Anneleen Van Hertbruggen

(Antwerpen)

Das Dritte Reich. Die diskursive Sakralisierung
in der NS-Propagandadichtung von Heinrich Anacker

[The Third Reich. Discursive Sacralization
in the NS Propaganda Poetry of Heinrich Anacker]

abstract. The main focus of this essay is the discursive analysis of “Reich” as an article of faith in the poetry volume Die Fanfare. Gedichte der deutschen Erhebung by Heinrich Anacker (1901-1971). Looking back to the original theological foundation of the concept “Third Reich” in connection with the debate about whether National Socialism could be consid­ered as a political religion, “Reich” is described as a possible article of faith of the Nazi creed. In Anacker’s National Socialist biased propaganda poetry, “Reich” appears, in fact, as a sacred and even as a quasi-religious entity.

Denn Deutschland ist, wie der Heilige Christ,
Leuchtend auferstanden!

Heinrich Anacker, Deutsche Ostern 1933[1]

1. Einführung

Heinrich Anacker (1901-1971) war im Dritten Reich als Propaganda­dichter des NS-Regimes tätig und veröffentlichte bis zum Ende des Zwei­ten Weltkriegs über zwanzig Lyrikbände. Seine Lyrik hatte zwar in erster Linie die NS-Ideologie zum Thema, eine Verwobenheit von politischer und religiöser Thematik ist in seinen Werken gleichwohl nicht selten erkennbar. Das obige Gedichtzitat umfasst die letzten zwei Zeilen seines Gedichtes Deutsche Ostern 1933, das er im Gedichtband Die Fanfare. Gedichte der deutschen Erhebung veröffentlichte. Gleich im Titel verknüpft Anacker eine politische Gegebenheit – Deutschland im Jahre 1933 – mit einem religiösen Thema – Ostern. In den letzten zwei Versen expliziert Anacker, dass er nicht die tra-ditionell christliche Ostergeschichte erzählt, sondern die, in der «Deutsch­land» die Hauptrolle spielt und explizit mit dem auferstandenen Jesus Chris­tus verglichen wird.

In diesem Beitrag wird besonders auf die Bedeutung von “Reich” – auch “Drittes Reich”, “Deutschland” oder “Vaterland” – in der nationalsozialis­tischen Propagandalyrik von Heinrich Anacker fokussiert. Obwohl die Na­tionalsozialisten ein klares politisches deutsches Reich vor Augen hatten, erscheint “Reich” in dieser Propagandadichtung an zahlreichen Stellen als eine sakralisierte und vielleicht sogar quasi-religiöse Gegebenheit. Wie lässt sich eine solche religiöse Verwertung aber erklären? Zunächst wird das ur­sprünglich religiöse Fundament des “Dritten Reiches” näher beleuchtet. Dann wird “Reich” zusammen mit fünf weiteren Kernthemen als “Glau­bensartikel” der nationalsozialistischen “politischen Religion” beschrieben. Schließlich wird auf die mögliche Bedeutung von “Reich” als Glaubensar­tikel in Anackers Propagandalyrik fokussiert. Dabei wird sich herausstellen, dass dieses Thema nicht nur von einem religiösen Diskurs umgeben wird, sondern auch für die Umdeutung christlicher Feiern – wie Ostern im obigen Gedichtzitat – instrumentalisiert wurde.

2. Das religiöse Fundament des Dritten Reichs

Walter Knoche behauptet, dass Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925) mit seinem 1923 herausgebrachten Buch Das dritte Reich den Natio­nalsozialismus mit seinem wirksamsten politischen Slogan versorgt hat, auch wenn seine Ideologie nicht völlig mit dem NS-Programm überein­stimmte. In seinem Buch verbindet Van den Bruck die alten Konzepte der eschatologischen Erfüllung utopischer Erwartungen und den politischen Ausdruck des Begriffes “Drittes Reich”. Denn, so merkt Knoche auf, der Begriff “das Dritte Reich” ist im Grunde ein religiöses und philosophisches Konzept, das das Zeitalter des Heiligen Geistes markiert, das auf das Zeit­alter des Vater und des Sohnes folgen sollte[2]. Laut Hans Otto Seitschek kommt diese Idee im endzeitlichen Denken des Zisterzienserabts Joachim von Fiore (um 1130-1202) wie in der Erlösungsidee des evangelischen The­ologen Thomas Müntzer (1488/89-1525) zum Ausdruck[3]. Joachim von Fi­ore interpretierte die Geschichte als eine aufsteigende Abfolge von drei Zeitaltern oder Reichen:

Dem Ersten Reich Gottvaters und des alttestamentlichen Gesetzes und dem Zweiten Reich des Sohnes und des Evangeliums wird – nach einem Zwischenreich des Antichrist mit schrecklichen Verfolgungen – um 1260 das Dritte Reich des Heiligen Geistes folgen, ein Zeitalter ohne geschriebenes Testament, ohne Herrschaft, in dem die Bewoh­ner in völliger Gleichheit und Harmonie in ewigem Frieden leben.[4]

Seitschek behauptet, dass diese Vorstellung vom Dritten Reich symbo­lisch mitspielte, wenn die Hitler-Diktatur als Drittes Reich nach dem ersten und zweiten Kaiserreich bezeichnet wird[5]. Knoche betont aber gleich, dass man nicht einschätzen kann, ob oder inwiefern der “Durchschnittsnazi” sich des religiösen Ursprungs dieses Begriffes bewusst war[6]. Auch wenn der religiöse Ursprung ungekannt gewesen sein sollte, dann wurde der Begriff “Reich” in der Propagandadichtung schon sehr explizit religiös gewertet. So wird dem Dritten Reich im Gedicht Die Fahnen verboten explizit eine gewisse Heiligkeit zugeschrieben, indem Anacker ihm das Adjektiv «heil’g» voran­stellt:

Aufsteigt aus Schmach und Trümmern
Das heil’ge Dritte Reich.
               (Die Fahnen verboten, V.19-20)

Laut Knoche weist der Gebrauch des Adjektivs “heilig” vor “Reich” auf eine subtile lokale Verschiebung. Das Westen hat als “heiliges Land” immer nur das Land, in dem Christus lebte und arbeitete und wo infolgedessen das Christentum entstand, verstanden: Palästina. Indem zum Beispiel in diesem Gedicht Deutschland als “heilig” bezeichnet wird, verschieben die Grenzen des Heiligen Landes zum kontinentalen Europa, sogar spezifisch nach Deutschland. Hieraus folgt, dass alles, was sich außerhalb Deutschlands be­findet, nicht heilig, während alles, was Deutschland betrifft, ebenso heilig sei[7]. Nicht von ungefähr hat Klaus Vondung “Deutschland” im Sinne von “Reich” zu den zentralen Themen eines sogenannten NS-Glaubens gerech­net und sogar als einen nationalsozialistischen “Glaubensartikel” beschrie­ben[8].

3. Glaubensartikel der nationalsozialistischen “politischen Religion”

Bereits seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, wie man eine “politische Religion” definieren kann und ob der Nationalsozialismus als solche zu be­schreiben wäre. Bereits Ende der 1930er Jahre beschrieben Erich – später: Eric – Voegelin und Raymond Aron den Nationalsozialismus unabhängig voneinander als eine «politische Religion» bzw. «religion politique»[9]. Die ter­minologische Verbindung der Begriffe “Religion” und “Politik” im Sinne einer “politischen Religion” wurde in der späteren Forschung indes wieder­holt als problematisch empfunden. Vor allem ab den 1990er Jahren stand die politische Religion – und die Debatte über die Möglichkeiten und Gren­zen des Begriffes – im wissenschaftlichen Fokus, vorangetrieben insbeson­dere durch den ehemaligen bayerischen Kultusminister und Inhaber des Münchner Lehrstuhls für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kul­turtheorie, Hans Maier[10]. Gegner der Bezeichnung “politische Religion” ha­ben zahlreiche alternative Begriffsmöglichkeiten – wie etwa “Anti-Reli­gion”, “Pseudo-Religion”, “Religionsersatz”, “Ersatzreligion”, “säkulare Religion”, “politisch-soziale Religion” und “politische Säkularreligion” – vorgeschlagen. Aber auch Befürworter des Begriffes haben immer wieder auf die Schwierigkeit des Themas und die Definitionsproblematik hinge­wiesen. Trotzdem betrachten namhafte Faschismus-Forscher wie Michael Burleigh, Hans Mommsen, Roger Griffin, Claus-Ekkehard Bärsch, Emilio Gentile und Uriel Tal den Nationalsozialismus – auch in schlichter Erman­gelung eines besseren Begriffes – weiterhin als politische Religion. Diese Begrifflichkeitsproblematik scheint bis heute noch nicht eindeutig gelöst zu sein und auch für diesen Beitrag bleibt die Frage, ob der Nationalsozialis­mus als politische Religion zu betrachten sei, weiterhin dahingestellt. Aller­dings scheint innerhalb des hier behandelten Themas ein Verweis auf die von Vondung innerhalb dieser Debatte beschriebenen “Glaubensartikel” eines NS-Glaubens schon angebracht zu sein. Er merkt auf, dass “Glaube” ein zentraler und häufig benutzter Begriff im nationalsozialistischen Dis­kurs war. So redete Hitler wiederholt von seinem Glauben an Deutschland und das deutsche Volk und andere wichtige NS-Persönlichkeiten verwiesen auf diesen Glauben von Hitler und forderten von den Deutschen eine Ein­heit in diesem Glauben[11]. Im Zusammenhang mit der Debatte über den Nationalsozialismus als politische Religion sagt Vondung zudem: «If one views National Socialism as a political religion, it is important to identify its articles of faith, its creed»[12]. Vondung hat daraufhin selbst versucht, das na­tionalsozialistische Credo zu beschreiben und identifizierte schließlich sechs “articles of faith” (Glaubensartikel) in der nationalsozialistischen Ide­ologie: Blut, Volk, Boden, Reich, Führer und Fahne. Diese sechs Glaubens­artikel erweisen sich zudem als wichtige Topoi in der Propagandalyrik von Heinrich Anacker[13]. Dieser Beitrag fokussiert besonders auf die Bedeutung des Glaubensartikels “Reich” in Anackers Propagandadichtung.

4. “Reich” als Glaubensartikel in Heinrich Anackers Propagandalyrik

Insgesamt kommt das Thema in Anackers Gedichtband Die Fanfare in 40 unterschiedlichen Gedichten entweder mit dem Begriff “Deutschland” oder mit “Reich” explizit zur Sprache. In acht Gedichten wird außerdem die Bezeichnung “Vaterland” benutzt. Auf diese Weise erweist “Reich” sich als ein zentrales Konzept innerhalb der nationalsozialistischen Propaganda­lyrik. Indem die Propagandadichter dieses “Reich” mit Attributen und Sinn­bildern aus der christlich-religiösen Sphäre ausstatten – wie zum Beispiel das Auferstehungsmotiv in Deutsche Ostern 1933 –, wird seine Bedeutung und Wirksamkeit, so Peter Hasubek, gesteigert und es gewinnt so den Rang eines Höchstwertes[14]. Im Folgenden wird erstens gezeigt, wie dieses “Reich” diskursmäßig religiös gewertet wird. Zweitens wird das Reich im Lichte des umgedeuteten Oster- und Pfingstfestes analysiert.

