung der Bevölkerung in fünfzig oder sogar dreißig Jahren, und die Religionen, natürlich die Religionen. Aber diesmal nicht in Europa, sondern in Afrika und Asien, auch nicht wegen der Kälte, sondern wegen drohender Wärme, vor allem wegen der dort schon tobenden Kriege […] Schilderungen aus der Zeit vor Ausbruch des Krieges könnten, tauschte man die Akteure aus, so ähnlich auch heute zu vermelden sein.[16]

Ihr Eindruck, dass wir in einer gefährlichen Vorkriegszeit leben wie damals, wird durch verschiedene Quellen bestätigt. Im Internet stößt sie z.B. auf die Artikel eines berühmten Historikers (MC, S. 55), der behauptet:

Derzeit nimmt die Zahl der Konflikte bedrohlich zu. Und niemand scheint in der Lage, das Chaos zu bändigen. So viel Krise war nie – außer in Vorkriegszeiten.[17]

In einem anderen Aufsatz macht er mit Nachdruck auf die Unfähigkeit Europas aufmerksam, die Bedrohung durch solche Konflikte richtig einzuschätzen:

Es sind Kriege ohne Anfang und Ende, regellos und grenzenlos, und sie erfordern jenen illusionsfreien Blick auf die Lage, der den westlichen Demokratien so schmerzhaft und unübersehbar abgeht […]. Ein neuer 30-jähriger Krieg hat längst begonnen.[18]

Damit ist das erste Bindeglied zwischen damals und jetzt gegeben und das Schlüsselwort ist “Chaos”. In den vielen, verschiedenartigen Quellen, die Mina zu ihrem Aufsatz benutzt, etwa das Tagebuch eines Landknechts aus dem 30-jährigen Krieg[19], die Studie des Soziologen Gunner Heinsohn, Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen[20] oder die 1938 erschienene Geschichte des dreißigjährigen Krieges der britischen Historikerin Cicely Veronica Wedgwood, glaubt sie immer wieder die Bestätigung zu finden, dass wir in einer bedrohlichen, krisenhaften Vorkriegszeit leben:

In jedem Aufsatz, in jedem Cicely-Kapitel fand ich Parallelen zu unserer Zeit, zu unserer Vorkriegszeit: die kreuz und quer verlaufenden Fronten und Interessen, die religiös verbrämten Herrschaftskämpfe, wechselnde und undurchschaubare Bündnisse. Und diese anarchische Grausamkeit, die plötzlich wieder in unsere befriedete Welt eindrang. (MC, S. 56)

Die Symptome dieser Vorkriegszeit erfährt aber die Ich-Erzählerin auch persönlich in den Geschehnissen in ihrer Straße. Mit Stürmers Worten muss Mina direkt erfahren, wie das wenigstens seit dem Irakkrieg «bis heute währende Chaos ohne Ziel und Ende […] seine Stoßwellen nach Europa und bis in die Fundamente des Kölner Doms schickt»[21].

4. Widersprüche der Demokratie

Ein kleiner Krieg bricht tatsächlich auch in der stillen Berliner Wohnstraße aus, in dem Mina lebt, denn hier lebt auch eine psychisch kranke Frau, die jeden Tag von morgens bis abends lauthals auf ihrem Balkon singt. Ihr Singen, das eher ein disharmonisches Schreien ist, zwingt Mina, ihre Arbeit in die Nacht zu versetzen. Denn die Verrückte ist amtlich geschützt und deshalb nicht strafbar. Genervt durch das Benehmen der verrückten Frau versuchen die anderen Anwohner, die keine Rechtsmittel einlegen können, eine gemeinsame Lösung zu finden. Es kommt aber zu keiner Einigung unter ihnen, sondern zu weiteren Spannungen: Autos werden in Brand gesetzt, friedliche Anwohner werden von ihren Nachbarn verdächtigt, immer mehr deutsche Fahnen hängen aus den Fenstern, einmal ertönt sogar ein Chorgesang deutscher Volkslieder[22]. Nachdem eine Frau von zwei Männern südländischen Aussehens überfallen wird (MC, S. 207), nehmen Angst und Fremdenfeindlichkeit in der kleinen gutbürgerlichen Berliner Straße erheblich zu (MC, S. 208). Wie die Erzählerin bemerkt, hat der Überfall auf die Frau «mit der Sängerin und dem eskalierten Streit um sie absolut nichts zu tun», trotzdem verhalten sich «die beiden Ereignisse zueinander wie kommunizierende Röhren» (MC, S. 209).

