Torsten Voß

(Innsbruck)

Dichtungs-, Kunst- und Künstlertheorie
in Ferdinand von Saars lyrischem und erzählerischem Werk

[The Theory of Poetry, Art, and the Artist in Ferdinand von Saar’s Lyrical and Narrative Work]

abstract. This essay deals with the implicit poetical annotations and thoughts in some lyrical and narrative works of Ferdinand von Saar. His theoretical statements about art, literature or the position of artists and writers in modern society are few in number. So it is important to search in his literary works for some indication of his attitude towards poetical theory. This paper includes poems and so-called artist novels, like Für den Leier­mann, Tambi and Sühnefall. These texts demonstrate the liminal position of Ferdinand von Saar between tradition and modernity and his own theoretical reflections about it.

Es gibt wenig explizite lyriktheoretische, poetologische oder gar kunst­philosophische Äußerungen im Werk des österreichischen Novellisten, Dramatikers und Lyrikers Ferdinand von Saar. Der Essay, das Feuilleton oder auch die theoretisch-systematische Reflexion zählen weder zu seinen Stärken, noch bilden sie einen Schwerpunkt in seinem umfangreichen Werk, was ihn von anderen österreichischen Autoren des 19. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Franz Grillparzer und dessen Tagebüchern, stark unter­scheidet[1]. Dennoch tauchen sowohl in den Erzähltexten als auch in der um­fangreichen – und bisher sehr unterschätzten – lyrischen Produktion[2] im-mer wieder Künstlerfiguren und durch sie performativ inszenierte oder symbolisch-allegorisch verschlüsselte Überlegungen zur ästhetischen und sozialen Funktion von Dichtung auf. Sie müssen nur gefunden und ent­schlüsselt werden. Mit diesem Komplex wird ein Charakteristikum der postromantischen Literatur Österreichs berührt, worüber Hans Höller bün­delnd schreibt: «Das 19. Jahrhundert […] und besonders im Wien der Habsburger-Monarchie, kann einem als das Jahrhundert des Verborgenen erscheinen. Auch wenn man auf den verharmlosenden Epochenbegriff “Biedermeier” schon lange nicht mehr hereinfällt, kann einem in dieser Epoche ziemlich alles unerwartet oder unentdeckt erscheinen, zuallererst die Tatsache, dass das Biedermeier die Zeit einer “doppelten Revolution” (Eric J. Hobsbawm) war, der politischen und der industriellen, die sich im Bewusstsein und vielleicht noch mehr im Unbewussten der Zeitgenossen als tiefgreifende Krisenerfahrung niederschlug»[3]. Daraus ergibt sich die Fra­gen: Wie reagieren Kunst und Künstler auf diese Umbrüche und welche Funktion wird der ästhetischen Prozessualität demzufolge zugeordnet? Wie positioniert sich Ferdinand von Saar als Schriftsteller der ausgehenden k.u.k-Monarchie und welchen Stellenwert nimmt für ihn die lyrische Dich­tung ein?

Da ja expositorische, manifestartige und systematische Texte sich kaum durch sein Werk ziehen, muss neben den literarischen Arbeiten vor allem auf wenige literaturkritische Äußerungen oder den Austausch/Briefwechsel mit Kolleginnen und Kollegen zurückgegriffen werden. Die Attribuierun­gen, die er beispielsweise den Gedichten seiner langjährigen Mäzenin und Freundin Josephine Freiin von Knorr zukommen lässt, könnten auch Auf­schluss darüber geben, was für Saar das Lyrische bzw. lyrischer Stil sein könnte. So zählt er in einer Rezension ihrer 1897 bei Cotta publizierten Gedichtsammlung Aus späten Tagen folgende Vorzüge auf: «Originalität der Anschauung, Stimmung und Farbe. Der sprachliche Ausdruck, obgleich stellenweise etwas unklar und unbeholfen, ist dennoch voll Unmittelbarkeit und musikalischen Wohllautes»[4]. Dieses Beurteilungsraster spiegelt auch die eigene Auffassung des Rezensenten gegenüber Dichtung wider. Neben einer erhöhten Tonalität scheint bei ihm auch die Evokation von Synästhe­sien im Vordergrund zu stehen. Das Stimmungsvolle und Sinnliche erfah­ren ebenso ihre Berücksichtigung wie das Formale. Konkretisation reicht sich durch die Kategorie der Anschaulichkeit die Hand mit dem aus der Gelegenheitsdichtung des späten 18. Jahrhunderts stammenden unmittel­baren Ausdruck. Auch die aktuelle Forschung findet derlei Gestaltungs­merkmale in der Lyrik Josephine von Knorrs. So fasst Ulrike Tanzer zu­sammen: «Die Gedichte, formal streng gebaut, sind melancholisch grun­diert und erinnern an Nikolaus Lenaus Herbstgedichte ebenso wie an die Lyrik Ferdinand von Saars. Bilder von Einsamkeit, Vergänglichkeit und To­dessehnsucht, oft auch in Verbindung mit religiösen Motiven und Formeln, wechseln sich ab mit Entgrenzungs- und Ausbruchsfantasien»[5]. Damit scheinen Traditionalismus und Moderne sowohl formal als auch sprachlich und stofflich ineinander zu konvergieren. Durch den strengen Bau wird aber auch die liedmäßige Musikalität und damit ihr melancholischer Grund­ton in einem Großteil der Dichtung der postromantischen Phase garantiert, so dass der Hinweis Tanzers auf Lenau nicht überraschend ist. Und: «Der Aspekt der Musikalität taucht – wenn auch ausgesprochen dilettantisch – immer wieder in diesen kurzen nichtliterarischen Texten Saars auf und bil­det einen Hintergrund auch für die eigene Arbeit als Lyriker. Freilich muss dabei die Frage gestellt werden, in welcher Hinsicht der Autor mit zeitge­nössischen Arbeiten zur Musikästhetik (Schopenhauer, Wagner, Hanslick) vertraut war und welche Gedankenelemente in die eigene Lyrik und Essay­istik einflossen und dort sogar eine symbolisch-allegorische Verarbeitung erhielten, um die eigenen dichtungstheoretischen Überzeugungen zu ver­mitteln. Über die Musik selbst schreibt Saar in einer kurzen Bemerkung am 02. April 1894, dass er sie zwar liebe, aber nicht verstehe»[6]. Das erinnert einerseits an ein romantisches Musikverständnis, welches mit dem Attribut des Hermetismus und der Nichtreferierbarkeit der Töne kokettiert und sich immer wieder in Erzähltexten des 19. Jahrhunderts, so etwa in E. T. A. Hoffmanns Kreisleriana-Stücken (1810-14), in Die Fermate (1815), oder in Heinrich von Kleists Die Heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik (1810) findet. Andererseits tendiert der Autor aber gerade auch zu einer wenig komplexen und artifiziell verästelten Musik, wenn er gegenüber seinen Lesern einge­steht: «Denn die Natur hat mir insoferne den Sinn für die Kunst versagt, als ich in tiefere und kompliziertere Tonstücke nicht einzudringen vermag. Nur sehr melodiöse und leicht faßliche Musik kann ich genießen. Eine sol­che ist auch auf mein Schaffen nicht ganz ohne Einfluß. Sie wirkt zwar nicht anregend, aber doch gewissermaßen lösend und klärend; wie ich denn über manche Schwierigkeiten in eigenen, das heißt dichterischen Kompositionen beim Anhören von Tonstücken, denen ich in Empfindung folgen konnte, hinweggekommen bin»[7]. Nicht die atonale Komplexität dient dem Lyriker und Novellenautor als Quelle der inspirierenden Begleitung, sondern die einfache Melodie und überschaubare Struktur. Das letzteres für die Kom­position einer Novelle nicht unerheblich ist, geht aus ihrer eigenen Verfasst­heit und auch Theoretisierung durch die Autoren selbst (Goethe, Heyse, Storm) immer wieder hervor und muss an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal erläutert werden. Vielmehr ist dieses Bekenntnis zur scheinbaren mu­sikalischen Simplizität auch mit Saars eigener Dichtungstheorie zu fusionie­ren und an einigen typisch poetologisch orientierten Poemen aufzuzeigen, so auch an dem beinahe zur Verteidigungsrede ausstaffierten Text Für den Leiermann von 1896 bzw. 1899, der vor dem Hintergrund der kulturellen Umbruchsverhältnisse des späten 19. Jahrhunderts zu betrachten ist, wobei der Modernebegriff mit Primus-Heinz Kucher hier «weniger in der ein­schlägig-theoretischen Diskussion (Simmel-Benjamin-Adorno) verankert wird, wiewohl Bezüge dazu nicht fehlen, sondern aus dem Selbstverständ­nis der Autoren und ihrer Texte […] sowie wichtiger Parameter wie der Urbanisierung und Kapitalisierung, Fremdheitserfahrungen, Epochenwen­den etc. abgeleitet und zur Diskussion gestellt»[8] wird. Saars Figuren bewe­gen sich in Lyrik und Prosa in diesen Parametern.

1. Saars Lyriktheorie und die Herausforderungen der Moderne

Nach Höllers Einschätzung stehen die Autoren des Biedermeier und des späten 19. Jahrhunderts in einem ambivalenten Verhältnis zur Moderne und ihren utilitaristisch ausgerichteten Zugriffsparametern gegenüber der Kunst und nehmen sich daher ausgesprochen anachronistisch aus: «Diese ver­schroben anmutenden Reaktionsweisen auf das sich durchsetzende Ver­wertungsprinzip wirken berührend, und sie strahlen eine kindliche Un­schuld aus, als würde damit die epische Naivität als Gegenkonstruktion zum alles erfassenden Verwertungsprinzip und dessen instrumenteller Rationa­lität beschworen»[9]. Der instrumentellen Vernunft eine Verweigerungshal­tung entgegenhalten, verhält sich beinahe schon antizipatorisch gegenüber dem Paradigma der späteren Frankfurter Schule. Bei Saar artikuliert es sich in verschiedenen Figuren seiner Novellen und Gedichte und bildet in ihnen eine Ethik des Trotzes gegenüber den neuen gesellschaftlichen oder auch ökonomischen Zwängen aus. Das scheinbar Restaurative und Privatistische biedermeierlicher Beschaulichkeit fokussiert synchron eine zweckfreie und liberale Kunstanschauung, die dennoch ihre soziale Relevanz nicht vermei­det, wenn Saar anlässlich seiner Besprechung der Knorrschen Sammlung über das dichterische Tätigsein ausformuliert: «Aber nicht bloß sich selbst macht die Dichterin zum Gegenstand ihrer Lieder. Sie spannt die Schwin­gen ihres Geistes weit aus, und nicht selten erhebt sie sich zur vollen Höhe der Weltbetrachtung, wobei sie Menschen und Dinge in eine ganz eigent­hümliche Beleuchtung zu rücken versteht»[10]. Was hier ein wenig wie eine klassizistisch-idealistische Harmonieästhetik wirkt, die das Allgemeine mit dem Besonderen verbindet und in jedem einzelnen Segment den Weltgeist zu erspüren trachtet, entwickelt sich bei Ferdinand von Saar zu einer anth­ropologischen, nicht zweckrationalen und zugleich tief humanistisch und ethisch affinen Kunstlehre, die sich auch in den Versen über einen Leier­kastenspieler findet und als die lyrische Umsetzung der musiktheoretischen Äußerung zur Melodik aus dem Jahr 1894 begriffen werden könnte. In Für den Leiermann[11] erhält die Kunst aufgrund ihrer Mischung aus Simplizität und Eindringlichkeit eine suggestive und auch eine ethische Komponente:

Schmäht doch nicht den Leierkasten,
Den die Hand der Armut spielt –
Zieht die eu’re von den Tasten,
Die nach eitlem Beispiel gielt!

Jene Töne, die verletzen
Euer kunstgeübtes Ohr:
Freude bringen sie, Ergetzen
Rings um euch genug hervor.

Blickt nur nach den Kinderstuben,
Wie das kleine Völkchen springt!
Schaut die Mädchen und die Buben,
Wenn im Hof der Walzer klingt!

Eu’ren Mägden fröhlich taugen
Mag ein Tänzchen, dreist und schnell,
Selbst in der Matrone Augen
Leuchtet’s wie Erinn’rung hell.