4.1 Die diskursive Sakralisierung des “Reich” in Anackers Gedichtband Die Fahne.

Am deutlichsten zeigt sich die Sakralisierung im bereits erwähnten Ge­dichtzitat aus dem Gedicht Die Fahnen verboten, in dem das Dritte Reich mit-tels dem vorangehenden Adjektiv «heil’g» (Die Fahnen verboten, V.20) explizit heiliggesprochen wird. Auch der explizite Vergleich mit dem «Heiligen Christ» (Deutsche Ostern 1933, V.29) schreibt dem Reich – hier «Deutsch­land» – eine gewisse Heiligkeit zu. Das Gedicht Ewiges Deutschland erklärt das Reich – erneut mit der Bezeichnung «Deutschland» – zudem als «ewig», womit das chiliastische Element des Nationalsozialismus berührt wird. Mit dem vom griechischen Zahlwort χίλια – «tausend» – abgeleiteten Begriff Chiliasmus deutet man in christlicher Tradition auf die Erwartung des Tau­sendjährigen Reiches – auch eines Tausendjährigen Reiches des Friedens – nach der Wiederkunft Christi[15]. Auch Joachim von Fiore benutzte anstatt «Dritten Reichs» manchmal auch «Tausendjähriges Reich», das nach dem Sieg eines dux – eines Führers – über den Antichrist anbrechen wurde[16]. In der messianischen Vorstellung des Nationalsozialismus wurde die Idee ei­nes Tausendjährigen Reiches wiederaufgenommen. Obwohl er in Anackers Lyrik nicht explizit als solche erscheint, findet man auch bei ihm chiliasti­sche Elemente, wie zum Beispiel die Beschreibung von Deutschland als et­was «Ewigem». In der letzten Strophe des Gedichtes Ewiges Deutschland wird mittels einer Referenz auf die Offenbarung des Johannes ein zweites chili­astisches Indiz gegeben:

Einst wächst in die Sterne der Baum,
Und nichts kann die Krone ihm rauben –
O Deutschland, du ewiger Traum,
An den wir glauben!
               (Ewiges Deutschland, V.13-16)

Diese Strophe bietet mit «einst» (Ewiges Deutschland, V.13) einen Blick in die ferne Zukunft. Deutschland wird als ein Baum, der bis in die Sterne wächst, dargestellt. Die «Sterne» (Ewiges Deutschland, V.13) können dabei un­terschiedlich ausgelegt werden. Einerseits ist der Stern sowohl in der Bibel als auch sonst in der Literatur ein beliebtes Symbol der Zukunft bzw. der zukünftigen Welt[17]. Außerdem werden Sterne in der Bibel oft in Verbin­dung mit einer Prophezeiung verstanden. Auch der «Traum» (Ewiges Deutschland, V.15) wäre als Symbol einer höheren Offenbarung zu lesen[18]. So könnten Vers 13 und 14 dieses Gedichtes in dieser Hinsicht als Prophe­zeiung betrachtet werden. Andererseits wäre es möglich, die Sterne in Ver­bindung mit «Baum» (Ewiges Deutschland, V.13), dem zweiten literarischen Topos dieser Verszeile, als eine Metonymie für Himmel zu lesen. Der Baum wird oft als eine Brücke zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen verstanden und symbolisiert in der Hinsicht in vielen Mythologien die Welt[19]. Auch der biblische Baum der Erkenntnis, der laut Genesis zusam­men mit dem Baum des Lebens im biblischen Paradies stand, hat die Sym­boltradition geprägt. So ist der Baum auch das Symbol eines utopischen Zustands der Harmonie und des Glücks[20]. Einen solchen harmonischen Zustand verspricht auch das Tausendjährige Reich. Mit der «Krone» (Ewiges Deutschland, V.14) kann dann sowohl die wortwörtliche Krone des Baumes als auch die Krone als Symbol der Macht und Herrschaft verstanden wer­den. Mit dieser Zeile wird also vorhergesagt, dass «nichts ihm die Krone […] rauben» (Ewiges Deutschland, V.14) kann und dass die Macht Deutsch­lands in dieser Hinsicht «ewig» sein wird. Es wäre möglich, dass Anacker mit dem vierzehnten Vers implizit auf das Buch der Offenbarung, in dem der Antichrist erscheint, verweist. Denn in Off 2, 10 klingt es: «Fürchte dich vor der keinem, das du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen, auf daß ihr versucht werdet, und werdet Trübsal ha­ben zehn Tage. Sei getrost bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben»[21]. Noch deutlicher wäre Anackers Vers im Hinblick auf Off 3, 11: «Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme!»

Auch die letzten zwei Verszeilen könnten aus einer chiliastischen Per­spektive interpretiert werden. Indem Deutschland als ein «ewiger Traum» (Ewiges Deutschland, V.15) bezeichnet wird, könnte man diesen Vers als eine Prophezeiung der Ewigkeit Deutschlands – in dem Sinne auch des Tau­sendjährigen Reichs – deuten. Es wäre auch möglich, dass nicht direkt an «Deutschland» (Ewiges Deutschland, V.15), sondern an den «ewigen Traum» (Ewiges Deutschland, V.15) geglaubt wird. Wenn aber dieser ewige Traum die Prophezeiung oder Offenbarung eines “ewigen Deutschlands” impliziert, wird die Idee der Ewigkeit eigentlich sogar zweimal betont. Im Gedicht Blick in die Zukunft wird diese Ewigkeit nicht mehr als eine mögliche Pro­phezeiung, sondern als eine Tatsache festgestellt, denn da klingt es: «Du Reich […] / brich an zur ewigen Dauer!» (Blick in die Zukunft, V.16-18).