Die ganze Angelegenheit bildet im Roman eine Art gleichnishafte Rahmenhandlung zu den politischen Ereignissen, von denen in den Medien berichtet wird und die jedes Krisenmanagement in unseren Ländern überfordern. Gerade solche Ereignisse hätten Stürmers zufolge «Deutschlands “Political Correctness”» zutiefst erschüttert: «Ratlosigkeit regiert, und die Bürger fasst kalte Angst»[23]. Durch die Sängerin-Affäre kommen tatsächlich gesellschaftliche Konflikte zutage, die der Rechtsstaat politisch nicht mehr zu lösen vermag: das Recht der Schwachen auf Unterstützung auf der einen Seite und die Überforderung der Toleranz auf der anderen Seite, die Flüchtlingsfrage und die humanitäre Notlage einerseits und die Sicherheitsfrage der Bürger andererseits[24]. Angesprochen werden hier die Probleme einer Demokratie, die bei solchen Widersprüchen allzu oft ihre Bürger im Stich lässt:

Die Frau [die Verrückte] sei schließlich krank – bemerkt ein Nachbar – und dass sich für das Problem keine vernünftige Lösung finde, liege nicht an ihr, sondern an unsinnigen Verordnungen. Und ob ich denn gesehen hätte, dass aus dem Fenster des Taxifahrers neuerdings eine deutsche Fahne hängt. Was das mit der Sache zu tun habe, wisse er nun wirklich nicht. Schließlich sei die Frau ja auch eine Deutsche. (MC, S. 141-142)

Gleichberechtigte, widerstreitende Bestrebungen werden einander gegenübergestellt, ohne dass ein politischer Weg sich einschlagen lässt. Wenn die Situation sich zuspitzt, wird die Polizei gerufen, und in einer dumpfen Atmosphäre kommt die Sängerin durch einen Unfall ums Leben.

In der allgemeinen Unsicherheit, die durch das Versagen der Staatsmacht entsteht, hat der Soziologe Zygmunt Bauman eine der Hauptursachen für den anschwellenden Nationalismus in unseren westlichen pluralistischen Gesellschaften gesehen. So fragt er mit trauriger Ironie in seinem Buch Society under Siege:

Since the nation-state has evidently failed to protect its subjects from the rising tide of uncertainty, perhaps some sort of salvation can be found in retrenchment […]. Perhaps the brotherhood/sisterhood of nation may restore the vanished confidence, delivering the security which the citizens’ republic so abominably fails to supply? If solidarity between the different is so difficult to obtain […], perhaps one can retreat to the solidarity of primordial ties, preceding rather than following the political process with its awkward negotiation, compromises and uncertain results? Perhaps one can skip the political process altogether, and so get rid of, rather than resolve, the increasingly baffling problem of collective responsibility for, and the social production of justice?[25]

An die Stelle politischen Handelns sind Bauman zufolge «reconnaissance battles» (N.B. ein Wort aus dem Kriegsvokabular) getreten, lokale, improvisierte, isolierte, kollektive oder individuelle Initiativen von Bürgern, die tastend, allzu oft durch Gewaltausübung versuchen, die Abwesenheit einer konkreten Staatspolitik auszugleichen[26]. Angst, Aggressivität zusammen mit der vergeblichen Suche nach «biographischen Lösungen für systemisch bedingte Widersprüche»[27] seien Bauman zufolge die Konsequenzen einer allgemeinen Krise der Politik, die zwischen Schweigen und Unterdrückung pendelt, ohne wirkliche Lösungen zu finden:

This is the “reality” characterized, as Ulrich Beck shows […], by the «subjectivisation and individualisation of risks and contradictions produced by institutions and society […] How one lives becomes the biographical solution to systemic contradictions» – or rather, this is what the hapless individuals are authoritatively told and come to believe to be the case (in fact, a «biographical solution to systemic contradictions» is an oxymoron; it may be sought, but cannot be found).[28]

Aus diesem Oxymoron, das der tatsächlichen Liquidierung von Politik (Bewegungen, Parteien, Regierungsprogramme, Teilnahme an politischen Tätigkeiten) entspricht[29], entsteht jene «Gesellschaft der Angst», die Heinz Bude in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hat[30] und die Mina in der Form von zunehmender Gereiztheit um sich herum wahrnimmt:

Die Menschen waren gereizter und je nach Naturell fatalistisch oder aggressiv geworden, was nicht nur die Bewohner unserer Straße betraf, sondern auch alle anderen […], weil das, was schon vor Jahren begonnen und sich im vergangenen Jahr in Krieg, Krisen und weltweitem Terror entladen hatte, alltäglich geworden war. (MC, S. 10-11)

5. Mina, Munin und die Auflösung des Politischen

Als aufgeklärte Bürgerin versucht Mina, sich den Auseinandersetzungen unter den Anwohnern zu entziehen und lehnt jegliche Stellungnahme ab. Indem sie aber der Sängerin wegen ihre Arbeit in die Nacht verlegt und in ihren einsamen Arbeitsnächten das Internet, Geschichtsbücher und Soziologiestudien durchstöbert auf der Suche nach Parallelen zur katastrophalen gegenwärtigen Situation, neigt sie selbst zu einer «biographischen Lösung» für systemisch bedingte Widersprüche im demokratischen Zusammenleben.

Wenn man im Sinne Hannah Arendts Politik als jenes Handeln versteht, das «in dem Zwischen-den-Menschen» entsteht und sich «als der Bezug» etabliert[31], so verweist auch Minas friedliche Entscheidung auf ein Versagen der Politik, deren Aufgabe ist, einen solchen Raum der Bezüge zu schützen, damit die Menschen innerhalb der Organisation handeln können, die sie sich selbst «nach bestimmten wesentlichen Gemeinsamkeiten, in einem absoluten Chaos oder aus einem absoluten Chaos der Differenzen» gegeben haben[32].

Gegen die Gleichschaltung solcher Differenzen im totalitären Staat, die das politische Leben laut Arendt von Grund auf zerstört[33], kann die Journalistin Josepha Nadler in Marons erstem Roman Flugasche (1981) ihren politischen Kampf führen, indem sie als Andersdenkende die Widersprüche des Systems offenlegt, das sie schließlich zum Schweigen zwingt. Die demokratische Gesellschaft, in der Mina lebt, erkennt zwar alle individuellen Rechte, i.e. alle Differenzen, an (der Verrückten, der Flüchtlingen, der empörten Anwohner usw.), scheint aber über kein allgemeingültiges Prinzip mehr zu verfügen, nach dem sich die Individuen aus dem «Chaos der Differenzen» politisch organisieren können. Eine solche Gesellschaft bewegt sich nicht vom Chaos weg, sondern wieder zum Chaos hin und macht gerade deshalb politischen Widerstand unmöglich. Statt zu handeln (und in diesem Fall wäre die Frage “wie?” angebracht), fürchtet Mina, dass sie selbst verrückt wird:

In meinem Kopf spukte es. Ich war verrückt, schizophren, ich hörte Stimmen. Der Krieg, die Sängerin, Peter Hagendorf, die Zeitungen, Frau Wedemeyer, […] das alles hatte mich verrückt gemacht. (MC, S. 203)[34]

Ihre Sorge sowie ihre Suche nach Erklärungsmodellen in der Vergangenheit, die sie in ihrem Geschichtspessimismus bestätigen, begründen schließlich den sozusagen “surrealistischen Sprung” der Erzählung auf ein anthropologisches Niveau, auf dem sich das Politische endgültig auflöst. In ihren einsamen Arbeitsnächten ist Mina eine einbeinige Krähe zugeflogen. Zu ihrer Überraschung kann die Krähe sprechen und offenbart sich ihr sogar als Gott. Zwischen der Journalistin und der Krähe, der sie den Namen Munin gibt, nach einem der beiden Raben des germanischen Gottes Odin, entwickelt sich eine Art philosophische Diskussion über Krieg und Frieden und das Wesen des Menschen. Munins trostlose Vorstellung rückt die ganze Geschichte ins Licht einer durchaus negativen Anthropologie:

In euern Köpfen muss ein entsetzliches Durcheinander herrschen. Das dümmste Tier weiß, dass es nicht mehr Nachkommen haben darf, als es ernähren kann. Ihr wisst das vielleicht auch, aber euer Menschsein hindert euch, die simpelsten Notwendigkeiten einzusehen. Und dann wundert ihr euch, wenn ihr immer wieder im Krieg landet. Ihr werdet nicht mal mit dieser Nervensäge in eurer Straße fertig. (MC, S. 161)