Schreiber legen weg die Feder,
In der Werkstatt wird es still –
Und so lauscht zuletzt ein Jeder,
Der da gerne lauschen will;

Jeder, der vom Zukunftsdröhnen
Eu’rer Opern noch nichts weiß –
Oder alten, schlichten Tönen
Selbst im Mißklang gibt den Preis.

Virtuosen und Consorten,
Haltet euch die Ohren zu:
Aber nicht mit schnöden Worten
Herrscht den Leiermann zur Ruh!

In diesen Versen entfaltet der lyrische Sprecher eine Legitimation des scheinbar rein populären, einfachen und auf Zerstreuung ausgerichteten Spiels durch die Drehorgel des Leiermanns, die aber viele Zuhörer zu errei­chen vermag. Hinter dieser Frühform einer vermeintlichen Kulturindustrie und Massenware, verbirgt sich jedoch das Vorhaben, Musik bzw. Lyrik, die sich in diesen Versen sowohl codiert als auch selbstreferentiell entäußert, über eine wirkungsästhetische Argumentation zu begründen. Damit enthält der sogenannte ästhetische Dilettantismus[12], welcher sich auch in Franz Grillparzers armen Spielmann (1848)[13] figuralisiert und in seinem Brief über den Dilettantismus (1825/1826) eine wichtige Rolle einnimmt, auch eine anthro­pologisch und sozial zu verortende Relevanz. Das unterscheidet den ethi­schen Stellenwert der Figur des Leiermanns radikal von dem ebenfalls di­lettantisch, jedoch vollkommen solipsistisch und monadisch agierenden Ex-Künstler Bacher in Ferdinand von Saars ebenfalls zu berücksichtigender Novelle Tambi (1882), in welcher der ehemalige Dramatiker wie ein garstig-schwarzes Korrelat gegenüber dem sozial agierenden Geiger Jakob bei Grillparzer wirkt[14]. Das an eine Ballade erinnernde – und damit implizit auf den Gesang verweisende – Gedicht über einen Drehorgelspieler beginnt bereits in der einführenden Strophe mit einem Imperativ gegenüber einer fiktiven Gemeinde von Kunstrezipienten oder auch Kunstkennern, die ge-genüber dem Leiermann ein Understatement zu betreiben scheinen. Saar realisiert in diesem späten Gedicht sein Lyrikverständnis, welches er auch gegenüber den Gedichten Josephine von Knorrs ausformuliert hatte.

Ein entscheidendes Indiz für die wirkungsästhetische Qualität des Lei­erkastenspiels findet sich in seiner nahezu universalen Gültigkeit. Von der zweiten bis zur vierten Strophe wird nicht nur von der Freude (II, 3) durch das Drehorgelspiel gesprochen, die Rings um euch (II, 4) hervorgebracht wird, womit rein geographisch auf den Erdkreis angespielt wird, der Universalis­mus erhält noch eine weitere Bestätigung. Sowohl in Kinderstuben, also zu Mädchen und Buben (III, 1+3), dringen die Walzerklänge als auch zu der ält­lichen Matrone (IV, 3), deren Augen (IV, 3) dadurch in beinahe petrarkisti­scher und romantischer Manier zum Spiegel der Seele und der Erinn’rung (IV, 4) werden. Dadurch erfolgt die begeisterte Rezeption des Leiermanns unabhängig von Alters- und Lebensstufen und verbindet im Musikgenuss die Generationen miteinander zu einer Einheit als Rezeptionsgemeinde. Die durch Melodien bei der alten Frau hervorgerufene mémoire involun­taire birgt einerseits den melancholischen Aspekt des verlorenen Glücks mit sich. Andererseits wird das Glück durch den Katalysator der Musik imagi­nativ wieder heraufbeschworen. Das vergangene Erlebnis wird erneut leben­dig und vernetzt auf diese Weise nicht nur die Generationen, sondern auch die Zeiten und Erfahrungsräume miteinander, was als ein weiterer Beleg für die universale Relevanz des Drehorgelspiels und der dahinter stehenden Auffassung von Dichtung in Anspruch genommen werden könnte[15]. Auf­schlussreich ist auch die suggestive Kraft der Musik auf das Gewerbe und damit den Kommerz. Sie unterbricht beides und das zieht sich ebenfalls durch verschiedene Berufszweige, so dass der Musik des Leiermanns bei-nahe eine hypnotische Kraft zu eigen sein scheint. Sowohl die Schreiber als auch die Werktätigen legen ihre Arbeit in der fünften Strophe nieder, wobei mit den Schreibenden gewiss keine Autoren sondern eher Amtsschreiber gemeint sind. Es geht um eine Unterbrechung des herkömmlichen Betriebs in der Arbeitswelt und um eine konkrete Entscheidung für die Muße auf­grund der Muse. Das verbindet die geistig-bürokratische Tätigkeit mit der praktisch-handwerklichen, da ein Jeder […] gerne lauschen will (V, 3-4). Durch diese berufsübergreifende Rezeption und den Superlativ ein Jeder wird der Wirkungskraft und damit auch der Aussage des Gedichts eine Absolutheit unterstellt. Sie liegt in der vermeintlichen Einfachheit und damit Fassbarkeit der Kunst begründet, für die sich Saar auch in seinen Äußerungen über Musik und über die Gedichte Josephine von Knorrs ausgesprochen hat. Dadurch ist es möglich, dem Kausalnexus der Praxis zu entgehen und den Melodien des Leiermanns einen ethischen Anspruch zu attestieren[16]. Dass der lyrische Sprecher sowohl den (mitunter geistlos in der Amtsstube oder der Behörde seinen Dienst verrichtenden) Schreiber als auch den Werktäti­gen als dankbar Empfangende der Melodie ansieht, verdeutlicht das Miss­trauen gegenüber einer unkreativen oder rein praktischen Tätigkeit. Das un­tätige Zuhören wird also als eine sinnstiftende Alternative gegenüber einer entfremdenden Praxis propagiert und der einfachen Melodie kommt damit die Aura der Erlösung zu. Obgleich letztere eigentlich simpel und zyklisch wiederkehrend ist, löst sie ein Geschehen aus, eine Veränderung der Tätig­keiten und schlussendlich auch ein lineares Narrativ in Gestalt des ballades­ken Gedichts. Dieser Widerspruch zwischen Zyklizität und Linearität un­terstreicht die Bedeutungssuggestivität ästhetischer Erfahrung.

Doch nicht nur vom Kausalnexus der Praxis und den Vorgaben der Zeit grenzt sich das im Leiermann figuralisierte Künstlertum ab, sondern auch von anderen Kunstgattungen bzw. Kunstvertretern, wobei sowohl kompo­sitorische als auch relativ simple Geschmacks- und Modefragen in den letz­ten beiden Strophen des Gedichts berührt werden. So wird in der sechsten Strophe sowohl der Avantgarde als auch der Tradition eine Absage erteilt und mit dem universal auf der Rezeptionsebene gültigen Spiels des Dreh­orgelspielers auf eine zeitlose bzw. zeitunabhängige Qualität der Melodie hingewiesen. Denn genau diese Konstanten werden ja durch das Spiel auf­gehoben. Überhaupt scheint der Spielcharakter gegenüber dem kalkuliert Artistischen in diesem Gedicht einen größeren Stellenwert einzunehmen. Deshalb wird eine mögliche experimentelle neue Musik ebenso abgelehnt wie das formal, tonal und stofflich Erstarrte der alten Opern. Mit Blick auf Saars kurze Stellungnahme zur Musik aus dem Jahr 1894, wiederholt sich hier der rezeptionsästhetische Reiz des Melodiösen und damit des leicht Fassbaren gegenüber einer für ihn nicht decodierbaren und abstrakt blei­benden Komplexität. Dass demjenigen, dem beide Musikrichtungen sogar unbekannt sind, ein großer Vorteil im Kunstgenuss durch den letzten Vers der vierten Strophe vorausgesagt wird, lässt sich daher auch als lyrisches Korrelat und Realisierung dieses kurzen Statements lesen. Implizit wird den Vertretern komplexer Musik in der letzten Strophe sogar unterstellt, sie würden nur auf akustische Reize reagieren. Die Empfehlung, sich die Oh­ren zuzuhalten, klammert eine geistige und empathische Rezeption gleich­ermaßen aus. Ein sich daraus entwickelndes ästhetisches Urteil wird den Virtuosen und Consorten (VII, 1) sogar abgesprochen. Ergo: Sie haben zu schweigen.

Dass der Drehorgelspieler der Nichtachtung durch die künstlerisch Etablierten und Versierten anheimfällt, ist für die Saarschen Künstlerfigu­ren und überhaupt für seine Protagonisten in Lyrik und Novelle nicht un­spezifisch. Vielmehr gehört jenen auch die Sympathie des Autors. Mehr noch: Sie durchleuchten das Verhältnis einer entpragmatisierten und anth­ropologisch orientiert gebliebenen Kunst und den utilitaristisch-ökonomi­schen Ansprüchen der Moderne, auf das auch Hans Höller in seiner Ekphrasis des österreichischen Biedermeier explizit hingewiesen hat. Für die Figurationen dieses signifikanten und wohl auch epochenspezifischen Missverhältnisses hat Hans Rieder mit Blick auf das Gesamtwerk von Saar zusammengefasst: «Die absteigenden Lebensläufe ziehen ihn an, die Ver­zichtenden, die Resignierenden, ihren Leiden fühlte sich der Dichter inner­lich verbunden. Er klagt nicht an, er will nicht bessern, nicht erziehen, die Empörung liegt ihm nicht, denn er ist viel zu skeptisch, als dass er an eine Änderung der Verhältnisse glauben würde. In der Fülle der Gestalten zieht ihn immer wieder der edle Dulder an, der weiche sanftmütig Leidende. Saars Helden sind zu diesem Dulden geboren, weil sie vor der Welt versa­gen. Es ist immer wieder festzustellen, dass sie kein richtiges Verhältnis zu ihrer Gegenwart finden»[17]. Diese in den Helden vollzogene Allegorisierung eines Kunst- und wohl auch Lebens- und Zeitkonzepts teilt Saar mit einem anderen Repräsentanten moderner Dichtung, mit Charles Baudelaire. Auch er begeistert sich für die Ausgestoßenen der Gesellschaft, für Huren, Alte, zerlumpte Bettler und gescheiterte Künstler. Er lässt sie, um seine Ästhetik zu visualisieren, in seinen Tableaux parisiens (1857) oder in Prosagedichten wie Le vieux saltimbanque (1869) in einem Reigen der Entrechteten und Un­beachteten auftreten, freilich auch ohne jegliche Vorschläge auf Besserung, denn Baudelaire ist Künstler und kein Sozialrevolutionär. Es geht um die Veranschaulichung des Stellenwerts der Kunst und des Künstlers in der (womöglich auch städtischen[18]) Gesellschaft und um das Selbstverständnis desselbigen als Paria bzw. Gegendiskurs. Außerdem ziehen diese Figuren sowohl bei Saar als auch bei Baudelaire aus ihrer Duldsamkeit gegenüber allen Menetekeln eine seltsame Kraft und Ethik des trotzigen Aushaltens, die sich kontradiktorisch gegenüber allen Ansprüchen der Vernunft und des sozialen Pragmatismus verhält und sie damit aus ihrer Zeit exkludiert. Sie bilden damit – wenn auch ohne direkten sozialen Anspruch – einen subver­siven Gegendiskurs gegenüber den temporären Erfordernissen, selbst noch in ihren Momenten des Scheiterns und Untergehens. Und sind zugleich (wie bei Baudelaire mit Blick auf die Metropole Paris) «Kultur- und Sittenbilder aus dem österreichischen Raum, praktisch durchweg verdichtet in zentralen Einzelporträts, um die sich die jeweiligen Geschichten ranken; sie bieten also allgemeines historisch-mentalitätsgeschichtliches Anschauungsmate­rial, das mit überschaubarem Personal und in schnell faßbarer Form para­digmatisch präsentiert wird»[19]. Und was Haberland hier für die Novelle re­feriert, gilt doch in noch wesentlich konziserer Fassbarkeit für die noch plastischer gestaltete Lyrik, vor allem für diesen balladesken Text vom Lei­ermann, der durch sein lyrisches Element ja auch narrativ-sukzessive Ele­mente aufweist.