Schließlich fällt auch die Verbindung von “Deutschland” mit dem Verb “glauben an” in der letzten Strophe des Gedichtes Ewiges Deutschland ins Auge. Die “glauben an”-Formel ist dem Leser in erster Linie aus Glaubens­bekenntnissen in religiösem Kontext bekannt. Im christlichen Glaubensbe­kenntnis wird dieses “glauben an” mit Konzepten wie “Gott”, “Jesus Chris­tus”, dem “Heiligen Geist” oder der “Heiligen Kirche” verbunden. Im obi­gen Gedicht wird jedoch ein Glaube an Deutschland ausgedrückt. Ein sol­cher Glaubensausdruck erschien laut Vondung ab 1934 allmählich immer mehr in sogenannten “Bekenntnisliedern”. Diese Lieder waren vor allem für den Gebrauch in den Feiern bestimmt[22]. Inhaltlich stellten sie Lobprei­sungen von Führer, Fahne oder – wie in Anackers Gedicht – auch Vater­land dar[23].

Auch das Gedicht Alles ist Teil von Dir, o Vaterland! wäre als ein solches Lobgedicht zu betrachten. Mit einer Apostrophe wendet Anacker sich di­rekt an das Reich, das hier mit der patriotischen Bezeichnung «Vaterland» angesprochen wird. Das Vaterland erscheint als eine immanente, fast pan­theistisch anmutende Gegebenheit, denn nicht weniger als fünfmal wieder­holt Anacker, dass wirklich «alles» Teil vom Vaterland ist (Alles ist Teil von Dir, o Vaterland! V.1, 8, 9, 16, 17).

Alles ist Teil von dir, o Vaterland:
Auch meine Stirn, auch meine eigne Hand!
Nie ist mein Leib und Leben völlig mein –
Gott gab es mir, es opfernd dir zu weihn.
               (Alles ist Teil von Dir, o Vaterland! V.17-20)

Die dritte Strophe erklärt, dass auch das Individuum völlig in diesem Vaterland aufgeht. Die zwanzigste Zeile erscheint sogar als ein göttlicher Auftrag, nach dem man sein Leib und Leben dem Vaterland völlig weihen sollte. Im Gedicht Dem Führer, dem Eröffnungsgedicht des Gedichtbandes Die Fanfare, wird das Vaterland quasi als eine göttliche Entität oder vielleicht sogar eine religiöse Reliquie betrachtet:

Du lehrtest uns niederknieen
Vor des Vaterlandes Hochaltar
                           (Dem Führer, V.23-24)

Dieses Zitat beschreibt, wie Adolf Hitler, der in der letzten Zeile des Gedichts namentlich genannt wird, «uns» (V.23) – seinem Volk – eine be­stimmte kniende Haltung beigebracht hat. Die kniende Haltung ist in erster Linie aus religiösen Kontexten als Gebetshaltung und so auch als Symbol der Über- oder Hingabe bekannt. Hitler scheint seinen Nachfolgern also einen sehr konkreten und körperlichen Ausdruck des Gebets beizubringen. Außerdem scheint Hitler auch zu bestimmen, wo und wozu man beten sollte. Hier wird nicht vor dem Altar Gottes, sondern vor dem des Vater­landes gebetet, weswegen das Vaterland an sich religiös gewertet wird. Die Sakralisierung wird zudem dadurch verstärkt, dass Hitler hier in gewisser Hinsicht genauso wie Jesus Christus als “Lehrer” charakterisiert wird. Da­mit folgt er dem Beispiel Jesu Christi, weil auch Jesus, den Evangelisten Matthäus und Lukas zufolge, seine Jünger zu beten gelehrt hat[24].

4.2 Das Reich als Symbol in der Umdeutung christlicher Feiern

Während im Eröffnungsgedicht Dem Führer Adolf Hitler als Führer nach dem Vorbild des lehrenden Jesu Christi stilisiert wird, wurde “Deutschland” bereits im oben herangeführten Gedichtzitat aus dem Gedicht Deutsche Os­tern 1933 sehr explizit mit dem auferstandenen Christ verglichen. Obwohl die “glauben an”-Formel in diesem Gedicht fehlt, scheint auch Deutsche Os­tern 1933 einen gewissen Glaubensinhalt zu vermitteln. Das Gedicht scheint inhaltlich sogar dem christlichen Glaubensbekenntnis zu ähneln. Im christ­lichen Credo wird die Ostergeschichte und so die Auferstehung Jesu be­kanntlich ausdrücklich thematisiert: «Ich glaube an […] Jesus Christus […] gekreuzigt, gestorben und begraben, […] am dritten Tage auferstanden von den Toten»[25]. Indem Anacker dichtet, dass Deutschland «wie der Heilige Christ / leuchtend auferstanden!» ist (Deutsche Ostern, V. 29-30), wird in die­sem Gedicht der Glaube an die Wiedergeburt Deutschlands thematisiert. Im Folgenden wird der Glaubensartikel “Reich” spezifisch im Kontext um­gedeuteter christlicher Feiern zu nationalsozialistischen Zwecken gedeutet. Zu diesem Zweck wird zunächst auf die Umdeutung christlicher Feiern ein­gegangen. Schließlich wird anhand der Umdeutung des Oster- und Pfingst­festes gezeigt, wie Anacker diese ursprünglich christliche Thematik in seiner politischen Dichtung verarbeitete und welche Rolle dem Reich dabei zu­kam.

4.2.1 Die Umdeutung christlicher Feiern

Bereits vom Anfang an hat der Nationalsozialismus als totalitäres System versucht, seinen Einfluss nicht nur politisch, sondern auch in der Pri­vatsphäre des Menschen geltend zu machen. Maier weist in diesem Zusam­menhang bereits auf die Ähnlichkeit mit Religionen hin, die auch dazu nei­gen, den Menschen detaillierte Vorschriften zu machen. Genauso wie die Religion an den Wendepunkten des Lebens – Geburt, Hochzeit, Tod – mit besonderen Riten gegenwärtig sei, so liebe auch der Totalitarismus das Ri­tual[26]. Auch Hannah Arendt hat in ihrem Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1955) auf die Bedeutung des Rituals in totalitären Bewegungen hingewiesen. Sie behauptet, dass totalitäre Bewegungen die Rolle des Ritu­als von Geheimgesellschaften übernommen haben:

Die Umzüge auf dem Roten Platz in Moskau sind nicht weniger cha­rakteristisch als die pompösen Feierlichkeiten der Nürnberger Partei­tage. Im Zentrum des bolschewistischen Rituals ist die mumifizierte Leiche Lenins, wie im Zentrum des nazistischen Rituals die «Blut­fahne» war. Diese Idole sind jedoch keine eigentlichen Götzen und die Rituale kein Götzendienst im Sinne einer pseudoreligiösen oder heretischen Bewegung. Sie sind nichts als organisatorische Attrappen gleich den furchteinflößenden Symbolen und Handlungen, mit denen Geheimgesellschaften seit eh und je ihre Mitglieder in Geheimhaltung und Treue hineinzuängstigen pflegten. Was produziert wird, ist das Erlebnis einer mysteriösen Handlung, das offenbar als solches Men­schen besser und sicherer aneinander kettet als das nüchterne Be­wusstsein, ein Geheimnis miteinander zu teilen. Darum ändert auch die Tatsache, dass das «Geheimnis» der totalitären Bewegungen in Wort und Schrift tausendfach publiziert und propagiert wird, nichts an der Qualität des Erlebnisses einerseits und an seinem organisatori­schen Nutzen andererseits.[27]

Bereits im ersten Jahr nach der Machtergreifung gab es schon eine Reihe an Feierlichkeiten – wie etwa den Fackelzug am Abend des 30. Januars 1933 in Berlin und den “nationalen Feiertag des deutschen Volkes” am 1. Mai. Allerdings waren diese und andere Feiern laut Vondung am Anfang noch Mischformen aus Parteikundgebungen, Propagandaveranstaltungen und Staatsfeiertagen, versehen mit einzelnen kultischen Elementen. Sehr bald aber wurde der Ablauf der Feiern und Rituale, so Vondung, unter Goebbels Regie durchbildet und sie verfestigten sich, weswegen ein kanonischer Fei­erkalender entstand: die «Feiern im Nationalsozialistischen Jahreslauf»[28]. Laut Vondung hat Hitler die Bezeichnung “Kult” immer abgelehnt, weil der Begriff religiös geprägt sei und durch die christlichen Kirchen “besetzt”: «Für kultische Handlungen aber sind nicht wir zuständig, sondern die Kir­chen!»[29] Christliche Symbolik hat – zwar in um- oder neugedeuteter Form – im nationalsozialistischen Kult aber schon eine bedeutende Rolle gespielt.

Mit den “Feiern im nationalsozialistischen Jahreslauf” wurde ein natio­nalsozialistisches Feierjahr geschaffen, das laut Vondung in Konkurrenz zum christlichen Feierkalender stand und diesen im Laufe der Zeit ersetzen sollte. Obwohl manche nationalsozialistischen Feiertage ihren Ursprung in der Ideologie oder in der Geschichte der NSDAP hatten – wie etwa “der Tag der Machtergreifung am 30. Januar”, “der Gedenktag für die Gefalle­nen der Bewegung am 9. November” und “der Geburtstag des Führers am 20. April” –, wurde nach Umdeutung oder ideologischer Gleichschaltung auch auf andere Traditionszweige zurückgegriffen[30]. Schon vom Anfang an habe man sich auch darum bemüht, das Weihnachtsfest dem nationalsozi­alistischen Feierkalender einzufügen, indem sie seinen christlichen Inhalt zu ignorieren und zu verdrängen suchten: «Der christliche Sinngehalt des Fests sollte langsam verblassen und ein brauchtümliches Fest des “aufsteigenden Lichts” und des “wiedererwachenden Lebens” übrigbleiben»[31]. Der Um­deutung anderer christlicher Feiern wie Ostern und Pfingsten haben sich die Lenkungsorgane erst 1944 gewidmet. Man versuchte die beiden Feste auf germanische Frühlingsfeste zurückzuführen. So feierte man zum Bei­spiel zu Ostern nicht den wiedererstandenen Christus, sondern die «Wie­dererstehung des Frühlings und damit des Jahres», so Vondung[32]. Allerdings wird die diskursive Analyse zeigen, dass der Glaubensartikel “Reich” schon in Anackers Gedichtband Die Fanfare, der bereits 1933 in Erstauflage er­schienen ist, mit einem umgedeuteten Oster- und Pfingstfest verbunden wird.

4.2.2 Das “österliche” und “pfingstliche” Deutschland in Anackers Lyrik

4.2.2.1 Ostern – Die Auferstehung des Reiches

Das bereits erwähnte Gedicht Deutsche Ostern 1933 ist das einzige Ge­dicht aus Anackers Die Fanfare, in dem das Osterfest namentlich genannt wird und zwar gleich im Titel. Das Gedicht selbst erzählt eine Geschichte, die den Gläubigen aus der Bibel bekannt ist. Anacker übernimmt die Oster­geschichte nicht nur thematisch, bestimmte Wörter und Konstruktionen sind einfach direkt der christlichen Überlieferung entnommen. Der Leser assoziiert «Golgatha» (Deutsche Ostern 1933, V.9), «ans Kreuz geschlagen» (Deutsche Ostern 1933, V.10) und die Verweise auf ein leeres Grab (Deutsche Ostern 1933, V.21) und einen schweren Stein (Deutsche Ostern 1933, V.23) gleich mit der Passion Jesu Christi. Allerdings lassen der Titel und die fünf­fache Wiederholung von «Deutschland» (Deutsche Ostern 1933, V.5, 9, 15, 21, 29) keinen Zweifel darüber bestehen, dass Anacker mittels seiner Anspie­lungen auf die christliche Tradition versucht, ein “deutsches” Ostern zu ge­stalten. Um jeden Zweifel zu beseitigen identifiziert Anacker «Deutschland» mittels der prädikativen Strategie des expliziten Vergleichs in der vorletzten Zeile eindeutig mit dem «Heiligen Christ»:

Denn Deutschland ist, wie der Heilige Christ,
Leuchtend auferstanden!
               (Deutsche Ostern 1933, V.29-30)

Obwohl Anacker in anderen Gedichten das Osterfest nicht explizit nennt und die narrative Struktur der biblischen Ostergeschichte auch nie wieder thematisch übernimmt, wird das entscheidende Ereignis dieser Ge­schichte – die Auferstehung – schon an mehreren Stellen thematisiert, wes­halb es zu einem wichtigen Topos in seiner Lyrik wird. Rein wortschatzmä­ßig erscheint das Thema der Auferstehung in fünf weiteren Gedichten, im­mer in Bezug auf Deutschland. In Deutsch der Rundfunk wird das Thema bloß kurz berührt, indem Anacker die Auferstehung indirekt mit der Stimme des Führers verbindet:

Die Wellen, die durch den Äther gehen,
Sollen zeugen von Deutschlands Auferstehn.
                           (Deutsch der Rundfunk, V.1-2)

Obwohl der Führer in diesem Gedicht nicht genannt wird, kann man schon spontan die Radioübertragungen – hier: «die Wellen» (Deutsch der Rundfunk, V.1) – mit Adolf Hitler verbinden. Anacker führt «Deutschlands Auferstehn» (Deutsch der Rundfunk, V.2) hier als ein wichtiges Thema im Ra­dio vor, von dem nicht nur einfach die Rede ist, sondern wovon «gezeugt» werden sollte. Außerdem bekommt das Thema eine weitere Legitimierung, indem indirekt vom Führer die Rede ist, der in der Radiosendung von Deutschlands Auferstehung spricht. Diese Hypothese wird dadurch unter­stützt, dass im gleich darauf folgenden Gedicht Adolf Hitler im Rundfunk der Führer nicht nur als Sprecher im Rundfunk erscheint, sondern auch seine Botschaft explizit genannt wird: «Von Deutschland spricht er, von Deutschland allein» (Adolf Hitler im Rundfunk, V.5). In Deutsch der Rundfunk wird diese Botschaft weiter spezifiziert, weil anscheinend nicht einfach von «Deutschlands» sondern von Deutschlands «Auferstehn» (Deutsch der Rund­funk, V.2) die Rede ist.

Der Topos der Auferstehung wird an mehreren Stellen auch im Kontext der Opferbereitschaft thematisiert. Im Eröffnungsgedicht Dem Führer erin­nert Anacker in der vierten Strophe an den Tod des legendären Braunhemd­führers Horst Wessel im Jahre 1930. Außerdem gedenkt er der Opfer an der flämischen und russischen Front im Ersten Weltkrieg. Im Gedicht Steig” auf, du Jahr der deutschen Schicksalswende! werden die Gräber dieser Opfer – hier «Freunde» (Steig” auf, du Jahr der deutschen Schicksalswende!, V.6) – als «Mei­lensteine / Am steilen Weg zu Deutschlands Auferstehn» (Steig” auf, du Jahr der deutschen Schicksalswende!, V.6-7) dargestellt. Das Gedicht Gedanken an der Feldherrnhalle charakterisiert die sechzehn Nationalsozialisten, die 1923 bei einem misslungenen Putschversuch das Leben ließen[33], als weitere Opfer:

Zehn Jahre sind es – da starben an dieser Stätte
Sechzehn der Besten für Deutschlands Auferstehn.
                           (Gedanken an der Feldherrnhalle, V.1-2)

Auch in diesem Gedicht wird der Tod explizit als ein Opfer für die Auf­erstehung Deutschlands interpretiert. In Die Fahne verboten geht es nicht um die schon geleisteten Opfer, sondern um die Kampf- und Opferbereitschaft der heutigen Generation:

Wir wollen tapfer fechten
Für Deutschlands Auferstehn.
                           (Die Fahne verboten, V.11-12)

In der fünften Strophe dieses Gedichts wird die Auferstehung Deutsch­lands sogar weiter expliziert:

Aufsteigt aus Schmach und Trümmern
Das heil’ge Dritte Reich.
                           (Die Fahne verboten, V.11-12)

Anacker stellt die jüngste Vergangenheit Deutschlands mit «Schmach und Trümmern» (Die Fahne verboten, V.11) sehr negativ dar, denn Albrecht Schöne interpretiert die Auferstehung Deutschlands als eine Auferstehung aus der «Schmach und Hölle des Versailler Schandfriedens»[34]. Obwohl in diesem Gedicht sonst nicht von österlichen Ereignissen die Rede ist, wird das Reich wie bereits erwähnt mit dem Attribut «heil’g» (Die Fahne verboten, V.12) explizit religiös konnotiert. In Ihr seid die eisernen Bataillone verseht Ana­cker “Reich” von einem religiösen Aura, indem er das Adjektiv «erlöst» ein­setzt:

Ihr seid die eisernen Bataillone -
Der Kampfruf gellt;
Die Kette fällt:
Erlöst von Schmach, befreit von Banden,
Ist Deutschland groß in euch erstanden -
Bewundernd blickt auf euch die Welt!
               (Ihr seid die eisernen Bataillone, V.13-18)

Laut Knoche sei es unbestreitbar, dass das Adjektiv «erlöst» (Ihr seid die eisernen Bataillone, V.16) religiös konnotiert sei[35]. In dieser Hinsicht könnte man die Sakralisierung auf die nächste Verszeile übertragen und auch das Verb «erstanden» (Ihr seid die eisernen Bataillone, V.17) in Übereinstimmung mit der Auferstehungsthematik interpretieren.