Diese seltsame Figur, die so etwas wie eine zweite innere Stimme der Erzählerin darstellt (denn Mina ist die einzige, die sie versteht), scheint aus ihrer eigenen Skepsis gegenüber der conditio humana zu erwachsen. Der Straßenkrieg, die Nachrichten sowie die Nachforschungen zum 30-jährigen Krieg haben Mina davon überzeugt, dass der Mensch unverbesserlich sei:

Die Geschichte der Menschen war die Geschichte ihrer Kriege. Die Frage war nur: Warum? Warum landeten wir trotz aller Einsichten und guten Vorsätze immer wieder in irgendwelchen Katastrophen? […] Weil ihr immer das Falsche lernt, sagte Munin. Darum werdet ihr auch mit der Frau nicht fertig, die euch mit ihrem Gesang allmählich so verrückt macht, wie sie selbst schon ist. (MC, S. 110)

Gerade diese allgemeinmenschliche Perspektive hat aber Hannah Arendt als die Negation der Politik schlechthin verurteilt. Denn im Unterschied zur Philosophie, Wissenschaft oder Theologie, wo es nur «den Menschen» gibt und nicht «die Menschen» in ihrer Verschiedenheit, beruht Politik «auf der Tatsache der Pluralität der Menschen» und «handelt von dem Zusammen- und Miteinander-Sein der Verschiedenen»[35]. In der für unser Abendland paradigmatischen monotheistischen Gottesvorstellung, fährt sie fort:

[…] kann es allerdings nur den Menschen geben, die Menschen werden zu einer mehr oder minder geglückten Wiederholung des Selben […]. Der abendländische Ausweg aus dieser Unmöglichkeit der Politik innerhalb des abendländischen Schöpfungsmythos ist die Verwandlung oder die Ersetzung der Politik durch Geschichte. Durch die Vorstellung einer Weltgeschichte wird die Vielheit der Menschen in ein Menschenindividuum zusammengeschmolzen, das man dann auch noch Menschheit nennt. Daher das Monströse und das Unmenschliche der Geschichte, das sich erst an ihrem Ende voll und brutal in der Politik selbst durchsetzt.[36]

Politik durch Weltgeschichte, d.h. durch eine totalisierende Perspektive, oder durch eine darin begründete Anthropologie zu ersetzen, in der Überzeugung, dass dem Menschen nicht zu helfen sei, führe schließlich Arendts zufolge zum Verschwinden der Politik. Der Staat löse sich in eine «Verwaltungsmaschine» auf, die politische Konflikte entweder bürokratisch oder polizeilich erledigt[37]. Despotische Herrschaftsformen, wie der Nationalsozialismus, haben diese Unmöglichkeit der Politik bereits realisiert, aber auch «in den Massendemokratien, ohne allen Terror und gleichsam spontan» lässt sich «eine ähnliche Ohnmacht der Menschen» feststellen[38].

Diese Ohnmacht ist heute in Baumans Augen das Kennzeichen bürgerlichen Zusammenlebens geworden. Das erste Opfer von fehlender Staatlichkeit in den westlichen Demokratien

is political engagement, that constitutive feature of citizenship. And, consequently, of politics in its pristine Aristotelian sense.[39]

Marons Roman bietet eine literarische Auseinandersetzung mit dieser Realität und Munins zynische Weisheit stellt Minas (deren Name mit Munin alliteriert) persönliche, apolitische Antwort auf eine Krise der Politik dar, deren Bestätigung und Konsequenz die Krähe auch ist.

Je mehr Mina in dem sprechenden Vogel die eigene kreatürliche Stimme erkennt und akzeptiert, desto mehr setzt sich Munins tierisches Sprechen der medialen Polyphonie entgegen, die vom Chaos in der Welt spricht und zum Chaos in Minas Kopf wesentlich beiträgt. In einer kleinen Skizze, die 2016 mit dem Titel Krähengekrächz erschienen ist und schon zentrale Passagen des Romans enthielt, bemerkt die Ich-Erzählerin:

In ihrem Leben ist alles klar, vernünftig im Sinne einer Ur-Vernunft. Sie tun, was sie tun müssen, und was sie tun, ist richtig für sie. Wenn ich morgens mit dem Hund auf die Straße gehe, habe ich schon die Zeitung gelesen und die neuesten Nachrichten, Interviews und Kommentare im Radio gehört. Ich weiß, wie viele Menschen wieder im Mittelmeer ertrunken sind oder gerettet wurden, dass Griechenland im Elend versinkt, dass in der Ukraine immer noch geschossen wird, der IS mordend durch Syrien, den Irak und Jemen zieht, Boko Haram in Nigeria wütet, dass Hunderte Millionen Menschen aus Afrika nach Europa drängen, die dieser Kontinent nur um den Preis seines Untergangs alle aufnehmen könnte und nur um den Preis seines politisch-moralischen Selbstverständnisses abweisen.[40]