Ein eher gattungstheoretisches Äquivalent zu dieser balladenhaften Um­setzung einer mit der Zeit und auch den rezeptiven Ansprüchen gekoppel­ten Figuration des Künstlers findet sich in Ferdinand von Saars monolo­gisch ausgerichtetem Gedicht Die Lyrik (1882/1888). Dort tritt das lyrische Ich nicht in eine lange Aussprache mit einem Künstler oder einem einzel­nen Werk, sondern mit einer Gattung ein und orientiert sich dabei an den rhetorischen Strategien der Elegie[20]. Das Gedicht[21] spiegelt die zeitgenössi­sche kulturelle Situation und auch (ausbleibende) Popularität der Lyrik wie­der und verortet eben diese vor dem Hintergrund ihrer fehlenden prakti­schen Verwendbarkeit[22]. Allerdings hat Giselheid Wagner auch nachdrück­lich darauf hingewiesen, dass damit eine allgemeine Problematik des Saar­schen Dichtwerks berührt wird, seine Entfernung von den Anliegen seiner Zeit und ihrer diskursiven Verortung zu Gunsten eher klassischer Sujets: «Das Beharren auf den lyrischen Grundthemen wie Gott, Natur und Liebe, das sich bei Saar wie auch anderen zeitgenössischen Lyrikern deutlich zeigt, verweist nur wieder darauf, daß sich die Lyrik schwertut, der neuen Zeit gemäße Formen und Inhalte zu entwickeln»[23]. Das mag zutreffen[24], aber gerade für Saars Themen und Figuren ist ja bisweilen auch eine Verweige­rungshaltung gegenüber temporären Imperativen zu konstatieren, um dar­aus, entgegen aller Tendenzen, einen Modus lyrischer Selbstbehauptung zu garantieren[25], was wiederum der lobenden Ballade Für den Leiermann sehr ähnlich ist.

Um nun dem Abgesang in Form einer direkten Anrede gerecht zu wer­den, betreibt das lyrische Ich eine Anthropomorphisierung seiner Gattung, also des Mediums, das sein Sprechen überhaupt erst ermöglicht. Der lyri­sche Text perfomiert die Entstehung des lyrischen Ich, welches wiederum über den Ort seiner Herkunft reflektiert in Form einer Anrede, die das lite­rarische Genre als ein Gegenüber erscheinen lässt. Diese scheinbare Dis­tanz des lyrischen Ich von seiner Herkunft ist notwendig, um den reflexiv-poetologischen Gehalt deutlicher und wohl auch objektiver hervortreten zu lassen. Denn es geht in diesen Zeilen um Kunsttheorie. So wird bereits in den ersten Versen das Verhältnis der Gattung zur Gesellschaft beleuchtet und synchron eine Verteidigungsrede in diesem odisch affinen Nachruf auf Aktualität des Lyrischen konzipiert, der zwar auf Reimschemata verzichtet, jedoch mit Daktylen und Trochäen arbeitet:

Ob auch ein überkluges Geschlecht/Dich belächelt als Unverstand; /Ob der banausische Schwarm, /Der in den Tempel der Kunst sich drängt, / Um bei des Altars heiliger Flamme Mahlzeit zu halten, / Dir, weil du den Mann nicht nährst, / Hochmütig den Rücken kehrt, / Indes ein Herr frecher Stümper / Dich entweiht zu nichtigem Spiel: / Immer und ewig / Bleibst du, hochaufstrebende Lyrik, / Blüte und Krone der Dichtkunst.[26]

Der lyrische Sprecher sperrt seine Heimatgattung in dieser ersten Stro­phe synchron gegenüber mehreren Zugriffsparametern und externen An­sprüchen. Vor allem geht es gegen «das Argument des Gebrauchswerts»[27], wie es Pott richtig in den Vordergrund stellt. Ebenso wie die Praxisferne wird der Lyrik aber auch eine Disparität gegenüber einem gespreizten Kul­turbegriff zugestanden. Nicht mehr die Institutionen des Sakralen in Gestalt des Tempels und des Altars und ein damit verbundenes Bildungsverständnis werden mit dem Dichten verbunden, sondern eine Orientierung an trans­zendenten Parametern, außerhalb materieller Fassbarkeit. Daraus erklärt sich auch die Sperrung des Lyrischen gegenüber herkömmlicher Kon­sumtion. Darin sieht der Sprecher auch die entscheidende Disparität gegen­über anderen, hier nicht näher genannten, Gattungen der Literatur. Dass die Lyrik sowohl als Blüte als auch als Krone bezeichnet wird, bringt sie mit einer vollendeten Naturerscheinung und mit dem Nimbus höchster Macht­entfaltung zusammen. Der transgressive Charakter lyrischen Sprechens wird damit verdeutlicht, welcher sich anscheinend gerade aus der Nichtach­tung des Dichtens von Seiten der Bildungsvertreter und Pragmatiker ergibt. Wenn der lyrische Sprecher zu Beginn der zweiten Strophe hypothetisch und verallgemeinernd behauptet: «Denn überall sonst befehden sich Stoff und Form» (II, 1), dann schließt er indirekt die Lyrik von diesem kompeti­tiven und kombattanten Verhältnis aus.

Die dritte Strophe präsentiert dann auch die Alternative gegenüber die­sen dem Literaturbetrieb inhärenten Modalitäten: «Du aber, atmend reins­ter Empfindung Hauch, / Folgst in sanften Rhythmen dem Geist / Und lenkst ihn zuletzt, / Da du Worte hast für das Unsagbare, / Siegreich hinan zu ahnungsvollster Erkenntnis» (III, 1-5). Damit scheint sich die Dichtung beinahe wieder der Simplizität des Gelegenheits- oder Stimmungsgedichts anzunähern, jedenfalls in ihrer Anrede durch den lyrischen Sprecher. Dass diese vermeintliche Einfachheit, die sich ja auch in der Apotheose des Lei­ermanns abzeichnete und durch den Kreuzreim mit der Eingängigkeit des Volkslieds verknüpft wurde, hier nun in die erhabene und traditionelle Form der Ode gebunden wird, ist allerdings nicht als Widerspruch gegen­über der in den Versen dargebotenen Lyriktheorie zu deuten, sondern viel­mehr als deren Bekräftigung. Das komplexe und kulturhistorisch etablierte formale Verfahren legitimiert und emphatisiert den dichterischen An­spruch, oder wie es Pott auf den Punkt bringt: «Wenn von Saar dennoch […] auf der Kontinuität auch der formalen Tradition “hoher Lyrik” besteht, dann geht es ihm vor allem um ihren Inhalt: um die Empfindung»[28]. Zu­gleich arbeitet Saar an dieser Stelle mit einer freien Rhythmik und bestätigt damit das im zweiten Vers genannte Attribut der Sanftheit. Diese Form und auch die in der Musikalität möglich gewordene Expression von Empfin­dungen ist es dann auch, die der Lyrik ihren besonderen Stellenwert ver­schafft. Die im fünften Vers apostrophierte «ahnungsvollste Erkenntnis» ist ein interessanter Widerspruch, da sich Ahnung und Erkenntnis eigent­lich einander ausschließen. Wenn es sich aber um ein Erkennen jenseits von Epistemologie handelt, das außerhalb des in der ersten Strophe genannten «überklugen Geschlechts» (I, 1) angesiedelt ist, ist genau diese Form der Erkenntnis kompatibel mit den Worten «für das Unsagbare» (III, 4). Die anthropologische Relevanz einer solchen Vermittlungsfunktion der Lyrik bewegt sich bei Saars Sprecher außerhalb eines ökonomischen Pragmatis­mus. Dennoch «klagt er einen gewissen Weltbezug ein»[29], aufgrund der Be­tonung von Empfindungen, Erinnerungen und ihrer Medialisierung durch das Gedicht. Letztere wurden auch durch den Drehorgelspieler im balla­desken Für den Leiermann in universaler und die Klassengesellschaft entgren­zender Breite hervorgerufen und dadurch mit einem Anspruch von allge­meiner Gültigkeit, in direkter Opposition zu Lehrmeinungen, sozialen Hie­rarchien und Wissenssystemen, versehen. Was ergibt sich daraus nun für den Künstler und speziell für den Lyriker? Zwecks Beantwortung dieser Frage sei nun noch ein Blick auf einige Verse des paradigmatischen Sonetts Einem verschollenen Lyriker (1888)[30] erlaubt:

Wie lieblich klingen deiner Dichtung Laute!
Und dennoch sind sie ungehört verklungen;
Von Allen, die da einst mit dir gesungen,
Warst du der Einz’ge, der den Himmel schaute.

Doch von der Dämm’rung, die dich rings umgraute,
Ward auch zuletzt dein zarter Geist durchdrungen,
Und eh’ du völlig dich an’s Licht gerungen,
Versiegte leis’ der Quell, der erst sich staute.

Dir ward das unheilvollste Loos von allen:
Du sah’st dich, ach, für eine Zeit geboren,
Die nie gebaut an eig’nen Ruhmeshallen;

Die niemals sich ein hohes Ziel erkoren –
Und wie sie mußte in sich selbst zerfallen,
So ging mit ihr ihr Bestes auch verloren.

Ähnlich wie die Verse auf den Leierkastenspieler, kokettiert auch dieses Sonett von 1888 mit der Nichtachtung als Rezeptionshaltung gegenüber Dichtung. Die Vereinsamung des Verseschmieds wird aber synchron auch als ein Zustand der Auserwähltheit veranschlagt, die wiederum mit Saars immer wieder praktizierter Haltung eines Heroismus trotz der Vergeblich­keit allen Tuns fusioniert. Dass der Autor an dieser Stelle das Sonett als Gedichtform wählt, verwundert nicht. Ist doch dieses lyrische Genre von Anbeginn eine wesentliche Ausdrucksform zur Selbstpositionierung von Dichtung und damit auch von poetologischer Lyrik. Wie bei seiner Ode Die Lyrik schließt sich Saar an traditionelle Formkonzepte zwecks Transport einer Dichtungstheorie[31] an und lässt auch hier wieder einen Sprecher in eine Anrede mit dem anonym bleibenden Lyriker treten. Wurde jedoch zu­vor die Gattung bemüht, wird hier nun eine konkrete Person angesprochen, die jedoch eher repräsentativ für den gesamten Berufsstand und dessen Tä­tigkeit vereinnahmt werden kann. So verhält sich der im ersten Vers ge­nannte “lieblich” klingende “Laut” der “Dichtung” geradezu kongruent mit dem Tatbestand, dass sie “ungehört verklungen” sind. Beides reibt sich nicht aneinander, sondern scheint beinahe eine Kausalverknüpfung zu ergeben. Einerseits könnte damit auf eine mögliche Ontologie des Werks angespielt werden, welches gemäß der provokanten Diktion Walter Benjamins keiner­lei Hörer, Zuschauer oder Leser bedarf, um als Kunstwerk existent zu sein[32]. Andererseits ist Saar zu weit entfernt in seinem Denken von einem solch ontologischen Ästhetizismus. Seine Nähe zur Philosophie Schopen­hauers ergibt eher eine skeptische Bespiegelung von Werk und Künstler. Dennoch wird aus der Irrelevanz seiner Tätigkeit immer noch die Möglich-keit zur Kristallisation eines heroischen Habitus gewonnen. Auch steht in diesem poetologischen Sonett eher der Lyriker als seine Dichtung im Mit­telpunkt der Betrachtung, was die weiteren Strophen auch bestätigen. Dich­tung und Zeit werden als zwei konträr zueinander stehende Größen einer Ungleichung verstanden. Dass dieser Gedanke dennoch in die traditionelle Form des Sonetts gegossen wird, wird ihm die Qualität der Dauer zugestan­den, so dass sich ästhetische und historische Zeit voneinander unterschei­den. Das bedeutet zwar den Bedeutungsverlust von Dichter und Dichtwerk in der realen Zeit, gesteht aber jener dadurch auch weniger Werthaftigkeit zu.