4.2.2.2  Pfingsten – Eine feurige Zukunftsvision des Reiches

Das Gedicht Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün! spielt als einziges Gedicht in Anackers Gedichtband Die Fanfare auf das christliche Pfingsten an. Genauso wie in Deutsche Ostern 1933 sind in diesem Gedicht sowohl wortschatzmäßig als auch inhaltlich Parallele mit der biblischen Geschichte zu ziehen, wie beispielsweise in der ersten Strophe des Gedichtes:

Nun schmückt die Fahnen mit jungem Grün!
Nun schmückt sie mit pfingstlichem Laube!
Die Feuerzungen des Geistes glühn –
Denn heut” triumphiert in herrlichem Blühn
Der unbestürmbare Glaube.
               (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.1-5)

Die anaphorische Struktur in den ersten zwei Zeilen führt quasi dazu, dass man das «junge Grün» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.1), mit dem die Fahne geschmückt wird, «pfingstlichem Laube» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.2) gleichsetzen könnte. Wegen der Verbindung von «pfingstlich» mit «jungem Grün» und «Laube» erscheint Pfingsten hier zunächst als ein Frühlingsfest. Allerdings wird wegen direkter Verweise auf die Apostelgeschichte ab der dritten Zeile eine religiöse Perspektive erkenn­bar. In der Apostelgeschichte wird die Geschichte der Jünger und anderer Nachfolger Christi – wie zum Beispiel seiner Mutter – erzählt. Im zweiten Kapitel wird das Pfingstereignis beschrieben. Die Jünger befanden sich alle im selben Haus, als plötzlich «Feuerzungen» aus dem Himmel niederkamen:

Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; und sie wurden alle voll des Hei­ligen Geistes und fingen an, zu predigen mit anderen Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen.[36]

Auch in Anackers Gedicht ist die Rede von «Feuerzungen» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.3), die anscheinend einem nicht weiter spezifi­zierten «Geist» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.3) zugehören. Außerdem wird das Pfingstfest in den letzten zwei Verszeilen als der Tag beschrieben, an dem «der unbestürmbare Glaube» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.5) triumphiert. In dieser ersten Strophe wird jedoch noch nicht weiter expliziert, woran man glaubt und was mit diesem Geist gemeint ist. Auch in der dritten Strophe verwendet Anacker das Adjektiv «pfingst­lich» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.15). Genauso wie in der ersten Strophe beschreibt er die Ausstattung der Fahnen. Die Fahnen sind «durch den Führer erlöst, durch den Führer befreit» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.14) und man darf sie «bekränzen mit pfingstlichen Maien» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.15). Erst in der letzten Strophe werden der Geist und der Glaubensinhalt weiter expliziert:

Das Morsche stürzt und das Faule fällt,
Vom göttlichen Lichte durchdrungen –
O starker Geist, der nun Einzug hält:
Es spricht das neue Deutschland zur Welt
Mit hundert feurigen Zungen!
               (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.16-20)

Der Geist ist anscheinend nicht auf das Volk oder gewisse Nachfolger niedergekommen, es ist Deutschland selber, das vom göttlichen Geiste durchdrungen ist und «mit hundert feurigen Zungen» (Nun schmückt die Fahne mit jungem Grün!, V.20) spricht. Das Gedicht erzählt also nicht die tra­ditionelle Pfingstgeschichte, in der die Jünger unter Einfluss der vom Him­mel gesandten Feuerzungen voller Begeisterung und in unterschiedlichen Sprachen über ihren Glauben reden. Vielmehr stellt Anacker ein personifi­ziertes Deutschland dar, das «vom göttlichen Lichte durchdrungen» ist und so voller Leidenschaft zur Welt spricht. Genauso wie für die junge christli­che Gemeinde nach dem Pfingstereignis eine neue Epoche anbrach, scheint Anacker mittels der pfingstlichen Symbolik einen Neuanfang des Dritten Reiches zu beschreiben.

5. Fazit

Die Analyse des Themas “Reich” in verschiedenen Gedichten aus dem Gedichtband Die Fanfare. Gedichte der deutschen Erhebung hat gezeigt, dass Anacker an vielerlei Stellen einen religiösen Diskurs benutzt, um das Reich religiös zu bewerten. Nicht nur benutzt er religiös konnotierte Wörter wie «heilig», «erlöst» oder «Auferstehung», in manchen Gedichten scheint er auch spezifische biblische Geschichten – wie die des lehrenden Jesu Christi und Fragmente der Offenbarung des Johannes – als Hintergrund zu benut­zen. Außerdem lässt er ein personifiziertes Reich oder Deutschland die Hauptrolle in traditionell christlichen Geschichten wie die Oster- und Pfingstgeschichte spielen. Dabei blendet er den ursprünglich christlichen Hintergrund aus und er interpretiert die Geschichte neu aus einer deutschen Perspektive. In gewisser Hinsicht schließt Anacker sich einer Tradition an, in der das Dritte Reich an sich ursprünglich schon religiös konnotiert war. Es ist aber nicht deutlich, ob er oder seine Leser sich diesen theologischen Hintergrunds bewusst waren. Dass das “Reich” in Anackers Gedichtband zielgerichtet sakralisiert wird und so eine quasi-religiöse Bedeutung be­kommt, steht jedoch außer Frage. In dieser Hinsicht kann man Klaus Von­dung schon zustimmen, wenn er auf der Suche nach bestimmten Glaubens­inhalten des nationalsozialistischen Glaubens ‘Reich’ als Kernkonzept und sogar Glaubensartikel identifiziert.

Literaturverzeichnis

Anacker, Heinrich: Die Fanfare. Gedichte der deutschen Erhebung. München: Verlag E­her, 1936.

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Schirach, Baldur von: Die Fahne der Verfolgten. Berlin: Zeitgeschichte-Verlag, 1933.

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Van Hertbruggen, Anneleen: Die a Hero in Langemarck. Flanders in the Nazi Poetry of Heinrich Anacker. In: Journal of Dutch Literature, 8.1 (2017), S.41-59.

Vondung, Klaus: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1971.