Minas Verwirrung spiegelt die Verwirrung der menschlichen Welt wider, sowohl die der kleinen Berliner Straße als auch die der internationalen Bühne, und ihre Krähe entspringt der offensichtlichen Unmöglichkeit, auf sozialer, kollektiver Ebene einen Ausweg aus diesem Chaos zu finden. Die vielen von Mina abgefragten Texte der Vergangenheit und Gegenwart, die sie in ihren Befürchtungen bestätigen, liefern zwar glaubwürdige Erklärungen der chaotischen Lage, aber keine politische Antwort. Sie bezeugen vielmehr die Vergeblichkeit der Suche danach und begründen auf indirekte Weise sowohl Munins Erscheinen als auch die damit verbundene Verwandlung der politischen Frage in das ethische «problem of evil in a world in crisis»[41].

Die Beziehung zwischen der Krähe und der Journalistin führt nicht so sehr, wie ein Rezensent geschrieben hat, «zu politischer Allegorie»[42], sondern eher zu einer Allegorie der Krise dessen, was man bisher als “Politik” verstanden hat. Auf formaler Ebene wird diese Krise durch die polyphone Struktur des Romans hervorgehoben, indem die zahlreichen Stimmen, die sich im Kopf der Erzählerin verflechten, diese in die unpolitische Entscheidung für die Krähe treiben.

Tatsächlich hat der radikale Pessimismus dieser weisen Zeitzeugin[43] eine genaue Entsprechung in dem Pessimismus, den die westfälische Kleinstadt Mina vorwirft und wegen dessen sie ihren inzwischen abgeschlossenen Aufsatz über den 30-jährigen Krieg ablehnt (MC, S. 222). Genauso düster und pessimistisch erscheint schließlich auch Marons Roman, der wie in einem ironischen Spiel mit chinesischen Schachteln selbst auf Ablehnung gestoßen ist. Vielleicht aber kann man gerade in den negativen Urteilen, die den Roman bzw. sein Thema getroffen haben, einen indirekten Hinweis auf eine neue Widerstandsfähigkeit literarischer Texte erkennen, welche darin besteht, nicht einer Macht oder einer Mode standzuhalten, sondern Grundfragen und Widersprüche unseres heutigen Zusammenlebens bloßzulegen und über eine mediatisch gesteuerte Meinungswelt hinaus zur selbständigen, kritischen Reflexion aufzufordern.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Arendt, Hanna: Was ist Politik? Aus dem Nachlaß, hg. von U. Lutdz, München: Piper 1993.

Arendt, Hanna: The Human Condition, Chicago: The University of Chicago 1958.

Bauman, Zigmunt, Society under Siege, Malden: Blackwell 2002.

Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986.

Bude, Heinz: Gesellschaft der Angst, Hamburg: Hamburger Edition 2014.

Ernst, Thomas: «Politisches Schreiben in der Gegenwart. Avantgardistische Strategien, minoritäre Distinktionen und dekonstruierte Identitäten», Deutsche Bücher. Forum für Literatur, 2 (2008), S. 113-129.

Geissler, Cornelia: «Das In und andere Ärgernisse. Monika Maron entdeckt in einer Berliner Straße die Kämpfe dieser Zeit: Munin oder Chaos im Kopf», Frankfurter Rundschau, 56 (07.03.2018), S. 30-31.

Hagendorf, Peter: Tagebuch eines Söldners aus dem 30jährigen Krieg, hg. von J. Peters, Göttingen: V & R Unipress 2012.

Heinsohn, Gunner: Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen, Zürich: Orel Füssli 2006.

Kister, Stefan: «Rabenschwarze Nachtgedanken. Monika Maron ist ins Kreuzfeuer einer zwischen links und rechts tobenden Debatte geraten. Ihr neuer Roman Munin oder Chaos im Kopf führt vor Augen, was Literatur von Leitartikeln unterscheidet», Stuttgarter Zeitung, 69 (23.03.2018), S. 35.