Dass sich dahinter auch die Gesamtsituation nicht nur des Künstlers der Moderne, sondern auch des feudalistisch geprägten Staates der Donau-Mo­narchie verbergen könnte, hat vor allem Claudio Magris in seiner Analyse des Saarschen Figurenarsenals herausgestellt. Für ihn wird Saar «zum Dich­ter der Festigkeit und des unwilligen stolzen Widerstands gegenüber dem wirren, ungeordneten Drängen des Lebens. […] Angesichts der unvermeid­lichen Niederlage haben Saars Personen einen einzigen Ausweg, das beharr­liche, soldatische Schweigen des Menschen, der mit würdiger Festigkeit aus dem Leben zu gehen weiß. Saar ist der Dichter des erhabensten und männ­lichsten Tons des habsburgischen Mythos»[33]. Dass sich auch diese Ein­schätzung ambivalent und brüchig gestaltet, zeigt die Künstlerfigur in Fer­dinand von Saars Hundenovelle Tambi von 1892.

2. Nicht einmal der Hund ist ihm geblieben. Tambi und der isolierte Autor

Dieser recht späte Erzähltext Saars ist von der Forschung (Hoffmann, Rieder) wiederholt als negative Variante zur stark humanistisch orientierten Künstlernovelle Der arme Spielmann (1848) von Franz Grillparzer betrachtet worden. Während dieser seinen Tod durch die Folgen einer gewagten Ret­tungsaktion angesichts einer großen Flutkatastrophe erleidet, handelt es sich bei Saars Dichter Bacher um einen verzweifelten Selbstmörder, der sich nach dem Verlust seines einzigen Freundes, der tierischen Titelfigur Tambi, in einen Fluss stürzt, ohne etwas für seine Mitmenschen bewirken zu kön­nen. Der ethische Anspruch des Künstlers, wie er sich bei Grillparzer oder auch Saars – mit dem Geiger durchaus verwandten – Leiermann findet, ist hier vollkommen versiegt. Somit scheint er auch die Einschätzungen Rie­ders und Magris angesichts der Saarschen Helden zu diskreditieren. Etwas weniger heroisierend beschreibt dann auch Hansres Jacobi die Figuren in Saars späteren Texten: «Dementsprechend handelt es sich […] um alternde Männer, verblühende Frauen, Hypochonder und Sonderlinge, Lebens­fremde oder -untaugliche, Unsichere, die dem Dasein nur mit Mißtrauen und Ängstlichkeit begegnen, um schwache und vom Leben an den Rand gedrängte Menschen»[34]. Das hat wenig mit der humanen Kunst des von den Kritikern verlachten Leiermanns oder dem überlegenen Stoizismus so mancher Offiziersfigur in Konfrontation mit dem Zerfall des Feudalismus gemein. Da sich der Beitrag jedoch mit verschlüsselten Kunst- und Künst­lertheorien des Autors auseinandersetzt, verlangt diese abstürzende und wortwörtlich in den Bach gehende Autorenfigur Bacher eine entsprechende Berücksichtigung. Hans Rieder bemerkt autobiographisch perspektivierend zu dem gescheiterten und sozial deklassifizierten Ex-Dramatiker in Saars Tiernovelle Tambi: «Hier hat Saar eine psychologische Studie von sich selbst entworfen, er hat den nagenden Zweifel an seinem Können, seinem Talent, jene langen Stunden selbstquälerischer Vorwürfe des eigenen Versagens als Dichter in Tambi Gestalt werden lassen. […] Aus den Verzweiflungen des schaffenden Künstlers Saar ist diese Gestalt des dichtenden Beamten Ba­cher entstanden, sozusagen als eine düstere Möglichkeit seiner Lebensbahn, deren Ende Verzicht und Resignation ist und das Dunkel eines gewollten Todes, der ein hoffnungsloses Leben endet»[35].

Das ist ebenso kurz gegriffen wie überzeugend richtig. Aber warum sind das Scheitern und die gesellschaftliche Nichtachtung für den Saarschen Künstlertypus so entscheidend und inwieweit deckt sich das tatsächlich mit der eigenen Selbstverortung im literarischen Feld und den daraus erwach­senden Schreibweisen? Zunächst ist die Figur des Bacher alles andere als ein heroischer oder trotziger Standhalter. Er orgelt nicht einfach weiter wie der Leiermann und bleibt nicht so ethisch standhaft wie der gehörnte Aris­tokrat in Schloß Kostenitz (1892). Er bleibt nur unbelehrbar. Jedoch nicht aus Stolz oder einem Heroismus ex negativo, sondern aus der Passivität und damit einer Gemütskrankheit heraus. Daher ist es auch kein Zufall, dass der Autor diese Erzählung von der Stadt an die Peripherie der Wald- und Dorf­gesellschaft verlegt und damit diese geradezu als Habitat und Fluidum von Bachers Gemütskrankheit und Verfallenheit inszeniert, die ja auch mit dem absoluten Zusammenbruch aller Kreativität und Produktivität korrespon­diert. Oder um Werner Hoffmann zu zitieren: «Das Nichtbestehen der Le­benskrise, in die der Protagonist gerät, seine totale Vereinsamung und sein moralischer Zusammenbruch als direktes Gegenbild zum armen Spiel­mann»[36], lassen eine Verbindung von Ästhetik und sozialer Ethik wie sie sowohl durch Grillparzers Geiger als auch durch Saars Leiermann möglich war, ins Leere laufen. Vielleicht wird auch dadurch die Künstlerfigur vom Erzähler von allen entgrenzenden Attributen befreit, da diese mit Blick auf Grillparzers Narration «umgekehrt den Weg radikaler Negativierung be­schritten hat»[37], wie es Hoffmann pointiert. Somit wird sie, von den ästhe­tisierenden Rahmenbedingungen frei geschaltet, zu einer Art Studienobjekt für psychologisierende Hypothesen von Seiten des Ich-Erzählers degra­diert. Die Szientifizierung des Gegenübers geht also einher und konform mit der Abnahme des künstlerischen und ästhetischen Nimbus. Ob dies ein mit den Herausforderungen der Moderne korrespondierender Prozess des Verfalls ist, wäre ebenso zu klären wie die sich daraus ergebenden Folgen für das Selbstverständnis vom Künstler, gerade auch in Bezug zu Saars ly­risierten Figurationen im ersten Abschnitt. Jedenfalls kann sich Bacher be­reits vor seinem mehr oder weniger freiwilligen Exil auch nicht gegenüber den Reglements des literarischen Feldes behaupten. Sein kommunikativer Dilettantismus erweist sich ihnen gegenüber als inkompatibel. Die Kritik eines Theaterdirektors «schleuderte den armen Dichter fast vom Stuhle hinab. Er wurde fahl wie der Tod; dann begann er in stummer Scham im­mer stärker aufzuglühen»[38]. Das antizipiert seinen Untergang.

Bacher selbst stellt sich gegenüber dem Erzähler als einen von Schaf­fenskrisen und Dilettantismus heimgesuchten Autor dar: «Da drinnen lebte und webte es! Eine Fülle von Gestalten drängte sich in mir – aber wie ich sie fassen, wie ich sie von mir loslösen wollte, zerflossen sie – um mir wieder und wieder als daseinsfordernde Schatten zu nahen. Und als ich endlich, meine Unmacht erkennend und auf hohen Ruhm verzichtend, mich von ihnen ab- und den gewöhnlichsten, ausgetretensten Pfaden der Natur zu­wandte, versagte mir mein Geist auch dort»[39]. Geistes- und Willensschwä­che korrespondieren miteinander und bilden einen Künstler, dessen Ideen an ihrer Ausführung und Materialisierung scheitern[40]. Er selbst integriert in seine Argumentation die medizinischen Diskurse seiner Zeit und spricht eher vermutend als wissend von «einer erschlafften Faser des Gehirns und […] einer widerstrebenden Blutwelle»[41]. Daher können die projektierten Werke auch nicht Teil des literarischen Feldes werden. Und der Erzähler registriert schon zuvor während der Lektüre des einzigen Dramas, das Ba­cher je zustande gebracht hat, «eine weichliche Schwäche […], die mir mit der Natur des Dichters selbst im Zusammenhang zu stehen schien»[42]. Das bringt Bacher in die Nähe der Décadence oder auch einer impressionisti­schen Stilauffassung, die in der beginnenden literarischen Moderne auch durch die Rezeption von Autoren wie Turgenjew, Gontscharow oder Jens Peter Jacobsen ihren Anfang nahm und für die sich auch Saar selbst emp­fänglich zeigte. Bachers Probleme im Theaterbetrieb reüssieren zu können, spiegeln auch Saars eigene erfolglose Versuche wieder, sich als Dramatiker zu etablieren. Das sah er eigentlich als seine Hauptaufgabe an, während das lyrische und novellistische Werk von ihm selbst eher als Nebentätigkeit be­trachtet wurde. Bachers Verzweiflung und Resignation spiegeln damit die Unmöglichkeit wider, in der von Saar ach so präferierten Gattung des his­torischen Dramas bestehen zu können. Doch im Gegensatz zu Saar legt sich Bacher nicht auf andere Gattungen fest und ergibt sich dem depressi­ven Trunk[43]. Die vom Erzähler am Theaterstück festgestellte Ästhetik der Schwäche und Weichheit wird vom Kunst- zum Lebensprinzip und hat da­her nur eine zerstörende Wirkung, ganz im Gegensatz zum vitalisierenden Potential des Leiermanns, der eine soziale Positionen entdifferenzierende Wirkungsästhetik auf seine Zuhörerschaft ausübt. Bacher dagegen verwei­gert im Laufe der Novelle immer mehr die Kommunikation und «versank sofort wieder in sich»[44]. Er wird zur Monade.

Um den von Rieder benannten Charakter der «psychologischen Stu­die»[45] zu garantieren, wählt der Autor Saar für seine Erzählung einen ano­nym bleibenden Ich-Erzähler aus. Dieser wird zum teilnehmenden Be­obachter und Kommentator des zerbrochenen Schriftstellers Bacher und dabei hin- und hergerissen vom sich durch soziale Empathie auszeichnen­den Begleiter des Parias bis hin zum Studien betreibenden Forscher, wel­cher das gesamte Verhalten Bachers einer analytischen Exegese unterzieht. Bacher wird zum Objekt der Studien des Ich-Erzählers, welcher in ihnen zugleich auf einer allgemeineren Ebene über die Situation des versagenden Künstlers reflektiert. Für Bacher ist laut Rieder typisch «der Dilettantismus des Lebensuntüchtigen, das Pseudo-Künstlertum […], das zu kraftlos ist, um nach außen wirken zu können, das nun gleichsam wie ein verzehrendes Feuer nach innen brennt und die Persönlichkeit aufzehrt»[46]. Die Surrogate, die sich Bacher sucht, also der Hund Tambi[47] und der billige Wein, können diesen Prozess nur verdrängen, jedoch nicht aufhalten. Auch in dieser Sym­biose, die eine Gemütsverfassung bzw. psychische Erkrankung zum Narra­tiv oder zum Anlass einer kunsttheoretischen Reflexion werden lässt, be­stätigt sich der Stellenwert Saars als Wegbereiter der literarischen Moderne. Bereits in der ersten Begegnung mit dem Ich-Erzähler erscheint Bacher als eine sich selbst isolierende und die Umwelt exkludierende Figur. Obgleich mitten in einem Gasthaus sitzend «schien [er] zu schlummern; wenigstens hatte er das Haupt auf die Arme gelegt, die verschränkt auf der Tischplatte ruhten»[48]. Mit dieser geschlossenen Formation weicht er stark von der klas­sischen Ikonographie des Melancholikers ab, der zumindest in Dürers be­rühmter Allegorie Melancholia I noch in die Welt schaut und das abgestützte Haupt nicht vollständig vergräbt. Der Dissens zur Umgebung ist also von Anfang an in dieser Verweigerungshaltung gegeben.