–: National Socialism as a Political Religion: Potentials and Limits of an Analytical Concept. In: Totalitarian Movements and Political Religions 6.1 (2005), S. 87-95.



[1] Alle Gedichtzitate im vorliegenden Beitrag entstammen Heinrich Anacker: Die Fan­fare. Gedichte der deutschen Erhebung. München: Verlag Eher, 1936. (Erstauflage 1933).

[2] Vgl. Walter Knoche: The political poetry of the Third Reich: Themes and Metaphors. The Ohio State University, 1969, S. 9.

[3] Vgl. Hans Otto Seitschek: Politischer Messianismus – Totalitarismuskritik und philosophische Geschichtsschreibung im Anschluss an Jacob Leib Talmon. Paderborn: Schöningh, 2005, S. 170.

[4] “Drittes Reich” in Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin, New York: De Gruyter, 2000, S. 156.

[5] Vgl. Seitschek: Politischer Messianismus, S. 170.

[6] Vgl. Knoche: The political poetry of the Third Reich, S. 10.

[7] Vgl. Ebd., S. 69-70.

[8] Vgl. Klaus Vondung: National Socialism as a Political Religion: Potentials and Limits of an Analytical Concept. In: Totalitarian Movements and Political Religions 6.1 (2005), S. 91.

[9] Eric Voegelin arbeitete den Begriff “politische Religion” zum ersten Mal in seinem Buch Die politischen Religionen (1938) heraus. Raymond Aron benutzte dieses Konzept zum ersten Mal 1939 in seinem Essay Élie Halévy et l’ère des tyrannies in deutlicher Verbindung mit der Definition von Voegelin. Vgl. dazu in Brigitte Gess: The Conceptions of Totali­tarianism of Raymond Aron and Hannah Arendt. In: Totalitarianism and Political Religions. Hrsg. v. Hans Maier. Oxon, 2004, S. 235, Fußnote 4.

[10] Zu denken ist hier insbesondere an die von Maier (mit-)herausgegebenen Bände zu Totalitarismus und Politische[n] Religionen (3 Bde., Paderborn 1996-2003).

[11] Vgl. Vondung: National Socialism as a Political Religion, S. 3.

[12] Ebd.

[13] So bekommt Adolf Hitler als Führer quasi den Status eines Messias, indem er als Retter des Vaterlandes dargestellt wird und seiner Stimme übermenschlichen Qualitäten zugeschrieben werden. In dem Sinne erscheint das Volk als auserwähltes Volk und das Blut derjenigen, die ihr Leben für das neue Reich gegeben hat, wird im Zusammenhang mit einem deutschen Märtyrertum beschrieben.

[14] Vgl. Peter Hasubek: Das Deutsche Lesebuch in der Zeit des Nationalsozialismus. Hannover: Hermann Schroedel, 1972, S. 39.

[15] Vgl. Metzler Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer und Joachim Jacob. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2008, S. 696-697.

[16] Vgl. Seitschek: Politischer Messianismus, S. 171.

[17] Vgl. “Stern” in: Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 369.

[18] Vgl. “Traum” in: ebd., S. 392.

[19] Vgl. “Baum” in: ebd., S. 36.

[20] Vgl. Ebd., S. 37.

[21] Alle Bibelzitate entstammen der Lutherbibel 1912. ORL: bibeltext.com/l12 (Stand: 30.09.2016).

[22] Vgl. Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1971, S. 118.

[23] Der Reichsjugendführer Baldur von Schirach beendet sein Gedicht Dem Führer mit den Zeilen: - Ich glaube an dich, denn du bist die Nation, / ich glaube an Deutschland, / weil du Deutschlands Sohn. – Zit. aus Baldur von Schirach: Die Fahne der Verfolgten. Berlin: Zeitgeschite-Verlag, 1933, S. 40, V. 7-9. In diesem Gedicht glaubt man nicht an Gott, man glaubt an Deutschland und an Deutschlands Sohn, nämlich den Führer. Laut Hans Jörg Schmidt sind die Dichtungen von von Schirach, wie zum Beispiel diese, zum Teil reinste Glaubensbekenntnisse. Vgl. Hans Jörg Schmidt. Herrscherkult und Politische Religion als Erklärungsmodell gelegenheitslyrischen “Schaffens” / “Schrifttums” im Rahmen der “so­zialistischen deutschen Literatur” und der “nationalsozialistischen deutschen Literatur”. In: Totalitarismus und Literatur, Hrsg. von Hans Jörg Schmidt und Petra Tallafluss. Göttin­gen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007, S. 103.

[24] Vgl. Mt 6, 9-13 und Lk 11, 1-4.

[25] Zitiert aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis nach: http://www.ekd.de/glau­ben/apostolisches_glaubensbekenntnis.html (Stand: 14.11.2014).

[26] Vgl. Hans Maier. “Totalitarismus” und “Politische Religionen”. Konzepte des Dik­taturvergleichs. In: Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Hrsg. von Jesse Eckhard. Baden-Baden: Nomos, 1999, S. 124.

[27] Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt am Main: Europä­ische Verlagsanstalt, 1955, S. 600.

[28] Vgl. Vondung: Magie und Manipulation, S. 39.

[29] Hitler zit. in: ebd., S. 43.

[30] Vgl. ebd., S. 74.

[31] Ebd., S. 86.

[32] Vgl. ebd., S. 80.

[33] Bei der Analyse des Glaubensartikels “Blut” wird auf diese sogenannten “Gefallenen der Bewegung” im Rahmen des Märtyrertums näher eingegangen. Vgl. dazu Anneleen Van Hertbruggen: Die a Hero in Langemarck. Flanders in the Nazi Poetry of Heinrich Anacker. In: Journal of Dutch Literature, 8.1 (2017), S. 41-59.

[34] Albrecht Schöne: Über politische Lyrik im 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1972, S. 16.

[35] Vgl. Knoche: The political poetry of the Third Reich, S. 20-21.

[36] Apg 2, 3-4.