Krause, Tilman: «Leben wir in einer Vorkriegszeit? Monika Maron ist wieder da: Ihr neuer Roman fängt das Leben in einer Berliner Straße ein und spiegelt die Stimmung im ganzen Land», Die Welt, 47 (24.02.2018), S. 28.

Maron, Monika: Flugasche, Frankfurt a. M., Fischer: 1981.

Maron, Monika, Joseph von Westphalen: Trotzdem herzliche Grüße. Ein deutsch-deutscher Briefwechsel, Frankfurt am Main: Fischer 1988.

Maron, Monika: Zwischenspiel, Frankfurt am Main: Fischer 2015.

Maron, Monika: Krähengekrächz, Frankfurt am Main: Fischer 2016.

Maron, Monika: «Links bin ich schon lange nicht mehr», Neue Zürcher Zeitung, (30.06.2017), unter:
https://www.nzz.ch/feuilleton/bundestagswahl-links-bin-ich-schon-lange-nicht-mehr-ld.1303513?reduced=true (abgerufen am 30.10.2020).

Maron, Monika: Munin oder Chaos im Kopf, Frankfurt am Main: Fischer: 2018.

Monika Maron entwirft ein Stimmungsbild unserer Zeit Monika Maron im Gespräch mit Carsten Otte in ARD Forum der Leipziger Buchmesse, Video, veröff. bei Ardmediathek am 18.03.2018, unter:
https://www.ardmediathek.de/video/ttt-titel-thesen-temperamente/monika-maron-entwirft-ein-stimmungsbild-unserer-zeit/mdr-e/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy83OTc1MjIzOS1lZGE4LTQ4NmQtYmJiNC1kZGExNTA1M2I1MDk/ (abgerufen am 30.10.2020).

Monika Maron über ihren Erfolgsroman «Munin oder Chaos im Kopf», Video, veröff. bei YouTube am 14.04.2018, unter: https://www.youtube.com/watch?v=ONgFNSELBzI (abgerufen am 30.10.2020).

Platthaus, Andreas: «So klingt anschwellendes Krähengekrächz. Vernunft ist keine Perspektive mehr: Monika Marons neuer Roman setzt auf eine allwissende tierische Protagonistin», Frankfurter Allgemeine Zeitung, 69 (22. März 2018).

Schröder, Jürgen: «“Ohne Widerstand keine Hoffnung” (Max Frisch). Literatur als Widerstand nach 1945», in: Von Poesie und Politik. Zur Geschichte einer dubiosen Beziehung, hg. von J. Wertheimer, Tübingen: Attempto 1994, S. 173-193.

Stürmer, Michael: «Das sind die Wurzeln unserer aktuellen Krisen», Welt, (23.01.2016), unter: https://www.welt.de/wirtschaft/article151668220/Das-sind-die-Wurzeln-unserer-aktuellen-Krisen.html (abgerufen am 30.10.2020).

Stürmer, Michael: «Leben wir heute in einer Vorkriegszeit?», Welt, (19.12.2016), unter: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article160415753/Leben-wir-heute-in-einer-Vorkriegszeit.html (abgerufen am 30.10.2020).

“Traurige Entwicklung”: Verlag trennt sich von Monika Maron. Ein Gespräch mit Ulrich Kühn, Leiter der Literaturredaktion von NDR Kultur, von J. Deppe (am 20.10.2020), unter: https://www.ndr.de/kultur/Traurige-Entwicklung-Verlag-trennt-sich-von-Monika-Maron,maron126.html (abgerufen am 30.10.2020).

Wagner, Sabrina: Aufklärer der Gegenwart: Politische Autorschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Juli Zeh, Ilija Trojanow, Uwe Tellkamp, Göttingen: Wallstein 2015.

Wogenstein, Sebastian: «The Problem of Evil in a World in Crisis: Monika Maron’s Krähengekrächz and Zwischenspiel», Gegenwartsliteratur. German Studies Yearbook, 17 (2018), S. 287-311.



[1] Im Oktober 2020 nach fast 40-jähriger Zusammenarbeit hat sich der S. Fischer Verlag von ihr getrennt. Vgl. «Traurige Entwicklung»: Verlag trennt sich von Monika Maron. Ein Gespräch mit Ulrich Kühn, Leiter der Literaturredaktion von NDR Kultur, von J. Deppe (am 20.10.2020), unter: LINK (abgerufen am 30.10.2020).

[2] Ebd.