Zugleich ist es diese Abkehr des Künstlers, die zunächst das eher epis­temologische als das empathische Interesse des Ich-Erzählers weckt. Ba­cher wird damit zu einer Art Fall-Studie. Die Frage ist jedoch, wofür er exemplarisch in Anschlag zu nehmen ist: Für eine psychologische Betrach­tung, eine Sozial- und Milieu-Studie oder für eine Kunsttheorie? Mit Blick auf das durch die Forschung immer wieder herausgearbeitete antizipierende Potential der Novellistik Saars hinsichtlich der psychologisierenden Erzähl­kunst Arthur Schnitzlers[49] und ihrer beinahe schon deterministischen Sub­sumierung menschlichen Handelns unter die Allmacht der Triebe, sowie seiner Rezeption der pessimistischen Philosophie Schopenhauers, wäre in der Tat der kunsttheoretische Gehalt von Tambi anzuzweifeln. Auch wenn der Protagonist ein gescheiterter und mit Anonymität bestrafter Dramatiker ist, stehen nicht so sehr dessen ästhetische Konzepte, ja auch nur wenig die soziale Positionierung des Künstlers in der Moderne im Vordergrund, son­dern ein von Depressionen, Trunksucht und Todestrieb getriebener und überdeterminierter Protagonist. Letzteres dominiert letztendlich sein ge­samtes Auftreten in der Narration[50]. Für den Novellisten Saar ist das kein ungewöhnliches Thema. Neben der Todesverfallenheit ist es vor allem ein übergroßer Sexualtrieb oder auch eine Erotomanie, die seine Figuren ins Unglück stürzen lässt, so auch den Offizier Conte Gasparo in der gleichna­migen Erzählung von 1897. Die Unterordnung unter den Trieb bestimmt daher auch die kunsttheoretische Reflexion eines Bacher und macht eben diese irrelevant für sein gesamtes Agieren im Text. Er und sein italienischer Leidensgenosse sind Figuren des Fin de Siècle, also für den Untergang be­stimmt. Dass dieser schlussendlich eher eine biologistische und psycholo­gische Erklärung als eine ästhetische, wie durchaus in der Décadence-Lite­ratur üblich, erhält, verstärkt den Charakter der narrativen Fallstudie und nimmt neue Erzählformen bereits vorweg, zumal sowohl der Ex-Dramati­ker Bacher als auch der Offizier Gasparo von einem anonym bleibenden Ich-Erzähler beobachtet und bewertet werden, der zwischen Verantwor­tungsbewusstsein und epistemologischer Neugierde hin- und herschwankt. Giselheid Wagner fasst diesen Themenschwerpunkt bei Saar auch folge­richtig zusammen: «Wenn auch die frühen Erzählungen bereits Hinweise auf die Biologisierung des Menschen und seine Unfreiheit enthalten, so tra­gen die späteren Texte diese Haltung offen zur Schau»[51]. Damit sind die Triebbesessenheiten der Saarschen Akteure «besonders in den späteren Texten meist die Ursache für die Unmöglichkeit des Glücks»[52]. Die Be­schwichtigungsversuche der Ich-Erzähler gegenüber den beobachteten Stu­dienobjekten muten daher höchstens wie retardierende Elemente an. Sie vermögen es nicht mehr, eine Wende herbeizuführen. Insofern steht Ba­cher für eine Dystopie vom Künstlertum, für ein Angstbild Ferdinand von Saars und die Konsequenz einer radikalen Dichotomie von Künstler und Gesellschaft, als deren Folge auch die Unproduktivität des aller Sozietät entfremdeten Dramatikers zu nennen wäre.

Dass Saar dennoch Künstlertypen für eine solch deterministische Dis­position auswählt, mag mit den Erfahrungen in eben diesen Milieus zu tun haben, mit den bereits genannten und in seiner Biographie immer wieder auftauchenden Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten und dem Interesse an den für das Fin de Siècle so charakteristischen Figuren, zu denen Künstler, Offiziere und Aristokraten zählen, die allesamt für eine Verfallsgemein­schaft repräsentativ einstehen, für das untergehende Kakanien aber auch für spezifische Lebens- und Denkweisen, die sich angesichts der Heraus­forderungen durch die Moderne als unterlegen erweisen. Diese Milieus wer­den auch in einigen Novellen plastisch beschrieben und geben vielleicht e­her Aufschluss über die kunsttheoretische Verortung und Positionierung. Saars Skepsis gegenüber einem radikalen Naturalismus und Positivismus ist bekannt und tut sich in Salondiskussionen zu Beginn seiner späten Novelle Sündenfall (1898) kund[53]. Die Lektürepräferenzen der Diskutanten geben auch Aufschluss über Saars bisweilen ambivalentes Verhältnis zu modernen Strömungen und sollen abschließend in den Überlegungen Berücksichti­gung finden.

3. Theorie im freien Gespräch? Saars Literaturkonzept im Sündenfall

Hält man sich an die kommunikationstheoretischen und diskursanalyti­schen Bestimmungen in Jürgen Habermas Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), dann sind der (groß-)bürgerliche Salon oder eben auch das Rauch­zimmer institutionell abgesicherte Entfaltungsorte eines freien Gesprächs, in dem sich ein Diskurs etablieren kann. Obgleich vor allem auf die kom­munikativen Voraussetzungen der Zeit um 1800 bezogen, atmet auch noch das Rauchgespräch in Saars Erzählung von 1898 diesen so freien Dampf ein, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist. Die Teilnehmenden entstam­men einer homogenen sozialen Schicht und sind daher intime Kenner des zeitgenössischen literarischen Geschmacks. Doch wichtiger als die Rekon­struktion von schichtenspezifischem und kulturelle Distinktionen bestäti­gendem Lektüreverhalten kurz vor der Jahrhundertwende, sind die mit den Lesefrüchten verbundenen ästhetischen Kategorien, die immer wieder in dem Salon-Dialog in Saars Text auftauchen[54]. Sie informieren über einen epochenspezifischen Paradigmenwechsel zwischen traditioneller und mo­derner Literatur aber auch über ein mögliches literarisches Selbstverständ­nis bezüglich der narrativen Genres, so dass an dieser Stelle postuliert wer­den kann, dass die sich an das Gespräch anfügende intradiegetische Erzäh­lung eines der beiden Gesellschafter quasi die Einlösung der zuvor disku­tierten Erzählmodi ist und genau den dort benannten Zwitterzustand der Prosa zwischen Moderne und Vormoderne bestätigt[55]. Wie wird dieser je­doch zuvor benannt?

Was auf den ersten Blick wie eine geschmäcklerische und tendenziöse Plänkelei zweier Dilettanten erscheinen mag, bildet nichts anderes als den poetologischen und extradiegetischen Rahmen der eigentlichen Novelle. So kommt es in dem Gespräch zu einer eindeutigen Bevorzugung des postro­mantischen russischen Autors Iwan Turgenjew und seiner Novelle Früh­lingsfluten (1872) gegenüber dem naturalistischen Romancier Zola und seines dramaturgischen Kollegen Henrik Ibsen. Beide trugen zu dieser Zeit, oder mit Saar gesprochen: «innerhalb der Wechsel des Zeitgeschmacks und […] Vergänglichkeit des literarischen Ruhmes»[56] einen Siegeszug durch Litera­turkritik, Feuilleton und Lektüreverhalten davon, was sich auch nachteilig auf Saars eigene publizistische Erfolge auswirkte. Die Kategorien, mit de­nen beide Männer im extradiegetischen Abschnitt von Sündenfall ihre Vor­liebe für Turgenjew begründeten, verhält sich nahezu deckungsgleich mit Saars Beurteilung der Gedichte Josephine von Knorrs und seiner Apothe­ose des Leiermanns in der Ballade von 1894. Da ist unter anderem von Tonarten[57] und einer Weichheit die Rede, sowie von der Möglichkeit, über den Roman zur Memoria zu gelangen. Was der Hofrat in Saars Erzählung als Eigenschaften und Kritikpunkte der Prosa Turgenjews, zugewiesen durch das Feuilleton, referiert, kann ebenso für Saars eigene Texte veran­schlagt werden: «Freilich fehlte es auch schon damals nicht an Kritikern, die ihm am Zeuge flickten. Er war ihnen zu “weich” – und sie fanden es ta­delnswert, daß er beständig nur die Schwäche schilderte»[58]. Daran hält sich Saar, vor allem präferiert er die Unterordnung des Willens unter den Trieb. Zugleich ist die Reminiszenzen auslösende Kraft des Kunstgenusses ent­scheidend für die Paradigmen ästhetischer Erfahrung bei Saar. Genau diese anthropologisch relevante Katalysatorwirkung des Kunstgenusses wurde auch dem Spiel des Leierkastenmanns bescheinigt. Es ist dann auch die Turgenjew-Reminiszenz[59], die seinem Leser die persönliche Erinnerung vermittelt. Lektüre und Memoria fallen also als imaginative Modi zusam­men. Und die Erinnerung wird mit Verfahren der Einbildungskraft und da­mit auch des Fingierens mit Hilfe von Turgenjews Novelle generiert, über die Patricia Howe in ihrem Aufsatz über pikturale Vergegenwärtigungen der Vergangenheit bei Saar behauptet, sie sei «Saar’s chief literary model […] The inner narrative in turn imitates Turgenev’s»[60].

So bemerkt dann auch der Hofrat als Rezipient der Frühlingsfluten: «Es geht doch nichts über das Glück der Einbildung! – Aber auch sonst hat mich das Buch ganz traurig gestimmt. Ich bin nämlich durch diese Früh­lingsfluten in meine eigene Vergangenheit zurückgeschwommen»[61]. Das Erinnern, Einbilden und damit auch Erzählen exprimiert sich hier über Me­taphern des Fließens und Strömens. Das markiert sowohl Dynamik als auch Sanftheit, zugleich aber auch die Unmöglichkeit, sich der Suggestivkraft der durch die Narration evozierten Memoria zu entziehen. Sie reißt den Leser mit, ohne ihn völlig der Passivität zu überantworten. Dass der Hofrat vom Zurückschwimmen spricht, lässt zumindest auch ein aktives Verlangen nach der Rückkehr in die Vergangenheit vermuten. Dass diese sowohl po­sitiv wie beim Leiermann, als auch negativ oder pessimistisch besetzt sein kann, zeigt eine gewisse Neutralität und Wertfreiheit gegenüber dieser anth­ropologisch relevanten Komponente ästhetischer Erfahrung. Auch wird damit nach Haberland ein für die Saarschen Novellen allgemein gültiges Konzept vom Erzählen erkennbar: «Die Rückwendung in die Geschicht­lichkeit der Stimmung und des die Einzelcharaktere definierenden Ambien­tes – sie hat er von Anfang an als bestimmendes Prinzip seiner formal aus­gereiften, konventionellen Prosadichtung gesehen und die Titel seiner Teil­sammlungen mit entsprechenden sprachlichen Signalen versehen»[62]. Zu­gleich sieht Haberland aber in diesem Hang zur auch von Patricia Howe immer wieder betonten Retrospektive bzw. «nostalgia»[63] – als durchaus auch ästhetischen Erfahrungsmodus für die literarischen Figuren im Text und wohl auch den Leser – eine entscheidende Differenz zur späteren Wie­ner Moderne in Gestalt Schnitzlers oder Hofmannsthals: «Der entschei­dende Unterschied etwa dieser Dichter zu Saar ist jedoch der, daß sie ent­weder die Ästhetisierung bis zum Äußersten getrieben haben […] oder der Bezug zum Leben der Gegenwart mit seinen psychischen und mentalitären Besonderheiten ganz eng war»[64]. So wie Saar zwischen realistischer und mo­dernistischer Literaturauffassung situiert werden kann, positioniert sich auch sein Werk zwischen Ästhetisierung und Psychologisierung. Es ist also bis in seine äußerste Konsequenz durch Liminalität gekennzeichnet. Und liminal sind auch letztendlich der ästhetische Zustand und die Situation des Künstlers in Saars Texten und der dahinter stehenden Poetologie. Das kann man kritisch sehen wie Haberland, der da schreibt: «Saar ist zu tief mit sei­ner Zeit verwurzelt und zugleich zu wenig innovativ in Form und Inhalt, um seine Leser wirklich beeindrucken zu können»[65]. Das lässt sich aber zu­gleich auch als entscheidendes Charakteristikum seiner Werke und seiner Literaturkonzeption begreifen. Gerade Saar lehnt ja einen zu starken Akti­vismus ebenso ab, wie eine naturalistische Mimesis. Diese bilden den Grenzbereich, vor dem sowohl seine Figuren als auch er selbst stehenblei­ben.

Die abschließende Frage wäre nun, wie Saar selbst mit der zeitgenössi­schen Literatur umgeht, wie er sie beurteilt und welche Schlussfolgerungen sich darauf für seine poetologischen Überlegungen ziehen lassen. Wenn der junge Saar beispielsweise Friedrich Uhls Roman Das Haus Fragstein (1878) in seiner frühen Rezension in der Wochenschrift Die Gegenwart als «die Schöpfung eines echten Dichters» bezeichnet, dann begründet er dieses Lob damit, dass jener «nicht bloß in hohem Maße die Gabe der Beobach­tung und die Kunst des Erzählens, sondern auch eine ganz außerordentli­che Gestaltungskraft besitzt. Diese letztere ist es, was man in neueren Ro­manen so häufig vermißt»[66]. Damit benennt der Rezensent die Kategorien, welche auch die eigenen lyrischen und narrativen Arbeiten formal, stofflich und inhaltlich konfigurieren sollen. Beobachten – Erzählen – Gestalten bil­den die konstitutive und sich gegenseitig ergänzende Trias der Poetik Fer­dinand von Saars und ihrer Umsetzung. Dass eben diese Poetik eher in den Werken selbst implizit zu finden war, beweist die Untrennbarkeit von Kon­zeption und Realisierung bei diesem Autor im liminalen Raum der Vormo­derne, dessen Position der Kulturhistoriker Carl E. Schorske bündig zusam­menfasst: «Die Kunst vermochte entweder finstere Wahrheiten darzustel­len oder einen Schönheitstempel als Refugium vor der Wirklichkeit zu er­richten. Saar stand vor dieser Alternative, nahm beides wahr und war weder vom einen noch vom anderen überzeugt. Sein Herz blieb in der Welt Stif­ters, wo die Kunst sich mit Wissenschaft und Sittlichkeit vereinigen konnte, in fortschreitender und erlösender Funktion. Sein Verstand brachte ihn aber dazu, das Trauma der modernen Gesellschaft darzustellen»[67]. Und da­mit auch die Situation des Künstlers in dieser Gesellschaft, eine Konstella­tion die von den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zur Jahrhundert­wende in Ferdinand von Saars Texten figurativ und narrativ Gestalt an­nimmt und mitunter versucht, sowohl ästhetische als auch ethische Ein­sprüche einzulösen, um die anthropologische Wichtigkeit ästhetischer Er­fahrung und auch des Kunstgenusses zu behaupten.



[1] Vielleicht hängt dieser Umstand mit der von Ulrike Tanzer genannten, auch ökono­misch begründeten, Tatsache zusammen, dass Saar «sich auch dem publizistischen Lohn­erwerb verweigerte. Er schrieb keine Feuilletons, keine Essays, keine Kritiken. Seine Exis­tenz verdankte er Förderern und vor allem Förderinnen aus dem Hochadel und der soge­nannten “zweiten” Gesellschaft». Ulrike Tanzer: «Unbekannte Briefe Marie von Ebner-Eschenbachs und Ferdinand von Saars», in: Julia Danielcyk/Ulrike Tanzer (Hgg.): Uner­wartete Entdeckungen. Beiträge zur österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts, Wien 2014, S. 244-258, S. 253. Der Aufsatz informiert auch in Breite über die Kontakte Saars, zum Beispiel über seine Förderung durch die beiden Briefpartnerinnen, denen er auch als Ratgeber diente.

[2] Diese, auch durch die Forschung vollzogene, Ausblendung verschiedenster Gattun-gen im Werk von ebenfalls entkanonisierten Autoren teilt Ferdinand von Saar auch mit anderen Schriftstellern. Die lyrische und dramatische Produktion Marie von Ebner-Eschenbachs steht weit zurück hinter der Popularität ihrer Prosa. Und auch diese bildet – trotz einiger neuerer Publikationen und der Entstehung einer historisch-kritischen Werk­ausgabe, die auch besondere Aufmerksamkeit den Tagebüchern und umfangreichen Brief­korpora widmet – eher ein Schattendasein innerhalb literaturwissenschaftlicher Betrach­tung. Interessanterweise ist es bereits Saar, welcher in den Schilderungen der Begegnungen mit Ebner-Eschenbach das erzählerische gegenüber dem dramaturgischen Werk eindeutig präferiert und dabei auch Bezug nimmt auf die frühe Resonanz der Schriftstellerin durch die Literaturkritik und die teilweise ablehnend reagierende Institution des Wiener Theaters. Vgl. Ferdinand von Saar: Begegnungen mit Marie von Ebner-Eschenbach», in: ders.: Sämt­liche Werke in zwölf Bänden. Im Auftrage des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schiller­stiftung mit einer Biographie des Autors von Anton Bettelheim herausgegeben von Jakob Minor, Leipzig 1908, Zwölfter Band, S. 161-167.

[3] Hans Höller: «Unerwartete Konstellationen. Die immer wieder neue Entdeckung der österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts», in: Julia Danielczyk/Ulrike Tanzer (Hgg.): Unerwartete Entdeckungen. Beiträge zur österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts, Wien 2014, S. 11-24, S. 12. Vgl. auch als gattungsbezogene Gesamtdarstellung: Primus-Heinz Kucher: Ungleichzeitige/Verspätete Moderne. Prosaformen in der österreichischen Literatur, Tübingen/Basel 2002.

[4] Ferdinand von Saar: «Aus späten Tagen. Gedichte von Josephine Freiin v. Knorr (Stuttgart, J. G. Cotta Nachfolger. 1897)», in: ders.: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Im Auf­trage des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schillerstiftung mit einer Biographie des Autors von Anton Bettelheim herausgegeben von Jakob Minor, Leipzig 1908, Zwölfter Band, S. 159-161, S. 159 f. In seiner privaten Korrespondenz mit Marie von Ebner-Eschenbach geht Saar freilich weniger schmeichelhaft mit dem dichterischen Werk seiner Mäzenin um. Hier ist er eher der ungeduldige Mentor, wenn er am 01. Oktober 1868 schreibt: «Wenn es die Gute je gelernt hätte, ihre Gedanken und Empfindungen durchweg klar, logisch und grammatikalisch richtig auszudrücken, so würde sie sich vielleicht an die Spitze der deutschen Lyrikerinnen stellen; so freilich wird sie sich mit einem bescheidenen Plätzchen begnügen müssen». Briefwechsel zwischen Ferdinand von Saar und Maria von Ebner-Eschenbach, herausgegeben von Heinz Kindermann, Wien 1957, S. 21 f. Hier scheint eher der selbsternannte Lektor und Redakteur als der Ästhet Saar zu sprechen, so dass das Ver­dikt eher Aufschluss über die gemeinsame Arbeit als über sein Lyrikverständnis verrät.

[5] Tanzer: a.a.O., S. 247.

[6] Ferdinand von Saar: «Musik», in: ders.: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Im Auftrage des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schillerstiftung mit einer Biographie des Autors von Anton Bettelheim herausgegeben von Jakob Minor, Leipzig 1908, Zwölfter Band, S. 151.

[7] Ebd.

[8] Kucher: a.a.O., S. 10.

[9] Höller: a.a.O., S. 14.

[10] Ferdinand von Saar: «Aus späten Tagen. Gedichte von Josephine Freiin v. Knorr (Stuttgart, J. G. Cotta Nachfolger. 1897)», in: ders.: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Im Auf­trage des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schillerstiftung mit einer Biographie des Autors von Anton Bettelheim herausgegeben von Jakob Minor, Leipzig 1908, Zwölfter Band, S. 159-161, S. 160. Diesen Universalismus scheint die private Wertung Saars, im Gegensatz zur öffentlichen, wiederum nicht bei Josephine von Knorr zu konstatieren. Am 07. September 1872 schreibt er an Ebner-Eschenbach: «Die Gedichte der guten Sephine sind im Ganzen schön; auch ziemlich rein; nur bedaure ich, daß sie sich […] fast ganz in alten Formen und Ideengeleisen bewegen. Der Gesichtskreis der Dichterin scheint sich nicht erweitern zu wollen und sie greift nicht hinein ins volle Menschenleben; ein Vorzug, den Sie vor allen anderen dichtenden Frauen, um nicht auch zusagen Männern besitzen». Briefwechsel: a.a.O., S. 257. Dieser bittere Kommentar verhält sich völlig diametral gegenüber der 25 Jahre später erfolgten obigen Besprechung, in welcher sowohl Weltgewandtheit als auch die anthropologische Relevanz der Dichtungen hervorgehoben wird, durchaus ja Pa­rameter, die auch für die Saarschen Gedichte und das in ihnen suggerierte Künstlerbild auszumachen sind. Er ist insofern nicht irrelevant, da er dem ersten Gedichtband der Au­torin gilt. Zugleich wird die Kritik auch fast schon klischeehaft von Saar stark instrumen­talisiert, um das Lob der von ihm bewunderten Ebner-Eschenbach noch akzentuierter hervortreten zu lassen. Die Werke der Josephine von Knorr sind heute übrigens so gut wie vergriffen und selbst antiquarisch nur schwer aufzufinden. Das gilt auch für den von Saar rezensierten Zyklus, was umso bedauerlicher ist, da der Autor des öfteren in die dichteri­sche Arbeit seiner Kollegin und Mäzenin redigierend eingegriffen hat. In einem Nachdruck ist lediglich erhältlich: Josephine von Knorr: Sommerblumen und Herbstblätter – Gedichte. Dritte Sammlung, Norderstedt 2016 (ED 1885). Möglicherweise wird sich die Autorin demnächst größerer Aufmerksamkeit erfreuen. Ebenfalls 2016 erschien im De Gruyter Verlag: Marie von Ebner-Eschenbach/Josephine von Knorr: Briefwechsel 1851-1908. Kritische und kommen­tierte Ausgabe. Herausgegeben von Ulrike Tanzer, Irene Fuß, Lina-Maria Zangerl, Gabriele Radecke, Berlin/New York 2016. Die Korrespondenz gibt nicht nur Einblicke in das Ver­hältnis von Weiblichkeit, Schreiben und Intellektualität im späten 19. Jahrhundert, sondern auch in das Beziehungsnetzwerk zwischen den Autorinnen Ebner-Eschenbach, Knorr und Saar, auf das ich bereits in der ersten Fußnote hingewiesen habe. Sowohl auf Knorrs Lyrik als auch auf den Briefwechsel werde ich noch zurückgreifen.

[11] Ferdinand von Saar: «Für den Leiermann», in: ders.: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Im Auftrage des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schillerstiftung mit einer Biogra­phie des Autors von Anton Bettelheim herausgegeben von Jakob Minor, Leipzig 1908, Zweiter Band. Gedichte. Erster Theil, S. 165 f. Die Vorliebe für den (unterschätzten) Stra­ßenmusikanten teilt Saar mit anderen österreichischen Autoren, unter anderem mit Grill­parzers armen Spielmann (1848).

[12] Zu dieser Kategorie erschien jüngst die Arbeit von: Julia Kerscher: Autodidaktik, Ar­tistik, Medienpraktik. Erscheinungsweisen des Dilettantismus bei Karl Philipp Moritz, Carl Einstein und Thomas Bernhard, Göttingen 2016.

[13] Vgl. als Ausgabe: Franz Grillparzer: «Der arme Spielmann», in: ders.: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte in vier Bänden. Herausgegeben von Peter Frank und Karl Pörnbacher, München 1964, Dritter Band, S. 146-186. Zur künstlerischen und sozialen Genese der Titelfigur äußert sich der Aufsatz von: Wolfram Mauser: «Franz Grillparzer “Der arme Spielmann” – oder: Von der Lust an einer Angst-Biographie», in: Wolfram Mauser (Hg.): Phantasie und Deutung. Psychologisches Verstehen von Literatur und Film. Frederick Wyatt zum 75. Geburtstag, Würzburg 1986, S. 57-69.