[3] Brief vom 6. Oktober 1987 in Monika Maron, Joseph von Westphalen: Trotzdem herzliche Grüße. Ein deutsch-deutscher Briefwechsel, Frankfurt am Main: Fischer 1988, S. 54.

[4] Jürgen Schröder: ««Ohne Widerstand keine Hoffnung» (Max Frisch). Literatur als Widerstand nach 1945», in: Von Poesie und Politik. Zur Geschichte einer dubiosen Beziehung, hg. von J. Wertheimer, Tübingen: Attempto 1994, S. 173-93 (S. 173).

[5] Vgl. etwa Sabrina Wagner, Aufklärer der Gegenwart: Politische Autorschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Juli Zeh, Ilija Trojanow, Uwe Tellkamp, Göttingen: Wallstein 2015.

[6] Thomas Ernst: «Politisches Schreiben in der Gegenwart. Avantgardistische Strategien, minoritäre Distinktionen und dekonstruierte Identitäten», in: Deutsche Bücher. Forum für Literatur, 2 (2008), S. 113-129 (S. 113).

[7] Monika Maron, «Links bin ich schon lange nicht mehr», Neue Zürcher Zeitung, (30.06.2017), S. 37.

[8] Vgl. etwa das Fernsehgespräch: Monika Maron entwirft ein Stimmungsbild unserer Zeit. Monika Maron im Gespräch mit Carsten Otte in ARD Forum der Leipziger Buchmesse, Video, veröff. bei Ardmediathek am 18.03.2018, unter: LINK (abgerufen am 30.10. 2020).

[9] Vgl. ebd.

[10] Cornelia Geissler, «Das In und andere Ärgernisse. Monika Maron entdeckt in einer Berliner Straße die Kämpfe dieser Zeit: Munin oder Chaos im Kopf», Frankfurter Rundschau, 56 (07.03.2018), S. 30-31 (S. 31).

[11] Vgl. Carsten Otte (wie Anm. 8).

[12] Vgl. etwa die Sendung: Monika Maron über ihren Erfolgsroman «Munin oder Chaos im Kopf», Video, veröff. bei YouTube am 14.04.2018, unter: LINK, (abgerufen am 30.10.2020). Dieselbe Meinung vertritt auch Stefan Kister, «Rabenschwarze Nachtgedanken. Monika Maron ist ins Kreuzfeuer einer zwischen links und rechts tobenden Debatte geraten. Ihr neuer Roman Munin oder Chaos im Kopf führt vor Augen, was Literatur von Leitartikeln unterscheidet», Stuttgarter Zeitung, 69 (23.03.2018), S. 35.

[13] Monika Maron: Zwischenspiel, Frankfurt am Main: Fischer 2015, S. 99.

[14] Ebd., S. 99-100.

[15] Tilman Krause, «Leben wir in einer Vorkriegszeit? Monika Maron ist wieder da: Ihr neuer Roman fängt das Leben in einer Berliner Straße ein und spiegelt die Stimmung im ganzen Land», Die Welt, 47 (24.02.2018), S. 28.

[16] Monika Maron: Munin oder Chaos im Kopf, Frankfurt am Main: Fischer 2018, S. 30. Alle weiteren Angaben zum Roman im Text in Klammern als MC plus Seitenzahl vermerkt.

[17] Michael Stürmer: «Leben wir heute in einer Vorkriegszeit?», Welt, (19.12.2016), unter: LINK (abgerufen am 30.10.2020). Der Name wird im Roman nicht genannt, lässt sich aber durch eine Suche bei Google sehr schnell herausfinden. Es handelt sich um den deutschen Historiker und Journalisten Michael Stürmer (geb. 1938).

[18] Michael Stürmer: «Das sind die Wurzeln unserer aktuellen Krisen», Welt, (23.01.2016), unter: LINK (abgerufen am 30. 10. 2020).

[19] Peter Hagendorf: Tagebuch eines Söldners aus dem 30jährigen Krieg, hg. von J. Peters, Göttingen: V & R Unipress 2012. Das Tagebuch wurde von dem Historiker Jan Peters erst 1988 entdeckt und 1993 noch unter dem Vorbehalt des richtigen Namens des Verfassers zum ersten Mal herausgegeben.

[20] Gunner Heinsohn: Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen, Zürich: Orel Füssli 2006. Heinsohn sieht in dem Überschuss an jungen Männern, die in den ärmeren, bevölkerungsreichen Teilen der Welt in die Familienfolge nicht eintreten dürfen und weder eine eheliche noch eine berufliche Zukunft haben, eine der Hauptursachen für Terror, Krieg und Gewalt.