[14] Vgl. dazu: Werner Hoffmann: «Ferdinand von Saars “Tambi” als Kontrafaktur zu Franz Grillparzers Novelle “Der arme Spielmann”», in: Hartmut Laufhütte (Hg.): Literatur­geschichte als Profession. Festschrift für Dietrich Jöns, Tübingen 1993, S. 248-270. Da es sich bei der Titelfigur nicht um den besagten Künstler, sondern um dessen tragisch endenden Hund und einzigen Freund handelt, kann die Novelle auch in den Umkreis der Tiererzäh­lungen integriert werden, für die besonders Ebner-Eschenbachs Krambambuli (1883) exemplarisch ist. Da sich Ferdinand von Saar und die Autorin sehr gut kannten, könnte auch von einer gegenseitigen Beeinflussung der stofflichen, figurativen und motivischen Gegebenheiten ausgegangen werden. Doch ähnlich wie zu Grillparzers Musikernovelle, verhält sich auch Tambi zu Ebner-Eschenbachs berühmter Narration merkwürdig unver­söhnlich. Zwischen Hund und gescheitertem Künstler, welcher längst nicht die Naturver­bundenheit aufweist wie Ebner-Eschenbachs Protagonist, entsteht bei Saar ein regelrech­tes Abhängigkeitsverhältnis, welches an die Stelle von sozialen Kontakten tritt und nach dem Tod des Hundes die Monadenhaftigkeit des Künstlers noch radikalisiert. Saars noch zu berücksichtigende Novelle entbehrt damit jeglicher idealisierenden Tendenz, wie sie noch bei Grillparzer und Ebner-Eschenbach zu finden war. Es wäre zu klären, inwieweit sich daraus Rückschlüsse auf das Künstlerbild und die Situation des Künstlers konstruieren lassen und welche Folgen sich demzufolge für die Poetologie des Autors ergeben. Vgl. als neuere Ausgabe: Ferdinand von Saar: «Tambi», in: ders.: Die Steinklopfer. Tambi. Zwei Novel­len aus Österreich. Nachwort von Hans Rieder, Stuttgart 2001, S. 47-85.

[15] Auch ein deutscher Nachkriegsautor wie Hermann Lenz kommt im neunten und letzten seiner Eugen Rapp-Romane auf die merkwürdig suggestive Wirkung der populären und schlichten Musik zu sprechen, auch wenn der Leierkasten durch eine Ziehharmonika ersetzt wurde. Die durch Schlichtheit evozierte Eindringlichkeit auf den Protagonisten Eu­gen wird jedenfalls durch den auktorialen Erzähler im Roman Freunde (1997) erfasst: «Einer spielte auf der Ziehharmonika eine Melodie, die sich an die Frühlingsluft anschmiegte. Eugen meinte, sie gehört zu haben, weit dort hinten in der Jugend. Und es kam auch wieder aus dem Gedächtnis heraus: “Schenkt man sich Rosen in Tirol! Wer weiß, was das bedeu­ten soll …” Lauter sich dehnende Klänge. […] Warme Luft, Ziehharmonikaklänge und blen­dendes Licht machten die jungen Menschen nachgiebig gegenüber der Musik». Hermann Lenz: Freunde. Roman, Frankfurt am Main 2000, S. 95. Die Eindrücke des Eugen Rapp gestalten in Konfrontation mit dem musikalischen Spiel eine Idylle, welche nicht nur die Generationen friedlich miteinander vereint, sondern auch – einer Epiphanie nicht unähn­lich – eine Erinnerung auslöst. Dass diese vom Erzähler nicht zeitlich, sondern räumlich und mit den Worten «weit dort hinten» verortet wird, gibt zum Einen Aufschluss über die Vergessenheit des einst Erlebten. Zum Anderen aber erhöht sie den Eindruck der gehörten Melodie auf den flanierenden Eugen, was die These von der Suggestivkraft und damit exis­tentiell relevanten Bedeutung des einfachen Spiels bei Saars Leiermann bekräftigt. Es ist ja auch diese Einfachheit und damit unhintergehbare Wirksamkeit, die der Kritiker Saar auch den (von ihm mit betreuten und wohl auch stark redigierten) Gedichten seiner Mäzenin Josephine von Knorr bestätigt. Auch sie sucht – selbst bildlich-metaphorisch – immer wie­der die Nähe zum Musischen, so in dem Gedicht «Nocturne», in: von Knorr: a.a.O., S. 13. Auch sorgt der in vielen Texten verwendete Kreuzreim für die Nähe zum Volkslied, so in dem Reflexions- und Erinnerungs-Gedicht «Melancholie», in: von Knorr: a.a.O., S. 16. Ebenso beharren einige Poeme wie «Entzauberung» auf der Wichtigkeit synästhetischer Wahrnehmung und beklagen dementsprechend deren Verlust in Versen wie: «Es gibt ein Etwas in den Dingen, / Daß sie geheimnisvoll umweht: / Ein Leuchten, Duften, Rauschen, Klingen, / Daß früher als sie selbst vergeht. […] Und trauriger, noch fortzuleben, / Wenn nichts mehr leuchtet, nichts mehr klingt, / Wenn alle Zauber rings entschweben / Und sie zurück kein Morgen bringt». Knorr: a.a.O., S. 49 f., Strophe I + V. Der Verlust der Synäs­thesie und damit einer für den lyrischen Sprecher entscheidenden Erfahrungswirklichkeit, wird als existentielle Krise begriffen, womit auch produktionsästhetische und dichtungs­theoretische Parameter der Spätromantik aufgegriffen werden, die sich unter anderem in Eichendorffs Gedicht Wünschelrute (1835) für eine Mehrdimensionalität der Sinne ausspre­chen. Wie ein Korrektiv wirkt gegenüber den Befürchtungen in Knorrs Gedicht der 1894 von Ferdinand von Saar publizierte Leiermann, welcher im gleichnamigen Gedicht diese Erfahrungsräume zumindest tonal als Memoria wieder restituieren kann. Zugleich stellt die Figur des Leiermanns auch eine anthropomorphe Konkretisation der Forderungen Ei­chendorffs und Knorrs dar. War in Gedichten wie Wünschelrute und Entzauberung das syn­ästhetische Konzept noch relativ allgemein gehalten, so nimmt es nun seine Realisierung in Gestalt eines direkten Urhebers an, welcher auch noch in einem sozialen bzw. städti­schen Umfeld agiert. Auf der einen Seite mag dadurch die Kunst ihre mystische Aura ver­lieren. Auf der anderen Seite erfährt sie durch ihre anthropomorphe und praktische Rück­koppelung eine ethische Funktion. Künstler und Rezipienten korrespondieren miteinan­der. Ebenso wie der Produzent werden nun auch die Rezipienten direkt benannt. Das mag als Frühform einer Kulturindustrie gelten, entfaltet aber synchron Wirkungsräume und so­zial relevante Folgen des Synästhetischen. Überhaupt werden in der Wahl der Klangbilder und auch des poetologischen Anspruchs die Parallelen zwischen Ferdinand von Saar und seiner Förderin Josephine von Knorr bereits erkennbar. So bemerkt auch Marie von Eb­ner-Eschenbach in einem Brief an Josephine von Knorr vom 28. Februar 1882: «Die Ge­dichte Saar’s haben sehr oft in der Stimmung große Aehnlichkeit mit den Deinen, mehr als eine Person hat das schon gefunden». Marie von Ebner-Eschenbach / Josephine von Knorr: a.a.O., S. 456, Brief Nr. 622. Über den Begriff der Stimmung werden sowohl an das Werk gebundene als auch wirkungsbezogene Kriterien benannt. Ob dem jedoch ein objek­tiver Gehalt zukommt oder es sich lediglich um eine Bewertung von Seiten der Leserin Ebner-Eschenbach handelt, die ja beide Lyriker sehr schätze, kann kaum beantwortet wer­den. Der Kommentar gibt jedoch einen Einblick in gewisse rezeptive Haltungen und Er­wartungen gegenüber Poesie im späten 19. Jahrhundert. Und Josephine von Knorr be­kennt wenige Tage zuvor: «Für Saar’s Poesieen trachtete ich Propaganda zu machen». Ma­rie von Ebner-Eschenbach / Josephine von Knorr: a.a.O., S. 455, Brief Nr. 620. In ihren ei­genen Versen und durch sein redigierendes Eingreifen und späteres Rezensieren ist dem auch geschehen. Vgl. dazu: Ulrike Tanzer: «Wiederentdeckt. Die Lyrikerin Josephine von Knorr», in: Festschrift für Wolfgang Wiesmüller. Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 30 (2011), S. 25-38.

[16] Das ethische Potential jener Kunstrezeption, verbunden mit den Figurentypen bei Saar, thematisiert angenehm essayistisch Jochen Schaare: «Ferdinand von Saar: “… diese Welt der Entsagung und des Schmerzes”. Dem Dichter der “Entsagung” zu seinem Todes­tag», in: ders.: Warum ich Freigeist bleibe. Kleine Philosophie der Dauer und Vergänglichkeit, Berlin 2016, S. 418-434. Das dialektische Verhältnis von Dauer und Vergänglichkeit erweist sich für die bei Saar scheiternden – und zugleich an ihrem Scheitern festhaltenden – Protago­nisten in den Novellen aus Österreich als geradezu konstitutiv.

[17] Hans Rieder: «Nachwort», in: Ferdinand von Saar: Die Steinklopfer. Tambi. Zwei No­vellen aus Österreich. Nachwort von Hans Rieder, Stuttgart 2001, S. 89-94, S. 91. Rieder geht noch weiter und bindet «das Wissen um die vergebliche Unrast menschlichen Wollens, um die Resignation» stark an Saars sehr intensive Schopenhauer-Lektüre, aus der er sowohl die Einsicht in die Vergeblichkeit aller Aktivität und den Fortschrittsskeptizismus, als auch eine daraus geborene Ethik des Aushaltens und der Beständigkeit übernimmt. Rieder: a.a.O., S. 92. Aus der Gewissheit der Vorteile eines Nicht-Gewesen-Seins, entfaltet auch Ferdinand von Saar den Eindruck von einer melancholischen Bedingung der Möglichkeit allen trotzig betriebenen Handelns und Wollens bei seinen Figuren vor allem in den Er­zählungen, seien es nun Dichter oder Offiziere.

[18] Das Bild vom Leiermann wäre dann auch ein typisches Genre städtischer Kultur und Lebenswirklichkeit im Sinne der Baudelairschen Tableaux-Dichtungen. Saar liefert jedoch keine objektive Darstellung eines sozialen Milieus, sondern subjektiviert diese Berufssparte für einen ästhetiktheoretischen Diskurs und auch für die suggestiven Auswirkungen des Drehorgelspiels. Das städtische Porträt ist damit nur der Stoff aber nicht der eigentliche Gehalt des Gedichts und findet sich auch in der Saarschen Erzählkunst wieder. Vgl. dazu: Detlef Haberland: «Texte und Tableaux – Ferdinand von Saars Novellen aus Österreich», in: Michael Boehringer (Hg.): Ferdinand von Saar. Richtungen der Forschung. Directions in Research. Gedenkschrift zum 100. Todestag, Wien 2006, S. 69-85. Zugleich verortet sich Saar mit dieser städtischen Szene vor einer wichtigen Tradition innerhalb der österreichischen Prosalite­ratur und setzt diese nun lyrisch um. Grillparzers armer Spielmann wäre hier ebenso zu nen­nen wie Adalbert Stifters Wien und die Wiener (1844). Primus-Heinz Kucher bemerkt in diesem Zusammenhang zur österreichischen Prosa: «Indem sie den pikturalen Ansatz seit den späten 20er Jahren unter den Gattungsbezeichnungen Genre- oder Lebensbilder als “kleine Form” aufgenommen hat, schuf sie sich einen Rahmen, der betont auf […] Alltags­bilder abgestimmt war». Kucher: a.a.O., S. 174. Saars Gedicht setzt diese Tradition der Tableaux und der ästhetisch aufgeladenen Alltagsbilder fort.

[19] Haberland: a.a.O., S. 76.

[20] Mit dieser Gattung war der Autor ausgesprochen vertraut, allein schon aufgrund sei­nes Zyklus der Wiener Elegien (1893), jenem melancholischen Abgesang auf das alte Wien der Habsburger Zeit, welches vom Lyriker auch als sich durch Mannigfaltigkeit auszeich­nende Kulturmetropole begriffen wird. Vgl. dazu: Martin Wenske: Ferdinand von Saars «Wie­ner Elegien». Perspektiven zu einem Verständnis, Frankfurt am Main/Bern/New York 1994.

[21] Vgl. Ferdinand von Saar: «Die Lyrik», in: ders.: Wiener Elegien und Gedichte. Auswahl aus dem lyrischen Werk, Vierter Band der Gesamtausgabe, Wien 1962, S. 195.

[22] Eine umfassende Kontextualisierung der Saarschen Verse mit Gedichten von Theo­dor Storm und August von Platen, die einen ähnlich reflexiven Modus einnehmen, wird vollzogen durch Sandra Pott: «Poetologische Reflexion. Lyrik als Gattung in poetologi­scher Lyrik, Poetik und Ästhetik des 19. Jahrhunderts», in: Steffen Martus / Stefan Sche­rer / Claudia Stockinger (Hgg.): Lyrik im 19. Jahrhundert. Gattungspoetik als Reflexionsmedium der Kultur, Bern 2005, S. 31-59.

[23] Giselheid Wagner: Harmoniezwang und Verstörung. Weiblichkeit und Stadt bei Ferdinand von Saar, Tübingen 2005, S. 253.

[24] Wobei die Figur des Leiermanns aus dem gleichnamigen Gedicht, ähnlich wie der vieux saltimbanque Baudelaires, durchaus eine Zeitgeisterscheinung ist und eine kulturelle Praxis auf dem Jahrmarkts- oder Kirmesgeschehen widerspiegelt.

[25] Dass sich darin immer wieder Ansätze für eine Nähe Saars zur ästhetischen Moderne abzeichnen, thematisiert der Sammelband von: Karl Konrad Pohlheim (Hg.): Ferdinand von Saar. Ein Wegbereiter der literarischen Moderne. Festschrift zum 150. Geburtstag mit den Vorträgen der Bonner Matinee und des Londoner Symposions sowie weiteren Beiträgen, Bonn 1985. Sowohl die Nähe mancher seiner Themen zu den Erzähltexten Schnitzlers (psychologische Durch­leuchtung der Figuren) als auch die emphatische Würdigung Saars durch Hugo von Hof­mannsthal bestätigen diese Äquivalenzen.

[26] Saar: a.a.O., S. 195, Strophe I.

[27] Pott: a.a.O., S. 54.

[28] Ebd.

[29] Ebd., S. 55.

[30] Saar: a.a.O., S. 99. Ein Gedicht also, bei welchem bereits der Titel auf Verluste an­spielt und damit eine Aura des Melancholischen zu inszenieren fähig ist.

[31] In literarhistorischer Breite wurde diese Unterart des Gedichts nachgezeichnet durch: Olaf Hildebrand (Hg.): Poetologische Lyrik. Texte und Interpretationen, Köln 2003; Sandra Pott: Poetologische Lyrik. Poetik und Ästhetik von Novalis bis Rilke, Berlin/New York 2004.

[32] Bekanntlich schrieb er in seinem Aufsatz zum Übersetzer: «Denn kein Gedicht gilt dem Leser, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der Hörerschaft». Walter Benjamin: «Die Aufgaben des Übersetzers», in: ders.: Gesammelte Schriften, herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1972-1989, Bd. 4.1, S. 9-21, S. 9. Freilich wird damit nicht nur die Relevanz des Rezipienten, sondern auch eine mögliche und adressatenbezogene Intention des Produzenten geleugnet.

[33] Claudio Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, Salzburg 1966, S. 191. Speziell an Künstler- und Offiziersfiguren wird diese Haltung pointiert herausgear­beitet von: Kazuo Kotani: «Die Würde des Untergangs bei Ferdinand von Saar», in: Beiträge zur österreichischen Literatur 22 (2006), S. 1-9. Interessanterweise trifft das für die lyrisierten Figurationen eher zu als für den ehemaligen Dichter Bacher in Tambi. Da Saar jenen als Dilettanten zeichnet, sowohl in ästhetischer als auch in sozialer Hinsicht, entbehrt auch der Selbstmord jeglichen Pathos und Opfercharakters. Er wird nicht als Heroismus ver­standen, sondern als Konsequenz einer dem Leben entfremdeten Gesamthaltung des Pro­tagonisten.

[34] Hansres Jacobi: «Nachwort», in: Ferdinand von Saar: Meisternovellen. Mit einem Nach­wort von Hansres Jacobi, Zürich 1982, S. 383-404, S. 396.

[35] Rieder: a.a.O., S. 93 f. Es gibt auch Forschungsansätze, die bereits Grillparzer eine solche Umsetzung des persönlichen Zweifels und der Ängste vor einem Misserfolg in ein konkretes Narrativ attestieren. Vgl. Wolfram Mauser: «Franz Grillparzer Der arme Spielmann – oder: Von der Lust an einer Angst-Biographie», in: ders. (Hg.): Phantasie und Deutung: Psychologisches Verstehen von Literatur und Film. Frederick Wyatt zum 75. Geburtstag, Würzburg 1986, S. 57-69. Dem wäre jedoch das Umschwenken des scheiternden Künstlers in eine soziale Verantwortung und damit in praktisches Handeln entgegenzusetzen. Grillparzers Held stirbt aufgrund der Folgen seiner Rettungsaktion und vollzieht damit ein Selbstopfer in beinahe martyrologischer Tradition, wodurch seine Geige für Barbara zum Kultgegen­stand, ja zur Reliquie wird. Saars Bacher stirbt nur für sich allein und hinterlässt lediglich einen verbeulten Hut, womit auch dieses kennzeichnende Attribut des bürgerlichen Man­nes eine Ridikülisierung erfährt. Zum Tradition des Opfer-Konzepts vom Barock bis zur klassischen Moderne vgl. Katja Malsch: Literatur und Selbstopfer. Historisch-systematische Studien zu Gryphius, Lessing, Gotthelf, Storm, Kaiser und Schnitzler, Würzburg 2007.

[36] Hoffmann: a.a.O., S. 269.

[37] Ebd.

[38] Ferdinand von Saar: «Tambi», in: ders.: Die Steinklopfer. Tambi. Zwei Novellen aus Öster­reich. Nachwort von Hans Rieder, Stuttgart 2001, S. 47-85, S. 53.

[39] Ebd., S. 56 f.

[40] Auch dem realen Saar war materielle Absicherung nur dank seiner intensiven Kon­takte zum weiblichen Hochadel möglich. Über diesen Austausch informiert: Karlheinz Rossbacher: Literatur und Liberalismus. Zur Kultur der Ringstraßenzeit in Wien, Wien 1992, bes. S. 95-102.

[41] Saar: a.a.O., S. 57.

[42] Ebd., S. 51.

[43] Außerdem verfügt Saars alter Ego auch nicht über aristokratische Mäzenatinnen, die ihn wie in einer Art hoch elaborierten Fanclub unterstützen könnten. Saar konnte sich wohl dem publizistischen Brotverdienen auch nur verweigern, weil er eben als sogenannter «Schloßdichter», wie es Kobau sinnig formuliert, ausreichend Unterstützung und ein re­präsentatives Umfeld fand. Bacher wäre dann quasi ein Ferdinand von Saar ohne die Schwestern von Wertheimstein, Fürstin zu Hohenlohe und Josephine von Knorr. Vgl. Ernst Kobau: Rastlos zieht die Flucht der Jahre … Josephine und Franziska von Wertheimstein – Ferdinand von Saar, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 363.

[44] Saar: a.a.O., S. 77.

[45] Rieder: a.a.O., S. 93.

[46] Ebd.

[47] Zumal sich der unbändige, vom Jagdtrieb nicht abzubringende, Hund als Korrelat der Desozialisierung Bachers deuten ließe. Ein Jäger bezeichnet ihn auf entgrenzende Weise auch als «Bastard». Saar: a.a.O., S. 69.

[48] Ebd., S. 48 f.

[49] Diese Gemeinsamkeiten hat herausgestellt: Wolfgang Nehring: «Vergänglichkeit und Psychologie. Der Erzähler Ferdinand von Saar als Vorläufer Schnitzlers», in: Karl Konrad Pohlheim (Hg.): Ferdinand von Saar. Ein Wegbereiter der literarischen Moderne. Festschrift zum 150. Geburtstag mit den Vorträgen der Bonner Matinee und des Londoner Symposions sowie weiteren Beiträ­gen, Bonn 1985, S. 100-116.

[50] Dazu: Jean Charue: «Zum Determinismus bei Saar», in: Karl Konrad Pohlheim (Hg.): Ferdinand von Saar. Ein Wegbereiter der literarischen Moderne. Festschrift zum 150. Geburtstag mit den Vorträgen der Bonner Matinee und des Londoner Symposions sowie weiteren Beiträgen, Bonn 1985, S. 235-263.

[51] Wagner: a.a.O., S. 106.

[52] Ebd.

[53] Ferdinand von Saar: «Sündenfall», in: ders.: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Im Auf­trage des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schillerstiftung mit einer Biographie des Autors von Anton Bettelheim herausgegeben von Jakob Minor, Leipzig 1908, Zehnter Band. S. 235-273. Dass gerade Naturalisten wie Henrik Ibsen und Gerhart Hauptmann zur Jahrhundertwende mit ihrem dramatischen Werk so viel Erfolg hatten, war für einem dem Theater so zugetanen Autor wie Ferdinand von Saar gewiss nicht einfach zu ertragen.

[54] Das verhält sich also zum Teil ähnlich indirekt und versteckt wie in Saars Bespre­chung der Gedichte seiner Mäzenin Josephine von Knorr.

[55] Dazu bereits erste Hinweise in dem Beitrag von: Dagmar Appelt und Silvia Koller: «Ferdinand von Saar: Sündenfall», in: Rolf Tarot (Hg.): Erzählkunst der Vormoderne, Ber­lin/Berlin/Frankfurt am Main 1996, S. 389-398. Mit dem Terminus «Vormoderne» wird ein liminaler Grenzbereich angedeutet, in dem sich Saar als Erzähler, Lyriker und indirekt agierender Kunsttheoretiker bewegt. Ich werde abschließend und auswertend darauf zu­rückkommen.

[56] Saar: a.a.O., S. 241.

[57] Ebd.

[58] Ebd.

[59] Die sich aber auch in anderen Werken des österreichischen Schriftstellers findet. Vgl.: Larissa Poluborjarinova: «Stoffe und Motive Iwan Turgenjews im Werk Ferdinand von Saars (unter besonderer Berücksichtigung von Ginevra), in: Michael Boehringer (Hg.): Ferdinand von Saar. Richtungen der Forschung. Directions in Research. Gedenkschrift zum 100. Todes­tag, Wien 2006, S. 51-67. Das von Turgenjew übernommene Zurückgelassenwerden des geliebten Gegenüber und das sich daraus ergebende Scheitern der Liebeskonstellation ist ein beliebtes Thema in den Novellen Ferdinand von Saars, so auch in Der Exzellenzherr (1882), wo sich die Unerfülltheit einer Liebe lediglich aus kommunikativen Missverständ­nissen ergibt, die aber wiederum auf der historischen und sozialen Gender-Codierung ihrer beiden Verursacher beruhen.

[60] Patricia Howe: «The Image of the Past in Ferdinand von Saar’s Novellen», in: Karl Konrad Pohlheim (Hg.): Ferdinand von Saar. Ein Wegbereiter der literarischen Moderne. Festschrift zum 150. Geburtstag mit den Vorträgen der Bonner Matinee und des Londoner Symposions sowie wei­teren Beiträgen, Bonn 1985, S. 137-149, S. 141.

[61] Saar: a.a.O., S. 242.

[62] Haberland: a.a.O., S. 72.

[63] Howe: a.a.O., S. 141. Nostalgie und Wehmut sind damit nicht mit dem pejorativen Attribut der Schwäche besetzt, sondern werden, aufgrund ihrer anthropologischen Bedeu­tung, ästhetisch aufgewertet, was auch die Nähe zu Turgenjew erklärt.

[64] Haberland: a.a.O., S. 72.

[65] Ebd., S. 82.

[66] Ferdinand von Saar: «Ein Roman aus Österreich. Das Haus Fragstein. Roman von Friedrich Uhl. Wien 1878. Manz», in: ders.: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Im Auftrage des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schillerstiftung mit einer Biographie des Autors von Anton Bettelheim herausgegeben von Jakob Minor, Leipzig 1908, Zwölfter Band S. 152-159, S. 154.

[67] Carl E. Schorske: Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de siècle, Frankfurt am Main 1982, zit. nach Jacobi: a.a.O., S. 402.