[21] Michael Stürmer (wie Anm. 18).

[22] «Die vier schwarz-rot-goldenen Fahnen hingen als stumme Revolte noch immer aus den Fenstern und bestärkten mich in der Vermutung, dass die Sängerin nur am Rande Adressat dieser Aktion gewesen war» (MC, S. 215).

[23] Michael Stürmer (wie Anm. 18).

[24] «Political-moral principles are transgressed not only when cruel acts are committed; they are also compromised at their core, Maron suggests, when we see ourselves forced to deliberate between solidarity and self preservation». Das bemerkt Sebastian Wogenstein über den Essay Krähengekrächz (2016), der in vielerlei Hinsicht mit dem Roman verbunden ist. S. Wogenstein: «The Problem of Evil in a World in Crisis: Monika Maron’s Krähengekrächz and Zwischenspiel», Gegenwartsliteratur. German Studies Yearbook, 17 (2018), S. 287-311 (S. 290-291).

[25] Zigmunt Bauman: Society under Siege, Malden: Blackwell 2002, S. 84.

[26] «Groping in the darkness pierced by but a few random shafts of light […] is the sole available way of acting». Ebd., S. 94.

[27] Ebd., S. 168, 194-5, 216. Dieser Gedanke, der zu den Leitmotiven von Baumanns Überlegungen gehört, stammt vom deutschen Soziologen Ulrich Beck (Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986): Laut Beck habe sich seit den 60er Jahren in der westlichen Gesellschaft ein zunehmender Individualisierungsprozess ereignet, der dazu geführt hat, dass Institutionen nicht mehr an das Kollektiv, sondern an den Einzelnen adressiert seien. Dies aber hat für das Individuum eine enorme Belastung bedeutet.

[28] Ebd., S. 68.

[29] Vgl. ebd, S. 70-76.

[30] Heinz Bude: Gesellschaft der Angst, Hamburg: Hamburger Edition 2014.

[31] «Der Mensch ist a-politisch. Politik entsteht in dem Zwischen-den-Menschen, also durchaus außerhalb des Menschen […] Politik entsteht im Zwischen und etabliert sich als der Bezug». Hanna Arendt: Was ist Politik? Aus dem Nachlaß, hg. von U. Lutdz, München: Piper 1993, S. 11.

[32] Ebd., S. 9-10.

[33] Diese in den Fragmenten über die Bestimmung des Politischen bereits angedeutete Überzeugung wird in The Human Condition (Chicago: The University of Chicago 1958) voll entfaltet.

[34] «Chaos im Kopf, damit hebelst du jede Ordnung aus bemerkt Mina im Gespräch mit einer Freundin Eigentlich glaubte ich, dass wir schon mitten im Chaos lebten, es uns nur noch nicht so nahe gekommen war, dass es uns schon am Morgen ins Gesicht sprang» (MC, S. 194).

[35] Hanna Arendt (wie Anm. 31), S. 9.

[36] Ebd., S. 11-12.

[37] Ebd., S. 13-14.

[38] Ebd., S. 15. «Das Absterben des Politischen – hat Arendt im Originaltext in Klammern notiert – gehört zu [den] objektiv nachweisbaren Tendenzen der Neuzeit». Ebd., S. 206.

[39] Bauman (wie Anm. 25), S. 76.

[40] Monika Maron: Krähengekrächz, Frankfurt am Main: Fischer 2016, S. 49.

[41] Wie Anm. 24.

[42] Andreas Platthaus: «So klingt anschwellendes Krähengekrächz. Vernunft ist keine Perspektive mehr: Monika Marons neuer Roman setzt auf eine allwissende tierische Protagonistin», Frankfurter Allgemeine Zeitung, 69 (22. März 2018), S. 10.

[43] Es gibt andere literarische Werke, in denen eine weise Krähe durch eine ähnliche Umkehrung des Blicks das menschliche Handeln beurteilt. In Marons Krähengekrächz werden sowohl das Gedicht Die Krähen von Annette von Droste Hülshoff sowie das Theodor Fontane zugeschriebene Gedicht Die zwei Raben erwähnt (S. 30-37). Außerhalb der deutschsprachigen Literatur sollte man wenigstens Max Aubs Roman Manuscrito cuervo. Historia de Jacobo (1949-1950) nennen.